Im Jahr 2005 übernahmen der damalige türkische Premierminister Recep Tayyip Erdogan und sein spanischer Amtskollege Jose Luis Rodriguez Zapatero gemeinsam den Vorsitz eines von den Vereinten Nationen gesponserten, globalen Unterfangens, das den ausgefallenen Namen "Allianz der Zivilisationen" trug. Zwölf Jahre später ist Zapatero ein Politiker im Ruhestand, die westliche Welt sieht sich islamistischen bis dschihadistischen Bedrohungen unterschiedlichen Ausmasses ausgesetzt und Erdogan führt Krieg gegen die abendländische Zivilisation.
Erdogan, der als das Staatsoberhaupt mit den weltweit erbittertsten anti-israelischen Ansichten tituliert wurde, verglich Israels Massnahmen in Gaza einst mit denen von Hitler: "Jene, die Hitler Tag und Nacht verurteilen, haben ihn in seiner Grausamkeit übertroffen." Vor Kurzem sagte Erdogan, dass die Methoden des heutigen Deutschlands – vermutlich eine Anspielung darauf, dass Deutschland türkischen Politikern verbot, Reden bei Kundgebungen in Deutschland zu halten und damit Erdogans bevorstehendes Referendum in der Türkei zu unterstützen – "sich nicht von den Nazi-Methoden der Vergangenheit unterscheiden" würden. In einer anderen Rede beklagte er, "der Nazismus lebt im Westen". Für Erdogan sind die Niederländer "rückgratlos und unehrenhaft"; sie seien "Relikte der Nazi-Vergangenheit und Faschisten" und die Niederlande, die mehr als 200.000 ihrer Bewohner während der deutschen Besatzungszeit im Zweiten Weltkrieg verloren, seien eine "Bananenrepublik".
Zur Europäischen Union, deren Mitgliedschaft die Türkei theoretisch anstrebt, sagte er: "Wenn es irgendwo Nazis gibt, dann seid ihr die Nazis."
Ironischerweise enthüllt die türkische Wut auf den Westen im Zuge des jüngsten Konflikts zwischen mehreren europäischen Hauptstädten und Ankara (über Erdogans Ambitionen, politische Kundgebungen in ganz Europa abzuhalten, um Millionen türkischer Auswanderer zu erreichen) den eindeutigen und tief verwurzelten Antisemitismus unter Erdogans Anhängern. Hunderte türkische Demonstranten bewarfen Polizisten in der niederländischen Hafenstadt Rotterdam mit Steinen und riefen "Allahu akbar" – Arabisch für "Allah ist der Grösste". Dann riefen einige in der Menge – bei einer Demonstration, bei der es ausschliesslich um einen Konflikt zwischen der Türkei und den Niederlanden ging – "Krebsgeschwür Juden".
Pro-Erdogan Demonstration in Rotterdam im März 2017. (Foto: POW! NED Video Screenshot) |
"Wir haben erneut gesehen, dass die Wörter 'Jude' und 'Homo' in diesen Gruppen als Schimpfwörter gelten", sagte Esther Voet, Chefredakteurin der Zeitung Nieuw Israelietisch Weekblad.
Jemand twitterte gar einen Beitrag, in dem er den französischen Präsidenten François Hollande beschämend beleidigte, weil er dessen Nachnamen mit seiner Nationalität verwechselte.
Ein Verbrecher verteidigte sich, nachdem er Schüsse in einem Nachtclub abgefeuert hatte, mit der Aussage, er habe eigentlich Schüsse am niederländischen Konsulatsgebäude abgeben wollen.
Der türkische Zorn äusserte sich auch harmloser, als Erdogans Anhänger bei einer anderen Demonstration in den Niederlanden Orangen aufschnitten, aufspiessten und ausdrückten – Orange ist die Farbe der niederländischen Königsfamilie. Der türkische Verband der Viehproduzenten "deportierte" 40 niederländische Holstein-Kühe zurück nach Holland. In ähnlichem Stil bekundete ein Mitglied eines Bezirksrats in Istanbul sein Missfallen, indem er sagte, dass er eine aus den Niederlanden stammende Kuh als Vergeltungsmassnahme gegen die Niederländer schlachten würde.
Man könnte jetzt einfach lachen und ignorieren, wie die Türken ihren Zorn gegenüber den Niederländern ausdrücken, die einen nicht eingeladenen türkischen Minister auswiesen, der eine Rede vor der türkischen Gemeinschaft in den Niederlanden halten wollte.
