Der niederländische Senat hat ein Gesetz gebilligt, das das Tragen von "das Gesicht verdeckender Kleidung" in öffentlichen Gebäuden wie etwa Krankenhäusern, Schulen und Regierungsgebäuden untersagt. Dasselbe gilt für öffentliche Verkehrsmittel.
Das Verbot erstreckt sich zwar nicht auf öffentliche Straßen, ermächtigt aber die Polizei, zur Feststellung der Identität Personen zur Entfernung der das Gesicht bedeckenden Kleidung aufzufordern.
Wer das Verbot missachtet – das sich u.a. auf islamische Schleier und Gewänder wie Burkas (die das gesamte Gesicht bedecken) und Niqabs (die das gesamte Gesicht mit Ausnahme der Augen bedecken), Sturmhauben und Motorradhelme bezieht – hat eine Strafe von 410 Euro zu bezahlen.
Die Gesetzesvorlage, die schon im November 2016 von der zweiten Kammer des Parlaments gebilligt worden war, erhielt bei der Abstimmung im Senat am 26. Juni 44 Ja- und 31 Nein-Stimmen.
In einer Erklärung legte die Regierung – die noch nicht gesagt hat, wann das Gesetz in Kraft treten wird – den Zweck des Vorhabens dar:
"In einem freien Land wie den Niederlanden hat jeder die Freiheit und den Raum, sich zu benehmen und zu kleiden, wie er oder sie es möchte. Manchmal aber können und müssen Beschränkungen dieser Freiheit erlassen werden. Im Fall der das Gesicht bedeckenden Kleidung gilt dies vor allem dann, wenn die gegenseitige Kommunikation beeinträchtigt wird oder die Sicherheit gefährdet ist."
"Gegenseitige Kommunikation, bei der die Menschen einander ins Gesicht sehen, ist so wichtig, dass einheitliche Regeln nun in ein Gesetz gefasst wurden. Dies macht es für jeden klar, was in solchen Situationen erlaubt ist und was nicht."
Eine muslimische Aktivistengruppe namens "Halt dich von meinem Niqab fern!" hält das Verbot für verfassungswidrig. In einem offenen Brief an Parlamentarier fragte die Gruppe, die auf Facebook mehr als 5.000 Anhänger hat:
"Warum wird nicht begriffen, dass dieses Gesetz dazu führt, dass Menschen von der Gesellschaft isoliert werden? Dieses Verbot führt dazu, dass Frauen, die das Gesicht verhüllen und an der Gesellschaft teilnehmen wollen, dies nicht mehr effektiv tun können, weil sie bei der Bildung, der Führerscheinvergabe, in öffentlichen Verkehrsmitteln, beim Besuch eines Arztes und bei vielem anderen mehr Einschränkungen unterliegen."
"Ist die Verfassung auf Frauen mit das Gesicht bedeckender Kleidung nicht mehr anwendbar? Was ist mit dem Recht eines jeden, sich zu kleiden, wie er/sie es möchte, unabhängig von Rasse, Geschlecht, Religion oder Überzeugung?"
"Was ist mit Artikel 6 der Verfassung, der unsere Religions- und Glaubensfreiheit verankert? Gibt es einen Grund, warum nicht jeder das Recht hat, seine Religion oder seinen Glauben individuell oder in Gemeinschaft mit anderen frei auszuüben?"
Die Sprecherin der Gruppe, Karima Rahmani, fügte hinzu:
"Wir fühlen, dass uns durch eine repressive Maßnahme ein Unrecht zugefügt wird. Darum versuchen wir, unseren Stimmen Gehör zu verschaffen. Es wird immer schwerer und schwerer, mit einem Niqab auf die Straße zu gehen. Ich selbst habe Morddrohungen erhalten, andere Frauen wurden körperlich angegriffen."
"Es gibt viel Gerede über mich, doch keiner kommt zu mir, um zu fragen: 'Warum trägst du eigentlich den Niqab?' Er ist Teil meiner Religion, und ich will frei sein, diese Entscheidung zu treffen. Es ist eine spirituelle Erfahrung, die ich persönlich erlebe."
