Die UNESCO – die Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur – ist auf der ganzen Welt bekannt für die vielen von ihr als Welterbe ausgezeichneten Stätten. Von diesen gibt es über tausend, die sehr ungleich auf viele Länder verteilt sind; Italien steht an der Spitze, gefolgt von China.
Die größte Einzelkategorie von Welterbestätten sind religiöse Stätten, die unter der Rubrik Kulturerbe firmieren (im Unterschied zum Naturerbe). Um zu gewährleisten, dass religiösen Empfindsamkeiten Rechnung getragen wird, führt die UNESCO bei diesen Stätten einen Dialog mit den jeweiligen Glaubensgemeinschaften. Auf diesem Gebiet hat sie etliche Maßnahmen ergriffen.
Im Jahr 2010 etwa hielt die Organisation ein Seminar über die "Rolle der religiösen Gemeinschaften beim Management der Welterbestätten" ab.
"Das Hauptziel [dieses Seminars] war es, Wege zu erkunden, einen Dialog zwischen allen Beteiligten stattfinden zu lassen und nach Möglichkeiten zu suchen, beim Schutz der religiösen Welterbestätten das gegenseitige Verständnis und die Zusammenarbeit unter ihnen zu fördern."
Mit dem Prinzip des Dialogs will man in diesem Zusammenhang offenbar vermeiden, dass eine Nation oder Gemeinschaft unilateral einen exklusiven Besitzanspruch auf eine religiöse Stätte erhebt.
Angebliche oder tatsächliche mehrfache Besitzansprüche auf religiöse Stätten sind keine Seltenheit. In einer Essaysammlung mit dem Titel Choreographien geteilter heiliger Stätten: Religion, Politik und Konfliktlösung werden solche Streitigkeiten um von mehreren Parteien beanspruchte religiöse Stätten untersucht: in der Türkei, auf dem Balkan, in Palästina/Israel, auf Zypern und in Algerien. Das Ergebnis ist eine tiefgründige Analyse, die zeigt, wie Gemeinschaften sich entweder prügeln oder daran arbeiten, sich miteinander zu versöhnen und dabei willens sind, heilige Stätten und andere zentrale Orte miteinander zu teilen. Wenn sich um solche Stätten gestritten wird, dann können Anhänger der einen Religion denen einer anderen großen Schmerz zufügen; so war es etwa 1988, als Karmeliterinnen vor dem Gelände des Vernichtungslagers Auschwitz II (Birkenau) ein acht Meter hohes Kreuz errichteten, um an die Papstmesse zu erinnern, die dort 1979 abgehalten worden war.
Ein bekannteres Beispiel für einen ungelösten Konflikt ist der um Babri Masjid in Ayodhya, Indien. Dabei handelt es sich um eine Moschee, die 1528/29 auf Befehl Baburs, des Begründers des Mogulreichs, errichtet wurde. Laut der Hindu-Überlieferung zerstörten die Bauarbeiter des Moguls, um die Moschee zu bauen, einen Tempel, der am Geburtsplatz der Gottheit Rama stand – eine Behauptung, die von vielen Muslimen zurückgewiesen wird [1]. Die Bedeutung des Ortes geht aus vielen Hindu-Texten hervor, in denen erklärt wird, dass Ayodhia einer von sieben heiligen Orten sei, wo die endgültige Befreiung aus dem Kreislauf von Tod und Wiedergeburt erlangt werden könne.
