Palmsonntag ist normalerweise ein freudiges Ereignis im christlichen Jahr. Kirchen können mit Palmenzweigen geschmückt werden, während Gläubige das Jubeln der Massen beim Einzug Jesu in Jerusalem vor zweitausend Jahren nachahmen.
Eine bestimmte Jerusalem Kirchengemeinde war überrascht, dass das Thema ihrer Gebete in diesem Jahr anders ausfallen sollte: "Ende der Besatzung." Warum? Weil Palmsonntag auf den 24. März fiel und "alle Kirchen in Palästina und Israel für das Ende der Besatzung am vierundzwanzigsten eines jeden Monats beten." Wenn Ostersonntag auf den 24. März gefallen wäre, wäre vermutlich auch das "Ende der Besatzung" das Tagesthema gewesen anstelle der Auferstehung.
Einige Nachfragen ergeben, dass es weitab der Wahrheit ist, dass "alle Kirchen in Palästina und Israel" in diesen Plan involviert waren. Andere Kirchen hatten keine Kenntnis davon. Man würde meinen, dass die anglikanischen Kathedrale, einst die Bühne von Naim Ateek, der erste wäre, daran teilzunehmen. Doch nein, es gab eine begeisterte Feier mit einem Opernsänger; aber keinen Schwerpunkt auf "die Besatzung." Ateek wurde vor langer Zeit pensioniert und die Pensionierungsbedingungen schlossen eine Einmischung in Kirchenangelegenheiten aus.
Eine Internetrecherche deutet auf den Lutherischen Weltbund LWB als Urheber dieses Plans hin, der sich hauptsächlich an lutherische Kirchen weltweit richtete. So veröffentlichte Susan C. Johnson, die aktuelle Nationalbischöfin der evangelisch-lutherischen Kirche Kanadas (ELCIC), einen Brief mit folgender Anweisung: "Ich schreibe Ihnen heute, um Sie zum Gebet für den Frieden im Nahen Osten an jedem 24sten jedes Monats aufzufordern…Diese Vigil wurde von der ACT Allianz initiiert, in der die Canadian Lutheran World Relief (CLWR) Mitglied ist…Diese Aufforderung zum Gebet wurde durch unserer Mitgliedschaft im Lutherischen Weltbund an die ELCIC herangetragen…"
Im engeren Sinne ist das Jerusalem Büro des LWB die mutmassliche Quelle. Eine Seite ihres Webauftritts gilt der besagten Gebetswache. Dort heisst es: "Das Jerusalem Programm des Lutherischen Weltbunds fordert die Brüder und Schwestern auf, sich weltweit dem Gebet für den Frieden am 24sten jedes Monats anzuschliessen. An Heiligabend 2012 lancierte das ACT Palestine Forum (APF) die ökumenische Gebetswache für Frieden im Nahen Osten. Diese globale Bewegung wird andauern, bis die israelische Besatzung abgebrochen, Gewalt im Nahen Osten beendet wird und alle eine gerechte und andauernde verhandelte Resolution des palästinensisch-israelischen Konflikts feiern können." Danach folgen detaillierte Anweisungen zur Anmeldung und Teilnahme.
Der Heiligabend fällt natürlich auf den 24. Dezember. Doch sowohl die ELCIC als auch die obengenannten Jerusalem Gemeinde scheinen erst im März davon erfahren zu haben. Vielleicht handelte es sich um einen obskure pro-palästinensische Unternehmung, die seit Monaten stagnierte und der LWB entschied, dieser einen Anstoss zu geben. Wenn dem so sein sollte, wird von Lutheranern weltweit erwartet, künftig ihre Weihnachten in Feiern zum "Ende der Besatzung" zu wandeln. Krippen und Krippenspiele werden out sein, Verhöhnung von israelischen Checkpoints und das Aufzeigen von brutalen israelischen Soldaten hingegen total in. Kleine Jungs werden wohl überzeugt werden, ihre geliebten Spielzeugpistolen mitzubringen und damit andere Kirchgänger zu schlagen.
Hier kommt die Millionenfrage: Was bedeutet das "Ende der Besatzung"? Wenn Palästinenser vom "Ende der Besatzung" reden, muss abgeklärt werden, welche Besatzung sie meinen – für gewöhnlich beziehen sie sich auf den Staat Israel selbst, in jeder Grenzformation, als "besetztes Palästina."
