Seit 2007 haben die Hamas und die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) mindestens vier "Versöhnungs"-Vereinbarungen angekündigt, um ihre ein Jahr zuvor durch den Sieg der Hamas bei den palästinensischen Parlamentswahlen entstandene Rivalität zu beenden. Diese Woche verkündeten die beiden rivalisierenden palästinensischen Parteien unter Schirmherrschaft der ägyptischen Behörden nun ein weiteres Abkommen, um ihre Differenzen beizulegen und "nationale Einheit" zu erreichen.
Die jüngste Vereinbarung zwischen der Hamas und der PA fordert, dass die islamistische Bewegung ihre Schattenregierung im Gazastreifen – bekannt als der Verwaltungsausschuss – auflöst. Es war diese Schattenregierung, die den PA-Präsidenten Mahmoud Abbas dazu veranlasste, eine Reihe von Strafmassnahmen gegen die im Gazastreifen lebenden Palästinenser zu verhängen. So etwa kürzte er die Bezüge von Beamten, zwang Tausende von Angestellten in den vorzeitigen Ruhestand, stellte die Bezahlung für den von Israel gelieferten Strom ein und drosselte die Arzneimittellieferungen an Krankenhäuser im Gazastreifen.
Hamaschef Ismail Haniyeh und Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas. (Foto: Mohamed Alostaz/PPM via Getty Images) |
Die von Ägypten in die Wege geleitete "Versöhnungs"-Vereinbarung wird von einigen Palästinensern als ein "historisches" Abkommen und eine "positive Entwicklung" hin zu einer Beendigung der Spaltung und Uneinigkeit unter den Palästinensern bezeichnet. Ausgehend von den Reaktionen der Palästinenser ist die Vereinbarung jedoch nicht sehr vielversprechend. Denn nur einige wenige Unkritische denken, dass sich diese Vereinbarung von all den vorherigen – nicht umgesetzten Abkommen – unterscheiden wird.
Abbas' Sanktionen trafen die Hamas scheinbar da, wo es weh tut. Bei nur drei bis vier Stunden Stromversorgung am Tag und Tausenden Beamten mit gekürzten Gehältern oder vorzeitigem Ruhestand bekam die Hamas den Druck deutlich zu spüren und sieht sich nun gezwungen, eine Lösung zu finden.
Also wandte sich die angeschlagene und isolierte Hamas an den grössten Feind von Abbas, den ehemaligen starken Mann der Fatah, Mohamed Dahlan. In den vergangenen Wochen tauchten Berichte auf, denen zufolge die Hamas kurz davor stehe, ein Abkommen mit Dahlan zu schliessen, das ihn als "Retter" zurück in den Gazastreifen bringen würde. Dahlan, der in den Vereinigten Arabischen Emiraten lebt, geniesst die politische Unterstützung einer Reihe wichtiger arabischer Länder wie Ägypten und Saudi-Arabien. Die Hamas hatte gehofft, die Rückkehr Dahlans in den Gazastreifen würde Gelder von den Vereinigten Arabischen Emiraten sowie eine Aufhebung der ägyptischen Blockade mit sich bringen – durch die Öffnung des Grenzübergangs Rafah zwischen dem Gazastreifen und Ägypten.
Alarmiert von der offensichtlichen Wiederannäherung zwischen der Hamas und Dahlan, drängte Abbas vor Kurzem die Ägypter, ihre Bemühungen als Mediatoren zwischen seiner Palästinensischen Autonomiebehörde und der Hamas wiederaufzunehmen. Ausserdem appellierte er an die Amerikaner und andere westliche und arabische Länder, Ägypten unter Druck zu setzen, um es von der Unterstützung eines Abkommens zwischen der Hamas und Dahlan abzuhalten. Dahlan ist Abbas' Erzfeind und eine tödliche Bedrohung für seine Herrschaft.
In den vergangenen sechs Jahren führte Abbas eine unerbittliche Kampagne gegen Dahlan, den er verdächtigt, eine Verschwörung zum Sturz seines Regimes zu betreiben und ihn als PA-Präsident ersetzen zu wollen.
Abbas will jedoch nicht nur sich selbst und sein Regime retten, er hat auch der Hamas einen weiteren, dringend erforderlichen Rettungsanker zugeworfen. Die Hamas hat allen Grund, mit der jüngsten Vereinbarung zufrieden zu sein.
Der palästinensische Politikwissenschaftler Hasan Salim kommentiert dies wie folgt:
"Seit 2006, als die Hamas entschied, an den palästinensischen Parlamentswahlen teilzunehmen, hat Präsident Abu Mazen (Abbas) nicht aufgehört, der Hamas die lebensnotwendige Versorgung zu bieten, die es ihr ermöglichte, sich zu einem wichtigen Akteur in der palästinensischen Politikarena zu entwickeln. Er kämpfte sogar darum, die Hamas den anderen politischen Parteien der Palästinenser gleichzustellen und sie vom Makel des Terrorismus reinzuwaschen. Jetzt wirft der Präsident der Hamas einen weiteren Rettungsanker zu, indem er ihr erlaubt, ihren Verwaltungsausschuss aufzulösen."
