Seit Jahrzehnten verurteilen Palästinenser und deren weltweite Unterstützer Israel für die Verhaftung von mutmasslichen Terroristen ohne Gerichtsverfahren. Es zeigt sich jedoch, dass die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) eine ähnliche Politik verfolgt, die hochrangigen Beamten erlaubt, jeden Palästinenser ohne Berücksichtigung der Art und Weise des von ihm oder ihr begangenen Vergehens zu verhaften.
Israel kann mutmassliche Terroristen in sogenannte "Administrativhaft" nehmen . Grundlage dafür sind Gesetze wie z. B.: die israelische Militärorder Nr. 1651 betreffend Sicherheitsbestimmungen, das Gesetz zur Inhaftierung illegaler Kombattanten und die Verteidigungs- (Notstands-) Regelungen, ein Gesetz, das die Notstandsregelungen aus der Zeit des britischen Mandats in Palästina (1920–1948) ersetzt.
Es sollte angemerkt werden, dass in den vergangenen Jahrzehnten auch israelische Bürger, nicht nur Palästinenser, in "Administrativhaft" genommen wurden. Das heisst, Israel macht keinen Unterschied zwischen Palästinensern und Israelis, wenn es um den Kampf gegen den Terrorismus geht.
Während die Kampagne gegen Israels "Administrativhaft" nach wie vor weitergeht, nimmt die Palästinensische Autonomiebehörde nach Angaben palästinensischer Menschenrechtsaktivisten und -anwälte illegale und willkürliche Verhaftungen ihrer eigenen Wähler vor.
Einmal mehr zeigt sich die Doppelmoral der Palästinenser und ihrer internationalen Unterstützer.
Seit über einem Jahrzehnt hält die PA Palästinenser bis zu sechs Monate ohne Gerichtsverfahren fest – auf Basis einer Anordnung, die von einem ihrer hochrangigen Beamten, für gewöhnlich einem von PA-Präsident Mahmoud Abbas ernannten Gouverneur, unterzeichnet wird.
Während Israel die "Administrativhaft" als Mittel gegen den Terrorismus verwendet, hält die Führung der Palästinensischen Autonomiebehörde Menschen ohne Gerichtsverfahren fest, um sie mundtot zu machen und davon abzuhalten, Kritik gegen Abbas und andere Palästinenserführer zu äussern.
Die PA argumentiert allerdings, ihre "Administrativhaft" erfolge im Rahmen des Gesetzes und werde als Präventivmassnahme durchgeführt, um die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten und Gewalt zu verhindern.
Während in Administrativhaft befindliche Häftlinge in Israel das Recht auf einen Anwalt haben, Familienbesuche empfangen dürfen und gegen ihre Verhaftung Berufung einlegen können, werden den Häftlingen in palästinensischer Administrativhaft ihre grundlegenden Rechte verweigert. Diese Tatsache scheint die von Israel besessenen Menschenrechtsorganisationen allerdings ganz und gar nicht zu interessieren.
Die Führung der Palästinensischen Autonomiebehörde hält Menschen ohne Gerichtsverfahren fest, um sie mundtot zu machen und davon abzuhalten, Kritik gegen Mahmoud Abbas und andere Palästinenserführer zu äussern. Im Bild: PA-Präsident Mahmoud Abbas. (Bildquelle: Drew Angerer/Getty Images) |
Nach Auskunft palästinensischer Menschenrechtsverteidiger und -anwälte ist ein palästinensischer Gouverneur oder hochrangiger Beamter ermächtigt, jederzeit aus beliebigen Gründen einen Haftbefehl gegen jeden Palästinenser auszustellen.
Wenngleich nach wie vor unklar ist, auf welcher Grundlage PA-Gouverneure und Top-Beamte dazu berechtigt sind, Verhaftungen anzuordnen, basiert diese Praxis laut einigen Rechtsexperten auf einem auch heute noch im Westjordanland geltenden jordanischen Gesetz aus dem Jahr 1954.
Die Experten bescheinigen, dass das Gesetz – auch wenn es bereits vor vielen Jahren durch ein jordanisches Gericht ausser Kraft gesetzt wurde – von der Palästinensischen Autonomiebehörde weiterhin gegen ihr eigenes Volk eingesetzt wird.
