Die Ereignisse am vergangenen Dienstag in Ramallah, jener Stadt also, die als Bastion des palästinensischen Säkularismus und Mässigung gilt, dienen als Erinnerung, dass der radikale Islam auch hier Einzug erhalten hat.
Hunderte muslimische Fundamentalisten marschierten am Dienstag (04.09.) durch die Strassen, um den 92. Jahrestag zum Fall des Kalifats (Anm.: das osmanische Reich) zu begehen. Dieser Umzug wurde von der radikal-islamistischen Hizb-ut-Tahrir [Partei der Befreiung] angeführt, gegen die die PA in der Vergangenheit hart durchgegriffen hat. Nun wies die PA ihre Sicherheitskräfte an, nicht einzugreifen, während PA-Pressesprecher die Bemühungen von US-Aussenminister John Kerry verurteilten, die Friedensgespräche zwischen Palästinensern und Israel wiederzubeleben.
Hizb-ut-Tahrir ruft alle Muslime dazu auf, sich unter einem islamischen Staat mit islamischem Rechtssystem, Scharia und einem Kalifen, zu vereinen. Mitglieder des palästinensischen Ablegers organisierten diesen Umzug und gemeinsam mit ihren fundamentalistischen Anhängern beklagten sie die vor langer Zeit gefällten Entscheidung der Grossen Nationalversammlung im türkischen Angora (Anm.: heute Ankara), den Kalifen Abdul Medjd Effendi seines Amtes zu entheben und das Kalifat abzuschaffen.
Die Einwohner von Ramallah waren erstaunt, dass die PA Hunderten von islamischen Fundamentalisten die Erlaubnis erteilte, in ihrer Stadt zu marschieren in Szenen, die sich in den Stassen des von der Hamas kontrollierten Gazastreifens hätten abspielen könnten.
"Seit wann erlaubt die Palästinensische Autonomiebehörde Al-Qaida-Anhängern, Demonstrationen in unseren Städten zu veranstalten?" fragte ein palästinensischer Ladenbesitzer. Und ein palästinensischer Uni-Student, der Zeuge dieser Veranstaltung war, sagte: "Heute hatte ich das Gefühl in Syrien oder Gaza zu sein. Es ist merkwürdig, dass die PA, die Leute wegen kritischer Kommentare auf Facebook verhaftet, muslimischen Extremisten die Erlaubnis erteilt, durch Ramallah zu marschieren und zur Gründung eines Kalifats aufrufen."
In Sprechgesängen zur Wiederherstellung des Kalifats riefen islamistischen Fundamentlisten die islamischen Armeen auf, "nach Palästina zu marschieren, um die al-Aqsa-Moschee und den Rest von Palästina zu befreien." Weitere Parolen unterstützen jihadistische Terroristen, die in Syrien im Kampf gegen das Regime von Bashir al-Assad im Einsatz sind.
Baher Saleh, ein führendes Mitglied der Hizb-ut-Tahrir, sagte der Masse, dass es für die muslimischen Armeen an der Zeit sei, "die al-Aqsa-Moschee aus den Händen der dreckigen Juden zu befreien."
Saleh und andere Mitglieder der Organisation verurteilten auch die Führung der PA, weil sie versagt habe, ihre Ideologie zu befürworten und die islamische Welt für einen Krieg gegen Israel zu mobilisieren.
Funktionäre der Palästinensischen Autonomiebehörde haben keine Erklärung abgegeben, warum der Hizb-ut-Tahrir die Genehmigung erteilt wurde, eine Kundgebung für den Jihad [heiliger Krieg] gegen Israel abzuhalten; einer Organisation, deren Mitglieder vielfach von palästinensischen Sicherheitskräften im Westjordanland ins Visier genommen werden. Einige Palästinenser meinen, dass John Kerry damit eine Botschaft übermittelt werden sollte, wie die Herausforderungen und Gefahren aussehen, mit denen die PA konfrontiert ist. Spinnt man diesen Gedanken weiter, kommt man zum Schluss, dass die Führung der Palästinensischen Autonomiebehörde versucht, Geldgeber aus dem Westen mithilfe radikaler Muslime einzuschüchtern und zu zwingen, Geldgeber aus dem Westen zu zwingen, die Finanzhilfe an die Regierung im Westjordanland fortzusetzen oder gar zu erhöhen.
Doch gleichzeitig schiesst sich die PA damit in den eigenen Fuss. Denn Hizb-ut-Tahrir ist eine Organisation, die öffentlich die Führer der PA verschmäht, sie Verräter und Kollaborateure mit den Feinden des Islam nennt.