Sind die Forderungen nach einem Boykott Israels und seiner Bürger das Ergebnis der Sorge um die Menschenrechte der Palästinenser oder in Wahrheit ein Aufruf, den Staat Israel schliesslich zu beseitigen? Wenn die Menschenrechte tatsächlich im Vordergrund stehen, warum gibt es dann nicht auch Forderungen nach einer freien palästinensischen Presse oder nach der Freilassung von Journalisten aus palästinensischen Gefängnissen? Stattdessen sehen diese Forderungen verdächtig nach einer rassistischen Reaktion auf die Existenz eines jüdischen Staates aus.
Unabhängig davon, ob die Aufrufe zum Boykott das Produkt einer linken antinationalistischen Haltung, Antisemitismus oder schiere Ignoranz sind, sind sie vereinfachende Reaktionen auf komplexe, ungelöste Probleme. Sie ignorieren die Unterscheidungen zwischen verschiedenen Arten von Massnahmen und Problemen, wie die verschiedenen Gebiete und Bevölkerungen, oder wie man sich angesichts der anhaltenden Aggression "angemessen" zu verteidigen hat.
Tatsächlich sind diese Aufrufe zum Boykott kontraproduktiv, einen Frieden zu erreichen, weil sie ein Hindernis für die Aufnahme von Verhandlungen schaffen und nur dazu dienen, gegensätzliche Positionen noch weiter zu verhärten, da die Bedrohungen zu wachsen scheinen. Die Boykotteure scheinen unfähig, zwischen Fakten und Auswirkung zu unterscheiden; oder vielleicht sind sie den Fakten gegenüber gleichgültig oder untersuchen nur widerwillig die Fakten im Zusammenhang der realen, andauernden Beziehung zwischen den streitenden Parteien.
Boykotts von Juden und jüdischen Interessen durch arabische Gruppen haben eine lange Geschichte. Im Jahr 1945 machte der 23 Länder umfassende neugegründete Rat der Arabischen Liga seine Position öffentlich, indem er erklärte, "jüdische Produkte und Industriegüter sollen in den arabischen Ländern als unerwünscht angesehen werden". Heuchelei war von Anfang an dabei. Die arabischen Staaten waren weniger daran interessiert, palästinensischen Arabern zu helfen, als daran, den Wettbewerb zwischen jüdischen Produkten und denjenigen ihrer eigenen Märkte zu verhindern.
Mit diesem Boykott sollte Israel sowohl wirtschaftlich als auch diplomatisch isoliert werden, und Israels Wirtschaft wurde vorübergehend einiger Schaden zugefügt, nachdem der Staat im Jahr 1948 gegründet worden war. Zusätzlich zu den arabischen Staaten befolgten einige nichtarabische Unternehmen, darunter die meisten japanischen Autohersteller, den Boykott, aber er wurde mehr durch sein Brechen als durch seine Einhaltung geehrt.
Seit den 1980er-Jahren hat eine Reihe von arabischen Staaten den Boykott aufgegeben, unfähig, die neue Welt der Globalisierung und verbindliche internationale Handelsabkommen, insbesondere diejenigen der Welthandelsorganisation, zu ignorieren. Als Ergebnis haben arabische Länder, sowohl durch legale Kanäle als auch heimlich, mit israelischen Unternehmen Handel getrieben und israelische Investitionen akzeptiert.
Obwohl der Boykott durch arabische Länder technisch noch immer in Kraft ist, werden seine Auswirkungen jetzt in den Händen von Nichtarabern, die Israel verurteilen wollen, angeblich wegen ihres Widerstandes gegen die Siedlungen und wegen ihres Widerwillens zu glauben, dass das gesamte Land von Gegnern Israels als eine einzige grosse Siedlung angesehen wird, zu einer wichtigen polemischen Waffe.