Der palästinensische Rechtsanwalt und ehemalige Richter Daoud Dirawi bestätigte, dass die Praxis, Palästinenser aufgrund amtlicher Anordnungen von Abbas' Gouverneuren und führenden Beamten festzusetzen, "illegal" und "verfassungswidrig" ist. Er wies darauf hin, dass der Oberste Gerichtshof der Palästinenser gegen diese Praxis entschieden hat.
"Unrechtmässige Inhaftierung ist ein Verbrechen und eine nach dem Gesetz strafbare Handlung", erklärte Dirawi. "Jeder von dieser Praxis Betroffene ist berechtigt, Schadensersatzansprüche geltend zu machen. Dies ist einer der gefährlichsten Übergriffe auf die öffentlichen Freiheiten."
Das palästinensische Zentrum für die Unabhängigkeit von Justiz und Rechtsberufen (Center for the Independence of the Judiciary and the Legal Profession, Musawa) gibt an, es habe zahlreiche Beschwerden über die unrechtmässigen Verhaftungen der Palästinensischen Autonomiebehörde von Palästinensern erhalten.
Mit dem Hinweis, dass die Verhaftungen "verfassungswidrig" seien und eine gravierende Verletzung der Menschenrechte darstellten, betonte Musawa, dass Gouverneure und hohe Beamte nicht die Befugnis haben, die Verhaftung von Personen anzuordnen.
Letztes Jahr veranstaltete die juristische Fakultät der An-Najah National University, der grössten Universität im Westjordanland, ein Seminar zur Praxis der "Administrativhaft" der Palästinensischen Autonomiebehörde.
Der Dekan der Fakultät, Dr. Muayad Hattab, erklärte, die Mehrzahl der palästinensischen Rechtsexperten stimme darin überein, dass die Verhaftungen ohne Gerichtsverhandlung einen Verstoss gegen das palästinensische Gesetz und die Verfassung darstellen. Ausserdem wies er darauf hin, dass die palästinensischen Gerichte wiederholt gegen die Praxis, Gefangene ohne Gerichtsverhandlung festzuhalten, entschieden hatten.
Der palästinensische Rechtsanwalt Ala Al-Badarneh, der eine Untersuchung über die "Administrativhaft" der Palästinensischen Autonomiebehörde durchführte, fand heraus, dass die meisten Verhaftungen ohne Wissen des Gouverneurs oder der höheren palästinensischen Beamten, in deren Namen die Verhaftung durchgeführt wurde, erfolgten.
"Die Festnahme von Menschen aufgrund der Anordnung des Gouverneurs erfolgt mitunter ohne Wissen desselben", stellte Al-Badarneh fest.
"Selbst wenn der Gouverneur über die Verhaftung in Kenntnis gesetzt wird, wird die verhaftete Person dem Gouverneur nicht vorgeführt. Der Gouverneur leugnet häufig seine Kenntnis von einer Festnahme, wenn er von den Familien der Verhafteten gefragt wird. Das jordanische Gesetz legt fest, dass eine Person, die auf Anordnung des Gouverneurs verhaftet wird, dem Gouverneur tatsächlich auch vorgeführt werden muss. Dies geschieht jedoch mit denen, die ohne Gerichtsverfahren von der Palästinensischen Autonomiebehörde in Haft genommen werden, nicht."
Al-Badarneh wies weiterhin darauf hin, dass die in "Administrativhaft" genommenen Palästinenser aufgrund der Beurteilung der palästinensischen Sicherheitskräfte inhaftiert werden, ohne dass sie der Partei vorgeführt werden, welche ihre Verhaftung angeblich angeordnet hat – einem Gouverneur oder hochrangigen Beamten.
In einigen Fällen greifen die palästinensischen Gouverneure und hohen Beamten, die sich selbst zu Ordnungshütern ernannt haben, zum Mittel der "Administrativhaft", um die Ausführung gerichtlicher Verfügungen zu umgehen.
Ein Gericht kann beispielsweise die Entlassung eines Häftlings verfügen; er oder sie bleibt jedoch weiterhin hinter Gittern, wenn ein Gouverneur oder hochrangiger Beamter einen Haftbefehl unterzeichnet.