Diese widerstreitenden Ansprüche fanden 1992 eine verhängnisvolle Auflösung, als ein Mob extremistischer Hindus die Moschee zerstörte, um an der Stätte einen neuen Tempel zu errichten. Radikale muslimische Gruppierungen führen dies bis heute als Rechtfertigung für Terroranschläge an. [2] Die Massaker von Wandhama (1998) und an dem Pilgerort Amarnath (2000) werden beide mit der Zerstörung der Moschee in Verbindung gebracht. In Neudelhi, Bombay und anderswo kam es zu Straßenschlachten, zudem gab es viele Fälle von Messerangriffen, Brandstiftung und Angriffe auf private Wohnungen und Regierungsbeamte. [3]
Tatsächlich haben die muslimischen Invasoren in Indien Tausende von "Götzen"-Tempeln und anderen heiligen Stätten zerstört oder umgewidmet, so wie sie es in kleinerem Maßstab auch anderswo getan haben, und just so, wie es der Islamische Staat seit einigen Jahren im heutigen Irak und Syrien tut. Es handelt sich dabei nicht um jene Art von Zerstörung, wie man sie von Kriegen, Eroberungen oder inneren Unruhen her kennt; für Muslime gibt es dafür eine religiöse Begründung. Der Islam, wie er seit dem Tod des Propheten Mohammed im Jahr 632 existiert, beruht auf drei Säulen: dem Glauben daran, dass es nur einen Gott gibt, einen ohne jegliche Partner oder Teilhaber; der Glaube, dass Mohammed der Gesandte dieses Gottes sei; und der Glaube, dass der Islam die wichtigste und letzte Religion sei, die der Menschheit verkündet wurde, von Gott dazu ermächtigt, alle anderen Religionen und ihre Stätten zu zerstören:
"Er (Gott) hat seinen Gesandten mit der Rechtleitung und der Religion der Wahrheit gesandt hat, um ihr die Oberhand über alle Religion zu geben." (Koran 9,33; 61,9)
Es ist dieser Glaube, der in der muslimischen Welt seit 1.400 Jahren ein starkes Gefühl der Höherwertigkeit nährt. Da im Glauben vieler Muslime der Islam die endgültige Offenbarung und Mohammed der letzte Prophet ist, glauben sie auch, dass sie mit den Anhängern anderer Religionen schlechterdings nicht gleichgestellt leben können. Juden und Christen mögen zwar in einem islamischen Staat leben, aber nur dann, wenn sie sich einer tiefen Demütigung und Erniedrigung unterwerfen und auch nur dann, wenn sie Schutzgeld (die jizya-Steuer) zahlen. Kirchen und Synagogen dürfen nicht repariert, und wenn sie einstürzen, dürfen sie nicht wiederaufgebaut werden. Der Islam übertrumpft alles.
Die letztgenannte Doktrin taucht in den Werken moderner salafistischer Ideologen immer wieder auf, etwa bei dem Pakistaner Abul-Ala Maududi oder dem Ägypter Sayyid Qutb. Sehr anschaulich ist dies in der folgenden Stelle aus Qutbs bekanntester Publikation Ma'alim fi'l-tariq ("Meilensteine"):
"Der Islam ist daher der einzige göttliche Lebensweg; er bringt die edelsten menschlichen Eigenschaften an den Tag, um sie zum Aufbau der menschlichen Gesellschaft zu entwickeln und zu benutzen. In dieser Hinsicht ist der Islam bis heute einzigartig. Diejenigen, die von diesem System abweichen und ein anderes System wollen – ob es auf Nationalismus gründet, Farbe und Rasse, Klassenkampf oder anderen korrupten Theorien –, sind wahrhaft Feinde der Menschheit!" [4]
Und hier ist ein neuerer Kommentar eines zeitgenössischen salafistischen Autors:
"Diese weltweite Herrschaft des Islam, die Allah versprochen hat, bedeutet nicht notwendigerweise, dass jede Person auf der Erde zum Muslim wird. Wenn wir sagen, dass der Islam die Welt beherrschen wird, meinen wir das verstanden als ein politisches System: Der Gesandte Mohammed hat prophezeit, dass die Regierung der Erde den Muslimen zukommen wird, d.h. die Gläubigen werden die Macht haben und die Scharia des Islam wird in jedem Winkel der Erde durchgesetzt werden."
Dem islamischen Dschihadgesetz zufolge muss jedes Territorium, das einmal für den Islam erobert wurde, ein integraler und unumkehrbarer Besitz der muslimischen Herrscher bleiben. [5] Mit anderen Worten: Selbst Länder wie Spanien, Portugal, Indien, Griechenland oder die Balkanstaaten, die einst zum osmanischen Kolonialbesitz gehörten, sollen wieder dem Islam zugeführt werden, sei es durch Rückeroberung oder durch den derzeitigen "kulturellen Dschihad".
