Kanzlerin Angela Merkel hat einen türkischen Einwanderer zum Vizepräsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) ernannt. Foto: Das Gebäude des BfV in Berlin. (Foto: Wo st 01/Wikimedia Commons) |
Ein türkischer Einwanderer wird von Bundeskanzlerin Angela Merkel mit dem zweithöchsten Amt im Inlandsgeheimdienst, dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), betraut.
Als der neue Vizepräsident des BfV wird Sinan Selen, ein 46 Jahre alter in Istanbul geborener Experte für Terrorismusbekämpfung, der erste Muslim, der eine Spitzenposition in einem deutschen Geheimdienst bekleiden wird.
Die Ernennung erfolgt nur wenige Wochen nachdem Merkel den BfV-Präsidenten Hans-Georg Maaßen feuerte, weil er öffentlich die Anti-Masseneinwanderungs-Partei Alternative für Deutschland (AfD) gegen Angriffe von Merkel und ihrem kleineren Koalitionspartner SPD verteidigt hatte.
Mit der Wahl Selens scheint Merkel mehrere Ziele zu verfolgen. Erstens scheint sie zu versuchen, ihre ins Schwimmen geratene Regierung zu retten, indem sie die SPD besänftigt, die verlangt hatte, dass der Verfassungsschutz anfängt, die AfD zu beobachten, und zudem mehr Personen mit "Migrationshintergrund" in Führungspositionen des Bundes fordert.
Die Ernennung Selens scheint auch ein symbolischer Schritt zu sein, der auf eine Annäherung an Deutschlands türkische Gemeinde zielt, die sich seit langem über "institutionalisierten Rassismus" im deutschen Sicherheitsapparat beschwert. Und schließlich scheint Merkel, indem sie einen ethnischen Türken ernennt, auch zu versuchen, den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan zu beruhigen, der sie wiederholt dazu gedrängt hatte, gegen antitürkische kurdische Elemente in Deutschland vorzugehen.
Selen, der an der Universität Köln Jura studiert hat, begann seine Karriere im Jahr 2000 im Bundeskriminalamt (BKA), wo er es bis zum Leiter der Einheit für Antiterrorermittlungen brachte. 2006 wurde er Vizepräsident der Bundespolizei. 2011 wurde er zum Chef der der Antiterrorabteilung des Bundesinnenministeriums ernannt.
Im Mai 2016 berichtete Die Welt, Merkel habe Selen – offenbar auf Geheiß Erdogans – zum Führer einer speziellen Antiterroreinheit im Bundesinnenministerium ernannt. Dieses Zugeständnis war Teil des Migrantenabkommens zwischen der EU und der Türkei von März 2016, das den Strom von Migranten aus der Türkei nach Griechenland stoppen sollte. In einem ausführlichen Artikel, der sich mit Erdogans wachsendem Einfluss auf Merkel beschäftigt, schrieb Die Welt:
"Die Bundesregierung geht ... so weit, ihre interne Organisationsstruktur umzubauen, um sie türkischen Wünschen anzupassen. Mit den Türken wird nämlich ein 'neuer gemeinsamer Mechanismus in der Bekämpfung des Terrorismus' vereinbart und mit Sinan Selen sogar ein türkischstämmiger Referatsleiter aus dem Bundesinnenministerium als Zuständiger ernannt."
"Selen ist ein erfahrener Beamter, der vor allem im Bereich der organisierten Kriminalität gearbeitet hat; aber das für ihn ein solch exponierter Posten geschaffen wird, hat nur einen Grund: Die Türken sollen zumindest glauben, künftig mit einem der ihren zu sprechen, wenn sie mit der Bundesregierung über Terrorbekämpfung verhandeln."
Als Leiter dieser Abteilung war Selen der wichtigste Ansprechpartner für hochrangige türkische Sicherheitsbeamte und fädelte ein bilaterales Abkommen zur Verbesserung der Geheimdienstkooperation und des Informationsaustausches ein. Dass Merkel Selen zum stellvertretenden Verfassungsschutzpräsidenten ernannt hat, sehen türkische Kommentatoren als Zeichen, dass sie in Sicherheitsangelegenheiten weiter mit der Erdogan-Regierung zusammenarbeiten will.
In der deutschen Bloggerszene spekulieren manche über Selens ideologischen Hintergrund. Bekannt ist, dass Selen in seiner gesamten Behördenkarriere resolut gegen islamische Fundamentalisten in Deutschland eingetreten ist. Zudem stand er an der Spitze der Bemühungen des Bundesamtes für Verfassungsschutz, die türkischen Nationalisten von Milli Görüs (türkisch für "nationale Sicht") – einer einflussreichen islamistischen Bewegung, die die Integration von Muslimen in die europäische Gesellschaft entschieden ablehnt – zu beobachten.
Der Wechsel an der Spitze des Verfassungsschutzes wurde ausgelöst durch die Affäre um ein Handy-Video, das angeblich zeigt, wie ein rechter Mob nach dem Mord an einem Deutschen in Chemnitz durch zwei abgelehnte Asylbewerber Migranten attackiert. Die Proteste waren ausgebrochen, nachdem ein 35-jähriger Deutsch-Kubaner namens Daniel Hillig während des jährlichen Stadtfestes in Chemnitz am 26. August von zwei Migranten erstochen worden waren.