Die offizielle Rhetorik in Ankara enthüllt jedoch die unabänderliche Unvereinbarkeit zwischen den demokratischen Kulturen Europas und der Türkei. Für Erdogan steht fest: "Der Geist des Faschismus läuft [in Europa] frei umher." Laut seinem Aussenminister Mevlut Cavusoglu bewegt sich Europa "auf einen Abgrund zu". Und es ist nicht nur die Rhetorik.
Ohne wirklich zu wissen, wogegen sich ihre anti-abendländische Kampagne am besten richten sollte, verhinderte die Türkei militärische Truppenübungen und andere Arbeiten mit NATO-Partnerländern und behinderte damit das laufende Kooperationsprogramm der NATO mit Nicht-EU-Staaten für das Jahr 2017. "Das ist kindische Feindseligkeit", sagte der Diplomat eines NATO-Staates in Ankara.
Anstatt Europa als einen Verbündeten und zukünftigen Partner zu betrachten, scheint die Türkei währenddessen zu denken, dass sie Europa durch Erpressung zähmen kann. Erdogan drohte damit, ein kontroverses Abkommen mit der EU zu kippen, das im März 2016 getroffen worden war, um den Strom von Zehntausenden Flüchtlingen aus der Türkei nach Europa zu bewältigen. Als Gegenleistung wurde den Türken finanzielle Unterstützung und eine visafreie Einreise in die EU zugesichert. Die EU könne "den Deal vergessen", sagte Erdogan vor einem halben Jahr. Sein Innenminister Suleyman Soylu wiederholte Erdogans Warnung und drohte der EU, dass der Club der Reichen schockiert wäre, "wenn Ankara jeden Monat 15.000 Flüchtlinge dorthin schicken würde". Minister Soylu sagte, er würde die Staatsoberhäupter der EU "überwältigen", indem er eine neue Flüchtlingskrise hervorriefe.
Ein Teil der aufhetzenden anti-abendländischen Rhetorik und Taten der Türkei zielt möglicherweise darauf ab, eine zunehmend isolierte und nationalistische Wählerschaft vor einem kritischen Referendum am 16. April anzulocken, das Erdogans Präsidentschaftsmacht deutlich ausweiten würde. Es geht jedoch auch darum, dass Erdogan sich selbst als den weltweiten Verfechter einer undurchsichtigen "muslimischen Sache" unter türkischer [sprich: Erdogans] quasi-kalifatischer Herrschaft gegen den "feindlichen" Westen ansieht und darstellt. Da die Islamisten wissen, dass sie den Westen nicht mit harter Gewalt besiegen können, nutzen sie einen "sanften Dschihad".
Der türkische Aussenminister Cavusoglu vermied nicht ohne Grund, von einem "Konflikt" oder einer "diplomatischen Krise" oder "Verhandlungen für eine Lösung" zu sprechen. Er sprach stattdessen von "Religionskriegen".
"In Europa werden schon bald Religionskriege ausbrechen", sagte er. "Darauf wird es hinauslaufen." Doch wie werden die türkischen (und andere) Islamisten ihrer Meinung nach zukünftige Religionskriege gewinnen? Wie wird ihr bevorzugtes Instrument der Kriegsführung, "sanfte Macht", ihrer Meinung nach einen ultimativen islamischen Sieg über eine "ungläubige" Zivilisation herbeiführen?
Erdogan hat die Antwort: Er drängte Muslime in ganz Europa dazu, grosse Familien zu haben, um "das Unrecht des Abendlandes zu bekämpfen". Und nicht nur das:
"Zieht in bessere Wohngegenden. Fahrt die besten Autos. Lebt in den besten Häusern. Zeugt nicht drei, sondern fünf Kinder. Denn ihr seid die Zukunft Europas. Das ist die beste Antwort auf die Ungerechtigkeit euch gegenüber."
Islamisten wie Erdogan träumen nicht von der "Eroberung" ungläubiger Länder mit Kampfjets und Panzern und Bomben. In diesem "Religionskrieg" ist ein demographischer Wandel zugunsten von Muslimen ihre stärkste Waffe.
Es ist an der Zeit, an das Gedicht zu denken, das Erdogan bei einer öffentlichen Kundgebung im Jahr 1999 zitierte: "Die Moscheen sind unsere Kasernen, die Kuppeln unsere Helme, Die Minarette unsere Bajonette und die Gläubigen unsere Soldaten."
Burak Bekdil, Journalist in der Türkei, wurde im Januar 2017 nach 29 Jahren von der wichtigsten Zeitung des Landes entlassen, nachdem er für Gatestone über das aktuelle Geschehen in der Türkei berichtet hatte. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Middle East Forum.