Als Abdullah Gul, der damalige türkische Präsident, 2012 gefragt wurde, ob die Hamas ein Büro in Istanbul eröffnen würde, antwortete er: "Die Kontakte [mit der Hamas] gehen weiter. Die Zeit wird zeigen, wohin uns unsere Zusammenarbeit führen wird."
Gul ist ein moderater Islamist, verglichen mit seinem Nachfolger als Präsident, Recep Tayyip Erdogan. Dreimal darf man raten, was die Zeit gezeigt hat.
Im vergangenen Jahr – acht Jahre nach dem Besuch von Khaled Mashaal, dem Chef des Politbüros der Hamas, in der Türkei im Jahr 2006 – tauchten Berichte auf, wonach die islamistische Organisation, die von Ägypten, den USA, Australien, Kanada, Israel und Japan als Terrororganisation eingestuft wird, ihre Bestrebungen im Westjordanland mithilfe logistischer Unterstützung einer Kommandozentrale in Istanbul koordiniert – eine Tatsache, die sogar die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) verärgert.
Auch Salah al-Arouri, ein Hamaskommandant, der von der PA beschuldigt wird, zahlreiche Anschläge auf israelische Ziele geplant zu haben, war 2014 in der Türkei zu Gast.
Die israelische Tageszeitung Israel Hayom nennt ihn "einen berüchtigten Erzterroristen, der für Dutzende von Anschlägen auf Israelis verantwortlich gemacht wird."
Laut israelischen Medienberichten liegen dem israelischen Inlandsgeheimdienst Shin Bet Beweise dafür vor, dass Angriffe, denen Israelis zum Opfer fielen, im Hamas-Hauptquartier in Istanbul geplant worden sind. Im November meldete der Shin Bet die Verhaftung von Mitgliedern einer Terrorzelle im Westjordanland, die gerade Angriffe auf Ziele in Israel planten – sie hatten unter der Führung von Hamasleuten in der Türkei im Ausland militärisches Training erhalten.
Bei einer Rede auf der Weltkonferenz der Islamischen Gelehrten, die letztes Jahr im August in der Türkei stattfand, gab Arouri zu, dass die Hamas verantwortlich ist für "die von den al-Qassam-Brigaden durchgeführte heldenhafte Aktion in Hebron, bei der drei Siedler gefangen genommen wurden". Die drei Teenager wurden von Angehörigen der Hamas entführt und ermordet, ein Vorfall, der die Gewaltspirale in Gang brachte, die zu dem 50-tägigen Gazakrieg führte.
Israels Verteidigungsminister Moshe Ya'alon behauptete im Dezember, die Hamas schmiede von Istanbul aus Pläne für Anschläge, die im Westjordanland und Gaza ausgeführt würden. "Die Hamas", sagte er, "versucht, in Judäa und Samaria eine terroristische Infrastruktur aufzubauen und mit ihrer Hilfe auf verschiedene Weise Anschläge durchzuführen; wir müssen aggressiv und entschlossen dagegen vorgehen."
Im Oktober 2014 hatte Ya'alon bei einem Treffen mit seinem amerikanischen Amtskollegen Chuck Hagel in Washington zum ersten Mal behauptet, dass die Hamas ihr Büro von Damaskus nach Istanbul verlegt habe. Seine Anschuldigungen kamen einen Monat, nachdem Israel wegen der Rolle der Türkei bei der Unterstützung von Terrorismus – insbesondere die Unterstützung und Beherbergung von Hamas-Kommandanten – bei der Nato eine Klage gegen sie eingereicht hatte. Darin wurde der seit 2010 in der Türkei lebende Arouri namentlich genannt.
Auch ein Hamasführer, der im Dezember unter Zusicherung von Anonymität mit World Net Daily sprach, hat bestätigt, dass seine Organisation das Nato-Land Türkei als Basis für Logistik, Training und die Planung von Terroranschlägen nutzt.
Nachdem so viele Informationen an die Öffentlichkeit durchgesickert waren, fühlte sich die US-Administration zu – zumindest schüchternem – Handeln genötigt und appellierte an Ankara, die von türkischem Boden ausgehenden militärischen Aktivitäten der Hamas zu unterbinden. Schließlich sei die Türkei ein Nato-Mitglied, und die meisten Verbündeten betrachteten die Hamas nun mal als Terrororganisation.
Dass die Hamas eine logistische Schaltzentrale in ihrem Land hat, wird von türkischen Diplomaten und Vertretern des Sicherheitsapparats weder bestätigt noch dementiert. "Nennen Sie es Büro oder was auch immer", sagte ein Funktionär hinter vorgehaltener Hand. Ein anderer hochrangiger Offizieller sekundierte: "Die Hamas-Aktivitäten in der Türkei beschränken sich auf die Koordination von humanitärer Hilfe und Medienarbeit."
Ein jüngerer Bericht auf Al-Monitor zitiert einen türkischen Diplomaten, der sagt: "Die Türkei führt einen Dialog mit der Hamas, aber wird absolut nicht einer Terrororganisation erlauben, auf ihrem Boden zu operieren."
Hier kommt sprachliche "Kreativität" ins Spiel. "Die Türkei wird keiner Terrororganisation erlauben, auf ihrem Boden zu operieren". Ja und nein.
Ja, weil die Türkei offen erklärt, dass sie die Hamas nicht als Terrororganisation betrachtet. Und nein, weil die Hamas in Wirklichkeit eine Terrororganisation ist.
Im Januar sagte der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu: "Für uns ist die Hamas keine Terrororganisation; sie hat niemals irgendeinen Terroranschlag verübt."
Das war nicht Ankaras erste Volte zugunsten einer Organisation, die geschworen hat, jeden einzelnen Juden auf der Erde zu töten. Präsident Erdogan hat die Bewaffneten der Hamas als "Freiheitskämpfer" bezeichnet.
Im Dezember begrüßte Davutoglu Mashaal auf einem wichtigen Kongress seiner Partei, der in Konya, in der Zentraltürkei, stattfand. Mashaal nutzte die Bühne und beglückwünschte das türkische Volk "dafür, dass es Erdogan und Davutoglu hat." Es gab frenetischen Applaus, enthusiastisch wurden palästinensische Flaggen geschwungen, und Tausende Anhänger der AKP schrieen: "Nieder mit Israel!"
Das Ausmaß der Hamas-Aktivitäten auf türkischem Territorium ist ein offenes Geheimnis. Die Hamas und türkische Regierungsvertreter bezeichnen diese Aktivitäten als humanitär. Mag sein. Aber auch die Entführung israelischer Teenager und das Beschießen israelischer Städte mit Raketen ist vielleicht in den Augen der meisten Islamisten – türkischen wie palästinensischen – eine "humanitäre Aktivität".
Dass die Hamas Istanbul als Ort für ihr Büro gewählt hat, ist nicht völlig ohne Bedeutung: Zehntausende Menschen gehen in Istanbul jedes Jahr auf die Straßen, um den "Al-Quds-Tag" zu begehen, bei dem sie israelische und amerikanische Flaggen verbrennen und singen: "Nieder mit Israel, nieder mit Amerika!"
Burak Bekdil lebt in Ankara und ist ein türkischer Kolumnist für Hürriyet Daily und ein Fellow des Middle East Forum.