Die Polizei weigerte sich anfänglich, die Identität der Täter offenzulegen, doch am 27. August sickerte ein Polizeibericht an die Öffentlichkeit – von deutschen Websites wurde er inzwischen entfernt, er ist aber auf einer russischen Website noch zu finden. Aus diesem Bericht geht hervor, dass es sich bei den Mördern um illegale Einwanderer aus dem Irak und Syrien handelt. Beiden war trotz ihres umfangreichen Vorstrafenregisters erlaubt worden, sich frei auf deutschen Straßen zu bewegen. Die Polizei bestätigte später die Echtheit des an die Öffentlichkeit gedrungenen Polizeiberichts und kündigte Ermittlungen wegen "Verrats von Dienstgeheimnissen" an.
Über mehrere Tage gingen Tausende von Menschen auf die Straße, um sowohl gegen den Mord als auch gegen die Tatenlosigkeit der Regierung angesichts der grassierenden Migrantenkriminalität zu protestieren. Die Proteste brachten ein breites Spektrum der deutschen Gesellschaft zusammen, darunter Mitglieder der sogenannten "rechtsradikalen Szene" und Gegendemonstranten.
Gegen Ende von einem der Umzüge wurden einige der Demonstranten gewalttätig und fingen an, in der Nähe stehende Migranten zu beschimpfen. Dieser Vorfall änderte den von den Medien verbreiteten Narrativ; aus einem Protest von Deutschen gegen Migrantenkriminalität wurden rechtsextreme Angriffe auf unschuldige Migranten.
Kaum ein deutscher Mainstreampolitiker verurteilte den Mord an Hillig. Dafür waren alle schnell dabei, die Angriffe auf Migranten zu verurteilen.
Am 27. August verurteilte Merkels Sprecher Steffen Seibert in einer Pressekonferenz der Bundesregierung "Hetzjagden auf Menschen anderen Aussehens, anderer Herkunft" auf den Straßen von Chemnitz. Kanzlerin Merkel schloss sich dem an:
"Wir haben Videoaufnahmen darüber, dass es Hetzjagden gab, dass es Zusammenrottungen gab, dass es Hass auf der Straße gab, und das hat mit unserem Rechtsstaat nichts zu tun."
Später kam ans Licht, dass alle Behauptungen der Regierung auf einem einzigen 19-sekündigen Video mit dem Titel "Menschenjagd in Chemnitz" basierten, das auf Facebook von einer "antifaschistischen" Gruppe namens Antifa Zeckenbiss verbreitet und später vom öffentlich-rechtlichen Fernsehsender ARD ausgestrahlt worden war.
Das Video zeigt einfach nur, wie eine Person eine andere verfolgt, in einer Situation, die offenbar ein einzelner Vorfall ist. Das Narrativ aber war schon ins Rollen gebracht.
Der Vorsitzende des Innenausschusses des Deutschen Bundestages, Burkhard Lischka (SPD), warnte vor der Gefahr eines Bürgerkriegs:
"Es gibt in unserem Land einen kleinen rechten Mob, der jeden Anlass zum Vorwand nimmt und nehmen wird, seine Gewaltphantasien von bürgerkriegsähnlichen Zuständen auf unsere Straßen zu tragen. Dass im Bundestag eine Partei diese Exzesse gegen ausländische Mitbürger als gerechtfertigte Selbstjustiz beklatsche, dass die Mehrheit unseres Landes noch viel lauter werden muss, wenn es um Rechtsstaat, Demokratie und Zusammenhalt in unserer Gesellschaft geht."
Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann (SPD) verlangte, der Verfassungsschutz müsse die AfD beobachten:
"Die Flüchtlingsfrage spaltet die Gesellschaft und die AfD reitet immer radikaler auf dieser Welle."
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) entgegnete, er sehe keine Grundlage für eine Beobachtung der AfD. Am Rande eines Treffens seiner Partei, das hinter verschlossenen Türen in Brandenburg stattfand, verteidigte Seehofer die Chemnitzer Demonstranten: "Wenn sich Leute empören, macht sie das noch lange nicht zu Nazis." Seehofer fügte hinzu: "Mutter aller Probleme ist die Migration."
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) widersprach später den Behauptungen der Bundesregierung: "Es gab keinen Mob, es gab keine Menschenjagd, es gab kein Pogrom in der Stadt."
Der Sprecher von Sachsens Generalstaatsanwaltschaft, Wolfgang Klein, fügte hinzu: "Nach allem uns vorliegenden Material hat es in Chemnitz keine Hetzjagd gegeben."
