Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hat geschworen, ihre Einwanderungspolitik der offenen Tür fortzusetzen – trotz schwerer Verluste bei den jüngsten Landtagswahlen, die weithin als Referendum über just diese Politik betrachtet wurden.
Merkels CDU wurde in zwei der drei Bundesländer besiegt, in denen am 13. März abgestimmt wurde. Im Gegensatz dazu stieg die Alternative für Deutschland (AfD) – eine relativ neue Anti-Establishment-Partei, die Wahlkampf gegen Merkels liberale Migrationspolitik gemacht hat – in allen drei Bundesländern auf zweistellige Prozentergebnisse: in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt.
Auf einer Pressekonferenz, die im Anschluss an die Verkündigung der Wahlergebnisse stattfand, blieb Merkel trotzig.
Sie maßregelte die deutschen Wähler dafür, ihre Handhabung der Migrationskrise in Frage zu stellen: "Es gab Menschen, die haben gar nicht zugehört und sind wählen gegangen und haben einfach Protest gewählt, und das müssen wir durch Problemlösung, nicht durch theoretische Debatten, sondern durch Lösung der Probleme auch wieder beenden."
Die Wahlen waren die wichtigsten Abstimmungen seit Merkel es 2015 über einer Million Migranten aus Afrika, Asien und dem Nahen Osten erlaubt hatte, nach Deutschland einzureisen. In Deutschland sorgt Merkels Migrationspolitik für eine Krise der inneren Sicherheit – muslimische Migranten vergewaltigen und attackieren Frauen und Kinder, fast immer kommen die Täter ungeschoren davon.
Einwanderung ist zum dominierenden Thema der deutschen Politik geworden, und Merkels Weigerung, von ihrer Migrationspolitik der offenen Tür abzurücken, hat etliche ihrer traditionellen Unterstützer von ihr entfremdet; viele von ihnen wenden sich der AfD zu, um gegen das deutsche Pro-Einwanderungs- und Pro-EU-Establishment zu protestieren.
Die AfD wurde 2013 als euroskeptische Partei ins Leben gerufen, von deutschen Ökonomen, die sich für die Aufgabe der gemeinsamen europäischen Währung, den Euro, starkmachten, und gegen die finanziellen Rettungsschirme für verschwenderische Länder in der Eurozone wie Griechenland, Italien, Portugal und Spanien opponierten.
Seinerzeit wurde die AfD von Deutschlands Mainstreammedien zumeist lächerlich gemacht. So veröffentlichte die Rheinische Post etwa im Juli 2013 eine "Analyse", in der die AfD als die "glücklose Professoren-Partei" tituliert wurde, die "nicht viele Chancen" habe. Und doch ist es der AfD gelungen, sich bei Wahlen 2014 und 2015 Sitze in fünf von Deutschlands 16 Länderparlamenten zu sichern.
Nach einem internen Machtkampf übernahm Frauke Petry – eine aus Ostdeutschland stammende 40-jährige Chemikerin, Unternehmerin und Mutter von vier Kindern – im Juli 2015 die Parteiführung. Seither hat Petry den anfänglichen Fokus der Partei erweitert, von der Wirtschaft auf das Thema Einwanderung.
Für den politischen Status quo in Deutschland stellt die AfD – die in Umfragen nun drittstärkste Partei – eine signifikante Herausforderung dar. Wenn sie ihre Dynamik beibehält, dann dürfte sie bei den Bundestagswahlen 2017 die Fünfprozenthürde überwinden und in den Bundestag einziehen.
Das politisch nach links tendierende Nachrichtenmagazin Der Spiegel, das der AfD seit langem feindlich gegenübersteht, musste zugeben, dass der Partei der "Durchbruch" gelungen sei und sprach von einem "schwarzen Sonntag" für Merkel:
"Lange Zeit konnte sie hoffen, trotz aller Widerstände gegen ihre Flüchtlingspolitik, zwei Staatskanzleien im Südwesten des Landes zu erobern. Daraus wird nun nichts. Und Merkel wird mit dem Vorwurf leben müssen, es zugelassen zu haben, dass sich die AfD endgültig rechts der Union etabliert hat."
Die AfD-Vorsitzende Frauke Petry sagt, die Tatsache, dass ihre Partei große Erfolge in zwei westdeutschen Bundesländern verbuchen konnte, zeige, dass "die AfD eine gesamtdeutsche Partei ist und dass Bürger in allen Regionen Deutschlands einen Politikwechsel wollen". Auf Facebook fügte sie hinzu:
"Gestern haben wir einen ersten wichtigen Schritt in die richtige Richtung getan, die Kartelle der Konsensparteien aufzubrechen. Schon jetzt hat man mitgeteilt, dass man den Willen des Bürgers aber nicht akzeptieren wird. Es wird wohl die buntesten Koalitionen geben, nur damit man weiterhin an der Macht bleiben und die Wähler der AfD weiter ausgrenzen kann."
