Vordergründig war es eine fröhliche Veranstaltung. Eine Woche vor Pessah versammelten sich Hunderte türkischer Juden aus Istanbul in der westtürkischen Stadt Edirne zur Wiedereröffnung der Großen Synagoge, die 1969 ihre Tore geschlossen hatte und seitdem als Ruine zurückgeblieben war, bis sie vor kurzem restauriert wurde.
In den Tagen nach der mit großem öffentlichem Interesse verfolgten Zeremonie sollte die Große Synagoge wieder in ihre ruhigeren Tage zurückfallen, da es in Edirne keine Juden mehr und in der gesamten Türkei nur noch 17.000 gibt.
Die notorisch antisemitische und islamistische Regierung der Türkei gab sich alle Mühe, um die Gemeinde zu bespaßen, indem sie zwei hohe Tiere zu der Feier schickte. Einer davon, der stellvertretende Premierminister Bülent Arınç, hielt eine Rede, die anderweitig sonst in der Synagoge Lachanfälle verursacht haben könnte. "Gott sei Dank", sagte er, "gibt es in der Türkei keinen Antisemitismus." Seine nächste Äußerung zeigte noch schwärzeren Humor. Er sagte: "Es gibt in der Türkei keinen Rassismus; dieser hat nie einen Boden für seine Wurzeln gefunden. Wenn wir uns Europa und andere Länder anschauen, sehen wir, wie weit sie hinter uns zurückgeblieben sind und wir bedauern das sehr."
Der zweite offizielle Gast bei der Zeremonie, Gouverneur Dursun Sahin, ist für die Leser dieser Zeitschrift kein Unbekannter. Im letzten November drohte Sahin damit, Gebete in der Synagoge nach der Restauration zu verbieten und stattdessen in ein Museum aus ihr zu machen. Er sagte, er würde keine Gebete in der Synagoge gestatten, weil Israels Sicherheitskräfte die Al-Aqsa-Moschee in Jerusalem angegriffen hätten. Dann gab er seinen "riesigen Hass" zu:
"Während diese Banditen [israelische Sicherheitskräfte] Winde des Krieges in die Al-Aqsa blasen und Muslime ermorden, bauen wir ihre Synagogen. Ich sage dies mit einem riesigen Hass in mir. Wir putzen ihre [jüdischen] Friedhöfe, schicken ihre Projekte an Vorstände. Aber die Synagoge hier wird nur als Museum eingetragen werden und es wird keine Ausstellungen darin geben."
Selin Nasi, eine Journalistin von Salom, einer jüdischen Zeitung in Istanbul, die über die Wiedereröffnung berichtete, schrieb: "Unglücklicherweise werden türkische Juden, die man lange als organisch mit Israel verbunden betrachtet hat, als Ausländer gekennzeichnet. Damit sind sie fast täglich Objekt von Hassreden und Drohungen, wann immer es eine Krise zwischen Israel und Palästina gibt ... Die Menschenmenge, die die Synagoge füllte, wollte ernsthaft Arınç glauben."
Wie konnten sie? Vor nur ein paar Monaten wurde ein Lehrer erwischt, der ein Schild an das Tor der Synagoge Neve Shalom in Istanbul hängte; darauf stand: "Gebäude steht zur Zerstörung an." Der Mann wurde nicht belangt.
Es gibt also keinen Rassismus in der Türkei. Nett. Google bringt allerdings 12,2 Millionen Treffer, wenn man "Turkey" (Türkei) und "racism" (Rassismus) eingibt. Wikipedia enthält einen ergiebigen Text zu "Rassismus in der Türkei", samt Fakten, Daten und ein paar Fotos. Ein Foto zeigt z.B. den von nicht identifizierten Personen auf die Wände einer armenischen Kirche in Istanbul gesprühten Slogan "Lang lebe die rassistische Türkei". Auf einem weiteren heißt es: "Entweder bist du ein Türke oder ein Bastard." Dieses Graffiti befand sich nahe der Mauer einer weiteren armenischen Kirche in Istanbul. Im Februar wurden in mehreren Städten der Türkei Banner, die den Völkermord an den Armeniern "feierten" gesehen. Sie erklärten: "Wir feiern den 100. Jahrestag der Reinigung unseres Landes von den [christlichen] Armeniern. Wir sind stolz auf unsere ruhmreichen Vorfahren."
Eine 2004 von einem Beamten des US-Konsulats in Istanbul geschriebene Depesche, die von WikiLeaks öffentlich gemacht wurde, stellte fest, dass eine Kampagne gegen einen türkisch-armenischen Journalisten (der 2007 ermordet werden sollte) "einen üblen Charakterzug des Rassismus in der türkischen Gesellschaft offenbarte".
Erst letzten August äußerte Präsident Recep Tayyip Erdoğan (damals Premierminister) in einem im Fernsehen ausgestrahlten Interview im Nachrichtensender NTV eindeutig, dass Armenier zu sein sogar noch "abstoßender" ist als Georgier zu sein. Er sagte: "Man würde die Dinge nicht glauben, die über mich gesagt worden sind. Sie haben gesagt ich sei Georgier... Sie haben noch Übleres gesagt - sie haben mich einen Armenier genannt."
Es gibt zudem zuverlässige Forschungsergebnisse. 2011 stellte die Umfrage Pew Global Attitudes and Trends fest, dass nur 6% der Türken eine positive Meinung zu Christen haben; 4% hatten eine positive Meinung zu Juden. Ein paar Jahre davor - 2006 - hatten diese Zahlen noch bei 16% bzw. 15% gelegen.
Die Pew-Umfrage fand auch heraus, dass 72% der Türken die Amerikaner und 70% die Europäer als feindselig betrachten. Gebeten die gewalttätigste Religion der Welt zu nennen, gaben 45% der Türken das Christentum und 41% das Judentum an; nur 2% sagten, es sei der Islam. Es überrascht nicht, dass 65% der Türken sagten, die Westler seien "unmoralisch".
Der stellvertretende Premierminister Arınç mag seine Zeit in seiner Scheinwelt genießen, in der es "keinen Rassismus gibt" und "uns die Europäer leidtun". Aber Fakten sind Fakten. Und die machen Politiker oft lächerlich, die Geschwätz von sich geben.