In Amerika ist letzte Woche etwas passiert, über das man nicht einfach hinweggehen kann. Die Geschichte hat zwei Teile: Das Ereignis und die Reaktion darauf.
Am Dienstag, den 2. Juni, wurde der 26-jährige Usaama Rahim von Schüssen aus der Waffe eines Beamten der Bostoner Polizei und FBI-Agenten tödlich getroffen. Laut Quellen in der Bostoner Polizei und der Bundespolizeibehörde befand sich Rahim, der als Wachmann arbeitete, unter Beobachtung. Die Beamten vermuten, dass er von ISIS radikalisiert wurde und plante, jemanden zu enthaupten. Ein Name, der offenbar in seinen Unterhaltungen gefallen ist, war der der Bloggerin und Aktivistin Pamela Geller.
Später jedoch scheint Rahim sich entschlossen zu haben, ein anderes Ziel zu wählen: die Polizei, die er in einem Gespräch die "Jungs in blau" nannte. Anhand von Rahims abgehörten Unterhaltungen entschieden sich die Polizei und die Anti-Terror-Ermittler des FBI zum Zugriff. Als sie Rahim verhaften wollten, bedrohte dieser sie mit einem Kampfmesser; nachdem er sich geweigert hatte, aufzugeben, wurde er von einem Polizeibeamten und FBI-Agenten erschossen.
Dies ist ein Vorfall, wie er sich mittlerweile regelmäßig in Amerika und westlichen Ländern ereignen kann. Schon einige Male hat sich gezeigt, dass ISIS in der Lage ist, Personen zu erreichen und zu beeinflussen, die weit weg sind von Irak und Syrien –zuletzt in Garland, Texas, wo zwei Männer versuchten, einen von Pamela Geller organisierten Mohammed-Cartoon-Wettbewerb anzugreifen. Soweit die Fakten. Was dann passierte, verdient aus manchem Grund eine noch genauere Betrachtung.
Unmittelbar nach den tödlichen Schüssen gab es ein großes Medieninteressen daran, was die Polizei über den getöteten Verdächtigen wusste. Dabei fiel der Name Pamela Geller. Fast unmerklich änderte sich etwas. In einer Reihe von Interviews, die Pamela Geller zusammen mit Robert Spencer, ihrem Kollegen von der American Freedom Defense Initiative, gab, äußerten sich die Interviewer zunächst erleichtert darüber, dass die beiden wohlauf waren – um sich dann gegen sie zu wenden.
Der Tiefpunkt war ein von Erin Burnett geführtes Interview auf CNN, bei dem die News-Moderatorin irgendwann dazu überging, Pamela Geller zu verhören. Es lohnt, sich das Interview anzuschauen, sei es auch nur als Anschauungsbeispiel dafür, in welchen Schlamassel sich der Westen bei diesem Thema gebracht hat. Die Interviewerin verhedderte sich gleich am Anfang, als sie zu Geller sagte: "Sie stecken hinter der Mohammed-Cartoon-Ausstellung in Texas. Dabei starben Leute. Es gab eine Schießerei." Die Tatsachen werden hier in einem seltsam anmutenden neutralen Licht präsentiert. Wie Geller Burnett erklärte, "starben Leute" selbstverständlich nicht bei der Cartoon-Ausstellung. Zwei Männer waren zu der Veranstaltung gekommen, offenbar mit der Absicht, einen Massenmord zu verüben, hatten auf Polizeibeamte und Wachmänner geschossen (und dabei einen von ihnen verletzt) und waren daraufhin selbst von den Polizisten erschossen worden, als diese das Feuer erwiderten. Schnell wurde klar, dass die Interviewerin von CNN einen größeren Schlag vorbereitete, zu dem sie dann ausholte.
