Der Ökumenische Rat der Kirchen (Weltkirchenrat/World Council of Churches) wurde mit einem edlen Ziel gegründet: die Spaltung der Christenheit zu überwinden und die Einheit der ursprünglichen Jünger Christi wiederherzustellen. Nachdem sein Gründungsgeist Willem Visser 't Hooft in den Ruhestand gegangen war, driftete er vom ursprünglichen Anliegen weg, was sich nach dessen Tod im Jahr 1985 noch beschleunigte.
Heute ist er im Grunde genommen auf ein kleines Sekretariat in Genf zusammengeschrumpft, das seine Inspiration aus der Besessenheit mit dem palästinensischen Problem schöpft. Abgesehen davon gibt es kaum etwas Rühmenswertes oder Nachteiliges über ihn zu berichten.
Ursprünglicher Zweck
Die Absicht, einen Weltkirchenrat (WCC) zu gründen, wurde 1938 auf einem Treffen in Utrecht proklamiert, wo auch der erste Generalsekretär, Willem Visser 't Hooft, ernannt wurde. Wegen des Zweiten Weltkriegs wurde der WCC jedoch erst 1948, bei seiner ersten Versammlung, offiziell gegründet. Visser 't Hooft blieb bis 1966 Generalsekretär. Auch nach seiner Pensionierung behielt er, indem er bis zu seinem Tod als Ehrenpräsident diente, beträchtlichen Einfluss auf die Aktivitäten des WCC.
Während der Amtszeit von Visser 't Hooft legte der WCC die grösste Betonung auf der Notwendigkeit, die zahlreichen Spaltungen der christlichen Welt zu überwinden. Schrittweise wurde die Mitgliedschaft um etliche orthodoxe und protestantische Kirchen erweitert. Seit 1968 nahmen Katholiken als Beobachter an Treffen des WCC teil. Der Vatikan erlaubte es katholischen Kirchen jedoch nicht, sich dem WCC anzuschliessen. Nur die Altkatholische Kirche, die sich im 19. Jahrhundert vom Vatikan losgesagt hatte, wurde Vollmitglied.
Der Gipfel dieser Periode wurde 1982/83 mit der Veröffentlichung zweier Dokumente erreicht: einer Stellungnahme zu drei Schlüsselthemen der christlichen Theologie (Taufe, Eucharistie und Mission (auf Englisch auch BEM abkekürzt) und dem Vorschlag einer gemeinsamen Form der Ausübung des Glaubens, der Lima-Liturgie. BEM versuchte, ein von allen oder den meisten Christen unterstütztes gemeinsames Fundament zu finden und war doch selbst Zeugnis fortdauernder Differenzen. Seither wurde nur noch wenig Fortschritt erzielt. Darum war BEM in der Praxis sowohl der Gipfel als auch das Ende dieser Periode der Existenz des WCC.
Ein neues Management
Eine neue Periode begann mit der Ernennung von Emilio Castro zum vierten Generalsekretär des WCC. Er amtierte von 1985 bis 1992. Soziale und politische Angelegenheiten waren immer eine untergeordnete Sorge des WCC gewesen, auch wenn ihre Bedeutung unter Castros unmittelbarem Amtsvorgänger Philip Potter (1972-1984) zugenommen hatte. Jetzt aber gerieten sie in den Mittelpunkt. Mehr und mehr rückten Stellungnahmen für die Palästinenser und Verurteilungen Israels an die Spitze der Agenda.
Während der letzten beiden Jahrzehnte hat der WCC eine ganze Familie von Ablegern geschaffen, die sich der Propagierung palästinensischer Ziele widmen. Üblicherweise tragen sie imaginäre Namen, deren Inhalt, wenn es einen gibt, vom wahren Charakter und ihren wahren Aktivitäten Lügen gestraft wird.
So wurde etwa 2002 das "Ökumenische Begleitprogramm in Palästina und Israel" (EAPPI) gegründet. Dessen Website behauptet, EAPPI sei "als Antwort auf einen Ruf der örtlichen Kirchenführer in Jerusalem" gegründet worden, um "die örtlichen Kirchen zu unterstützen". In der Praxis hingegen wurde die vor langer Zeit ergangene Bitte um Hilfe als Vorwand benutzt und nachfolgend ignoriert. Die Programme von EAPPI tun sehr wenig für die örtlichen Christen, ausser einige dem WCC nahestehende palästinensisch-christliche Intellektuelle zu fördern.
