Der Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA), Mahmoud Abbas, erklärt, er wolle keine "Milizen" im Gazastreifen sehen, wenn die mit der Hamas erreichte "Versöhnungs"-Vereinbarung realisiert wird. Die Hamas ihrerseits hat Abbas' Forderung bereits zurückgewiesen.
"Die palästinensische Führung wird das Modell der Milizen im Gazastreifen nicht akzeptieren, weil es nicht erfolgreich ist", sagte Abbas gegenüber der chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua. "Es sollte eine Autorität, ein Gesetz, und eine Waffenmacht geben, keine Milizen."
Die Hamas ihrerseits hat Abbas' Forderung bereits zurückgewiesen. Sie erklärte, sie hege trotz der vor Kurzem in Kairo unterzeichneten "Versöhnungs"-Vereinbarung keine Absicht, ihre Waffen niederzulegen. "Wir können unsere Waffen nicht aufgeben, weil sich das palästinensische Volk immer noch im Stadium der nationalen Befreiung befindet", erklärte Yahya Sinwar, der Führer der Hamas im Gazastreifen. "Ausserdem können und werden wir Israel nicht anerkennen."
Die Weigerung der Hamas, ihre Waffen niederzulegen, dürfte keine weitere Überraschung sein. Seit die Hamas vor zehn Jahren in einer gewaltsamen Aktion die Kontrolle über den Gazastreifen übernahm, hat sie einen riesigen Sicherheitsapparat aufgebaut, der aus Tausenden Milizionären besteht – die meisten von ihnen Mitglieder der Kassam-Brigaden, des militärischen Flügels der Organisation. Ausserdem hat die Hamas enorme Mengen von Waffen in den Gazastreifen geschmuggelt und Dutzende von Tunneln entlang der Grenzen zu Israel und Ägypten gegraben.
Der Gedanke, dass die Hamas je ihren Sicherheitsapparat aufgeben und den Gazastreifen an Mahmoud Abbas' Truppen übergeben würde, ist reines Wunschdenken. Die Hamas hat kein Problem damit, loyalen Abbas-Anhängern zu erlauben, wieder an den Grenzübergang zu Ägypten in Rafah zurückzukehren, so wie die Situation auch vor 2007 war, als die Hamas die Kontrolle über den Gazastreifen übernahm. Dies ist jedoch auch das Äusserste, was die Hamas zu opfern bereit ist, um den Erfolg des "Versöhnungs"-Abkommens mit Abbas und seiner Fatah-Fraktion zu unterstützen.
Milizsoldaten der Fatah in Gaza, 2007. (Foto: Abid Katib/Getty Images) |
Es ist ein Preis, den die Hamas zu zahlen bereit ist, nicht etwa aus Sympathie für Abbas, sondern weil es ihren eigenen Interessen dienlich ist. Die Wiedereröffnung des Grenzpostens in Rafah wird der Hamas ermöglichen, nach Jahren der Isolation und Blockade wieder durchatmen zu können. Ein paar Hundert Abbas-Getreue, die den Grenzübergang Rafah verwalten, stellen keine Bedrohung für die Herrschaft der Hamas über den Gazastreifen dar.
Vor allen Dingen jedoch versucht die Hamas eine Rückkehr zu der Zeit vor 2007 zu verhindern, als die Palästinensische Autonomiebehörde die exklusive Kontrolle über den Gazastreifen innehatte. Bis zu diesem Jahr hatte die PA den Gazastreifen mit zahlreichen Sicherheitskräften fest im Griff und bediente sich gegenüber der Hamas und anderen Oppositionsgruppen einer Politik der "eisernen Faust".
Die Stellungnahmen führender Hamas-Vertreter in den letzten Tagen zeigen, dass sie versuchen, das Modell, welches die Hisbollah im Libanon praktiziert, nachzuahmen. Die Hamas will weiterhin für die Sicherheitsangelegenheiten im Gazastreifen verantwortlich bleiben, die Aufgaben der Palästinensischen Autonomiebehörde jedoch lediglich auf zivile Angelegenheiten beschränken. Die Weigerung der Hamas, ihre Waffen niederzulegen und die Sicherheitsaufgaben an Abbas zu übergeben, könnte die von Ägypten lancierte und protegierte "Versöhnungs"-Vereinbarung torpedieren – insbesondere angesichts der Weigerung der PA das Hisbollah-Modell auch im Gazastreifen zu übernehmen.
Während Abbas jedoch darüber redet, dass die Hamas sich entwaffnen und ihre Milizen aufgeben muss, fragen sich einige Palästinenser, was das Schicksal der mit der Fatah verbundenen bewaffneten Truppen im Gazastreifen sein wird, wenn die "Versöhnungs"-Vereinbarung realisiert werden sollte.
Denn es ist bei weitem nicht so, als ob die Hamas die einzige Gruppe wäre, die Milizen im Gazastreifen hat. Nahezu alle anderen palästinensischen Fraktionen, einschliesslich dem Islamischen Dschihad, der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) und der Demokratischen Front zur Befreiung Palästinas (DFLP), haben hier ihre eigenen Milizen – neben einer Reihe IS-inspirierter Milizen, die ebenfalls in den vergangenen Jahren im Gazastreifen aufgetaucht sind.