Das berüchtigte Kairos Palästina Dokument (KPD) ist zu diesem Punkt wesentlich bedeckter, wie von verschiedenen Seiten angemerkt wurde. So schreibt beispielsweise Michael Volkmann, verantwortlicher Pastor für den christlich-jüdischen Dialog der protestantischen Kirche Württembergs, in einem Artikel (September 2010), dass "die Zweistaatenlösung kein Thema für die Autoren" des KPD sei, es befürwortet eher die "Auflösung des jüdischen Staates statt Zweistaatenlösung…"
Folgender Abschnitt verdeutlich die Absicht des KPD: "Der Versuch, den Staat zu einem religiösen – jüdischen oder islamischen – Staat zu machen, nimmt ihm seine Bewegungsfreiheit, zwängt ihn in enge Grenzen und verwandelt ihn in einen Staat, der Diskriminierung und Ausgrenzung praktiziert und die einen Bürgerinnen und Bürger den anderen gegenüber privilegiert. Wir appellieren an beide, die religiösen Juden und die religiösen Muslime: Macht den Staat zu einem Staat für alle seine Bürger und Bürgerinnen, der auf der Achtung der Religion, aber auch der Gleichberechtigung, der Gerechtigkeit, der Freiheit sowie der Respektierung des Pluralismus gegründet ist, und nicht auf der Herrschaft einer Religion oder einer zahlenmäßigen Mehrheit."
Wie ich bereits in einer früheren Analyse des KPD (April 2010) schrieb, "wird ein unbedarfter Leser hier nicht bemerken, was einem aufmerksamen Leser nicht entgeht: die Verfasser wollen einen einzigen Staat, der Muslime, Juden und Christen gleichermassen umfasst. An keiner Stelle im Dokument wird der Begriff "Zweistaaten" verwendet. Gleichermassen wird der Begriff "Besatzung" beliebig verwendet, ohne jedoch eine klare Aussage zu machen, welch Gebiete als "besetzt" betrachtet werden. Dadurch vermittelt das Dokument verschiedene Botschaften an verschiedene Zielgruppen. Leichtgläubige Sympathisanten, die es gut meinen, könnten sich vorstellen, dass die Verfasser "zwei Staaten für zwei Völker" beipflichten, doch Insider können sich sicher sein, dass das ultimative Ziel, auch das alte ist – ein zentralistisches Palästina."
Somit frage ich nun: Betet der Lutherische Weltbund für Israels Verschwinden? Ich frage nicht, ob der LWB möchte, dass Israel verschwindet; das ist eine andere Frage. Es muss zu allererst geklärt werden, ob der LWB ein Gebet fördert, dessen Urheber sich darauf verstehen, das Verschwinden Israels anzudeuten.
Folgt man dem Link, der vom LWB angegeben wird, wird die Sache geklärt: das ACT Palestine Forum (APF). Als erste fällt einem auf, dass dies mit Sicherheit keine Initiative "aller Kirchen in Palästina und Israels" ist. Auf der Teilnehmerliste sind nur wenige Länder aufgeführt, und "Israel" sind lediglich zwei Teilnehmer und "Palästina" neun zugeordnet; die letzteren scheinen vornehmlich lutherisch oder Ableger des Weltkirchenrates zu sein. Die ausländischen Teilnehmer lassen sich hauptsächlich in diese zwei Kategorien einteilen. Deutschland, das Land mit der grössten lutherischen Bevölkerung, wird nicht einmal aufgeführt. Die Schweiz ebenso wenig.
Die relevante Seite macht eine mehrdeutige Aussage, wofür gebetet werden soll, und zitiert den LWB: "Diese globale ökumenische Gebetswache beginnt am 24. Dezember 2012 und wird weltweit am 24sten jedes Monats fortgesetzt bis die israelische Besatzung abgebrochen, die Gewalt im Nahen Osten beendet und alle eine gerechte und anhaltende ausgehandelte Lösung des palästinensisch-israelischen Konflikts feiern können." Welche israelische Besatzung, von 1967 oder 1948? Man kann nur raten. Eine "gerechte und anhaltende Lösung", die den Staat Israel existieren lässt? Auch hier muss man raten. Das Kairos Palästina Dokument ist auf dieser Seite unter Advocacy Resources aufgelistet. Ein Hinweis?
Auch stellt sich die Frage, wer Initiator dieses Plans war. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, doch sind zwei merkwürdige Zufälle besonders auffällig. Zum einen ist der gegenwärtige Präsident des LWB (seit 2010) Bischof Munib Younan von der evangelisch-lutherischen Kirche von Jordanien und dem Heiligen Land. Seine Kirche wird als Teilnehmerin dieses Plans aufgeführt. Zudem wurde Younan ursprünglich als Mitverfasser des KPD genannt, doch er wollte, dass sein Name entfernt wird. Pech für ihn, dass unzählige Internetseiten existieren, die weiterhin seine Verfasserschaft benennen, auch wenn die KPD Webseite seinen Namen gelöscht hat. Damit nicht behauptet werden kann, es handle sich um zionistische Fälschungen, ist ein Beispiel einer eindeutig pro-Palästina Webseite zu entnehmen. Falls auch dieses gelöscht werden sollte, findet sich hier ein weiteres Beispiel. Es gibt einfach zu viele Beispiele, als dass sie alle verschwinden könnten.
Ein weiterer Zufall ist, dass der LWB Jerusalem Program Senior Staff von Rev. Mark Brown geleitet wird. 1990 veröffentlichte das Middle East Council of Churches (MECC) eine "Gebetsoffensive für das palästinensische Volk, die von Palmsonntag, 8. April, bis Pfingsten, 3. Juni stattfinden soll" wie JTA berichtet. Damals lebte Brown als Menschenrechtsanwalt in Jerusalem mit Verbindungen zum MECC.
