Die verspätete Erkenntnis der europäischen Staats- und Regierungschefs über die Unzulänglichkeiten ihrer Fähigkeit, den Kontinent vor weiteren Attentaten des islamistisch inspirierten Terrorismus zu verteidigen, ist ebenso willkommen wie längst überfällig. Abgebildet: Am 10. November 2020 traf Bundeskanzler Sebastian Kurz (l.) im Rahmen seines Arbeitsbesuch in Paris den französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron (Foto von Michel Euler/Pool/AFP via Getty Images) |
Die aktuelle Welle von islamistisch inspirierten Terroranschlägen in Europa hat erneut bedauerliche Mängel innerhalb der europäischen Sicherheitsbehörden offenbart; diese scheinen nicht in der Lage, ihre Bürger angemessen zu schützen.
In allen drei Fällen – den Anschlägen von Paris, Nizza und Wien – hat sich gezeigt, dass die für die Durchführung der Attentate verantwortlichen Terroristen Verbindungen zu globalen Dschihadinetzwerken hatten, die von europäischen Sicherheitsbeamten unentdeckt blieben.
Mehr noch, die Leichtigkeit mit der sich einige der an den Anschlägen beteiligten Personen frei über den Kontinent bewegen konnten, hat erneut Besorgnis über die nachlässigen europäischen Grenzkontrollen hervorgerufen, wie sie im Schengener Abkommen der Europäischen Union definiert sind. Offenbar nutzen radikalisierte Dschihadisten gezielt diese Schwachstelle zu ihrem Vorteil.
Bei dem jüngsten Anschlag in der österreichischen Hauptstadt Wien am 2. November stellte sich heraus, dass der 20-jährige Schütze, der vier Menschen tötete und 22 weitere verwundete, bevor er selbst von der Polizei erschossen wurde, im Juli in die benachbarte Slovakei gereist war, um Munition zu kaufen.
Dies geschah, nachdem der für die Gräueltat verantwortliche Terrorist, Kujtim Fejzulai, im Dezember vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen worden war, nachdem er zwei Drittel einer 22-monatigen Haftstrafe verbüsst hatte. Fejzulai war verurteilt worden, weil er versucht hatte sich dem IS in Syrien anzuschliessen.
Und während das österreichische Innenministerium nach wie vor behauptet, dass der Schütze allein gehandelt habe, weiss man, dass er in Kontakt mit Extremisten in anderen Teilen Österreichs und der benachbarten Schweiz stand. Obwohl Fejzulais Name auf einer Beobachtungsliste der österreichischen Anti-Terrorismus-Behörde BVT stand, hinderte ihn dies offenbar nicht daran in die Slowakei zu reisen, um Munition zu kaufen.
Ähnliche Fragen zur Effektivität der europäischen Sicherheitsdienste hat der Anschlag in Nizza, Frankreich, aufgeworfen, wo sich nun herausstellt, dass der mutmassliche Terrorist mit dem Zug aus Italien angereist war. Der Attentäter hatte Italien von Tunesien aus erreicht , nachdem er von einer humanitären Hilfsorganisation im Mittelmeer aufgegriffen worden war.
Auch in Frankreich tauchten Berichte auf, dass der tschetschenische Terrorist, der für die Ermordung des Lehrers Samuel Paty verantwortlich ist, vor der Durchführung des Anschlags mit einem islamistischen Kämpfer in Syrien in Kontakt gestanden hatte. Paty war im vergangenen Monat vor seiner Schule in einem Pariser Vorort enthauptet worden, nachdem er seiner Klasse zwei Karikaturen des islamischen Propheten Mohammed gezeigt hatte und mit den Schülern über Meinungsfreiheit diskutierte.
Die französische Zeitung Le Parisien berichtete, dass Abdullakh Anzorov vor dem Mord mit einem noch nicht identifizierten russischsprachigen Dschihadisten in Syrien Kontakt aufgenommen habe, der über eine IP-Adresse in der von Dschihadisten dominierten Nordsyrischen Stadt Idlib ausfindig gemacht werden konnte.
