Die Präsidentschaftswahlen im Jahr 1964 waren die zweiten in meinem Leben, bei denen ich meine Stimme abgab. Zur Wahl standen John F. Kennedys Nachfolger Lyndon Johnson und Barry Goldwater. Ich mochte beide nicht: Johnson hatte zwar vor allem bei den Bürgerrechten viel erreicht, besass aber einen unausstehlichen Charakter; Goldwater hingegen schien ein guter Mensch zu sein, aber ich war mit seinen konservativen politischen Ansichten nicht einverstanden.
Ich las mit Entsetzen einen Artikel in der Zeitschrift Fact, der auf Interviews mit mehr als 1.000 Psychiatern basierte und zu dem Schluss kam, dass Goldwater psychisch labil und daher nicht für das Präsidentenamt geeignet war. Es war Lyndon Johnson, dessen persönliche Tauglichkeit, das höchste Amt bekleiden zu können, ich infrage stellte. Barry Goldwater schien emotional stabil zu sein und ausgezeichnete persönliche Eigenschaften zu haben, aber er stand für eine sehr fragwürdige Politik. Der Artikel war absolut nicht überzeugend, und letztendlich wählte ich widerstrebend Lyndon Johnson. Barry Goldwater ging zurück in den Senat, wo er sich mit grösster Hingabe und hohen Moralvorstellungen einsetzte. Lyndon Johnson verstrickte uns in einen aussichtslosen Krieg, der unserem Land schadete. Es stellte sich heraus, dass die mehr als 1.000 Psychiater mit ihrer Diagnose und ihren Prognosen völlig falsch lagen.
Ihre Fehldiagnose sollte niemanden überraschen, da keiner der Psychiater Goldwater jemals getroffen, geschweige denn untersucht hatte. Sie mochten einfach seine Politik nicht. Stattdessen fürchteten manche, dass er die Welt zerstören würde, hätte er Zugang zum Atomknopf. Die wohl eindringlichste TV-Werbung gegen Goldwater zeigte ein hübsches Kind, das mit einer Blume spielte. Dann wurde der Bildschirm schwarz, ausgelöst vermutlich durch eine nukleare Explosion, und das Kind wurde zusammen mit der ganzen Welt in die Luft gesprengt. Es war ein wirkungsvoller Werbespot. Er beeinflusste mich weit mehr als das Psychogeschwätz im Fact-Artikel.
Infolge des Goldwater-Psychiater-Fiaskos erklärte die American Psychiatric Association, jegliche Diagnose eines Psychiaters zu einer öffentlichen Person sei unethisch, wenn diese Person dafür nicht untersucht worden sei.
Jetzt, mehr als ein halbes Jahrhundert später, verletzen zahlreiche Psychiater und andere psychologische Fachkräfte dieses vernünftige ethische Prinzip, indem sie Diagnosen über Donald Trump äussern – ohne ihn jemals untersucht zu haben. Ihre Diagnosen reichen von Alzheimer über eine narzisstische Persönlichkeitsstörung bis hin zu Paranoia und vielem mehr. Ein Psychiatrie-Professor der Yale University schlug die Möglichkeit vor, Trump gegen seinen Willen in eine Psychiatrie einzuweisen. Andere empfahlen, dass er sich einer psychiatrischen oder psychologischen Untersuchung unterziehen sollte. Wiederum andere schlugen vor, sich auf den 25. Verfassungszusatz zu berufen und den Präsidenten als amtsunfähig einzustufen.
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Ich habe über 25 Jahre lang Lehrveranstaltungen in den Bereichen Recht, Psychiatrie und zu damit verbundenen Themen an der Harvard Law School gegeben. Ich war Mitherausgeber eines Grundlagentextes aus diesem Bereich. Und ich habe zahlreiche Artikel darüber verfasst, ob Psychiater Vorhersagen über zukünftiges Verhalten treffen können oder nicht. In Anbetracht meiner Forschung und Veröffentlichungen finde ich es unprofessionell, unethisch und absurd, wenn eine psychologische Fachkraft sich herausnimmt, eine Diagnose oder psychiatrische Prognose über Präsident Donald Trump zu äussern. Wir alle dürfen eine Meinung über seine politische und persönliche Qualifikation als Präsident haben. Ich habe bei den letzten Wahlen für Hillary Clinton gestimmt, weil ich fand, dass sie besser als Donald Trump für das Präsidentenamt geeignet war. Das ist mein Recht als amerikanischer Wähler. Aber Psychiater und andere psychologische Fachkräfte haben nicht das Recht, einen Präsidenten oder Kandidaten zu pathologisieren, weil sie seine oder ihre politischen Ansichten nicht teilen – genauso wenig wie Staatsanwälte oder Politiker das Recht haben, politische Gegenspieler zu kriminalisieren.
Schon seit Jahrzehnten veröffentliche ich Texte gegen die Kriminalisierung politischer Differenzen, da dies gefährlich für eine Demokratie ist. Und es ist noch gefährlicher, politische Gegner zu pathologisieren oder für verrückt zu erklären, weil man gegen ihre Politik ist. Die Pathologisierung von politischen Gegnern durch psychologische Fachkräfte war eine beliebte Taktik, die die Sowjetunion, China und das Südafrika der Apartheid gegen politische Dissidenten einsetzten. Die American Psychological Association hat sich nachdrücklich gegen den Einsatz dieser tyrannischen Waffe ausgesprochen. Ich war stark in diese Verurteilung eingebunden, denn ich verstand, wie gefährlich es ist, Diagnosen über politische Gegner aufzustellen, anstatt auf die Stärken und Schwächen ihrer politischen Ansichten einzugehen.
Und es ist noch gefährlicher, wenn eine Demokratie wie die Vereinigten Staaten den Weg einschlägt, politische Unterschiede zu pathologisieren. Lasst uns daher über die Stärken und Schwächen von Präsident Trumps Politik, seine Persönlichkeit und andere Faktoren debattieren, die für seine Präsidentschaft relevant sind. Diagnosen überlassen wir aber lieber Ärzten, die ihre Patienten auch untersucht haben.
Professor Alan M. Dershowitz ist emeritierter Inhaber des Felix-Frankfurter-Lehrstuhls für Rechtswissenschaften an der Harvard Law School und Autor von "Trumped Up, How Criminalization of Political Differences Endangers Democracy".