Die vom EAPPI geschickten Freiwilligen – bislang fast 1.500 – kommen als Touristen getarnt nach Israel und erhalten das Standardtouristenvisum, welches drei Monate lang gültig ist. Dann reisen sie in die Westbank weiter, wo der WCC sie als ignorante Wichtigtuer benutzt, während ihre Köpfe vollgestopft werden mit Behauptungen gegen Israel, deren Wahrheitsgehalt zu prüfen sie keine Gelegenheit haben. Nach ihrem Besuch sind sie verpflichtet, drei weitere Monate damit zu verbringen, ihr Pseudowissen in ihren Kirchen zu verbreiten. Manchmal haben sie das zusätzliche Vergnügen, zu Politikern und Parlamenten reden zu dürfen, ausserdem erwerben sie einen lebenslangen Status als "Experten".
Nachdem sie in der Westbank angekommen sind, werden diese "ökumenischen Begleiter" zu den Checkpoints gebracht, über die palästinensische Arbeiter jeden Tag nach Israel pendeln. In Israel gibt es eine hocheffiziente NGO namens Machsom Watch, die diese Checkpoints beobachtet. Selbstverständlich sprechen die Aktivisten von Machsom Watch Hebräisch, und sie haben die Telefonnummern der verantwortlichen Ämter und hochrangiger Armeeoffiziere. Wann immer also etwas passiert, das offensichtlich verkehrt ist, können sie einschreiten. Die "ökumenischen Begleiter" haben nichts von diesem notwendigen Insiderwissen, können also nur unwissend zugucken oder, schlimmer noch, agitieren und belästigen. Es kommt ihnen auch nicht in den Sinn, dass es für Palästinenser ein Privileg ist, in Israel zu einem Lohn zu arbeiten, der viel höher ist als der, den ihnen palästinensische Geschäftsleute zahlen.
Andere Aktivitäten bestehen z.B. darin, morgens und abends zu den Toren von Israels lebensrettender Sicherheitsbarriere zu gehen, wo palästinensische Bauern, die auf der einen Seite leben, zu ihren Feldern auf der anderen Seite gehen. Oder zu beobachten, wie das Haus eines Palästinensers zerstört wird, der Israelis ermordet hat. Nichts davon nützt palästinensischen Christen, da diese weder Bauern noch Terroristen sind.
Der Verfasser war einmal bei einem Treffen zugegen, bei dem eine der frühen Gruppen der "ökumenischen Begleiter" einer kleinen Öffentlichkeit vorgestellt wurden. Sie behaupteten natürlich, sie seien von den örtlichen Kirchen eingeladen worden und beschrieben die oben genannten Aktivitäten. Unter den wenigen Christen, die zu dem Treffen gekommen waren, war ein Priester, der fragte, zu welchen Kirchen sie Kontakt hätten. Ein Freiwilliger sagte, er habe die lutheranische Kirche in Bethlehem besucht, ein anderer nannte die anglikanische Kirche in in Zababdeh, und ein dritter sprach davon, er habe einmal eine anglikanische und einmal eine lutheranische besucht. Das war alles (die übergrosse Mehrzahl der örtlichen Christen sind natürlich Orthodoxe oder Katholiken). Statt die Anmassung zu rügen, sagte der Priester – der ökumenische Repräsentant der Griechisch-Orthodoxen Kirche – ihnen höflich, dass sie immer willkommen seien, wenn sie Zeit für einen Besuch hätten.
Seit 2007 hat der WCC ein "Ökumenisches Forum Palästina Israel" (PIEF). Trotz des hochtrabenden Namens macht ein Blick auf die Homepage klar, dass es allein dazu da ist, Christen überall auf der Welt gegen "die Besatzung" zu mobilisieren. Seine Gründung wurde vom "Amman-Aufruf" begleitet, einer bombastischen Erklärung, die im Juli 2007 auf einer vom WCC veranstalteten Konferenz veröffentlicht wurde. Darin wird die Beseitigung von Israels Sicherheitsbarriere gefordert, dem grössten Hindernis für palästinensischen Terrorismus, und die Durchsetzung des "Rückkehrrechts" für Palästinenser, also die Schaffung einer arabischen Mehrheit in Israel.