Durch Masseneinwanderung, Separatismus, schrittweise Einführung des islamischen Rechts und Ghettobildung sind viele Länder Europas zu Opfern eines strikteren Islam geworden. Doch nur über einer Region schwebt die Drohung einer gewaltsamen Übernahme: dem Staat Israel.
Obzwar es in vielen Ländern revanchistische und irredentistische Bewegungen gibt, haben die muslimischen Bestrebungen, Israel wieder in Besitz zu nehmen, dazu beigetragen, den am längsten anhaltenden und am schwersten zu lösenden Konflikt in der modernen Geschichte in Gang zu setzen und aufrechtzuerhalten. Forderungen und Gegenforderungen, Angriffe und Gegenangriffe, Kriege und Abwehrreaktionen, die in Israel stattfinden, sind jeden Tag in den Medien.
Der Streit ist nicht in erster Linie ein politischer. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde ein System des internationalen Rechts geschaffen, und das gemeinsam gebilligte System wurde nach dem Zweiten Weltkrieg auf alle Länder ausgedehnt, die den Vereinten Nationen beitraten. Israel wurde nicht geschaffen, um die arabischen Bewohner des Gebiets zu vertreiben, das die Briten Palästina nannten, sondern um den Juden eine Heimstatt an der Seite eines arabischen Staates zu geben. Doch alle arabischen Staaten lehnten diesen Vorschlag ab. Noch heute weigern sich die Palästinenser, einen eigenen Staat für sich zu akzeptieren, wenn sie auch laut die Trommel dafür rühren.
Ihr wichtigstes Motiv ist die religiös motivierte Ablehnung des Nationalstaats [6], dazu die Überzeugung, dass das Heilige Land islamisches Territorium sei, das niemals den Juden überlassen werden dürfe.
Dieses Leugnen internationalen Rechts und internationaler Ethik erlaubt es vielen Muslimen zu behaupten, Jerusalem sei eine islamische Stadt, eine Stadt, die niemals als die Hauptstadt eines jüdischen Staates gelten könne, ein heiliger Ort, der für Muslime – und für Muslime allein – eine Bedeutung habe.
Man muss kein Historiker sein, um zu wissen, dass Jerusalem ursprünglich eine jüdische Stadt mit einer – späteren – christlichen Verbindung war, und dass noch später eine schwach ausgeprägte islamische Verbindung hinzukam. Und nicht nur das. Es ist für Juden die heiligste Stadt der Welt, dort steht die heiligste Stätte der jüdischen Religion, der Tempelberg – das Areal, auf welchem nicht einer, sondern zwei jüdische Tempel errichtet wurden.
Dort praktizierten Juden ihren Glauben, bis die Tempel zerstört wurden, erst von dem babylonischen Monarchen Nebukadnezar (586 v. Chr.), dann noch einmal von den Römern im Jahr 70 n. Chr. In ihren Gebeten haben sich die Juden stets zum Tempelberg hin ausgerichtet.
Auch Muslime richteten sich etliche Jahre lang beim Beten zum Tempelberg; das war, als Mohammed und seine kleine Schar von Anhängern in Mekka lebten. Sie setzten dies noch viele weitere Monate fort, nachdem sie im Jahr 622 zu der Oasenstadt Yathrib (heute Medina) emigriert waren. Ursprünglich beteten sie mit dem Gesicht nach Jerusalem, weil Mohammed anfangs ein großer Bewunderer der Juden war, von denen er das meiste dessen gelernt hatte, was er wusste. Doch in Medina stellte er fest, dass er mit den Juden der Stadt, die sich weigerten, zu seiner neuen Religion zu konvertieren, nicht so gut zurecht kam.
