Hajer Harb, eine couragierte palästinensische Journalistin, wurde von der Hamas verhaftet, weil sie Korruption im Gesundheitssystem des Gazastreifens aufgedeckt hatte. Am 13. September verurteilte ein Gericht der Hamas sie zu einer sechsmonatigen Gefängnisstrafe sowie einem Bussgeld. Es war das erste Urteil dieser Art, welches über eine Journalistin im Gazastreifen verhängt wurde.
Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass Harb ihre Gefängnisstrafe in allzu naher Zukunft verbüssen wird; vor Kurzem verliess sie den Gazastreifen, um sich nach einer Krebsdiagnose in Jordanien medizinisch behandeln zu lassen.
Ihre Erkrankung hielt die Hamas jedoch nicht davon ab, aufgrund ihrer Rolle bei der Aufdeckung der Korruption im palästinensischen Gesundheitssystem rechtliche Schritte gegen sie zu ergreifen. Anstatt das Gerichtsverfahren gegen sie auszusetzen, entschied das Gericht der Hamas, sie in Abwesenheit zu einer Gefängnisstrafe zu verurteilen.
Wenn sie also von ihrer Krankheit genesen und in den Gazastreifen zurückkehren sollte, wird Harb verhaftet und für sechs Monate ins Gefängnis geschickt werden. Ausserdem wird sie die Geldstrafe in Höhe von 1000 Schekel (250 USD) zahlen müssen, die von dem Hamas-Gericht über sie verhängt wurde.
Harbs schwierige Situation nahm im Juni 2016 ihren Anfang, als sie einen Untersuchungsbericht veröffentlichte, der enthüllte, wie die Hamas und die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) die Krankenversorgung missbrauchen, um palästinensische Patienten zu erpressen. Ihr Bericht deckte auf, dass einige Ärzte sowie Hamas- und PA-Beamte Schmiergelder verlangen, um im Gegenzug Patienten Genehmigungen auszustellen, damit diese den Gazastreifen verlassen und zur medizinischen Behandlung nach Israel, ins Westjordanland und in einige arabische und westliche Ländern reisen können. Patienten, die sich die Zahlung dieser Bestechungsgelder nicht leisten können, werden in den unterbesetzten und schlecht ausgestatteten palästinensischen Krankenhäusern dem Tod überlassen, so der Bericht.
Harbs investigativer Bericht – etwas im Kontext des palästinensischen Journalismus sehr selten Vorkommendes – verärgerte die Beamten der Palästinensischen Autonomiebehörde und der Hamas. Die Palästinenser bezeichneten die in den Korruptionsskandal Involvierten als die "Mafia der Zerstörung", wie erstmals in einem Artikel des Gatestone Institute berichtet.
Nachdem Harb ihren Bericht veröffentlicht hatte, wurde sie von den Hamas-Behörden zum Verhör vorgeladen. Ihre Vernehmungsbeamten verlangten, sie solle Ihre Quellen sowie die Identität der in den Korruptionsskandal involvierten Personen preisgeben.
"Ich erzählte ihnen, dass ich Journalistin bin und ihnen die Identität meiner Quellen ohne gerichtliche Verfügung nicht verraten könne", berichtete sie.
"Die Staatsanwaltschaft teilte mir mit, ich werde folgender Anklagepunkte beschuldigt: Identitätsbetrug (sie behaupten, ich hätte bei den Arbeiten zu meinem Untersuchungsbericht meine wahre Identität verheimlicht); Verleumdung des Gesundheitsministeriums durch die Veröffentlichung unsachgemässer und fehlerhafter Informationen sowie Zusammenarbeit mit 'ausländischen Parteien' (durch die Vorbereitung eines Berichts für einen Fernsehsender in London – unter dem Vorwand, dass das Medienunternehmen nicht bei der Pressestelle im Gazastreifen registriert ist)."
Es ist gleichermassen tragisch und ironisch, dass Harb letzten Endes selbst eine Genehmigung beantragen musste, um den Gazastreifen zwecks medizinischer Behandlung verlassen zu können. Sie befand sich in der gleichen Situation wie die Patienten, über die sie zuvor berichtet hatte und die Bestechungsgelder an Beamte der Palästinensischen Autonomiebehörde und der Hamas hatten zahlen müssen, um den Gazastreifen verlassen zu dürfen. Im Gegensatz zu diesen Patienten musste sie jedoch kein Bestechungsgeld zahlen, um eine Ausreisegenehmigung aus dem Gazastreifen zu erhalten. Harbs Freunde berichten, dass man ihr nach der Intervention palästinensischer Menschenrechtsgruppen die Ausreiseerlaubnis erteilt hatte.
Das Urteil gegen Harb wurde von weiten Teilen der palästinensischen Bevölkerung missbilligt, besonders von palästinensischen Menschenrechtsaktivisten und Journalisten.
Das Palästinensische Zentrum für Entwicklung und Medienfreiheit (MADA) verurteilte das Gerichtsurteil und bezeichnete es als einen "sehr schwerwiegenden Präzedenzfall gegen die Freiheit der Medien". In einer Erklärung stellte das MADA fest, es sehe den Vorfall als einen weiteren "Rückschritt in einer Zeit ohnehin zunehmender Unterdrückung der Pressefreiheit" unter der Palästinensischen Autonomiebehörde und der Hamas. "Das MADA wünscht unserer Kollegin [Harb] eine rasche Genesung und verurteilt diese Entscheidung, die ohne ein faires Gerichtsverfahren erfolgte, mit Nachdruck".
