(Foto: Chris McGrath/Getty Images) |
Am 13. September protestierte eine Gruppe von Islamisten auf dem Beyazit-Platz in Istanbul gegen den französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Sie hielten Plakate mit der Warnung, dass Macron und die Satirezeitschrift Charlie Hebdo "einen hohen Preis zahlen werden".
Die Demonstranten verurteilten Macron für seine Haltung, mit der er Charlie Hebdos Entscheidung unterstützte, Karikaturen des islamischen Propheten Mohammed erneut zu veröffentlichen und Frankreichs Bekenntnis zur Meinungsfreiheit. Ausserdem verurteilten sie Macrons Unterstützung für Griechenland im Hinblick auf die eskalierende türkische Aggression im östlichen Mittelmeerraumwährend der anhaltenden Krise zwischen Griechenland, der Türkei und Zypern.
Charlie Hebdo war zusammen mit einem koscheren Supermarkt in Paris das Ziel eines Massakers islamistischer Attentäter im Januar 2015. Die Zeitschrift hat kürzlich die Bilder nachgedruckt, um den Beginn des Prozesses Anfang dieses Monats gegen mutmassliche Komplizen am Massenmord zu unterstreichen.
"Es steht dem Präsidenten der Republik niemals zu, über die redaktionelle Wahl eines Journalisten oder einer Nachrichtenredaktion zu urteilen, niemals", sagte Macron. "Weil wir Pressefreiheit haben", sagte Macron.
Macron gedachte auch derer, die bei dem Terroranschlag 2015 ermordet wurden. "Wir alle denken an die Männer und Frauen, die auf diese feige Art und Weise getötet wurden", sagte er, "weil sie zeichneten, schrieben, weil sie korrigierten, weil sie da waren um zu helfen, um zu befreien, weil sie Polizisten waren."
Türkische Islamisten waren jedoch empört. So berichten türkische Medien:
"Der Protest [in Istanbul], der mit der Rezitation des Koran begann, setzte sich mit den Äusserungen verschiedener Redner zu diesem Thema fort. Die Demonstranten riefen Parolen wie "Nieder mit den Vereinigten Staaten", "Nieder mit Israel", "Nieder mit Frankreich", "Nieder mit den Briten", "Nieder mit den kollaborierenden Verrätern", "die kollaborierenden Verräter werden zur Rechenschaft gezogen", "die tyrannischen Saudis werden zur Rechenschaft gezogen" und "die Hände [bei dem Versuch] dem Koran zu schaden, sollen zerschlagen werden", um nur einige zu nennen.
Auf ihren Plakaten ist ebenfalls zu lesen: "Makron wird einen hohen Preis zahlen", "Charlie Hebdo wird einen hohen Preis zahlen", "das Mittelmeer wird ein Grab Frankreichs sein", "Jerusalem ist unsere Seele; wir sind bereit, unser Blut dafür zu opfern", "arabische Zionisten, die Palästina verkauft haben, werden zur Rechenschaft gezogen" und "wir sind bereit, unser Leben für dich, den Gesandten Allahs [Mohammeds], zu opfern"."
Viele Redner äusserten sich besonders feindselig gegenüber dem Westen und Israel. "Der Westen", so Imam Cemal Çınar, "hat sich nie zivilisiert verhalten – weder gestern noch heute."
Ekrem Ekşi, einer der Redner bei der Demonstration, nannte Macron "den gehörnten Teufel".
"Der westliche Imperialismus und der Zionismus, deren ganze Vergangenheit voller Angriffe gegen die Heiligkeit des Islam ist, zeigten erneut ihre schmutzigen Hände, indem sie die Arroganz zeigten, den Propheten des Islam und den heiligen Koran anzugreifen. Zusätzlich zu der Verbrennung und Beleidigung des Korans in Schweden hatte die berüchtigte Zeitschrift Charlie Hebdo in Frankreich die Unverfrorenheit, erneut die teuflischen Karikaturen zu veröffentlichen, die die Persönlichkeit unseres heiligen Propheten angriffen. Auch der französische Präsident Macron unterstützte diese abscheulichen Angriffe und Beleidigungen, indem er sie als "Meinungsfreiheit" bezeichnete. Die Verderbtheit, die dieser gehörnte Teufel namens Macron in letzter Zeit gezeigt hat, insbesondere die Spiele, die er gegen unser Land über dem östlichen Mittelmeer zu spielen versucht, offenbart ihre imperialistischen, kolonialen und Kreuzfahrergesichter."
