Mohammed Dahlan ist ein ehrgeiziger Palästinenser mit hochgesteckten politischen Ambitionen. Konkret hofft er, der Nachfolger von Mahmoud Abbas als Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) zu werden. Weil er dies wusste, schloss Abbas ihn 2011 aus der regierenden Fatah-Fraktion aus. Seitdem lebt Dahlan in den Vereinigten Arabischen Emiraten.
Die islamistische Hamas-Bewegung, die den Gazastreifen seit zehn Jahren kontrolliert, sah in Dahlan bislang einen ihrer erbittertsten Feinde.
Als Befehlshaber des berüchtigten Sicherheitsdienstes der Palästinensischen Autonomiebehörde (PSS) in den 1990er-Jahren im Gazastreifen war Dahlan persönlich verantwortlich für das harte Durchgreifen der Behörde gegen die Hamas. Auf seine Anweisung wurden Hunderte Hamas-Aktivisten regelmäßig ins Visier genommen und verhaftet.
Die Feindschaft beruhte auf Gegenseitigkeit, denn Dahlan hielt seinerseits die Hamas für eine große Bedrohung für sich selbst und das PA-Regime im Gazastreifen.
Dahlans Verachtung für die Hamas war grenzenlos. Auf seine Order hin wurde der Gründer und geistige Führer Ahmed Yassin unter Hausarrest gestellt.
Zwei weitere führende Hamas-Vertreter, Mahmoud Zahar und Abdel Aziz Rantisi, wurden wiederholt verhaftet und von Dahlans Agenten gefoltert. Einmal befahl Dahlan seinen Vernehmern, den beiden Männern die Bärte abzurasieren, um sie zu demütigen.
Während und nach ihrer gewaltsamen Übernahme des Gazastreifens im Jahr 2007, hatte die Hamas Dahlans PSS und seine Gefolgsleute im Visier. Einige wurden getötet oder in Gefängnisse gesperrt, während viele andere gezwungen waren, aus dem Gazastreifen nach Ägypten oder ins Westjordanland zu fliehen. Viele Jahre lang stand Dahlan ganz oben auf der Hamas-Liste der meist gesuchten Flüchtlinge. Jetzt nicht mehr.
Die beiden ehemaligen Feinde Dahlan und Hamas haben heute einen gemeinsamen Feind: Mahmoud Abbas. Sie stehen scheinbar kurz davor, ihre Kräfte zu bündeln, um ihm die Demütigung zurückzuzahlen, die sie durch ihn erlitten haben.
Schon lange wollte Dahlan Rache für Abbas' Entscheidung, ihn aus der Fatah auszuschließen und unter dem Vorwurf von Mord und Unterschlagung anzuklagen. Dahlan wird Abbas nie verzeihen, dass er sein Haus in Ramallah von Sicherheitsbeauftragten durchsuchen ließ und dabei Dokumente und andere Gegenstände konfiszierte. An diesem Tag machte sich Dahlan heimlich aus Ramallah davon.
Er fand Zuflucht in den Vereinigten Arabischen Emiraten, einem wohlhabenden Golfstaat, bei dessen Herrschern Dahlan anscheinend sehr beliebt ist. Er erhält Millionen von Dollars von seinen Gastgebern am Golf. Bis zum heutigen Tag sieht Abbas in Dahlan, der früher einmal ein enger Vertrauter war, seinen größten Feind.
Das Exil war von Vorteil für Dahlan. Dank der Vereinigten Arabischen Emirate und Ägypten hat Dahlan ausreichend Macht und Geld angehäuft, um ein wichtiger Akteur in der palästinensischen Arena zu werden.
In den vergangenen Jahren hat er erfolgreich Machtzentralen im Westjordanland und Gazastreifen aufgebaut, größtenteils mit Geld, das er seinen treuen Anhängern und anderen zukommen ließ.
Was noch wichtiger ist: es ist Dahlan gelungen, eine persönliche Beziehung zum ägyptischen Präsidenten Abdel Fatah el-Sisi aufzubauen, der ebenfalls auf seiner Seite zu stehen scheint. Während diese Beziehung Abbas verstimmte, sieht die Hamas darin eine Gelegenheit, sich von ihrer zunehmenden Isolation im Gazastreifen zu befreien.
Die missliche Lage der Hamas wurde von der fortgesetzten ägyptischen Blockade des Gazastreifens verschärft, insbesondere durch die Schließung des Grenzübergangs Rafah und eine Reihe von Strafmaßnahmen, die Abbas in den vergangenen Wochen verhängte.