Laut dem Staatsrat, einem unabhängigen Beratungsgremium der Regierung bei der Erarbeitung von Gesetzen, sei das Verbot unnötig und möglicherweise verfassungswidrig. In einem Bericht von November 2015 schreibt er, das niederländische Kabinett habe sich zu sehr von "subjektiven Gefühlen und Unsicherheiten" leiten lassen, die "ein Verbot nicht rechtfertigen". Weiter heißt es:
"Der Staatsrat betont, dass die Gesetzesvorlage vor allem von der Ablehnung des Tragens islamischer, das Gesicht verdeckender Kleidung motiviert ist. ... Wenn eine Kleidung, die das Gesicht verdeckt (etwa eine Burka) getragen wird, um eine religiöse Kleidungsvorschrift auszudrücken, fällt dies unter die von der Verfassung geschützte Religionsfreiheit. Das von der Regierung vorgeschlagene Verbot rechtfertigt laut dem Staatsrat nicht, das Recht auf Religionsfreiheit einzuschränken."
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (ECHR) hingegen hat schon zweimal geurteilt, dass Burkaverbote rechtmäßig seien; darum ist es unwahrscheinlich, dass das niederländische Verbot von einem Gericht gekippt werden könnte.
Foto: Eine Person mit einer islamischen Ganzgesichtsverschleierung in Den Haag, Niederlande. (Foto: Patrick Rasenberg/Flickr CC by-NC 2.0) |
Im Juli 2017 etwa urteilte der ECHR einstimmig zugunsten des belgischen Burkaverbots an öffentlichen Orten. Die Regierung, so das Gericht, habe "auf eine Praxis reagiert, die sie, innerhalb der belgischen Gesellschaft, für unvereinbar mit der gesellschaftlichen Kommunikation und in einem weiteren Sinn mit dem Knüpfen menschlicher Beziehungen hält, die für das Leben in der Gesellschaft unverzichtbar sind ... [und] wesentlich, um das Funktionieren einer demokratischen Gesellschaft sicherzustellen." Im Juli 2014 entschied der ECHR zugunsten von Frankreichs Burkaverbot und akzeptierte die Begründung der französischen Regierung, wonach sie die Bürger dazu ermuntere, "zusammen zu leben".
Die niederländische Regierung hat wiederholt betont, dass das Verbot keine Einschränkung von Religion sei, sondern dem Zweck diene, die Kommunikation und öffentliche Sicherheit zu fördern. Sie nennt das neue Gesetz "religionsneutral", da es sich nicht allein auf die Burka und den Niqab bezieht, sondern auch auf Sturmhauben und Helme, die das Gesicht vollständig bedecken.
Die niederländische Innenministerin Kajsa Ollongren sagte, das neue Gesetz repräsentiere "eine faire Balance" zwischen der "Freiheit, sich zu kleiden, wie man will" und dem "allgemeinen Interesse an Verständigung und Sicherheit". Weit entfernt davon, grundlegende Rechte zu beeinträchtigen, ermögliche das Verbot muslimischen Frauen, "Zugang zu einem größeren sozialen Leben zu haben": Wenn sie das Gesicht nicht verhüllten, hätten sie "mehr Möglichkeiten zu Kontakten, Kommunikation und Zugang zum Arbeitsmarkt".
Ein komplettes Verbot war ursprünglich im Dezember 2005 von Geert Wilders, dem Vorsitzenden der Partei für die Freiheit (PVV), vorgeschlagen worden. Er argumentierte, Burkas und Niqabs seien Hindernisse für die Integration von Frauen in die Niederlande. "Wir müssen die Burka verbieten. Die Gesichter von Menschen sollten in der Gesellschaft nicht versteckt sein, denn es sind unsere Gesichter, die uns unsere Identität und unsere wichtigsten Mittel der Kommunikation mit anderen geben."
Die Niederlande sind das sechste europäische Land, das ein Burkaverbot beschlossen hat, nach Frankreich, Belgien, Bulgarien, Dänemark und Österreich. Das deutsche Bundesland Bayern, die Region Katalonien in Spanien sowie die Lombardei in Italien und der Kanton Tessin in der Schweiz haben regionale Verbote erlassen; Norwegen plant ein Gesetz gegen Burkas in öffentlichen Schulen. Lettland hat ein Burkaverbot vorgeschlagen, aber noch nicht umgesetzt.
Soeren Kern ist ein Senior Fellow des New Yorker Gatestone Institute.