"Was die ,Zeichne-Mohammed'-Cartoon-Veranstaltung in Texas betrifft, so wissen Sie, dass einige Leute das ganz anders sehen als Sie. Sie selbst sehen das als eine Veranstaltung, bei der es um Kunst geht. Die anderen sehen es als das Zeigen von Bildern des Propheten Mohammed, der nicht gezeichnet werden sollte. Und Sie haben noch andere Sachen gemacht." An dieser Stelle zeigte die Interviewerin die in der New Yorker U-Bahn plakatierten und von Pamela Geller finanzierten Reklametafeln, auf denen steht: "In jedem Krieg zwischen dem zivilisierten und dem grausamen Menschen solltet ihr den zivilisierten unterstützen. Unterstützt Israel. Besiegt den Dschihad." Dann kam die CNN-Moderatorin auf ihre Frage: "Sind Sie überrascht, dass es Leute gibt, die Sie wegen solcher Aussagen aufs Korn nehmen wollen?"
Dazu gibt es vieles zu sagen. Warum beispielsweise würde irgendjemand einen anderen enthaupten wollen, nur weil dieser Reklame plakatiert, in der "Grausame" angegriffen werden? Um zu zeigen, dass er nicht grausam ist? Es lässt sich gewiss nicht folgern, dass solch eine Reklame unweigerlich zu Gewalt führt. Wie dem auch sei, die Interviewerin hatte den tiefsten Punkt noch nicht erreicht. Der kam, als Burnett das "Southern Poverty Law Center" (SPLC) erwähnte, von dem sie sagte, dass es "Hassgruppen in diesem Land beobachtet". Pamela Gellers Name ist auf der vom Southern Poverty Law Center geführten Liste von "Hassgruppen". Dann kam der Hammer: "Sie beobachten Hassgruppen. Sie haben Sie auf ihre Liste gesetzt. Nichts rechtfertigt das Enthaupten oder den Vorsatz dazu. Aber ..."
Wie oft richtigerweise über die wichtigen Fragen unserer Zeit gesagt wird, ist alles bis zum "aber" bloß ein Räuspern. Es ist das, was man sagen muss und was jeder von einem erwartet. Es kommt auf das an, was man nach dem "aber" sagt. Bei dieser Gelegenheit fuhr Burnett fort: "Aber es ist wichtig, dies anzumerken. Ich meine: Gießen Sie Öl ins Feuer? Genießen Sie es irgendwie, Ziel dieser Angriffe zu sein?"
Hinter den diesen Fragen zugrunde liegenden Annahmen steckt eine ganze Denkschule. Dazu gehört etwa die Vorstellung, dass eine hochgradig ideologische Institution wie das Southern Poverty Law Center qua eigener Ermächtigung darüber zu entscheiden habe, wer von Hass erfüllt ist und wer nicht. Oder die blinde Akzeptanz der Methoden solcher Organisationen (die britische "Hope not Hate" ist ein weiteres Beispiel), die Zielpersonen aufzureihen scheinen, etwas, wofür sie jeden anderen höchstwahrscheinlich und mit Recht verurteilen würden.
Was das Reden über den Enthauptungsplan betrifft, so gibt es ein Denkmuster. Dieses zeigte sich, als CNN Robert Spencer interviewte und ihm die seltsame Frage stellte, was er vor dem versuchten Anschlag getan habe, um mit der islamischen Gemeinde in Boston ins Gespräch zu kommen. Die dahinter steckende Annahme ist natürlich, dass Geller und Spencer sich diese Enthauptungspläne und Mordversuche selbst zuzuschreiben hätten. Wenn einem das bekannt vorkommt, dann deshalb, weil es das ist. Es ist genau das, was wir im Januar von bestimmten Leuten aus unterschiedlichen politischen Lagern nach den Morden an Mitarbeitern des französischen Satiremagazins Charlie Hebdo gehört haben und, einige Wochen später, nach der Ermordung eines Regisseurs und dem versuchten Mord an vielen anderen auf einer Veranstaltung für Redefreiheit in Kopenhagen.
