Das spanische Parlament hat ein mit Spannung erwartetes Gesetz beschlossen, das es den Nachfahren von Juden, die 1492 aus dem Land vertrieben wurden, erlauben soll, die spanische Staatsbürgerschaft zu beantragen.
Das Gesetz, welches am 1. Oktober 2015 in Kraft treten wird, werde "ein historisches Unrecht wiedergutmachen" und zum Ausdruck bringen, dass Juden 500 Jahre nach dem Beginn der Inquisition in Spanien wieder willkommen seien, hatten spanische Spitzenpolitiker seit langem versprochen.
Die abschließende Fassung des Gesetzes stellt dem Erwerb der spanischen Staatsbürgerschaft jedoch so viele Hindernisse entgegen, dass die meisten potenziellen Bewerber wahrscheinlich schon davon abgeschreckt sein werden, den Antragsprozess überhaupt zu beginnen. Das Gesetz stellt in seiner derzeitigen Form de facto sicher, dass nur sehr wenige der schätzungsweise 3,5 Millionen sephardischen Juden, die es weltweit gibt, jemals spanische Bürger werden.
Die Abstimmung im Kongress der Deputierten (dem Unterhaus des Parlaments) vom 11. Juni – 292 Stimmen dafür, keine dagegen, bei 16 Enthaltungen und 42 Abwesenden – war die letzte Hürde für den Gesetzentwurf, der erstmals im November 2012 vorgeschlagen worden und im Februar 2014 vom Kabinett gebilligt worden war.
Das neue Gesetz, das auch als "Recht auf Rückkehr" für die sephardischen Juden bezeichnet wird (Sepharad ist das hebräische Wort für Spanien), garantiert vorgeblich, dass jeder die spanische Staatsbürgerschaft erhält, der zwei scheinbar einfache Voraussetzungen erfüllt: Er muss ein sephardisches Erbe und seine "besondere Verbindung" zu Spanien nachweisen.
Obgleich die potenziellen Antragsteller keine praktizierenden Juden zu sein haben, müssen sie über eine Kombination zahlreicher Faktoren ihren sephardischen Hintergrund nachweisen; darunter sind etwa die Abstammung, Familiennamen und die von ihnen gesprochene Sprache (entweder Ladino, eine jüdische Sprache, die sich aus dem mittelalterlichen Spanisch entwickelt hat, oder Haketia, eine Mischung aus Hebräisch, Spanisch und Judeo-marokkanischem Arabisch).
Das "Sephardentum" muss durch ein Zertifikat des Bunds Jüdischer Gemeinden in Spanien (FCJE) in Madrid nachgewiesen werden. Antragsteller aus dem Ausland können von jüdischen Verbänden oder einem Rabbinat im Heimatland eine Bescheinigung erhalten, auch diese muss aber in jedem Fall vom FCJE bestätigt werden.
Dazu prüft der FCJE die Legitimation der betreffenden religiösen Vereinigung, hierfür sind von den Bewerbern drei Dokumente beim FCJE einzureichen: 1. Eine Kopie der Statuten der Vereinigung 2. Ein Zertifikat mit den Namen ihrer rechtlichen Vertreter 3. Ein Dokument, aus dem hervorgeht, dass die Vereinigung in dem betreffenden Land rechtlich anerkannt ist.
Nachdem ein Bewerber vom FCJE die Bestätigung seiner sephardischen Identität erhalten hat, muss er schließlich noch seine "besondere Verbindung" zu Spanien nachweisen. Dazu gehören zwei Prüfungen: Ein Test zum Nachweis der Sprachkenntnisse und -Fähigkeiten, einen anderen zum Nachweis der Kenntnisse der spanischen Verfassung, Kultur und Gesellschaft.
Die Tests werden vom Instituto Cervantes entwickelt und durchgeführt, einer Regierungsagentur, die für die Förderung und das Lehren der spanischen Sprache und Kultur verantwortlich ist. Das Institut hat überall auf der Welt Vertretungen – dorthin aber müssen die Bewerber auf eigene Kosten reisen.
Bewerber, die allen Anforderungen erfolgreich Genüge getan haben, müssen die Dokumente anschließend in digitaler Form beim spanischen Justizministerium einreichen, das für diesen Prozess des Antragstellens gerade eine eigene Website einrichtet. Allen Dokumenten – dazu gehören auch die Geburts- und Heiratsurkunde und ein polizeiliches Führungszeugnis, das zeigt, dass der Bewerber keine Vorstrafen hat – sind offizielle Übersetzungen und notarielle Bestätigungen beizufügen.