Während sich türkische Erkundungs- und Bohrschiffe in den Hoheitsgewässern Griechenlands und Zyperns auf der Suche nach Gas befinden, hat Frankreich seine Marine zur Unterstützung Griechenlands entsandt. Am 10. September empfing Macron auf Korsika die Staats- und Regierungschefs von sechs Mittelmeeranrainerstaaten der Europäischen Union, um die jüngsten Entwicklungen zu erörtern.
"Die Türkei ist nicht länger ein Partner in dieser Region", zitierte die Associated Press Macron. Die Europäer müssen "klar und standhaft sein, nicht mit der Türkei als Nation und Volk, sondern mit der Regierung von Präsident Erdoğan, die inakzeptable Massnahmen ergriffen hat."
Macron erklärte, die sieben EU-Staats- und Regierungschefs wollten "eine Eskalation vermeiden, aber das bedeutet nicht, dass wir passiv sein sollten". Er fügte hinzu:
"Wir müssen mit der türkischen Regierung hart sein und nicht mit dem türkischen Volk, das Besseres verdient als die Regierung Erdogan. Alle einseitigen Aktionen der Türkei, wie das türkisch-libysche Memorandum, ohne die Rechte Griechenlands zu respektieren, sind inakzeptabel.
Wir sprechen über die Achtung des Völkerrechts. Wir wollen eine weitere Eskalation vermeiden, das Ziel ist ein Abkommen, aber unter bestimmten Bedingungen, und die Türkei muss ihre Absichten klären. Wir Europäer müssen auf die roten Linien schauen, um einen fruchtbaren Dialog mit der Türkei wieder aufzunehmen, denn es gibt keine andere Wahl. Europa muss daher eine kohärentere Stimme und eine einheitlichere Haltung einnehmen."
Die Staats- und Regierungschefs der EU forderten die Türkei auf dem Gipfel nachdrücklich auf, "einseitige und illegale Aktivitäten" im östlichen Mittelmeer zu beenden und den Dialog wieder aufzunehmen, um die Spannungen in der Region abzubauen. In der Schlusserklärung der Staats- und Regierungschefs hiess es:
"Wir bedauern, dass die Türkei nicht auf die wiederholten Aufforderungen der Europäischen Union reagiert hat, ihre unilateralen und illegalen Aktivitäten im östlichen Mittelmeer und in der Ägäis zu beenden. Wir bekräftigen unsere Entschlossenheit, alle angemessenen Mittel, die der Europäischen Union zur Verfügung stehen, als Reaktion auf diese konfrontativen Aktionen einzusetzen. "
Erdogans Regierung antwortete in mehreren Erklärungen, die sich gegen Macron richteten. Das türkische Aussenministerium schrieb in einer Pressemitteilung:
"Der französische Präsident Macron gab wieder einmal eine arrogante Erklärung mit seinen alten kolonialen Reflexen ab, als wolle er mit einer hochmütigen Haltung Unterricht erteilen. Tatsächlich sind Macrons Äusserungen eine Manifestation seiner eigenen Inkompetenz und Verzweiflung."
Erdogan selbst reagierte am 12. September auf die Kritik Macrons:
"Ich möchte seinen Namen nicht nennen, aber ich muss es tun, weil er mich sehr verwirrt. Er sagt: 'Wir haben kein Problem mit der türkischen Nation, sondern mit Erdogan. Herr Macron, Sie werden noch viel mehr Probleme mit mir haben. Ich habe es Ihnen schon oft gesagt, aber Sie hören nicht zu. Ich habe Ihnen gesagt, dass Sie keine Geschichtskenntnisse haben. Sie kennen nicht einmal die Geschichte Frankreichs. Legen Sie sich nicht mit der türkischen Nation an. Legen Sie sich nicht mit der Türkei an. Die Geschichte Afrikas ist im Grunde die Geschichte Frankreichs. Sie haben in Algerien eine Million Menschen getötet. Sie haben 800.000 Ruander getötet. Sie können uns keine Lektion in Sachen Menschlichkeit erteilen. Lernen Sie zuerst dies. Ich habe ihm diese Dinge auch persönlich gesagt. Ich habe ihm gesagt: "Du kennst die Geschichte nicht". Wir [die Türken] haben nicht das Nasenbluten einer einzigen Person verursacht. Wir haben ihnen dort [in Afrika] nur humanitäre Unterstützung und Hilfe geleistet."
