Bombenanschläge und andere Terroranschläge sind heute ein verbreitetes Merkmal des Lebens im modernen Europa. An nur einem Tag (15. September 2017) wurde ein improvisierter Sprengsatz in einem Londoner U-Bahn-Zug platziert, ein messerschwingender, "Allahu Akbar" brüllender Mann griff in Paris einen Soldaten an und ein Mann mit einem Hammer, der "Allahu Akbar" schrie, verwundete zwei Frauen in Lyon schwer. Wie der ehemalige französische Premierminister und der gegenwärtige Bürgermeister von London gesagt haben, ist dies vielleicht nur ein Preis, den wir für das Leben in europäischen Großstädten im 21. Jahrhundert zahlen müssen: Verkehrsstaus, großartige Restaurants und Terroranschläge.
Selbstverständlich sorgt sich die Öffentlichkeit ständig um andere Sachen -- nicht bloß, ob all dies ein Vorgeschmack von etwas viel schlimmerem ist, sondern ob irgend etwas getan werden kann, um es aufzuhalten. Während unsere politischen Führer dies weiterhin als eine Frage der Sicherheit betrachten, sieht die Öffentlichkeit, dass es auch eine Frage der Grenzsicherung und Massenimmigration ist. Überall auf dem Kontinent zeigen Umfragen, dass die europäischen Bürgerinnen und Bürger immer wieder eine Verlangsamung der Migration nach Europa fordern. Diese Forderung besteht nicht wegen irgendeines atavistischen Drangs oder geschmacklosen rassistischen Instinktes, sondern sie ist etwas, das die Öffentlichkeit intuitiv besser zu ahnen scheint, als ihre Politiker -- nämlich dass, wenn Sie nicht Ihre Grenzen kontrollieren, mit einem sinnvollen Satz an Immigrationsgesetzen und dem Recht, Leute von Ihrem Land fernzuhalten, dass Sie dann nicht wirklich ein Land haben.
Seit dem Aufstieg der Migrationskrise in Europa 2015, als Bundeskanzlerin Angela Merkel einseitig beschloss, die normalen Grenzkontrollen auszusetzen und einen bereits bestehenden Migrantenstrom in eine Flutwelle zu verwandeln, haben sich Politik und Öffentlichkeit in dieser Frage auseinanderdividiert. Während die Öffentlichkeit von ihren Vertretern will, dass sie ihre Grenzen kontrollieren, scheinen Politiker ihr politisches Kapital darin zu sehen, in die andere Richtung zu rennen. Teilweise liegt das daran, dass es eine Art "Bonus" zu geben scheint, wenn man freundlich und nett aussieht, im Gegensatz zu den abweisenden und gemeinen Dingen, die Grenzen heute zu repräsentieren scheinen.
Politiker wie Premierminister Justin Trudeau in Kanada haben die Gelegenheit der europäischen Migrationskatastrophe als grosse Tribüne benutzt und sich auf andere Weise präsentiert. Nach der Wahlkampfrhetorik von Donald Trump über den Bau einer Mauer entlang der amerikanisch-mexikanischen Grenze hat sich Trudeau vor allem als das Yin zu Donald Trump's Yang präsentiert. Im Januar, als Präsident Trump vereidigt wurde, verschickte Trudeau einen Tweet, der sich so las: "Für diejenigen, die vor Verfolgung, Terror und Krieg fliehen, die Kanadier werden euch willkommen heißen, ungeachtet eures Glaubens. Vielfalt ist unsere Stärke." Dem fügte er das Hashtag #WelcomeToCanada hinzu. Im März dieses Jahres twitterte Trudeau in einer weiteren klaren Antwort an den US-Präsidenten: "Egal, wer Sie sind oder woher Sie kommen, es gibt immer einen Platz für Sie in Kanada" - ein großer Auftrag angesichts der Existenz von 7,5 Milliarden Menschen auf dieser Erde, von denen die wenigstens bereits Kanadier sind.