Das Justizministerium hat dann ein Jahr Zeit, die Bewerbung zu akzeptieren oder abzulehnen. Wer von den spanischen Behörden nicht innerhalb eines Jahres benachrichtigt wird, hat davon auszugehen, dass seine Bewerbung abgelehnt wurde.
Erfolgreiche Bewerber müssen dann noch etwas tun: einen Eid der Loyalität zum spanischen König leisten und die Treue zur spanischen Verfassung bekunden. Dies kann entweder in Spanien oder in spanischen Botschaften oder Konsulaten im Ausland erfolgen. Es wird von erfolgreichen Bewerbern nicht verlangt, dass sie ihre andere Staatsbürgerschaft aufgeben.
Das neue Gesetz ist weit davon entfernt, potenzielle Kandidaten dazu zu ermuntern, die spanische Staatsbürgerschaft zu beantragen, sondern hält sie sogar auf vielerlei und schwerwiegende Weise davon ab.
Was die jüngere Generation betrifft, so werden viele oder sogar die meisten Antragsteller dieser demographischen Gruppe schon von Beginn des Prozesses an disqualifiziert, indem verlangt wird, dass sie Ladino oder Haketia sprechen müssen – aussterbende Sprachen, die fast nur noch von älteren Menschen in Teilen Lateinamerikas, Marokkos und der Türkei gesprochen werden. Es ist zudem höchst unwahrscheinlich, dass jemand diese Sprache spricht, der sephardische Vorfahren hat, aber kein praktizierender Jude ist. Das vielgerühmte Angebot, wonach auch Nichtjuden die spanische Staatsbürgerschaft nach den Maßgaben des neuen Gesetzes beantragen können, wird somit zweifelhaft.
Was die ältere Generation betrifft, so ist es gut möglich, dass Bewerber aus dieser Altersgruppe, die Ladino oder Haketia sprechen, von dem komplizierten Prozedere abgeschreckt werden, der Notwendigkeit von Reisen, um die einzelnen Prüfungen und den Loyalitätseid zum spanischen Staat abzulegen. Auch könnten sie sich davon überfordert fühlen, mit Spaniens berüchtigter byzantinischer Bürokratie zu tun haben zu müssen.
Was die Kosten anlangt, werden viele potenzielle Bewerber von den schieren Kosten des Antragsprozesses abgeschreckt, die 5.000 Euro pro Person übersteigen können. Hinzukommen beträchtliche Kosten für Zeit und Aufwand, um die Dokumente zu besorgen, sie übersetzen und beglaubigen zu lassen, Reisen zu buchen, um die Prüfungen abzulegen und die Papiere bei den zuständigen Behörden einzureichen.
Was die Familiennamen betrifft, so hat sich die spanische Regierung ausdrücklich von einer im Internet kursierenden Liste mit 5.200 sephardischen Nachnamen distanziert. Diese Liste wurde anhand von akademischen und genealogischen Quellen zusammengestellt, und viele, wenn nicht gar alle der Namen auf dieser Liste scheinen echte sephardische Familiennamen zu sein.
Doch die spanischen Behörden gaben eilig eine Mitteilung heraus, dass die Regierung nicht beabsichtige, jemals eine offizielle Liste sephardischer Familiennamen zu veröffentlichen – offenbar hat sie Angst, dass dies zu einer Lawine von Anträgen auf Staatsbürgerschaft führen könnte. Es bleibt unklar, auf welche Weise die spanische Regierung denn dann entscheiden will, welche Nachnamen sephardisch sind und welche nicht.
Was die zusätzlich einzureichenden Dokumente betrifft, so schreibt das Gesetz beispielweise vor, dass Bewerber Geburtsurkunden, ketubahs (jüdische Eheverträge) und Heiratsurkunden vorzulegen haben, die "den Gepflogenheiten Kastiliens entsprechen". Die Begriffe "Gepflogenheiten" und "Kastilien" werden aber nicht definiert – diese Terminologie sei "archaisch" und ergebe keinen Sinn, geben sogar einige spanische Abgeordnete Abgeordnete zu.
Die Verwirrung wird noch dadurch gesteigert, dass der Antragsprozess potenzieller Kandidaten durch die mangelnde Klarheit in vielen Teilen des Gesetzes ausgebremst werden kann. So heißt es in dem Gesetz etwa: Jeder, der nachweisen kann, dass er Geld für sephardische Kulturveranstaltungen in Spanien gespendet hat, erbringe dadurch genügenden Nachweis, dass er "Verbindungen zu Spanien" habe. Dies legt nahe, dass wohlhabende Antragsteller gegenüber weniger begüterten bevorzugt werden.
