Die französische Regierung hat die Sozialleistungen von knapp 300 Dschihadisten gestrichen, die Frankreich verlassen haben, um sich dem Islamischen Staat im Irak und in Syrien anzuschließen. Im Zuge der um sich greifenden dschihadistischen Bedrohung hat sie zudem begonnen, Reisepässe zu konfiszieren, Reiseverbote auszusprechen und den Zugriff auf dschihadistische Websites zu blockieren.
Die Schritte sind Teil eines Bündels von Anti-Terror-Maßnahmen, die darauf zielen, französische Bürger und in Frankreich lebende Ausländer daran zu hindern, sich dschihadistischen Gruppen im Ausland anzuschließen, und die Verbreitung des radikalen Islam im Inland zu verlangsamen. Muslimische Verbände kritisieren diese Hektik als "Islamophobie".
Am 17. März gab Innenminister Bernard Cazeneuve bekannt, dass die Regierung die Zahlung von Sozialleistungen an 290 französische Dschihadisten, die für den Islamischen Staat kämpfen, gestoppt hat. Nachdem bekannt geworden sei, dass sie Frankreich verlassen hätten, um im Ausland zu kämpfen, seien die für die Auszahlung verantwortlichen Stellen sofort benachrichtigt worden, sagte er.
Es wird vermutet, dass sich mindestens 1.200 Personen aus Frankreich dem Islamischen Staat angeschlossen haben – ob einige von ihnen weiterhin Sozialleistungen erhalten, sagte Cazeneuve nicht. "Wir sollten darüber keine Debatte beginnen oder zulassen, dass Leute denken, es würde nichts getan", sagte er. "Wir nehmen dies ernst und werden das auch in Zukunft tun."
Die Diskussion über Sozialleistungen für Dschihadisten begann im November 2014, als Eric Ciotti, der Präsident des Generalrats des Departments Alpes-Maritimes in Südostfrankreich, einem französischen Dschihadisten, der in Syrien kämpfte, die als RSA bekannte Stütze entzog. "Ich kann nicht verstehen, dass öffentliche Gelder in die Taschen von jemandem fließen, der terroristische Pläne gegen unsere Nation, ihre elementaren Interessen und gegen die Demokratie schmiedet, und dass dieses Geld benutzt wird, um den Dschihad zu finanzieren", sagte Ciotti damals.
Am 23. Februar konfiszierten die französischen Behörden zum ersten Mal überhaupt die Reisepässe und Personalausweise von sechs französischen Bürgern – diese werden verdächtigt, die Ausreise nach Syrien geplant zu haben, um sich dem Islamischen Staat anzuschließen. Man werde womöglich die Reisepässe von 40 weiteren französischen Bürgern einziehen, sagt die Regierung.
Seit dem 16. März blockiert das Innenministerium fünf islamistische Websites, die, wie das Ministerium sagt, für Terrorismus geworben hätten. Darunter ist auch eine, die zum al-Hayat Media Center gehört, dem Propagandaarm des Islamischen Staates.
Die Schritte wurden in Einklang mit neuen Dekreten unternommen, die es den französischen Behörden erlauben, Websites zu blockieren, die "Terrorismus verherrlichen", und Einreise- und Ausreiseverbote für Personen auszusprechen, "wenn es schwerwiegende Gründe für die Annahme gibt, dass sie die Auslandsreise planen, um bei terroristischen Aktivitäten, Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschheit mitzuwirken." Da sie ohne richterliche Genehmigung angewandt werden können, sind die neuen Befugnisse umstritten.
Die Websites seien blockiert worden, um zu verhindern, dass Leute im Internet "zu den Waffen greifen", sagte Cazeneuve. "Ich mache einen Unterschied zwischen Redefreiheit und der Verbreitung von Botschaften, die dazu dienen, Terrorismus zu verherrlichen. Diese Hassbotschaften sind Verbrechen." Sein Ministerium verfolge noch "Dutzende" weitere dschihadistische Websites, so der Minister.
Kritik an der Maßnahme übt der Menschenrechtskommissar des Europarats, Nils Muižnieks, da sie ohne richterliche Aufsicht durchgeführt werde. "Die Menschenrechte einzuschränken, um den Terrorismus zu bekämpfen, ist ein schwerer Irrtum und eine ineffiziente Maßnahme, die der Sache der Terroristen sogar nützen könnte", sagte er.
Er sei "beunruhigt" über die "ausschließlich sicherheitsgetriebene Herangehensweise" bei der französischen Anti-Terror-Gesetzgebung, fügte Muižnieks hinzu, und warnte davor, dass diese, wenn sie wie geplant umgesetzt wird, "die Folge haben könnte, die Freiheit zu töten und ein gefährliches gesellschaftliches Klima zu schaffen, in dem jeder als potenzieller Verdächtiger betrachtet wird."
Muižnieks bezog sich auf eine neue Gesetzesvorlage, die Ministerpräsident Manuel Valls am 19. März vorgestellt hat. Das Gesetz würde den Geheimdiensten erlauben, die Telefonate und den E-Mail-Verkehr von jedem zu überwachen und zu speichern, der des Terrorismus verdächtigt wird. Die Vorlage wird im April im französischen Parlament debattiert und voraussichtlich im Juli beschlossen werden.