16 oder 17 Monate nach der Emigration kam Mohammed daher die Offenbarung, dass sich die Gläubigen um 180 Grad drehen und sich zu der Stadt richten müssten, der die meisten von ihnen entstammten, Mekka. Mitten im Gebet wandte die ganze Gemeinde Jerusalem den Rücken zu. Die heilige Stadt der Juden war für sie fortan von keinerlei Interesse mehr. [7]
Der Koran könnte über diese Angelegenheit nicht deutlicher sein. Mohammed folgt nicht mehr der Gebetsrichtung der Juden. An der Kaba in Mekka wurde jeglicher Gedanke an Jerusalem und den Tempelberg ausgelöscht. Zu dieser Zeit gab es in Jerusalem keinen einzigen Fels, Stein, Baum oder ein Gebäude, das in irgendeiner Weise islamisch gewesen wäre.
Doch für die heutigen Muslime gilt das Gegenteil. In Jerusalem gibt es nichts, das den Juden gehören würde, und jeder Teil von ihm – insbesondere der Tempelberg und die Klagemauer – ist islamisch und wird es auf alle Zeiten bleiben. Jerusalem wird als eine der heiligsten Städte der Muslime betrachtet, nach Mekka und Medina.
Der muslimische Anspruch auf Jerusalem ist, gelinde gesagt, sehr dürftig begründet. Ein Koranvers (17,1) erzählt von einer nächtlichen Reise, die Mohammed von der Heiligen Moschee (in Mekka) zu der Entferntesten Moschee (al-masjid al-aqsa) gemacht habe. Spätere Kommentatoren identifizierten die Entfernteste Moschee mit Jerusalem. Doch es gab damals in Jerusalem gar keine Moschee und auch keine Muslime – selbst in Arabien war ihre Zahl seinerzeit nicht sonderlich groß. Die derzeitige Aksa-Moschee auf dem Tempelberg wurde erstmals im Jahr 705 errichtet, 73 Jahre nach Mohammeds Tod im Jahr 632, und viele Male nach Erdbeben wiederaufgebaut. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war sie in einem sehr vernachlässigten Zustand. In einem Film über die Moschee aus dem Jahr 1954 sind ernsthafte Schäden zu sehen. Es ist offensichtlich, dass sich niemand in der muslimischen Gemeinschaft großartig um sie kümmerte oder sie besonders wertschätzte.
Man muss kein Historiker sein, um zu wissen, dass Jerusalem ursprünglich eine jüdische Stadt mit einer – späteren – christlichen Verbindung war, und dass noch später eine schwach ausgeprägte islamische Verbindung hinzukam. Der zweite jüdische Tempel wurde von den Römern im Jahr 70 n. Chr. zerstört (links dargestellt in einem Gemälde von Nicolas Poussin). Die derzeitige Al-Aksa-Moschee (rechts) auf dem Tempelberg wurde erstmals im Jahr 705 errichtet, 73 Jahre nach Mohammeds Tod im Jahr 632, und viele Male nach Erdbeben wiederaufgebaut. (Fotos: Wikimedia Commons) |
Und das ist noch nicht alles. Jahrhunderte lang stimmten muslimische Autoren (ganz zu schweigen von jüdischen und christlichen Historikern und Archäologen) darin überein, dass der Kotel, die West- bzw. "Klage"-Mauer das Überbleibsel des zweiten jüdischen Tempels ist, des Tempels, den Herodes gebaut hat und der von Jesus besucht wurde. Noch 1924 veröffentlichte der Oberste Muslimische Rat im britischen Mandatsgebiet Palästina eine Broschüre mit dem Titel Ein kurzer Führer zum al-Haram al-Sharif – Tempelberg. In diesem Dokument wird der jüdische Charakter der Stätte bestätigt; auf der vierten Seite dieses historischen Abrisses heißt es:
"Die Stätte ist eine der ältesten der Welt. Ihre Heiligkeit geht auf die frühesten Zeiten zurück. Dass sie mit der Stätte, an der der Tempel Salomons stand, identisch ist, ist unbestritten. Auch ist dies nach allgemeinem Glauben der Ort, wo David dem Herrn einen Altar errichtet hat und Brandopfer und Friedensopfer darbrachte (2. Samuel 24,25)"
Die Jewish Virtual Library sagt dazu:
"Die frühen Muslime sahen in dem Bau und der Zerstörung von Salomons Tempel ein wichtiges historisches und religiöses Ereignis. Bei vielen frühen muslimischen Historikern und Geografen finden sich Berichte über den Tempel (darunter Ibn Qutayba, Ibn al-Faqih, Mas'udi, Muhallabi und Biruni). Fantastische Erzählungen über Salomons Tempelbau gibt es auch in den Qisas al-anbiya' [Geschichten der Propheten], einem mittelalterlichen Kompendium muslimischer Legenden über die vorislamischen Propheten. Der Historiker Rashid Khalidi schrieb 1998 (wenn auch nur in einer Fußnote), obwohl es keinen 'wissenschaftlichen Beweis' dafür gebe, dass Salomons Tempel existiert habe, müssten 'die Gläubigen aller abrahamitischen Religionen zwangsläufig akzeptieren, dass es ihn tatsächlich gab'."