Jeder hat natürlich seine Steckenpferde und seine Lieblingshassobjekte. Für einige Leute der französischen "Rechten", ebenso wie für viele der internationalen "Linken" hatte das "linksradikale" Magazin Charlie Hebdo es irgendwie "verdient". Viele dieser Leute senkten damals ihre Stimmen, nachdem die "Blasphemiepolizei" der Dschihadisten so erfolgreich gewesen war. Aber die Stimmung lag in der Luft – so wie auch im Falle der nichtpolitischen Kulturschaffenden, die die Veranstaltung für Redefreiheit in Kopenhagen organisiert hatten. Bei solchen Gelegenheiten zieht sich eine beunruhigend große Zahl von Menschen hinter die etablierten politischen Linien zurück. Selbst als der PEN-Club vor wenigen Wochen zurecht die Mitarbeiter von Charlie Hebdo mit einer Zeremonie in New York ehrte, versuchten zwei überlebende Mitarbeiter der Zeitschrift enttäuschenderweise, zwischen sich und den Organisatoren der Ausstellung in Garland, die kurz zuvor angegriffen worden war, eine Kluft zu schaffen.
"Dieses Pamela-Geller-Ding und Charlie Hebdo zu vergleichen, ist Unsinn", sagte einer von ihnen. Der andere fügte hinzu: "Der Unterschied zwischen uns und diesen Leuten ist, dass diese Leute Wettbewerbe veranstalten, antiislamistische Wettbewerbe. Es ist eine Besessenheit. ... Wir sind bloß besessen von den Nachrichten und davon, wie sich die Welt entwickelt. Pamella Geller hingegen ist besessen vom Islam. Sie wacht jeden Morgen auf und denkt: Was kann ich tun, um diese Leute herauszufordern?"
Man hätte hoffen können, dass inzwischen mehr Leute – vor allem die, die buchstäblich so nah an der Schusslinie sind – begreifen würden, dass es auf diese Unterschiede nicht ankommt. Übrigens gehen solche Anschuldigungen in die Irre. Wie ich kürzlich an dieser Stelle schrieb, kann man nicht das Recht eines "Linken" verteidigen, einen Mohammed-Cartoon zu veröffentlichen, nicht aber dasselbe Recht jemandes, der von der "Rechten" kommt – und man kann auch nicht sagen, jemand, der einen solchen Cartoon veröffentlicht, ohne zu wissen, was er tut, solle verteidigt werden, nicht aber jemand, der es in vollem Bewusstsein der Bedeutung tut.
Aus dem gleichen Grund ist es auch völlig gleichgültig, ob Pamela Geller jeden Morgen aufwacht und vom Islam besessen ist, während die Mitarbeiter von Charlie Hebdo nur jeden zweiten Morgen oder nur hin und wieder mal beim Aufwachen an den Islam denken. Der Punkt ist: Ist das, was sie tun, legal und etwas, das unsere Gesetze und Traditionen schützen? Die Antwort lautet sowohl in Frankreich als auch in Amerika: ja.
Von da an ändert es keinen Deut, welche politischen oder sonstigen Neigungen derjenige haben mag, der einen Cartoon veröffentlicht oder unterstützt, oder aus welchem Antrieb er dies tut. Es ist nicht an uns, uns anzumaßen, in die Herzen von Menschen zu schauen – wie es selbstermächtigte Gruppen wie das Southern Poverty Law Center tun – und zu versuchen, ihre Absichten zu erraten. Wenn jemand – der nicht nur unsere Gesetze, sondern unsere Sitten und unsere Tradition der Redefreiheit zerstören will – versucht, diese Leute zu töten, ist Solidarität die einzige Antwort. Wir haben ebenso wenig das Recht, uns zu Richtern über die Opfer oder potentiellen Opfer zu erheben, wie die Islamisten das Recht haben, sich zu selbsternannten Vollstreckern zu machen. Das bewirkt nichts anderes, als diesen bei der Durchführung ihres Vorhabens zu helfen.