Unter anderem würde das neue Gesetz Internetprovider und Telefonanbieter dazu verpflichten, den Geheimdiensten für die Dauer von fünf Jahren die Speicherung von sogenannten Metadaten zu erlauben, die auf möglicherweise verdächtiges Verhalten hin analysiert werden könnten. Würden die Geheimdienste etwas Verdächtiges feststellen, könnten sie ein unabhängiges neunköpfiges Gremium um die Erlaubnis bitten, eine intensivere Überwachung einzuleiten.
Das Gesetz ebne Überwachungspraktiken den Weg, die in die Persönlichkeitsrechte eingriffen, und das ohne vorherige richterliche Genehmigung, kritisiert Amnesty International. In einer Stellungnahme der Organisation heißt es:
"Die Überwachungspraktiken, die die Gesetzesvorlage vorsieht, würden den französischen Behörden extrem weitreichende Überwachungsrechte geben, die fundamentalen Prinzipien der Verhältnismäßigkeit und Rechtsstaatlichkeit zuwiderlaufen, mit denen alle Einschränkungen des Rechts auf Privatsphäre und freie Rede geregelt werden sollten."
Valls verteidigte die Vorlage: "Es handelt sich um juristische Mittel, aber keine des Ausnahmezustands und auch keine zur allgemeinen Überwachung der Bürger." Es werde "keinen französischen Patriot Act geben", sagte er mit Bezug auf die amerikanische Gesetzgebung. "Es darf im digitalen Raum keine rechtsfreie Zone existieren. Oft können wir eine Bedrohung nicht vorhersagen, die Dienste müssen darum in der Lage sein, schnell zu reagieren."
Die Mehrheit der Franzosen stimmt dem offenbar zu. Laut einer im Auftrag von Radio Europe 1 und der Tageszeitung Le Monde am 28. Januar durchgeführten Umfrage des Ipsos-Instituts befürworten 71 Prozent der Befragten mehr Überwachung ohne richterliche Erlaubnis.
Darüber hinaus werden in Frankreich weitere Anti-Terror-Maßnahmen implementiert:
Am 3. März kündigte Valls an, dass der Staat die Zahl der Universitätsstudiengänge, die sich mit dem Islam befassen, verdoppeln werde, mit dem Ziel, die Finanzierung von Imamausbildungen durch ausländische Regierungen zu unterbinden. Valls wolle, so sagte er, dass mehr Imame und Gefängnisseelsorger, die ihre Ausbildung im Ausland erhalten haben, "sich weiterer Ausbildung in Frankreich unterziehen, fließend Französisch sprechen und das Konzept des Säkularismus verstehen." Derzeit gibt es in Frankreich sechs Universitäten, die die Studiengänge Islamwissenschaften und islamische Theologie anbieten. Valls möchte ihre Zahl auf 12 erhöhen, das Studium solle kostenlos sein.
Am 25. Februar stellte Cazeneuve einen Plan vor, den muslimischen Glauben zu "reformieren", um ihn in Einklang mit den "Werten der französischen Republik" zu bringen. Dazu soll eine neugegründete "Islamische Stiftung" beitragen, die sich der "erneuernden Forschung" einer Form des Islam widmet, der "die Botschaft des Friedens, der Toleranz und des Respekts verbreitet". Unter anderem will die Regierung ein neues Forum schaffen, das den Dialog mit der muslimischen Gemeinschaft fördert, die Ausbildung von muslimischen Predigern verbessert, die Radikalisierung in den französischen Gefängnissen bekämpft und muslimische Schulen beaufsichtigt.
Zur Verstärkung des Anti-Terror-Schutzes verkündete Valls am 21. Januar ein 736-Millionen-Euro-Programm. Die Regierung werde in den nächsten drei Jahren 2.680 neue Richter, Polizisten, Geheimagenten, Überwachungsspezialisten und Terrorismusanalysten einstellen, so Valls. Zudem werde sie 480 Millionen Euro für neue Waffen und Schutzausrüstungen für die Polizei bereitstellen. Teil dieser Initiative ist auch eine verstärkte Onlinepräsenz, in deren Mittelpunkt die neue Regierungswebsite "Stop Djihadisme" steht.
Bis Ende 2015 könnten sich 10.000 Europäer dem Dschihad im Irak und in Syrien angeschlossen haben, warnte Valls kürzlich. "Derzeit gibt es dort 3.000 Europäer", sagte er. "Stellt man eine Prognose für die nächsten Monate an, dann kommt man auf eine mögliche Zahl von 5.000 bis zum Sommer und 10.000 bis Jahresende. Begreifen Sie, welche Gefahr davon ausgeht?"
Soeren Kern ist ein Senior Fellow des New Yorker Gatestone Institute und Senior Fellow for European Politics der in Madrid ansässigen Grupo de Estudios Estratégicos / Strategic Studies Group. Besuchen Sie ihn auf Facebook und folgen ihm auf Twitter.