Die Gebetsoffensive war ein Gebet "aus Jerusalem", welches das MECC an Kirchen in der Region verschickte und forderte, dies möge am Palmsonntag in allen Kirchen verlesen werden. Dieses Gebet, wie später das KPD, übertrug allein Israel die Schuld an dem Konflikt. Wer das Gebet ursprünglich verfasst und ob es wirklich aus Jerusalem oder Genf kam, wurde nie bekannt.
Der Gebetsplan von 1990 war ein Flop. Die orthodoxen Kirchen vertraten die Auffassung, dass der Ablauf ihrer Palmsonntagsmesse vor Jahrhunderten festgelegt worden war und kein weiteres Gebet hinzugefügt werden könne. Das Gebet wurde dennoch verlesen und zwar von damaligen Lateinischen Patriarchen Michel Sabbah während der jährlichen Palmsonntagsprozession von Bethanien nach Jerusalem. Nach seiner Pensionierung, also als Privatmann, gehörte Sabbah zu den Mitverfassern und entschlossenen Verfechtern des KPD. Im Wikipedia-Eintrag zu seiner Person wird zufälligerweise Younan auch als Mitverfassers des KPD erwähnt.
Die eingangs erwähnte Jerusalem Gemeinde wurde damals von einem Pastor geleitet, der klugerweise dieser Thematik auswich, indem er eigene alternative Gebete verfasste; ein Gebet, dass nicht offensichtlich für Palästinenser oder Israelis Partei ergriff. Zurück in seiner Heimat fühlte er sich später zu Grösserem berufen. Sein gegenwärtiger Nachfolger war ein einfacheres Ziel, liebenswürdig und weniger ambitiös.
Zu jener Zeit erstaunten zwei Aspekte am MECC. Ein Grossteil seines Budget, etwa 40%, wurde für palästinensische Themen ausgegeben und seine Verwaltung war nicht für ihre Effizienz bekannt. Ich erinnere mich an eine Dame, die den ganzen Weg aus Japan mit einer Spende für das MECC gekommen ist. Sie verbrachte einige Tage auf Zypern, um dort einen Termin mit dem Verantwortlichen im MECC Hauptquartier zu bekommen. Sie gab auf und reiste nach Jerusalem weiter. Hier verteilte sie ihr Geld unter guten Sachen, die sie selber auswählte. Es überrascht wenig, dass das MECC später in Chaos verfiel und verschiedene Umstrukturierungen durchlief (2003 und 2011).
Ein weiteres Zauberstück, das ich selber bezeugt habe, unterstreicht die Delikatheit dieser Thematik. Am 11. März 1997 nahmen alle Primas der weltweiten anglikanischen Kirchengemeinschaft zu Beginn eines einwöchigen Treffens am Gottesdienst in Jerusalem teil. Naim Ateek ergriff die Gelegenheit beim Schopf und sprach ein langes Gebet, in dem er "das Ende der Besatzung" und die Schaffung eines palästinensischen Staates" erbat. Seine Vorstellung vom "Ende der Besatzung" ist altbekannt: die Vereinnahmung Israels in einen zentralistischen palästinensischen Staat oder regionalen Bund mit einer arabischen Mehrheit. Da er auf Arabisch sprach, antworteten alle Primas auf sein Gebet mit "Amen", ohne zu wissen, wozu sie Amen sagten. Damit erzielte Ateek zwar auf Erden einen kleinen Sieg, vom Himmel erhielt er aber keine Antwort.
In Anbetracht der Geschichte wäre der LWB gut beraten, seine Gebetswache zu überdenken. Erstens sollte es eindeutige Anweisungen geben, welche Gebetsformen akzeptabel sind. Besonders sollte betont werden, dass das Existenzrecht des Staates Israel und das Wohlbefinden seiner Bürger stets ausdrücklich erwähnt werden sollen. Das umfasst ein Verbot, für das "Recht auf Rückkehr" der palästinensischen Flüchtlinge zu beten, weil das lediglich ein simpler Euphemismus dafür ist, Israel in einen Staat mit arabischer Mehrheit einzuverleiben.
Zweitens sollte der LWB die Empfehlung aussprechen, das monatliche Datum für ein solches Gebet abzuändern, wenn der 24ste mit einem christlichen Fest oder Sonntag zusammenfällt. Es ist eine Unverschämtheit, dass zu Weihnachten und gelegentlich anderen Ereignissen im christlichen Kalender, der LWB die Teilnahme am Gottesdienst von der Annahme einer bestimmten politischen Meinung abhängig macht. Kirchgänger, die einer anderen Meinung sind, bleibt nur die Wahl, zu gehen oder fernzubleiben. Kein Christ sollte an einem Sonntag vor die Wahl gestellt sein, geschweige denn an Weihnachten.
Unter diesen Bedingungen könnte die Gebetswache des LWB vertretbar sein, obwohl ihre Zweckmässigkeit ein anderes Thema ist.