Man schätzt, dass etwa fünfzig unterschiedliche Milizen im Gazastreifen aktiv sind. Diese Milizen, so heisst es, sind im Besitz von rund einer Million Schusswaffen.
Abbas' Nagelprobe wird daher der Tag sein, an dem er gezwungen ist, sich den widerspenstigen Fatah-nahen bewaffneten Gruppierungen im Gazastreifen entgegen zu stellen. Abbas hat jedoch ebenso guten Grund, sich wegen der Milizen der Hamas, des Islamischen Dschihad, der PFLP und der DFLP Sorgen zu machen. Keine dieser Gruppierungen wird jemals freiwillig die Waffen strecken oder ihre Milizen aufgeben, nur weil die Ägypter oder Abbas es von ihnen verlangen. Darüber hinaus muss sich Abbas Gedanken über die Gruppierungen machen, die mit der Fatah in Verbindung stehen: auch sie werden mit grosser Wahrscheinlichkeit seinem Wunsch, keine Milizen im Gazastreifen mehr sehen zu wollen, nicht nachkommen.
Die Fatah verfügt über mehrere bewaffnete Gruppen im Gazastreifen, die nicht gerade für ihre blinde Loyalität gegenüber Abbas bekannt sind. Einige dieser unzufriedenen bewaffneten Gruppierungen hören sich tatsächlich oft eher wie die Hamas und der Islamische Dschihad an als wie die Fatah.
Die Fatah verfügt über etliche Milizen im Gazastreifen: die Al-Aqsa-Märtyrer-Brigaden, die Ahmed-Abu-Rish-Brigaden, Abdel Qader Al-Husseini Brigaden, die Märtyrer-Ayman-Judeh-Gruppen und die Märtyrer-Nidal-Al-Amoudi-Division.
Wenngleich sie alle der Fatah nahestehen, reden diese bewaffneten Gruppen nach wie vor von einem "bewaffneten Kampf" gegen Israel und ihrem Wunsch, Palästina zu "befreien, vom [Mittel-]Meer bis zum Fluss [Jordan]." Diese mit der Fatah in Verbindung stehenden widerspenstigen Gruppierungen haben in der Vergangenheit Abbas und die Fatah-Führung im Westjordanland schon häufig verärgert und in Verlegenheit gebracht. Die Gruppen geben oft Stellungnahmen heraus, in denen sie Terroranschläge auf Israel bejubeln, wie etwa vor Kurzem der Fall bei der Schiesserei in Har Adar, nahe Jerusalem, bei der drei Israelis ermordet wurden.
Die Führung der Fatah im Westjordanland hat in den vergangenen Jahren immer wieder versucht, sich von den Aktionen und der Rhetorik dieser bewaffneten Fatah-Gruppen im Gazastreifen zu distanzieren. Dieses Bemühen reflektiert den Wunsch der Fatah-Führung im Westjordanland, sich der internationalen Gemeinschaft (und Israel) als eine "moderate" Partei zu präsentieren, die Gewalt ablehnt und eine friedliche Lösung mit Israel anstrebt.
Noch besorgniserregender für Abbas ist jedoch die Tatsache, dass neben der Hamas auch die bewaffneten Gruppierungen der Fatah im Gazastreifen sich weigern, in Folge der "Versöhnungs"-Vereinbarung ihre Waffen niederzulegen.
Nun muss sich Abbas nicht nur wegen der Hamas und dem Islamischen Dschihad Sorgen machen – auch die Bewaffneten aus den Reihen seiner eigenen Fatah sagen, dass sie keinesfalls die Waffen niederlegen werden. Diese Sorgen stellen für Abbas ein weiteres Hindernis auf dem Weg zur Realisierung der "Versöhnungs"-Vereinbarung dar.
Wie Abu Mohammed, ein Sprecher der Al-Aqsa-Märtyrer-Brigaden im Gazastreifen, vor Kurzem verkündete: "Wir werden unsere Waffen nicht niederlegen, bis ganz Palästina befreit ist." Seine Aussage spiegelt die Haltung der Hamas und aller anderen bewaffneten Gruppierungen wider. Wenn sich die Hamas weigert, ihre Waffen niederzulegen, dann ist das eine Sache, wenn jedoch Abbas' vorgebliche Anhänger ebenfalls solche Äusserungen tätigen, ist das als würden sie dem Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde direkt ins Gesicht spucken.
Die "Versöhnungs"-Vereinbarung muss vor Ort erst noch umgesetzt werden, und dennoch stellt sich das Problem der Milizen im Gazastreifen bereits jetzt als ein erhebliches Hindernis und ein schwerer Rückschlag für Abbas dar. Er wird sich nun entscheiden müssen: entweder er zieht die "Versöhnungs"-Vereinbarung durch und akzeptiert es, die Rolle des Präsidenten in einem von bewaffneten Gruppierungen und Milizen wimmelnden Gazastreifen zu spielen – von denen die meisten nicht seine Freunde sind – oder er macht einen Rückzieher und erkennt, dass sein Wille, ein Gesetz, eine Polizeitruppe und eine Autorität im Gazastreifen zu haben, nichts weiter ist, als ein frommer Wunsch.
Khaled Abu Toameh ist ein preisgekrönter arabisch-israelischer Journalist und TV-Produzent.