Seit Beginn des Bürgerkriegs in Syrien werden dort mehr als 1.600 Palästinenser vermisst und Hunderte weitere wurden getötet. Dennoch ist dies nicht die Art von Nachrichten, die es in die Mainstream-Medien des Westens schafft.
Um die Aufmerksamkeit der internationalen Gemeinschaft und der Medien zu erregen, müssen Palästinenser schon im Westjordanland, dem Gazastreifen oder Jerusalem leben. Dies sind die glücklichen Palästinenser, über deren Geschichten (und Nöte) regelmässig in den internationalen Medien berichtet wird. Warum? In erster Linie, weil es sich um Palästinenser handelt, deren Schicksale häufig direkt und indirekt mit Israel zusammenhängen.
Es ist kein Geheimnis, dass westliche Journalisten und Mainstream-Medien eine krankhafte Fixierung auf Israel entwickelt haben. Über alles, was Israel tut (oder eben nicht tut), wird ausführlich berichtet, insbesondere wenn die Möglichkeit besteht, Israel für das Leiden der Palästinenser verantwortlich zu machen.
Als der Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) Mahmoud Abbas Strafmassnahmen über die zwei Millionen im Gazastreifen lebenden Palästinenser verhängte, indem er ihnen medizinische Versorgung, Strom und Gehälter verwehrte, schafften es die Mainstream-Medien irgendwie, auch dafür Israel die Schuld in die Schuhe zu schieben.
Abbas' fortgesetztes hartes Vorgehen gegen die palästinensischen Medien, einschliesslich der Verhaftung von Journalisten und Facebook-Usern, ist nach Ansicht der westlichen Medien offenbar ebenso wenig eine Nachricht wert. Wen kümmert es schon, wenn Abbas 30 Nachrichten-Websites wegen ihrer Kritik an seiner Politik und seinen Aktionen sperrt? Wen kümmert es, wenn Abbas, wie erst diese Woche geschehen, die Verhaftung des Journalisten Ayman Qawasmeh, Leiter einer privaten Radiostation in Hebron, anordnet?
Qawasmeh wurde verhaftet, nachdem er kurz zuvor Abbas kritisiert und ihn sowie seinen Premierminister Rami Hamdallah aufgefordert hatte, ihre Ämter niederzulegen. Westliche Journalisten, die über den israelisch-palästinensischen Konflikt berichten, lehnen diese Vorkommnisse scheinbar nur deswegen ab, weil sie keinen anti-israelischen Blickwinkel beinhalten.
Als ob die Festnahme Qawasmehs nicht genug gewesen wäre, verhafteten Abbas' Sicherheitskräfte später auch noch Issa Amro, einen palästinensischen Aktivisten aus Hebron, weil er sich gegen die Festnahme des Journalisten ausgesprochen hatte. Amro wurde verhaftet, nachdem er einen Kommentar auf Facebook gepostet hatte, in dem er die Sicherheitskräfte der Palästinensischen Autonomiebehörde wegen der Festnahme des Journalisten und Unterdrückung der Meinungsfreiheit kritisiert hatte.
Qawasmeh und Amro wäre es besser ergangen, wenn sie von den israelischen Behörden verhaftet worden wären. In diesem Fall hätten ihre Geschichten es auf die Seiten der wichtigsten westlichen Nachrichtenblätter geschafft. CNN oder NBC hätten ihrer misslichen Situation möglicherweise gar eine ganze Sendung gewidmet. Ohne den westlichen Medienkanälen eine Möglichkeit zu bieten, Israel anzuklagen, bleiben die Geschichten der beiden Männer jedoch hinter verschlossenen Mauern – ebenso wie ihre Freiheit.
Die tragische Geschichte der Palästinenser in Syrien offenbart die Doppelmoral der globalen Medien und der internationalen Gemeinschaft, wenn es um die Berichterstattung im Nahen Osten geht: Wenn Israel nicht beteiligt ist, beteiligen sich auch die Journalisten nicht.