Was die Anerkennung sephardischer Abstammung betrifft, so sagt der FCJE selbst, dass er "derzeit nicht dazu befähigt" sei, Anträge zu akzeptieren oder Zertifikate auszustellen. Im Moment arbeitet er an einem Internetratgeber für den Antragsprozess; dieser soll "bald" erhältlich sein, unklar ist jedoch, ob auch in anderen Sprachen oder nur auf Spanisch. Und niemand weiß bislang, wie der FCJE von religiösen Gemeinschaften außerhalb Spaniens erstellte Zertifikate bestätigen wird.
Was die Frustration betrifft, so lässt das Gesetz so viele Fragen unbeantwortet, dass der Prozess des Antragstellens wahrscheinlich ein einziges Ärgernis sein wird. Schon jetzt klagen potenzielle Antragsteller, sie seien nicht in der Lage, von spanischen Botschaften oder Konsulaten im Ausland genaue Informationen oder professionellen Beistand zu bekommen.
Was den Zeitraum betrifft, so gilt das neue Gesetz nur für drei Jahre (die Regierung kann es für ein weiteres Jahr verlängern, wenn sie es für nötig erachtet), was bedeutet, dass potenziellen Antragstellern lediglich 36 Monate bleiben (also bis zum 1. Oktober 2018), um den ganzen Prozess zu bewältigen.
In einer am 11. Juni vor dem spanischen Parlament gehaltenen Rede verkündete der spanische Justizminister Rafael Catalá:
"Heute haben wir ein Gesetz gebilligt, das allen Nachfahren derer, die unrechtmäßig vertrieben wurden, wieder die Türen öffnet. Dieses Gesetz sagt viel darüber, wer wir in der Vergangenheit waren, wer wir heute sind und was wir in der Zukunft sein wollen: Ein Spanien, das offen ist, mannigfaltig und tolerant."
Catalás Beteuerung, dass "alle Nachfahren" der im 15. Jahrhundert aus Spanien vertriebenen sephardischen Juden nun die Staatsbürgerschaft erwerben können, ist einfach unwahr.
Jon Iñarritu García, ein Abgeordneter, der das Baskenland vertritt, widersprach der sich selbst beglückwünschenden Rhetorik der Regierung. Vor dem spanischen Parlament sagte er:
"Wir wollen unsere Enttäuschung bekunden, denn dieses Gesetz, hinter dem die Absicht stand, die Gerechtigkeit wiederherzustellen, ist immer komplizierter geworden. Wenn wir die Verfahren betrachten; die Anforderungen; die Zahl der einzureichenden Dokumente; die beglaubigten Übersetzungen; die Gebühren; die Sprach- und Kulturprüfungen und die Notwendigkeit, nach Spanien zu reisen – dann können wir uns nur fragen, was wohl der Grund für all diese Hürden sein mag."
"Wenn das Gesetz dazu gedacht war, die Ungerechtigkeit der Vertreibungen und der damit einhergehenden Ausbeutung wiedergutzumachen, dann wäre es der logischste Schritt, den Antragstellern solch eine beschwerliche Prozedur zu ersparen. Errechnet man die Kosten für jeden Antragsteller im Laufe des Verfahrens, dann kommt man auf eine Summe von 4.000 bis 6.000 Euro pro Person."
"Warum können die Antragsteller die erforderlichen Verfahren nicht in den spanischen Konsulaten im Ausland durchlaufen? Und warum müssen die Dokumente notariell beglaubigt werden? Warum ist die Gültigkeit des Gesetzes auf drei Jahre befristet, die auf vier verlängert werden können? Warum ist das Gesetz nicht zeitlich unbefristet, wenn es doch darum geht, eine Ungerechtigkeit zu korrigieren? Setzen Sie keinen Schlusstermin!"
"Warum die Prüfungen, um Kenntnisse des Staates und der Sprache zu testen? Warum versäumt es das Gesetz, dem Bund Jüdischer Gemeinden Spaniens eine größere Rolle einzuräumen, wo dieser doch bei den zuständigen Stellen der Regierung die jüdischen Gemeinden repräsentiert?"
"All diese Tatsachen legen die Annahme nahe, dass die Regierung die Zahl der Anträge möglichst gering halten will. Zudem wird durch das Aussieben nach wirtschaftlichen Kriterien sichergestellt, dass nur diejenigen mit hoher Kaufkraft einen Antrag stellen können."