Nachdem er aufgefordert worden war, seine Behauptungen zu korrigieren, legte Seibert nach:
"Ich werde hier keine semantische Debatte über ein Wort führen. Wenn die Generalstaatsanwaltschaft das sagt, dann nehme ich das natürlich zur Kenntnis. Es bleibt aber dabei, dass Filmaufnahmen zeigen, wie Menschen ausländischer Herkunft nachgesetzt wurde und wie sie bedroht wurden. Es bleibt dabei, dass es Äußerungen gab, die bedrohlich waren, nah am Aufruf zur Selbstjustiz. Also da gibt es aus meiner Sicht auch nichts kleinzureden."
Wie Seibert weigerte sich auch Merkel, einen Rückzieher zu machen:
"Wir haben Bilder gesehen, die sehr klar Hass und damit auch die Verfolgung unschuldiger Menschen gezeigt haben. Davon muss man sich distanzieren. Das ist alles, was es zu sagen gibt."
Am 7. September dann weckte Maaßen Zweifel an der Echtheit des Videos:
"Es liegen keine Belege dafür vor, dass das im Internet kursierende Video zu diesem angeblichen Vorfall authentisch ist. Nach meiner vorsichtigen Bewertung sprechen gute Gründe dafür, dass es sich um eine gezielte Falschinformation handelt, um möglicherweise die Öffentlichkeit von dem Mord in Chemnitz abzulenken."
Maaßens Weigerung, den falschen Narrativ der Regierung zu stützen, entfesselte eine Welle wütender Empörung von Merkel und ihren Koalitionspartnern in der SPD.
Am 18. September wurde Maaßen aus dem Verfassungsschutz entlassen, doch der Bundesinnenminister Horst Seehofer stand hinter Maaßen und beförderte ihn zum Staatssekretär im Innenministerium.
Am 5. November jedoch wurde Maaßen ganz aus dem Regierungsdienst entfernt, nachdem er gegenüber anderen europäischen Geheimdienstchefs eine Rede hinter verschlossenen Türen gehalten hatte. Darin verurteilte er die "naive und linke" Politik von Merkels Regierung und fügte hinzu, "linksradikale Kräfte" in der SPD seien entschlossen, ihn aus dem Amt zu jagen:
"Da ich in Deutschland als Kritiker einer idealistischen, naiven und linken Ausländer- und Sicherheitspolitik bekannt bin, war dies für meine politischen Gegner und einige Medien auch Anlass, um mich aus meinem Amt zu drängen. Jedenfalls kann ich mir auch ein Leben außerhalb des Staatsdienstes zum Beispiel in der Politik oder in der Wirtschaft vorstellen."
Die Sozialdemokraten begrüßten Maaßens Rauswurf. "Das war lange überfällig", sagte SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil. Maaßen habe seinen "Hang zu rechten Verschwörungstheorien" auch in den letzten Tagen wieder "eindrücklich demonstriert".
Unterdessen berichtete Deutschlands bekannter Blog Tichys Einblick am 16. November, es habe die Person, die das Video aufgenommen hat, ausfindig gemacht und befragt:
"Eine Hetzjagd am 26. August 2018 in Chemnitz gab es nicht. ... Die Recherchen bestätigen die Aussagen von Hans-Georg Maaßen, der als Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz inzwischen geschasst wurde, weil er ... genau dies bestritten und damit der Bundeskanzlerin in die Quere gekommen war: Eine Hetzjagd läßt sich aus diesem angeblichen Beweisstück nicht ableiten. Es handelt sich um eine gezielte Falschinformation. Er wagt es, der Bundeskanzlerin zu widersprechen. Die Folge: eine Regierungskrise."
Laut Tichys Einblick bietet das Video ein unvollständiges Bild dessen, was wirklich vorgefallen ist. Es ist von einem deutschen Paar gedreht worden, das am Trauerzug für Hillig teilgenommen hatte, als dieser von Migranten attackiert wurde. Das Video zeigt jemanden, der sich gegen die Migranten zur Wehr setzt. Mit anderen Worten: Das Video dokumentiert, wie Migranten Deutsche angreifen und nicht wie Deutsche Migranten "jagen".
Das von den Hütern des deutschen Multikulturalismus falsch interpretierte Video setzte eine Welle der Hysterie politischer Korrektheit in Gang, die die Regierung in einen "permanenten Krisenmodus" stürzte und dazu führte, dass Maaßen gefeuert wurde, weil er sich weigerte, sich einzureihen.
Maaßens Nachfolger, Thomas Haldenwang, hat bereits angekündigt, dass sich das Bundesamt für Verfassungsschutz unter seiner Führung auf den "Rechtsextremismus" fokussieren werde. In einer am 16. November gehaltenen Ansprache vor dem Parlamentarischen Kontrollgremium (PKGr) des Deutschen Bundestages sagte Haldenwang – vormals die Nummer zwei im BfV, dessen Posten nun von Selen übernommen wird –, dass der Verfassungsschutz, obwohl der islamistische Terrorismus die größte Gefahr für die Sicherheit Deutschlands darstelle, "die mögliche Herausbildung rechtsterroristischer Strukturen fest auf dem Radar" behalten werde. Er versprach zudem, eine Beobachtung der AfD zu "prüfen".
Soeren Kern ist ein Senior Fellow des New Yorker Gatestone Institute.