Nehmen wir zum Beispiel den Fall von Mahmoud Asideh aus Nablus, der grössten palästinensischen Stadt im Westjordanland. Nach 37-tägiger Haft ordneten mehrere palästinensische Gerichte die Entlassung Asidehs an. Um die Durchführung der gerichtlichen Verfügungen zu umgehen, legten ihm die Sicherheitskräfte der Palästinensischen Autonomiebehörde einen vom Gouverneur von Nablus unterzeichneten Haftbefehl vor. Ein weiterer Verhafteter, der ebenfalls aus Nablus stammende Anas Judallah, wurde auf Anordnung des Gouverneurs von Nablus weiterhin in Haft gehalten, obwohl ein palästinensisches Gericht seine Entlassung beschlossen hatte.
2016 wurde der palästinensische Journalist Ragheed Tabasiyeh auf Anordnung des Gouverneurs der Stadt Kalkilya im Westjordanland 17 Tage lang festgehalten. Tabasiyeh berichtete, er sei über die Art seiner journalistischen Tätigkeit und über seine Auftraggeber befragt worden. Letztlich wurde er ohne Kaution oder Strafe wieder freigelassen.
Im Dezember 2017 erhielten palästinensische Menschenrechtsgruppen Beschwerden von sieben Palästinensern, die angaben, sie seien auf Anordnung eines Gouverneurs ohne Gerichtsverfahren inhaftiert worden. Zwei der Häftlinge wurden seither entlassen, während die übrigen fünf nach wie vor ohne Gerichtsverfahren festgehalten werden.
Die Palästinenser sagen, die PA benutze die "Administrativhaft" in erster Linie als Instrument gegen ihre politischen Gegner und um Kritiker zum Schweigen zu bringen und nicht, wie sie behauptet, als Präventivmassnahme zur Verhinderung von Verbrechen.
Khalil Assaf, Vorsitzender der Independent Palestinians Association in the West Bank, verurteilte die Praxis als ein Verbrechen und sagte, sie ziele vorrangig darauf ab, die Kritiker der Palästinensischen Autonomiebehörde zum Schweigen zu bringen. In Bezug auf Präsident Mahmoud Abbas stellte Assaf die Frage:
"Wie kann er, der an der Spitze der Palästinensischen Autonomiebehörde steht und das Gesetz bricht, von seinem Volk verlangen, es solle sich ans Gesetz halten? Ein Verstoss gegen das Gesetz, egal durch wen, ist inakzeptabel. Menschen aufgrund der Anordnung eines Gouverneurs oder hohen Beamten einzusperren, ist ein Verbrechen, das nach dem Gesetz eine strafbare Handlung darstellt."
Wir haben also ein weiteres Beispiel dafür, wie die vom Westen finanzierte Palästinensische Autonomiebehörde ihr Rechtssystem verhöhnt und weiterhin systematisch Menschenrechte verletzt und Angriffe auf die öffentlichen Freiheiten erwirkt. In einer Welt, in der irgendein hochrangiger Beamter von Abbas einen Haftbefehl gegen einen Palästinenser unterschreiben kann, können die Palästinenser nur noch davon träumen, ein Land der Ruhe und Ordnung zu haben.
Besonders verstörend ist jedoch nicht, dass die PA-Führung als tyrannisches Regime agiert (dies ist für alle, die mit den internen Handlungsweisen von Abbas und dessen Gefolgsleuten vertraut sind, nichts Neues), sondern das anhaltende Stillschweigen und die Gleichgültigkeit der internationalen Gemeinschaft und Menschenrechtsorganisationen. Diejenigen, die wegen der israelischen Sicherheitsmassnahmen gegen den Terrorismus Zeter und Mordio schreien, täten den Palästinensern einen weitaus grösseren Gefallen, wenn sie ihre Münder auftäten und anprangerten, wie unter der Palästinensischen Autonomiebehörde die Menschenrechte mit Füssen getreten werden.
Khaled Abu Toameh ist ein preisgekrönter arabisch-israelischer Journalist und TV-Produzent.