Zu diesen Maßnahmen, die nach Ansicht der Hamas einer "Kriegserklärung" an den Gazastreifen gleichkommen, zählt u. a. die Weigerung, den von Israel in den Gazastreifen gelieferten Strom zu bezahlen, die Verzögerung von Medikamentenlieferungen aus dem Westjordanland, die Verweigerung von Genehmigungen zum Verlassen des Gazastreifens zwecks medizinischer Behandlung sowie die Kürzung der Gehälter von Tausenden PA- und Hamas-Beamten und ehemaligen Sicherheitshäftlingen (die in israelischen Gefängnissen einsaßen).
Dahlan möchte unbedingt wieder auf das politische Parkett der Palästinenser zurückzukehren. Er hat das Exil, weit entfernt von seinen Freunden im Westjordanland und Gazastreifen, satt. Außerdem ist er sich bewusst, dass der 82-jährige Abbas auf sein Ende zugeht, insbesondere angesichts der Gerüchte um seine nachlassende Gesundheit.
Mohammad Dahlan im Gazastreifen, im Jahr 2007. (Foto: Abid Katib/Getty Images) |
Weiterhin sieht Dahlan die Verzweiflung der Hamas, nun, da ihr wichtigster Gönner Katar von Saudi-Arabien und anderen arabischen Ländern massiv unter Druck gesetzt wird, die Finanzierung der islamistischen Bewegung und ihrer Muttergruppe – der Muslimbruderschaft – zu beenden.
Die Hamas will um jeden Preis an der Macht im Gazastreifen festhalten, selbst wenn es bedeutet, dass sie die bittere Pille schlucken muss, sich mit jemandem wie Dahlan zusammenzutun.
Die Hamas hat nicht die geringste Absicht, ihre Ideologie zu verändern oder den Friedensprozess mit Israel wieder aufzunehmen. Sie wird weder Israels Existenzberechtigung anerkennen, noch wird sie den "bewaffneten Kampf" zur Befreiung ganz Palästinas, "vom Mittelmeer bis zum Fluss Jordan" aufgeben. Soweit es die Hamas angeht, lautet die Devise: Überleben.
Die Hamas fürchtet, dass die fortgesetzte ägyptische Blockade und Abbas' drakonische Maßnahmen ihre Herrschaft über den Gazastreifen unterminieren könnten.
Mehr noch fürchtet die Hamas, dass der Druck und die Sanktionen eine palästinensische "Intifada" im Gazastreifen auslösen könnte. Die Hamas weiß sehr wohl, dass die Stromversorgungskrise und die mangelnde medizinische Versorgung eine explosive Mischung ist, die droht, vor ihren Füßen in die Luft zu gehen.
Die Hamas glaubt, sie habe jetzt einen Weg aus der Krise gefunden.
Ironischerweise könnte sich Dahlan, der ehemalige Staatsfeind Nr. 1, als Retter erweisen – eben jener Dahlan, der viele Angehörige und führende Vertreter der Hamas ins Gefängnis gebracht und gefoltert und ermordet hat. Derselbe Dahlan, der als Befehlshaber des Sicherheitsdiensts im Gazastreifen für die Sicherheitszusammenarbeit mit dem "zionistischen Feind" verantwortlich war. Der Dahlan, der eines der wichtigsten Nebenprodukte und Symbole des Osloer Abkommens ist, welches die Hamas bis zum heutigen Tag ablehnt.
Letzten Monat reisten führende Hamas-Vertreter zu Gesprächen mit ägyptischen Geheimdienstlern und Vertretern von Dahlan nach Kairo. Bei der Zusammenkunft sollte besprochen werden, wie man die "humanitäre Krise" im Gazastreifen beenden könne. Es war das erste Treffen dieser Art zwischen Dahlans Leuten und führenden Vertretern der Hamas.
Mahmoud Zahar, ein hochrangiger Hamas-Vertreter, gab bekannt, dass beide Seiten in einer Reihe von Themen "Einvernehmen" erzielt hätten, u. a. der Wiedereröffnung des Grenzübergangs Rafah zwischen Ägypten und Gaza sowie der Einfuhrerlaubnis für Medikamente und Treibstoff für die Kraftwerke in den Gazastreifen.
Die Hamas erzielte eine weitere Übereinkunft mit den Ägyptern dahingehend, eine Sicherheits-Pufferzone entlang der Grenze zwischen dem Gazastreifen und Ägypten zu errichten, um den Schmuggel von Waffen und das Eindringen von Terroristen zu stoppen. Bereits diese Woche sah man die Bulldozer der Hamas beim Spatenstich zu den Bauarbeiten entlang der Grenze.