"Ebenso kommen angesichts der Erschwernisse, die sich aus dem Reisen und dem Ablegen der Prüfungen ergeben, nur jüngere Leute in Frage. Wie das jüdische Sprichwort sagt: 'Für einen alten Mann ist jeder Hügel ein Berg.'"
"Sie wissen, dass ältere Leute solche Komplikationen und Hindernisse kaum bewältigen können. Letztes Jahr erzählte ich einem Mitglied der sephardisch-jüdischen Gemeinde im nördlichen Baskenland von dem Gesetzesentwurf. Er sagte, er glaube nicht, dass dieses Gesetz wirklich in Kraft treten werde, aber selbst wenn doch, würde Antragstellern damit wohl kaum der Weg zur spanischen Staatsbürgerschaft geebnet. Es sei leichter, den Nobelpreis verliehen zu bekommen als die spanische Staatsbürgerschaft, sagte mir diese Person."
"Wenn wir all diese Faktoren zusammen betrachten, können wir nicht glauben, dass dieses Gesetz Unrecht wiedergutmacht. Es ist eher ein Symbol, ein erster Schritt, aber kein Gesetz, das der Mehrheit der sephardischen Juden, die die spanische Staatsangehörigkeit erlangen möchte, gerecht würde."
Auch Jordi Jané i Guasch, ein Abgeordneter für Katalonien, drückte seine Enttäuschung über das Gesetz aus:
"Das Gesetz hat sehr schwerwiegende Mängel, da es ein Hindernislauf ist. Erst machen wir den Antragstellern das Verfahren der Zulassung sehr schwierig, dann kommen noch die damit verbundenen Kosten hinzu, und am Ende bekommen sie dann die Staatsbürgerschaft womöglich noch nicht einmal. Lassen Sie uns ehrlich sein ... Wir haben nicht alles gut gemacht ... Es gibt zu viele Tests, zu viele Anforderungen, zu viele Examen."
Die spanische Regierung sagt nicht, wie viele Anträge auf Staatsbürgerschaft nach Maßgabe des neuen Gesetzes sie erwartet, aber einige Beobachter glauben, dass es nicht mehr als 100.000 sein werden. Selbst wenn sie alle die spanische Staatsbürgerschaft erhielten, wären das weniger als drei Prozent der schätzungsweise über drei Millionen sephardischen Juden, die es derzeit auf der Welt gibt.
Spanien hat heute eine der kleinsten jüdischen Gemeinden in der Europäischen Union. Weniger als 50.000 Juden leben in dem Land (Spaniens Gesamtbevölkerung beträgt 47 Millionen), ein winziger Bruchteil der Zahl der Juden, die vor 1492 in Spanien lebten, als die Juden gezwungen wurden, zum römisch-katholischen Glauben überzutreten oder das Land zu verlassen.
(Zum Vergleich: In Spanien leben fast zwei Millionen Muslime, das sind vier Prozent der Bevölkerung.)
Das Dekret zur Vertreibung wurde am 31. März 1492 von den katholischen Königen Spaniens (Isabella I. von Kastilien und Ferdinand II. von Aragon) ausgestellt. Auch bekannt als Alhambra-Edikt, befahl es den Juden, bis zum 31. Juli desselben Jahres das Königreich von Kastilien und Aragon unter Zurücklassung ihrer Ländereien und Besitztümer zu verlassen.
Es wird geschätzt, dass bis zu 400.000 Juden Spanien im Zuge dieses Dekrets verließen; die wahre Zahl ist aus Mangel an genauen Daten umstritten. Der jesuitische Historiker Juan de Mariana (1536-1624) benennt die Zahl in seinem Hauptwerk Historiae de rebus Hispaniae (1592), einer Geschichte Spaniens von den frühesten Zeiten, mit 170.000 Familien bzw. 800.000 Juden, während moderne Historiker eher von ca. 350.000 ausgehen.
Die Zahl der Juden, die zum Katholizismus konvertierten, um der Vertreibung zu entgehen, wird von Wissenschaftlern auf 50.000 bis 300.000 taxiert. Viele Juden, die sich weigerten zu konvertieren, wurden hingerichtet.
Soeren Kern ist ein Senior Fellow des New Yorker Gatestone Institute und Senior Fellow for European Politics der in Madrid ansässigen Grupo de Estudios Estratégicos / Gruppe Strategische Studien. Besuchen Sie ihn auf Facebook und folgen ihm auf Twitter.