Erdogans Worte sind bestenfalls ein Beispiel für Geschichtsrevisionismus. Die Osmanen fielen in der Tat mit Kriegen und Massakern in Nordafrika ein – auf dieselbe Weise, wie sie in Teile Europas eingedrungen sind. Auf seinem Höhepunkt in den 1500er Jahren besetzte das Osmanische Reich ein Gebiet, das nicht nur seine Basis in Kleinasien, sondern auch einen Grossteil des Nahen Ostens, Nordafrika, Südosteuropa einschliesslich Griechenland und des Balkans umfasste. Die Osmanen eroberten diese Länder nicht mit Blumen in ihren Händen. Die Eroberungen waren das Ergebnis blutiger Militärkampagnen. Christliche und jüdische Eingeborene in den eroberten Ländern wurden dann zu "Dhimmis", zweitklassigen, "tolerierten" und unterdrückten Untertanen des Reiches gemacht. Sklaverei war auch im osmanisch besetzten Afrika eine gängige Praxis. Wie die Journalistin Niki Gamm in ihrem Artikel "Afrikanische Sklaven im Osmanischen Reich" für die türkische Zeitung Hurriyet im Jahr 2014 schrieb, war die Sklaverei auch im osmanischen Reich weit verbreitet:
"Sklaven konnten im Krieg, durch Kauf, Schenkung oder Erbschaft erworben werden. Afrikanische Sklaven galten als recht wertvoll und kamen in der Regel aus Zentralafrika. Ab dem 16. Jahrhundert standen Ägypten und der grösste Teil der Arabischen Halbinsel unter osmanischer Kontrolle, und im 17. Jahrhundert übernahmen die Osmanen die Region Fezzan, wodurch sie besseren Zugang zu afrikanischen Sklaven erhielten."
Die Verfolgung der Osmanen gegen ihre eroberten Völker hinterliess ein Erbe, das nicht nur in Europa, sondern auch in den arabischen und afrikanischen Ländern breite Kritik hervorruft. Die Gemeinde Riad in Saudi-Arabien beispielsweise entfernte im Juni das Strassenschild mit dem Namen des osmanischen Sultans "Suleiman der Prächtige" von einer ihrer Strassen. Die Arab Weekly berichtete darüber:
"Diese Entwicklung war zum grossen Teil eine Reaktion auf die türkische Intervention in Syrien und Libyen und den projizierten Wunsch des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, den Einfluss seines Landes wie zu Zeiten des Osmanischen Reiches in der Region durchzusetzen...
"Genauso wie die Armenier eine Entschädigung für die osmanischen Verbrechen verlangten, haben arabische Vertreter begonnen, gegen den osmanischen Kolonialismus vorzugehen und eine türkische Entschuldigung für die von den Osmanen in den Ländern der Levante und des Maghreb [Nordafrika] verübten Massaker zu fordern und diesen Kolonialismus für die Rückständigkeit verantwortlich zu machen, die die Region seit Jahrhunderten blockiert hat."
Die Regierung Erdogan scheint jedoch fälschlicherweise zu glauben, dass das osmanische Erbe, in den ehemals vom Osmanischen Reich besetzten Gebieten geachtet wird. Im Einklang mit diesem Irrglauben sagte Erdogan am 12. September:
"Macron, Du bist im Begriff zu gehen. Du wirst [nach den kommenden französischen Wahlen] gehen. Was habe ich dir vor einigen Jahren gesagt? In einem Telefongespräch sagte ich dir... ...dass du zuerst Geschichte lernen musst... Wir Osmanen haben als Osmanen den Frieden an diese Orte [in Afrika] gebracht. Wir brachten die Menschlichkeit dorthin. Zuerst muss man diese Dinge lernen. Natürlich kann er das nicht verdauen. Deshalb dreht er durch."
Als eine Gruppe französischer Intellektueller 2018 ein "Manifest gegen den neuen Antisemitismus" veröffentlichte, wetterte Erdogan gegen das Dokument und seine Unterzeichner:
"Je mehr wir die westlichen Länder vor Islamfeindlichkeit, Türkenfeindlichkeit, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus warnen, desto mehr bekommen wir einen schlechten Ruf. He, Westen! Schau! ...wer bist du, dass du unsere heiligen [Werte] angreifst? Wir wissen, wie verabscheuungswürdig ihr seid..."
Das aktuelle Problem ist grösser als die Verstösse der türkischen Regierung gegen die Hoheitsgewässer und den Luftraum Griechenlands oder die fortgesetzte Besetzung Nordzyperns oder die Androhung der massenhaften muslimischen Einwanderung oder islamistischer Terroristen nach Europa, neben anderen feindlichen Aktionen. Das Problem besteht unter anderem darin, dass Erdogan in der Gesellschaft Hass und Feindseligkeit gegen Europa und den Rest des Westens schürt. Diese Haltung ist weder für die Kandidatur der Türkei für die Europäische Union noch für ihre NATO-Mitgliedschaft geeignet.
Uzay Bulut, ist eine türkische Journalistin. Sie ist Distinguished Senior Fellow des Gatestone Institute