Die unerwartete Wiederannäherung zwischen Dahlan und der Hamas hatte bereits die Rückkehr einiger treuer Dahlan-Anhänger in den Gazastreifen zur Folge. Nun warten alle darauf, zu sehen, ob und wann Dahlan selbst die Erlaubnis erhält, in sein Haus im Gazastreifen zurückzukehren.
Quellen im Gazastreifen vermuten, dass der Countdown für die Rückkehr Dahlans bereits begonnen hat. Weiterhin mutmaßen diese Quellen, dass er möglicherweise mit dem Posten des "Premierministers" einer neuen Regierung betraut werden wird, während die Hamas weiter für die Gesamtsicherheit im Gazastreifen zuständig bleibt.
Tatsächlich hat die Hamas bereits ihren eigenen "Verwaltungsausschuss", der als Regierung fungiert.
Dahlans wird die Aufgabe zufallen, dazu beizutragen, die Blockade im Gazastreifen zu durchbrechen, arabische und westliche Mittel anzuziehen sowie die Lebensbedingungen zu verbessern und die Wirtschaft anzukurbeln.
Kurz gesagt: Dahlan ist möglicherweise auf dem Weg, Bürgermeister des Gazastreifens zu werden.
Bereits diese Woche gab es Anzeichen dafür, dass Dahlan die Hamas möglicherweise bereits davon überzeugt hat, dass er tatsächlich der langerwartete Retter ist: Die Ägypter haben begonnen, Tankwagen mit Kraftstoff in den Gazastreifen zu schicken, um dazu beizutragen, die Stromversorgungskrise beizulegen. Außerdem haben die ägyptischen Behörden ihre Bereitschaft zur Wiedereröffnung des Grenzübergangs Rafah bekundet.
Das zwischen Dahlan und der Hamas erzielte "Einvernehmen" kann möglicherweise dazu beitragen, das Elend der Palästinenser im Gazastreifen zu lindern und den Weg für eine bessere Wirtschaft zu bereiten. Der größte Gewinner wird jedoch die Hamas sein, die keine größeren Zugeständnisse machen muss als Dahlan und seinen Anhängern die Rückkehr in den Gazastreifen zu erlauben.
Dahlan wird unter den wachsamen Augen der Hamas stehen, die nach wie vor der wahre und unangefochtene faktische Herrscher des Gazastreifens bleiben wird. Die Hamas ist bereit, Dahlan durch die Hintertür des Gazastreifens die Rückkehr auf das Parkett der palästinensischen Politik zu erlauben. Man wird ihn jedoch an sehr kurzer Leine halten.
Dahlans Präsenz im Gazastreifen wird die Hamas nicht davon abhalten, ihre Vorbereitungen für einen erneuten Krieg mit Israel fortzusetzen.
Die Hamas wird nicht damit aufhören, Tunnel entlang der Grenze zu Israel zu graben, nur aus Angst vor Dahlan. Er wird voraussichtlich umfangreiche zivile Befugnisse erhalten, Sicherheitsanliegen werden jedoch in den Händen der Hamas und deren militärischem Flügel, der Kassam-Brigaden, bleiben.
Dahlan wird sich in der Rolle des Spendensammlers für die Palästinenser im Gazastreifen wiederfinden, während die Hamas sich hinter seinen breiten politischen Schultern verstecken wird.
Diese neue Realität könnte kurzfristig für Ruhe sorgen. Auf lange Sicht ist die Wahrscheinlichkeit jedoch groß, dass die Hamas aus der Situation gestärkt hervorgeht und besser auf den nächsten Krieg mit Israel vorbereitet sein wird.
Für Dahlan und die Hamas ist es eine klassische Win-Win-Situation. Wen wundert es da, dass Abbas und seine Freunde im Westjordanland sowohl wütend als auch besorgt sind?
Die unheilige Allianz zwischen Dahlan und der Hamas ist in ihren Augen nichts anderes als der Versuch, einen separaten palästinensischen Staat im Gazastreifen zu gründen.
Das internationale Publikum sollte zur Kenntnis nehmen: es ist jetzt offiziell – die Trennung von Westjordanland und Gazastreifen stellt auch das Ende der sogenannten Zwei-Staaten-Lösung dar. Auf den palästinensischen Straßen sieht es so aus, als stünden die Palästinenser näher denn je vor der Entstehung zweier eigenständiger, separater Entitäten – einer, die von Abbas' Palästinensischer Autonomiebehörde geleitet wird und einer weiteren unter der Kontrolle von Hamas und Dahlan.
Khaled Abu Toameh ist ein preisgekrönter arabisch-israelischer Journalist und TV-Produzent.