Vor einiger Zeit jedoch haben Muslime und muslimische Institutionen angefangen zu behaupten, dass der Berg nichts mit dem jüdischen Tempel zu tun habe, dass ein solcher Tempel überhaupt niemals existiert habe und dass die Westmauer in Wahrheit jene Mauer sei, wo Mohammed sein sagenhaftes geflügeltes Pferd Buraq angebunden habe. So äußerte etwa Scheich Taysir Radschab Tamimi, die führende religiöse Autorität der Palästinensischen Autonomiebehörde, 2009 mit größter Unverfrorenheit: "Jerusalem ist eine arabische und islamische Stadt, und das war sie schon immer." Tamimi behauptet, dass alle Ausgrabungen, die von Israel seit 1967 durchgeführt wurden, "keinen Beweis dafür erbracht haben, dass die Juden jemals eine Geschichte oder Präsenz in Jerusalem hatten und dass ihr angeblicher Tempel jemals existiert hat". Weil sie erklären, dass Jerusalem eine jüdische Stadt sei, beschimpfte er Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und "alle jüdischen Rabbis und extremistischen Organisationen" als Lügner. Tamimi bezichtigt Israel, Fakten zu verzerren und die Geschichte zu fälschen, "mit dem Ziel, den arabischen und islamischen Charakter Jerusalems auszulöschen".
Es gibt keinen Grund, warum der Ort nicht auch von Muslimen verehrt werden sollte, sei es aus der Ferne oder von denen, die in Jerusalem leben. Der Tempelberg wäre dann eine weitere religiöse Stätte mit Verbindungen zu mehr als einer Religion – in diesem Fall dem Judaismus, dem Christentum und dem Islam. Doch leider bedeutet das oben beschriebene Gefühl der Dominanz über alle anderen Religionen, dass dies für Muslime unmöglich ist.
Für sie sind der Tempelberg und seine Umgebung muslimisch und sonst nichts. In unserer Zeit ist dies ein Nebenzweig der größeren Anschauung, der zufolge Israel islamisches Territorium sei.
Das islamische Konzept der Überlegenheit und Vormacht hat auch die UNESCO ergriffen, was in jähem Widerspruch zu ihrer Haltung steht, wonach es multireligiöse Stätten gibt.
Im Oktober 2015 reichten sechs arabische Staaten im Auftrag der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) bei der UNESCO eine Resolution ein, in der diese dazu aufgefordert wird, die Einstufung der Stätte zu ändern, von einem jüdischen heiligen Ort zu einem muslimischen, der Teil der Al-Aksa-Moschee sei. Eine Abstimmung wurde für den 20. Oktober angesetzt, doch dann verschoben, nachdem die UNESCO-Generaldirektorin Irina Bokova scharfen Protest eingelegt und gesagt hatte, sie "missbillige" den Vorschlag.
Doch dieses Votum kann immer noch zugunsten der PA und ihrer Unterstützer abgehalten werden. Einen Tag später wurde dann verkündet, dass die UNESCO abgestimmt hatte, zwei weitere wichtige heilige Stätten des Judentums – die "Höhle der Patriarchen" in Hebron und Rachels Grab bei Bethlehem, als muslimisch einzustufen.