Was mit den Palästinensern in arabischen Ländern geschieht, scheint dem grössten Teil der Welt kaum ein gelangweiltes Gähnen zu entlocken. Was geschieht also, wenn Tausende von Palästinensern vermisst werden oder getötet wurden? Sofern es dabei um einen arabischen Staat geht, halten sich die Medien fern.
Nach Angaben der Action Group for Palestinians of Syria hat sie 1.632 Fälle von palästinensischen Gefangenen dokumentiert, darunter Kinder und Frauen, die in Syrien vermisst werden oder deren Verbleib nicht aufgeklärt wurde. Unter diesen Vermissten sind Journalisten, Ärzte, Krankenschwestern und -pfleger sowie Katastrophenhelfer. Die Organisation sagt, dass die Gefangenen in verschiedenen Gefangenenlagern und Gefängnissen in Syrien "Folterpraktiken in jeder Form" ausgesetzt worden sind.
Die Aktionsgruppe merkt ferner an, sie habe in den vergangenen Jahren rund 472 Todesfälle infolge von Folter in syrischen Gefangenenlagern und Gefängnissen dokumentiert. Angesichts der Geheimhaltung und strengen Einschränkungen durch die syrischen Behörden könnten die tatsächlichen Zahlen nach Meinung der Organisation möglicherweise aber noch wesentlich höher sein. Aus Angst vor Vergeltungsmassnahmen der syrischen Behörden scheuen sich Familien, den Tod ihrer Angehörigen bekanntzugeben.
In einem weiteren Bericht gibt die gleiche Organisation an, dass rund 3.570 Palästinenser seit Beginn des Bürgerkriegs in Syrien getötet wurden, unter ihnen 462 Frauen. Unterdessen wird das Flüchtlingslager Jarmuk in der Nähe von Damaskus seit über 1.510 Tagen von der syrischen Armee belagert.
Palästinensische Flüchtlinge in Syrien. (Foto: UNRWA) |
Ein weiteres palästinensisches Flüchtlingslager – Dara'a – ist seit über 1.247 Tagen ohne Wasserversorgung (in Jarmuk gibt es seit mehr als 1088 Tagen kein Wasser mehr). Der Bericht offenbart weiterhin, dass bis Ende 2016 über 85.000 Palästinenser aus Syrien nach Europa geflohen sind, während über 60.000 Zuflucht in Jordanien, der Türkei, Ägypten und dem Gazastreifen fanden.
Diese erschreckenden Zahlen sind die Regel in den kriegsgebeutelten Ländern der arabischen Welt, wo Araber und Moslems sich seit vielen Jahren gegenseitig vertreiben, foltern und töten. Beunruhigenderweise erregt die Not von Palästinensern in arabischen Ländern kaum internationale Aufmerksamkeit. Dieses Schweigen hat jedoch tödliche Konsequenzen und steht in direktem Zusammenhang mit der unverhältnismässigen Berichterstattung der internationalen Medien über Israel.
Man stelle sich vor: Ein einziger Palästinenser, der von einem israelischen Polizeibeamten oder Soldaten erschossen wird, erhält wahrscheinlich mehr Berichterstattung in den internationalen Medien als Tausende Palästinenser, die in einem arabischen Land unrechtmässig eingesperrt und zu Tode gefoltert werden.
Es könnten zahllose Berichte über die Art und Weise, wie die arabischen Länder Palästinenser misshandeln, veröffentlicht werden – von der Verweigerung grundlegender Menschenrechte wie Staatsbürgerschaft und Gleichheit bis hin zu Verhaftung und Folter.
Interessiert sich irgendjemand für die tatsächlichen Apartheid-Gesetze, die in den verschiedenen arabischen Ländern für Palästinenser gelten? Dabei sind die Informationen durchaus verfügbar: Dafür müssten die westlichen Medien und die internationale Gemeinschaft nur ihre Fixierung auf Israel überdenken und anfangen, den wirklichen palästinensischen Opfern Beachtung zu schenken – denen, die in den arabischen Ländern leben.
Khaled Abu Toameh ist ein preisgekrönter arabisch-israelischer Journalist und TV-Produzent.