Ein französischer Fernsehsender berichtete zudem, dass der Mörder, der im Alter von sechs Jahren mit seinen tschetschenischen Eltern nach Frankreich kam und bis 2030 Asyl und eine Aufenthaltsgenehmigung erhalten hatte, im September dieses Jahres über Instagram erstmals Verbindung mit dem Dschihadisten aufgenommen hatte.
In einer Audiobotschaft auf Russisch sagte Anzorov nach dem Mord, er habe "den Propheten gerächt", den Paty "auf beleidigende Weise" dargestellt habe. Inmitten von Verweisen auf den Koran und den Islamischen Staat fügte er hinzu: "Brüder, betet, dass Allah mich als Märtyrer annimmt."
Französische Sicherheitsbeamte haben daraufhin mit einer landesweiten Untersuchung mutmasslicher muslimischer Extremisten begonnen, wobei der französische Präsident Emmanuel Macron die Schliessung einer Pariser Moschee anordnete , die Verbindungen zur palästinensischen Terrorgruppe Hamas haben soll. Macron sagte, französische Sicherheitsbeamte glaubten, dass das Cheikh-Yassine-Kollektiv, das nach einem ermordeten Hamas-Führer benannt ist, aufgelöst werden sollte, weil die französischen Behörden Informationen hätten, dass die Gruppe "direkt in den Angriff verwickelt" sei.
Ausnahmsweise scheint der plötzliche Anstieg der Terroranschläge die europäischen Staats- und Regierungschefs dazu veranlasst zu haben, die eklatanten Defizite in ihrer Fähigkeit anzuerkennen, Europa vor islamistisch inspirierten Terrorakten zu schützen. In Österreich hat Bundeskanzler Sebastian Kurz Europa dazu aufgerufen, eine gemeinsame Front in einem, wie er es nennt, "Krieg gegen den Islamismus" zu bilden, und er sagt, er werde auf ein solches Bündnis gegen den politischen Islam drängen, wenn die europäischen Staats- und Regierungschefs Ende dieses Monats zu einem Gipfel zusammenkommen. In einem Gespräch mit der deutschen Zeitung Die Welt sagte Kurz, er werde sich für ein solches Bündnis gegen den Islam einsetzen:
"Ich erwarte ein Ende der falsch verstandenen Toleranz und dass alle Nationen Europas endlich erkennen, wie gefährlich die Ideologie des politischen Islam für unsere Freiheit und die europäische Lebensweise ist."
In Frankreich hat Macron auf die Anschläge auf französischem Boden mit der Forderung nach einer "tiefgreifenden Revision" des Schengener Abkommens geantwortet. Bei seinem Auftritt an der Seite seines Europa- und Innenministers in dieser Woche verpflichtete der französische Präsident Frankreich, die Zahl der Grenzwächter an seinen Landesgrenzen wegen der grassierenden Terrorbedrohung von 2.400 auf 4.800 zu verdoppeln. "Wir erleben sehr deutlich, dass terroristische Aktionen tatsächlich von einigen Leuten angeführt werden können, welche die Migrationsströme nutzen, um unser Territorium zu bedrohen", sagte er.
Die verspätete Erkenntnis der europäischen Staats- und Regierungschefs über die Unzulänglichkeiten ihrer Fähigkeit, den Kontinent vor weiteren Attentaten des islamistisch inspirierten Terrorismus zu verteidigen, ist ebenso willkommen wie längst überfällig. Denn ohne schärfere Kontrollen und Überwachung werden die Sicherheitsbeamten Mühe haben, weitere islamistisch inspirierte Bluttaten auf den Strassen Europas zu verhindern.
Con Coughlin ist Redaktor für Sicherheits- und Aussenpolitik bei The Telegraph und Distinguished Senior Fellow am Gatestone Institute.