Der UN-Menschenrechtsrat (UNHRC) in Genf ist eine Organisation, die man wohl leicht kritisieren, über die man aber nur schwerlich eine Satire schreiben kann. Würde in einer normalen Welt jemand sagen, dass es in der Schweiz einen Ort gibt, wo das, was der Sudan, der Iran und einige andere der schlimmsten Diktaturen und Menschenrechtsverletzer über Menschenrechte sagen, mit Respekt und Achtung behandelt wird, würde man annehmen, das Drehbuch sei von Monty Python geschrieben worden. An einer Stelle würde Idi Amin auftreten und sich darüber verbreiten, wie man gleiche Bedingungen für Frauen am Arbeitsplatz schafft. Pol Pot träte auf, um diejenigen Länder zu geißeln, deren Lebensstandard noch nicht den Weltdurchschnitt erreicht hat.
Alles, was in Genf geschieht, ist jenseits der Satire. Doch letzte Woche gab es dort eine Vorstellung, die sogar gemessen an den bei der UNO herrschenden Verhältnissen ungeheuerlich ist. Dank der großartigen Organisation UN Watch kam heraus, dass Saudi-Arabien an die Spitze eines UNHRC-Gremiums gewählt wurde. Dieses Gremium wählt die Topfunktionäre aus, die die internationalen Menschenrechtsstandards bilden. Es hat die Aufgabe, über Menschenrechtsverletzungen auf der ganzen Welt zu berichten. Die fünf Mitglieder umfassende Botschaftergruppe, die Saudi-Arabien nun leiten wird, wird die Konsultativgruppe genannt und hat die Befugnis, Bewerber für 77 Posten weltweit auszuwählen, die mit Menschenrechtsangelegenheiten befasst sind. Wie es scheint, wurde die Ernennung von Saudi-Arabiens Gesandtem beim UNHRC, Faisal Trad, schon vor dem Sommer beschlossen, doch von den Diplomaten in Genf bis jetzt unter Verschluss gehalten.
Dass die Nachricht von dieser Ernennung erst Monate später durch eine undichte Stelle nach außen dringt, wirft die Frage auf, ob es im UNHRC, ganz entgegen der öffentlichen Wahrnehmung, doch noch ein Schamgefühl gibt. Warum hätte man es ansonsten nicht von den Dächern rufen sollen, dass Saudi-Arabien diese prestigeträchtige Position errungen hat? Warum wurde keine Presseerklärung veröffentlicht? Schließlich gibt es doch nichts, dessen sich Saudi-Arabien – und mit ihm der UNHRC – zu schämen hätte, oder doch?
Leider vergeht keine Woche, ohne dass Saudi-Arabien der Welt beweist, warum es zu Recht als eine der größten Kloaken für Menschenrechte gilt. Saudi-Arabien hat vielleicht im letzten Jahr mehr Menschen enthauptet als der Islamische Staat, doch selten nur wird dem international mehr als nur ein Funken Aufmerksamkeit gewidmet. Von Zeit zu Zeit schafft ein Fall es, die Weltmeinung zu erreichen, so wie der des Bloggers Raif Badawi, der wegen der "Beleidigung des Islam" zu zehn Jahren Gefängnis und 1.000 Peitschenhieben verurteilt wurde. Das Schicksal von Raif Badawi, der bereits den ersten 50 Peitschenhieben unterzogen wurde und im Gefängnis den Rest erwartet, hat international Aufmerksamkeit erregt und Saudi-Arabien Tadel eingebracht. Die Antwort des Königreichs bestand darin, "die Medienkampagne um den Fall" scharf zu verurteilen.
Doch das Auge der internationalen Meinung hat die saudischen Behörden sichtlich beunruhigt – eine Tatsache, die man sich merken muss. Es ist wahrlich nicht so, als hätten sie nichts zu verstecken. Jetzt wurde ein Fall bekannt, der mindestens ebensoviel Aufmerksamkeit verdient wie der Raif Badawis.