Salim, ein der Palästinensischen Autonomiebehörde nahestehender Politikwissenschaftler, versucht, den Palästinensern Abbas als einen Führer zu verkaufen, der die Hamas als eine legitime palästinensische "Partei" betrachtet, die ein integraler Bestandteil der palästinensischen Politiklandschaft sein könnte. Und so kommt es, dass Abbas bereit ist, einen Handel mit dem Teufel einzugehen – mit anderen Worten, gemeinsame Sache mit der Hamas zu machen und sie zu legitimieren – um seinen Erzrivalen Dahlan vom Gazastreifen fernzuhalten.
Während abzuwarten bleibt, ob sich Abbas und die Hamas auf eine Methode einigen werden, um ihre Vereinbarung auch vor Ort in die Tat umzusetzen, ist es sicher, dass die Hamas alleiniger Nutzniesser des von Ägypten geförderten Abkommens sein wird. So gut wie kein Palästinenser nimmt Abbas ab, dass es sein oberstes Ziel ist, aus der Hamas eine legitime Partei des palästinensischen Politikspektrums zu machen. Denn Abbas sieht die Hamas auch weiterhin als eine zentrale Bedrohung für sich und sein Regime an. Dies erklärt, warum seine Sicherheitskräfte nach wie vor Hamasangehörige im Westjordanland verhaften und schikanieren. Er weiss sehr wohl, dass die Hamas ihren Traum, ihn vom Thron zu stossen und ihre Macht auch auf das Westjordanland auszudehnen, nie aufgeben wird.
Hier einige Fakten über die neue "Versöhnungs"-Vereinbarung zwischen Abbas und der Hamas:
Die Entscheidung der Hamas, ihre Schattenregierung aufzulösen, heisst nicht, dass sie die Kontrolle über den Gazastreifen aufgeben wird. Dieser Schritt zielt lediglich darauf ab, der Regierung der Palästinensischen Autonomiebehörde in Ramallah die Kontrolle über einige Ministerien zurück zu erteilen. Mit anderen Worten, die Hamas will, dass Abbas' PA die Finanzierung der Bildung und des Gesundheitswesens im Gazastreifen – wie bis vor einigen Monaten der Fall – wiederaufnimmt.
Die Vereinbarung enthält jedoch keinen Hinweis auf die Sicherheitskontrolle der Hamas über den Gazastreifen. Das heisst, dass die Hamas und ihr bewaffneter Arm, die Kassam-Brigaden, auch weiterhin die wichtigsten "Ordnungshüter" im Gazastreifen bleiben werden. Der Gedanke, dass die Hamas den Sicherheitskräften von Abbas erlauben würde, in den Gazastreifen zurückzukehren, ist reine Illusion.
In der Vereinbarung finden die politische und die ideologische Agenda der Hamas keinerlei Erwähnung. Auch fordert die Vereinbarung von der Hamas nicht, dass sie ihre Charta, die zur Vernichtung Israels aufruft, aufgibt. Ebenso wenig verlangt sie, dass die Hamas ihre Waffen niederlegt und die Existenzberechtigung Israels anerkennt.
Das Abkommen entlässt die Hamas aus der finanziellen Verantwortung gegenüber ihren Wählern im Gazastreifen. Die Wiederaufnahme der finanziellen Unterstützung der Palästinenser im Gazastreifen durch die PA wird der Hamas ermöglichen, ihre Ressourcen und Kräfte erneut zu bündeln, um ihre militärischen Kapazitäten für einen zukünftigen Krieg mit Israel aufzubauen. Die Hamas wird sich keine Sorgen wegen Strom, Gehältern und medizinischer Versorgung der Menschen im Gazastreifen mehr machen müssen, weil sich Abbas darum kümmern wird.
Die Vereinbarung erleichtert die Bemühungen der Hamas, sich selbst als legitimer Akteur auf dem palästinensischen Parkett darzustellen und internationale Anerkennung und Sympathie zu erlangen. Die Hamas kann sich nun als legitimer Partner in der vom Westen geförderten PA-Regierung vermarkten.
Abbas hatte ursprünglich gehofft, seine jüngsten drastischen Strafmassnahmen gegen den Gazastreifen würden die dort lebenden Palästinenser dazu bringen, gegen ihre Hamas-Machthaber zu revoltieren. Als er jedoch erkannte, dass er weit davon entfernt war, sein Ziel zu erreichen und dass die Hamas davor stand, eine Partnerschaft mit Dahlan zu bilden, entschied er sich dafür, einmal mehr die "Versöhnungs"-Karte auszuspielen – so wie bereits viermal in der Vergangenheit durch ihn geschehen.
Anstelle die Hamas zu entmachten, sieht es so aus, als ob Abbas seine islamistischen Feinde stärkt, die ihn weiterhin als "Verräter" und "Marionette" in den Händen Israels und der USA bezeichnen. Selbst wenn die neue Vereinbarung umgesetzt wird, werden sich die Hamas und Abbas' Palästinensische Autonomiebehörde weiterhin gegenseitig an die Kehle gehen. Eines haben sie dennoch gemeinsam: beide sind die wahren Feinde der Palästinenser, die weiterhin einen hohen Preis für korrupte Führer zahlen, denen es einzig und allein um ihre eigenen Jobs und Bankkonten geht.
Bassam Tawil ist Muslim und lebt als Wissenschaftler und Journalist im Nahen Osten.