Die "Höhle der Patriarchen" ist der Ort, wo der Überlieferung nach die Gebeine von Abraham, Sarah, Isaak und Rebekka sowie Jakob und Lea bestattet sind. Sie ist das älteste aller jüdischen Heiligtümer und steht in ihrer Bedeutung nur dem Berg nach, auf dem die beiden Tempel errichtet wurden. Fortan soll sie bekannt sein als al-Haram al-Ibrahimi, das Heiligtum Abrahams – so genannt, weil Abraham im Koran als der erste Muslim beschrieben wird. Bizarrerweise reicht dies aus, um daraus einen "muslimischen" Ort zu machen.
Rachels Grab, an der nördlichen Einfahrt von Bethlehem gelegen, wird als die Ruhestätte der Matriarchin Rachel angesehen, der Frau Jakobs und Mutter von Joseph und Benjamin. Der Ort, der als die drittheiligste jüdische Stätte gilt und seit alters her eine Pilgerstätte für Juden ist, ist Juden und Christen seit Jahrhunderten heilig. Seit das Grab im siebten Jahrhundert in die Hände der Muslime fiel, wird es auch von diesen verehrt, weil nämlich Jakob und Joseph Figuren des Korans sind (obwohl Rachel selbst im Koran nicht erwähnt wird).
Muslimische Behörden und Führer wie der Vorsitzende des radikalen nördlichen Zweigs der Islamischen Bewegung, Scheich Raed Salah, wollen nicht ein bisschen von allem – sie wollen, dass ganz Jerusalem international als eine ganz und gar muslimische Stadt festgeschrieben wird; und sie wollen alle Juden von dort vertreiben und alle Synagogen zerstören – dasselbe, was während der jordanischen Besatzung der Stadt geschah.
Die Versuche, jegliche historische und anhaltende jüdische Präsenz in Jerusalem zu leugnen – zu sagen, dass es niemals einen ersten, geschweige denn einen zweiten Tempel gab und dass nur Muslime ein Recht auf die ganze Stadt, ihre Heiligtümer und historischen Monumente hätten – haben ein irrsinniges Ausmaß angenommen. Ihren extremsten Ausdruck finden diese ahistorischen und rassistischen Behauptungen und Verschwörungstheorien in den vielen Reden und Kommentaren des oben erwähnten Scheichs Raed Salah. Hier ist ein Ausschnitt aus einer Rede, die er auf einer Kundgebung 1999 gehalten hat:
"Der jüdischen Gesellschaft sagen wir offen: Ihr habt kein Recht auf nur einen einzigen Stein der gesegneten Al-Aksa-Moschee. Ihr habt kein Recht auf nur ein winziges Partikel der gesegneten Al-Aksa-Moschee. Darum sagen wir offen: Die westliche Mauer der gesegneten Al-Aksa-Moschee ist Teil des gesegneten Al-Aksa. Sie kann niemals eine kleine westliche Mauer sein. Sie kann niemals eine große westliche Mauer sein. ... Der politischen und religiösen Führung in Israel werden wir offen sagen: die Forderung, die gesegnete Al-Aksa unter israelischer Herrschaft zu halten, ist auch eine Kriegserklärung an die islamische Welt."
Salah steht keineswegs allein. Der derzeitige Vorsitzende des Obersten Muslimischen Rats, Ekrima Sabri, bemüht sich seit Jahren sehr darum, alle jüdischen Ansprüche auf das Areal zu entkräften. Er behauptet, Salomons Tempel sei eine "unbelegte Behauptung" – etwas, das sich die Juden "aus Hass und Neid" ausgedacht hätten. Er behauptet, auch die Westmauer sei "muslimischer Besitz", zu dem die Juden "keinerlei Beziehung" hätten.
In einer jüngeren Äußerung sagte Mahmoud Abbas, der Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde: "Die Al-Aksa [Moschee] gehört uns. ... und sie [die Juden] haben kein Recht, sie mit ihren schmutzigen Füßen zu verunreinigen."