Und während es logisch sein mag, dass Araber nach einem Verbot von Produkten, die in israelischen Siedlungen gefertigt wurden, forderten, ist der von der Palästinensischen Autonomiebehörde geforderte Boykott in Wirklichkeit ein Verstoss gegen das Pariser Abkommen von 1994 zwischen Israel und der PLO, das Respekt der "wirtschaftlichen Interessen des jeweils anderen" zum Ausdruck bringt und "die Notwendigkeit, ein besseres wirtschaftliches Umfeld für ihre Bevölkerung und Individuen zu schaffen", anerkennt. Ein weiterer Irrtum in der palästinensischen Logik ist, dass es in einem Land von der halben Grösse der Schweiz schwierig, wenn nicht unmöglich ist, die Ökonomie der Siedlungen von der Wirtschaft Israels als Ganzes zu trennen.
Was tatsächlich überraschend ist, ist die Annahme dieser feindlichen Strategie durch Nichtaraber, besonders durch Bürger europäischer Länder. Obwohl die Kampagne für Boykott, Desinvestition und Sanktionen (BDS) im Jahr 2005 von 171 palästinensischen Nichtregierungsorganisationen begonnen wurde, die argumentierten, Israel komme nicht dem internationalen Recht und den universalen Menschenrechtsprinzipien nach, wurde sie schnell auch anderswo populär.
In der vollen Ironie des Kamels, das nie seinen Höcker zu sehen bekommt, und im Gegensatz zu selbsternannten liberalen Ideen der freien Rede, haben akademische und kulturelle Gruppen ihre Unterstützung zum Ausdruck gebracht. Die jährliche Israeli Apartheid Week in den USA und Europa hat zu manchmal antisemitischen Demonstrationen auf Universitätscampus geführt, bei denen antiisraelische Verfechter den Ausdruck abweichender Meinung verhinderten.
Ein paar Beispiele für Boykottaktionen reichen aus, um die antiisraelische Häme zu illustrieren. So wurde beispielsweise Moty Cristal, ein bekannter Israelexperte für Verhandlungstheorie und Mediation, aufgrund von Einwänden von Seiten der Unison-Gewerkschaft, eines offenen Kritikers Israels, von einer im Jahr 2012 in Manchester, England abgehaltenen Konferenz über Konfliktlösung wieder ausgeladen.
Im April 2012 sagte die Co-operative Group, die fünftgrösste Supermarktgruppe in Grossbritannien, sie werde keine Geschäfte mehr mit Zulieferern von Produkten aus israelischen Siedlungen machen. Paradoxerweise bedeutet der Boykott die Beendigung des Geschäftes mit Unternehmen wie Agrexco und Arava, die palästinensische Arbeiter beschäftigen.
Am überraschendsten war die Aktivität der grossen Kirchen und von Einzelpersonen aus der Unterhaltungsindustrie. Die Letzteren werden kaum gewandte Analysten von Nahostangelegenheiten sein, und dennoch haben bekannte Musiker, Schauspieler und Filmemacher ihre Unterstützung für einen Boykott zum Ausdruck gebracht oder einen Besuch Israels abgelehnt. Diese Haltung entstammt eher aus Einschüchterung, deplatzierter Selbstgerechtigkeit oder dem Wunsch, als politisch korrekt gesehen zu werden, als aus moralischer Überzeugung.
Es scheint, dass Befürworter eines Boykotts von Israel durch ihre bereits bestehenden Überzeugungen – ob nun antiisraelische oder antisemitische Einstellungen – daran gehindert werden, den Kontext, in dem Fakten verstanden werden können, wertzuschätzen. Wenn sie den Palästinensern wirklich helfen wollten, wäre ihre Zeit und Energie besser für die Förderung arabischer Staaten und der Palästinenser, eine bessere Verwaltung von ihren Führern zu verlangen, aufgebracht und möglicherweise sogar dafür, Verhandlungen aufzunehmen, um die politischen und handelspolitischen Beziehungen mit Israel zu normalisieren. Das Argument, dass der Boykott in Kraft bleiben sollte, bis der arabisch-israelische Konflikt gelöst ist, ist das genaue Gegenteil des Weges zu einer Einigung oder zum Frieden.