Harbs Rechtsanwältin Mervat Al-Nahal berichtete, ihre Klientin sei der Verleumdung, der Veröffentlichung unsachgemässer Informationen über das palästinensische Gesundheitsministerium und des Identitätsbetrugs angeklagt worden, habe von dem Gerichtsurteil jedoch erst während ihrer Behandlung in einer Klinik in Jordanien aus den Medien erfahren.
Der palästinensische Politikwissenschaftler Jihad Harb (nicht mit Hajer Harb verwandt) sagte, das Urteil des Hamas-Gerichts ziele nicht nur darauf ab, Journalisten mundtot zu machen, sondern auch darauf, Korruption und die dafür Verantwortlichen im Gazastreifen zu schützen.
"Die gerichtliche Entscheidung gegen die Journalistin war allerdings keine Überraschung", stellte er fest. "Aufgrund der Bedeutung des Angriffs auf die Meinungs- und Medienfreiheit, war sie dennoch ein Schock". Er betonte, dass die Hamas es vorgezogen hatte, anstatt eine Untersuchung gegen die an dem Korruptionsskandal Beteiligten einzuleiten, die Journalistin zu bestrafen, die enthüllt hatte, wie schlecht Patienten von ranghohen Beamten des Gesundheitswesen behandelt und sogar misshandelt werden.
Auch der palästinensische Journalistenverband verurteilte das Gerichtsurteil gegen die Journalistin nachdrücklich und drängte die Hamas, ihre Entscheidung zu widerrufen. "Dies stellt einen gefährlichen Präzedenzfall und eine haarsträubende Verletzung der Freiheit der Meinungsäusserung dar", stellte der Verband fest. Weiterhin rief er internationale Menschenrechtsorganisationen auf, sich an die Hamas-Behörden zu wenden, um die Verhaftung der Journalistin aufgrund ihres investigativen Berichts zu verhindern.
Ein palästinensischer Autor, Talal Al-Sharif, der sich ebenfalls mit der Journalistin solidarisierte, berichtete, dass auch er zu einer Gefängnisstrafe von sechs Monaten verurteilt worden war, weil er in einem Artikel die Hamas kritisiert hatte. Al-Sharif gab an, dass er nach der Veröffentlichung seines Artikels wegen des Vorwurfs der Diffamierung vor Gericht gestellt wurde. Er sagte ausserdem, dass niemand von der Palästinensischen Autonomiebehörde in Ramallah ihn je kontaktiert habe, um ihn zu unterstützen oder das über ihn verhängte Urteil der Hamas zu verurteilen.
Al-Sharif war naiv genug gewesen, davon auszugehen, dass die Palästinensische Autonomiebehörde zu seiner Verteidigung einschreiten würde. Die PA selbst führt seit langem eine Einschüchterungskampagne gegen Journalisten, Autoren und politische Gegner in den von ihr kontrollierten Gebieten im Westjordanland.
In den vergangenen Wochen wurden Dutzende Palästinenser, darunter auch Journalisten, von den Sicherheitskräften der Palästinensischen Autonomiebehörde verhaftet. Einige von ihnen, weil sie öffentliche Kritik an der PA geübt hatten, andere wurden wegen der "Untergrabung der staatlichen Sicherheit" und der Beleidigung ranghoher Palästinenserführer ("Herausstrecken der Zunge" nach PA-Recht) in Gewahrsam genommen.
Inzwischen engagieren sich palästinensische Journalisten und Menschenrechtsaktivisten gegen Präsident Mahmoud Abbas' neues Gesetz gegen Cyberkriminalität, welches seinen Sicherheitskräften erweiterte Machtbefugnisse erteilt, um gegen Social Media-User vorzugehen, insbesondere solche, die es wagen, Abbas-kritische Ansichten zu äussern.
Das über Hajer Harb verhängte Gerichtsurteil sowie die andauernden Strafmassnahmen gegen palästinensische Journalisten im Westjordanland und dem Gazastreifen stellen lediglich eine weitere Mahnung dafür dar, dass die Hamas und die Palästinensische Autonomiebehörde weder die Freiheit der Meinungsäusserung noch die Pressefreiheit respektieren. Auch wenn die Hamas und die PA gegeneinander Krieg führen, sind sich doch beide darin einig, dass die Medien ein Feind sind, den es zu besiegen gilt, wenn sie verhindern wollen, dass die Welt von ihrer Korruption und Unterdrückung erfährt.
Für den Moment scheinen die Hamas und die Palästinensische Autonomiebehörde in ihrem Bemühen, palästinensische Journalisten und Autoren zum Schweigen zu bringen, erfolgreich gewesen zu sein. All das geschieht – selbstredend – während die internationale Gemeinschaft und sogenannte pro-palästinensische Gruppierungen rund um den Globus ihre Köpfe in den Sand stecken und sich weigern, auf Seiten der Palästinenser auch nur das geringste Unrecht zu sehen.
Khaled Abu Toameh ist ein preisgekrönter arabisch-israelischer Journalist und TV-Produzent.