Die Bewegung, die der kanadische Premierminister anscheinend anführt, ist eine Bewegung, die (wie Demonstranten oft sagen) versucht, "Brücken zu bauen statt Mauern". Es ist ein attraktiver Slogan, auch wenn jeder, der das behauptet, nicht erst kürzlich in London gewesen sein kann, wo (nach den Anschlägen auf Westminster und London Bridge innerhalb weniger Wochen) die Brücken der Stadt mit Sicherheitsmauern und Barrikaden überzogen sind. Was darauf hindeuten könnte, dass das Thema "Mauern und Brücken" am Ende kein Entweder-Oder-Geschäft oder überhaupt das zentrale Thema ist.
Doch angesichts dieser beachtlichen Glanzleistung zu Beginn des Jahres fällt es schwer, nicht laut zu lachen angesichts der Situation, in der sich Premierminister Trudeau heute befindet. In den letzten Monaten haben Tausende von Migranten, die meisten von ihnen aus Haiti, die Grenze von den USA nach Kanada - illegal - überquert. Dieser Zustrom - nach europäischen Maßstäben geringfügig - hat bereits begonnen, das kanadische Einwanderungssystem in die Knie zu zwingen. Hunderte von Migranten mussten in Notzeltstädten untergebracht werden, die von der kanadischen Armee errichtet wurden, und viele von ihnen wurden vorübergehend im alten Olympiastadion in Montreal untergebracht.
Abbgebildet: Zwei Personen, die behaupteten, aus der Türkei zu stammen, überqueren am 23. Februar 2017 illegal die Grenze zwischen den USA und Kanada in der Nähe von Hemmingford, Quebec. (Foto von Drew Angerer/Getty Images) |
Anders als viele der Migranten, die bis heute täglich nach Europa kommen, fliehen die in Kanada ankommenden Migranten nicht vor Krieg, Verfolgung oder Armut. Sie sind einfach Leute, die nicht scharf darauf sind, auf der falschen Seite von Amerikas Immigrationgesetzen zu enden, nun da es einen Präsidenten gibt, der diese Gesetze durchsetzen wird (oder vielleicht auch nicht). Wie es ein Washington Post Artikel ausgedrückt hat: "Obwohl man sie bequemerweise als "vor Trump Flüchtende" bezeichnet hat, scheinen die meisten Haitianer vom Wunsch motiviert zu sein, amerikanischen Gesetzen auszuweichen, die sie nicht im Traum einzuhalten gedenken.
Bis Ende August waren in diesem Jahr schätzungsweise fast 12.000 Menschen über diese Route nach Kanada gekommen. Diese Zahl ist eine Zahl, die in den letzten Jahren in Italien kaum mehr als eine durchschnittlich ausgelastete Woche darstellt. Aber auch diese vergleichsweise winzige Zuwanderungsbewegung über ein ganzes Jahr hinweg hat sich für Kanada als zu viel erwiesen. Ende letzten Monats sagte Trudeau zu Reportern:
"Für jemand, der erfolgreich Asyl ersuchen will, geht es nicht um Wirtschaftsmigration. Es geht um Verletzlichkeit, Folter oder Tod, oder darum, staatenlose Menschen zu sein. Wenn sie Asyl beantragen, werden wir sie auf der Grundlage dessen bewerten, was es heißt, Flüchtling oder Asylbewerber zu sein. Sie werden keinen Vorteil haben, wenn Sie sich für eine irreguläre Einreise nach Kanada entscheiden. Sie müssen sich an die Regeln halten, und davon gibt es viele."
Natürlich ist das eine ganz andere Melodie als die, die er bis dato vorteilhafterweise - vielleicht sogar opportunistischerweise - gespielt hatte. Als er Anfang 2017 versuchte, eine klare Alternative zu den europäischen und amerikanischen Staats- und Regierungschefs vorzustellen, war keine Rede von einer "irregulären" oder "regulären" Einreise, noch von den "vielen" Regeln. Bevor er sein eigenes kleines Rinnsal Migration erlebte, sprach Trudeau nur davon, dass es immer einen "Ort" für alle auf der Welt gibt, die nach Kanada kommen wollen. Wie sich die Dinge ändern können, wenn schon die kleinste Dosis Realität zuschlägt.
Douglas Murray, britischer Autor, Kommentator und Analytiker öffentlicher Angelegenheiten, lebt in London, England. Sein jüngstes Buch, ein internationaler Bestseller, ist "The Strange Death of Europe: Immigration, Identity, Islam."