Ein Folgedokument zu dem Amman-Aufruf war das Kairos Palästina Dokument (KPD) von Dezember 2009. Wie der Autor leicht nachweisen konnte, behauptete der WCC fälschlich, das Dokument sei von den Kirchenführern in Jerusalem angenommen worden. Tatsächlich wurde das Komplott von zwei WCC-Angestellten geschmiedet, Rifat Odeh Kassis und Yusef Daher. Der einzige amtierende Kirchenführer in der Liste der Autoren war der lutheranische Bischof Munib Younan, der bald darauf verlangte, dass sein Name entfernt wird (in älteren Berichten im Internet taucht er aber immer noch auf, etwa hier und hier). Von den anderen Autoren war "Patriarch Michel Sabbah" bereits im Ruhestand, und "Erzbischof Theodosios Atallah Hanna" liegt immer wieder mit seinem eigenen Patriarchat in Streit.
Später bewarb der WCC den "Bethlehem-Call" (2012), eine Erklärung, die so extrem ist, dass sie von Mitri Raheb, dem lutheranischen Pastor in Bethlehem selbst und einem Co-Autor des KPD, abgelehnt wurde ("Ich bin kein Vertreter des Bethlehem-Call"). Jeder, der Rahebs Beschimpfungen Israels kennt, wird erstaunt sein, dass sogar er übertroffen werden kann.
Warum die Ablenkung vom eigentlichen Zweck?
Dass eine propalästinensische Agenda nun die Marschroute des WCC ist, wurde 2010 durch die Ernennung von Olav Fykse Tveit zum siebten Generalsekretär bestätigt, ebenso von der letzten (zehnten) Versammlung, die 2013 stattfand. Tveit war bis dahin stellvertretender Vorsitzender des PIEF gewesen. Die zehnte Versammlung traf sich unter dem Spruch: "Gott und Leben, führt uns zu Gerechtigkeit und Frieden." Palästina war ein bestimmendes Thema in den Workshops und in den angenommenen Erklärungen. So wurde in der Erklärung zum Nahen Osten beispielsweise nur Israel – und nicht etwa Assads mörderisches Regime in Syrien – kritisiert. Es enthielt zudem die wahnwitzige Behauptung, "der langanhaltende Palästina/Israel-Konflikt ... bleibt das Kernproblem, das viele Konflikte in der Region befeuert und die internatioanlen Beziehungen und den Frieden gefährdet."
Man kann viele Gründe dafür nennen, warum der WCC sich von seiner ursprünglichen Zielsetzung abgewandt hat.Wie schon erwähnt, war die theologische Debatte in eine Sackgasse geraten. Das Problem verstärkte sich noch, als die orthodoxen Kirchen, die sich dem WCC angeschlossen hatten, anfingen zu befürchten, dass der WCC ihnen inakzeptable Ansichten und Verhaltensweisen aufdrängen wollte.
Der zweite Grund kam nach dem Ende des Sowjetreichs ans Licht. Zahlreiche KGB-Dokumente belegten das Ausmass der Versuche des sowjetischen Geheimdienstes, den WCC zu manipulieren, indem er in den von der Sowjetunion beherrschten Ländern Agenten in die Kirchen einschleuste. Das begann mit der Russisch-Orthodoxen Kirche, die sich 1961 dem WCC angeschlossen hatte und beschleunigte sich rapide nach der Pensionierung von Visser 't Hooft im Jahr 1966. In einem Dokument heisst es, an der sechsten Versammlung 1983 hätten nicht weniger als 47 KGB-Agenten teilgenommen, um sicherzustellen, dass ein "akzeptabler Kandidat" zum neuen Generalsekretär gekürt wird, also Emilio Castro. Zudem musste der fünfte Generalsekretär des WCC zugeben, dass der WCC sich nur wenig um die Verfolgung von Dissidenten in der Sowjetunion, unter ihnen Christen, gekümmert hatte.