Ali Mohammed al-Nimr war erst 17 Jahre alt, als er 2012 in der schiitischen Provinz Katif von den saudischen Behörden im Zuge deren Vorgehens gegen Antiregierungsproteste verhaftet wurde. Ihm wurden die Teilnahme an verbotenen Protesten sowie Verstöße gegen das Schusswaffenrecht vorgeworfen – obwohl es für den letzteren Vorwurf keinerlei Beweise gibt. Der Kontakt zu einem Anwalt wird ihm verwehrt. Menschenrechtsgruppen behaupten, Al-Nimr sei gefoltert und in Untersuchungshaft zur Unterzeichnung eines Geständnisses gezwungen worden. Aktivisten vermuten, dass er ins Visier der Behörden geriet, weil er der Neffe von Scheich Nimr al-Nimr (53), einem Kritiker des Regimes, ist, der ebenfalls verhaftet und zum Tode verurteilt wurde. Nachdem er ein Geständnis abgelegt hatte und ihm der "Prozess" gemacht worden war, wurde Ali Mohammed al-Nimr von einem saudischen Sondergericht zum Tode verurteilt. Der Prozess selbst genügte keinerlei internationalen Standards. Al-Nimr legte gegen seine Strafe Berufung ein, doch diese wurde in dieser Woche abgelehnt. Es scheint nun wahrscheinlich, dass er und sein Onkel hingerichtet werden. Weil die ihm zur Last gelegten Verbrechen den saudischen König und den Staat betreffen, wird die Hinrichtungsart wahrscheinlich die Kreuzigung sein.
Würde dies den anderen Teilnehmern der Genfer UNHRC-Farce auch nur im geringsten Maß Kopfzerbrechen bereiten, dann könnten sie Trost daraus ziehen, dass die Kreuzigung in Saudi-Arabien nicht mehr das ist, was sie einmal war. Heutzutage beginnt die saudische Kreuzigung mit der Enthauptung des Opfers, erst danach wird der enthauptete Leichnam an einem Kreuz befestigt und öffentlich zur Schau gestellt. Das ist eine Strafe, die, wie es scheint, nicht nur im Einklang mit der Scharia steht, sondern – dass müssen wir folgern – im Einklang mit Genf.
Freilich war Ali Mohammed al-Nimr zum Zeitpunkt seiner Verhaftung noch keine 18 Jahre alt, so dass die saudischen Behörden sich nicht nur anschicken, jemanden zu kreuzigen – im Jahr 2015 –, den sie mit Folter zu einem Geständnis gezwungen haben, sondern jemanden, der zum Zeitpunkt seiner Festnahme minderjährig war. Womöglich ist es den Verantwortlichen in Genf tatsächlich ein wenig peinlich, einen saudischen Offiziellen an die Spitze eines ihrer Gremien zu stellen. Doch das scheint ihr Verhalten nicht zu beeinflussen. So wie die saudischen Behörden nicht die Auspeitschung von Menschen oder deren Enthauptung nebst anschließender Kreuzigung für das Problem halten, sondern lediglich die internationale Aufmerksamkeit, so scheint auch der UNHRC in Genf zu glauben, nicht ihre grotesken Ernennungen seien das Problem, sondern dass diese öffentlich bekannt werden könnten.
Die internationale Aufmerksamkeit, die dem Fall von Raif Badawi widerfuhr, hat bislang nicht zu dessen Freilassung geführt, aber offenbar dazu, dass die nächste Runde von Peitschenhieben aufgeschoben wurde. Was darauf hindeutet, dass die saudischen Behörden die Fähigkeit haben, in gewissem Maße Scham zu empfinden. Dies sollte jedem, dem Menschenrechte wichtig sind, etwas Hoffnung geben. Und es sollte jeden dazu anspornen, für mehr weltweite Beachtung für den Fall von Ali Mohammed al-Nimr und die vielen anderen zu sorgen, die unter einer Regierung und einem Justizsystem leiden, deren sich die Welt außerhalb von Genf in Grund und Boden schämen müsste, selbst wenn die Vereinten Nationen schamlos sind.