Laut UN Watch hat Shama Hacohen, der israelische Botschafter bei der UNESCO,
"den palästinensischen Gesandten Mounir Anastas gefragt, warum die Palästinenser nicht das jüdische Recht auf den Tempelberg anerkennen und den Begriff 'Tempelberg' in die Resolution mit aufnehmen könnten, gemeinsam mit dem arabischen Begriff Haram al-Sharif. Anastas antwortete: Würden die Palästinenser den Tempelberg anerkennen, dann würden der palästinensische Präsident Mahmoud Abbas und Jordaniens König Abdullah Ziel Nummer eins für den IS."
Ist dies wirklich das, worauf es hinausläuft? Beherrscht der Islamische Staat die internationale Gemeinschaft – darunter auch die UNESCO?
Am 15. April traf sich das Exekutivkomitee der UNESCO-Kommission für Programm und äußere Beziehungen zu seiner 199. Sitzung. Die frühere Tempelbergresolution wurde von Algerien, Ägypten, dem Libanon, Marokko, Oman, Katar und dem Sudan eingebracht – allesamt Staaten der Organisation für Islamische Zusammenarbeit (OIC). Das Votum wurde dann den 21 Mitgliedern des Welterbekomitees zu dessen 40. Sitzung in Istanbul vorgelegt, die dort vom 10. bis zum 20. Juli stattfinden sollte.
Es war ein Zufall, dass diese Tagung wegen des Putschversuchs abgesagt wurde. Jetzt soll auf einem Treffen im Herbst über die Resolution abgestimmt werden. Grundlage könnte ein Entwurf sein, der von der EU ausgearbeitet wurde. Auch er leugnet ein weiteres Mal die geschichtliche jüdische Verbindung zum Tempelberg. Betrachtet man die Einseitigkeit dieser Resolution, fragt man sich: Was ist mit der oben erwähnten Verpflichtung der UNESCO zu einem "Dialog zwischen allen Beteiligten"?
Den Tempelberg, die Westmauer, Rachels Grab, die Höhle der Patriarchen und andere Stätten zu exklusiv muslimischen Heiligtümern zu machen, hat direkt etwas mit der wachsenden Islamisierung zu tun, die in unserer Ära vonstatten geht. Indem der Islamische Staat Kirchen, Schreine, Gräber, ganze antike Stätten, die als Götzen betrachtet und sogar Moscheen, die als ketzerisch empfunden werden, zerstört, will er alle Spuren der Ära beseitigen, die er Jahiliyya nennt, das "Zeitalter des Unwissens", in dem die Welt vor der Ankunft des Islam gefangen gewesen sei.
Die Welt ist empört, wenn steinerne Zeugnisse in Palmyra oder andere große Monumente der menschlichen Zivilisation zu Staub verwandelt werden. Doch dieselbe Welt schweigt, wenn die palästinensischen Araber und ihre Unterstützer alles islamisieren, indem sie die bloße Präsenz des jüdischen Volkes im Heiligen Land in Zweifel ziehen.
Dr. Denis MacEoin hat an zahlreichen Universitäten den Islam gelehrt und arbeitet derzeit an einem Buch, das sich mit Sorgen über den Islam befasst. Er ist ein Distinguished Senior Fellow des Gatestone Institute.
[1] Moderne archäologische Forschung hat gezeigt, dass es dort tatsächlich einen ursprünglichen Tempel – oder besser gesagt: ein großes Hinduareal – gab.
[2] Vgl. "Attack[s] on Hindus post Babri demolition," ShankhNaad, 13. April 2015.
[3] Einzelheiten ebd.
[4] Sayyid Qutb, Milestones, New Delhi, 2002, S. 51.
[5] Vgl. etwa Amikam Nachmani: Europe and Its Muslim Minorities: Aspects of Conflict, Attempts at Accord, Sussex Academic Press, 2010, S. 106.
[6] Ein europäisches Konzept, im Gegensatz zu dem imperialen Projekt der alles umfassenden umma.
[7] Vgl. Koran 2:143-46.