Drittens bleibt dem WCC kaum ein anderer Grund, um seine Fortexistenz zu rechtfertigen. Früher, im Jahr 1948, waren Begegnungen der verschiedenen Kirchenführer selten und schwierig. Eine Generalversammlung des WCC machte das Ungewöhnliche möglich und aufregend. Dank günstiger Flugverbindungen und sich ändernder Prioritäten können sich Kirchenführer heutzutage häufig treffen. Während Papst Paul VI. (1963-1978) der erste Papst seit 1809 war, der Italien verliess, heisst es von Papst Johannes Paul II. (1978-2005), er sei mehr gereist als jeder andere Mensch in der Geschichte. Auch der derzeitige Ökumenische Patriarch von Konstantinopel und der letzte Erzbischof von Canterbury haben den Ruf erworben, immer auf Reisen zu sein. Nationale und internationale Kirchentreffen sind heute gang und gäbe.
Würde der WCC aufhören zu existieren, würde ihn heutzutage kaum einer vermissen. Er ist zu einer weiteren NGO geworden, die vor allem dadurch fortlebt, dass sie die Bedeutung des arabisch-israelischen Konflikts überhöht, auf Kosten anderer Konflikte der Welt. Im Gegensatz zu den immensen Ressourcen, die er auf "Palästina" aufwendet, hat er für die Millionen Christen des Nahen Ostens, die in jüngster Zeit vertrieben oder getötet worden, nur gelegentliche Worte übrig – und keinen einzigen "ökumenischen Begleiter.
Der vierte und vielleicht wichtigste Grund ist die Organisationsstruktur des WCC. Die Generalversammlung ist auf dem Papier der Souverän, tritt aber nur alle sieben oder acht Jahre zusammen, um ein Zentralkomitte zu wählen. Auch dieses trifft sich nur alle zwei Jahre, um ein Exekutivkomitee zu wählen, das zweimal im Jahr tagt. Die Folge ist, dass das Genfer Sekretariat des WCC, das sich ums Tagesgeschäft kümmert, ungeheuren Freiraum hat, um seine eigene Agenda zu verfolgen. Das gilt umso mehr, als das Sekretariat auch die Agenda, die Erklärungen und Beschlüsse der Komitees und der Versammlung vorbereitet.
Eine damit verbundene Frage ist die der Finanzierung. Mir wurde einmal von jemandem, der im Sekretariat gearbeitet hatte, gesagt, dass viele Mitgliedskirchen keine Beiträge zahlen, dass dies aber kein Problem sei, weil es eine einzelne Stiftung gebe, die beträchtliche Summen bereitstelle. Wir sind nicht in der Position, solche Behauptungen zu prüfen, doch die Website von NGO Monitor zeigt, dass eine kleine Zahl von Missionsorganisationen, die mit den europäischen protestantischen Kirchen verbunden sind, den Löwenanteil der Finanzierung beibringt. Diese Missionen wiederum werden selbst von einer kleinen Gruppe von Personen dominiert, die die Agenda des WCC-Sekretariats teilen und dort manchmal selbst arbeiten. 2015, dem letzten Jahr, für das NGO Monitor Daten hat, kam die weitaus grösste Geldsumme (rund fünf Millionen Schweizer Franken) von Brot für die Welt, für das die deutschen evangelischen Kirchen jedes Jahr an Weihnachten Spenden sammeln.
Erscheinung und Wirklichkeit
Es gibt also eine riesige Kluft zwischen dem Erscheinungsbild des WCC und der Wirklichkeit. Die Erscheinung ist die Behauptung, der WCC vertrete Hunderte von Kirchen in über hundert Ländern, die an der Einheit der Christen arbeiteten. Die Realität ist, dass es sich um ein kleines Büro in Genf handelt, das zum grössten Teil von einer Handvoll europäischer protestantischer Bürokraten finanziert wird. Wenn der Staat Israel also Probleme mit einer krakeelenden Clique in Genf hat, muss er, solange er dafür Sorge trägt, klar beweisen zu können, dass er das Recht auf seiner Seite hat, keine grosse Angst davor haben, er könne riskieren, die Christen weltweit zu brüskieren.
Malcolm Lowe ist ein walisischer Wissenschaftler mit den Spezialgebieten Griechische Philosophie, Neues Testament und interreligiöse Beziehungen.