Petry bezog sich auf eine Äußerung von Merkels Sprecher Steffen Seibert, der gesagt hatte, Merkel werde trotz der Wahlpleiten keinen Kurswechsel beim Thema Einwanderung vornehmen:
"Die Bundesregierung verfolgt ihren flüchtlingspolitischen Kurs weiterhin mit aller Kraft im In- und Ausland. Innenpolitisch stehen wir dazu, den Menschen, die hier Schutz gesucht und Aufnahme gefunden haben, den Weg zur Integration zu ebnen. Auf europäischer Ebene muss das Ziel eine nachhaltig und gemeinsam abgestimmte europäische Lösung sein, die zu einer Verringerung der Flüchtlingszahlen in allen Mitgliedstaaten führt."
Auch CDU-Generalsekretär Peter Tauber wiederholte die Ansicht, dass es keine Alternative zu Merkels Migrationspolitik gebe: "Angesichts dessen, was wir schon erreicht haben, rate ich uns, auf diesem Weg weiter fortzufahren."
Einige deutsche Kommentatoren versuchen derweil, die Erfolge der AfD kleinzureden, indem sie argumentieren, dass Merkel, obgleich sie die Wahlen verloren hat, diese trotzdem gewonnen habe, da die Mehrheit der Deutschen für die Mainstreamparteien gestimmt habe. So schreibt Bernd Ulrich, ein Redakteur der Zeit:
"In der Hauptsache geht von diesen drei Wahlen eine ermutigende Botschaft aus, die ja faktisch als eine Art kleines Plebiszit über die Flüchtlingspolitik angesehen werden können. ... Zwei Drittel haben im Durchschnitt der drei Bundesländern für jene Parteien gestimmt, die die relativ liberale Flüchtlingspolitik von Angela Merkel unterstützen."
Auf "Spiegel online" argumentiert der Kolumnist Jakob Augstein:
"Angela Merkel ist am Sonntag ein unwahrscheinliches Kunststück gelungen: Ihre Partei wurde vernichtend geschlagen. Aber ihre Politik wurde bestätigt und ihre Position gestärkt. ... Wie steht denn die Kanzlerin nach diesem Wahlsonntag da? In Wahrheit gestärkt. Eine übergroße Mehrheit der Wähler [folgt] der Kanzlerin."
Für Augstein ist Merkel "die richtige Frau in der falschen Partei"; sie habe die CDU bei so vielen Politikfeldern, darunter die Einwanderungspolitik, vom rechten Zentrum nach links geführt, dass sie nun fast nicht mehr von ihrem Koalitionspartner, der SPD, zu unterscheiden sei. Was Augstein zu erwähnen unterlässt, ist, dass Merkels Bewegung nach links dafür verantwortlich ist, dass rechts von der CDU ein politisches Vakuum entstanden ist, das nun von der AfD gefüllt wird.
Unterdessen intensivieren die politischen und Medien-Eliten eine seit Monaten andauernde Kampagne, um die Wähler der AfD zu delegitimieren: als Agitatoren, Brandstifter, Rechtsextremisten, Faschisten, Nazis, Populisten und Fremdenfeinde.
Gleichzeitig produzieren die deutschen Medien Storys – von denen viele auf Hörensagen basieren –, die darauf zielen, die AfD zu diskreditieren: Eine Schlagzeile des Stern lautet: "Offenbar Nazi-Gesang bei AfD-Wahlparty" Der Berliner Kurier titelt: "Ex-Lehrer nennt AfD-Chefin Frauke Petry Lügnerin". Die Welt: "AfD Vorwürfe gegen AfD-Kandidatin wegen Escortservice". Berliner Morgenpost: "Touristiker in Sachsen-Anhalt bangen nach AfD-Coup um Gäste". Stern: "AfD und Donald Trump: Hauptsache hassen!" Die Zeit: "AfD: Grundsätze? Nicht so wichtig"
Am Tag der Wahl machte sich Die Zeit über das 70-Punkte-Programm der AfD lustig, indem sie es unter die folgenden Stichwörter fasste:
"Mehr Bürgerentscheide, mehr Überwachung, härtere Strafen, EU auflösen, Staat verkleinern, Steuern abschaffen, Sozialleistungen kürzen, Frauen zurück an den Herd, keine Frauenquoten, Ehescheidung erschweren, Abtreibung abschaffen, Grenzen schließen, Muslime schikanieren, Klima ruinieren, Atomenergie ausbauen, Bundeswehr ausbauen, mehr private Waffen etc."
Der mit Steuergeldern finanzierte öffentliche Fernsehsender ZDF sendete ein Interview mit Thomas Kliche, einem Psychologen, der die Wähler der AfD mit "Kindern" verglich, "die bockig und unvernünftig sind". Die einzige Art, mit ihnen zu verfahren, sei, "Geduld haben, die Blödheit ignorieren, das Vernünftige dagegensetzen".
Laut Kliche litten AfD-Wähler unter "makrosozialem Stress", den die "Globalisierung" (gemeint ist die Masseneinwanderung) verursache:
"Die Menschen reagieren darauf mit unterschiedlichen Formen der Schockbewältigung. Das beginnt mit rückwärtsgewandten, regressiven, also kindlichen Fantasien, alles könnte beim Alten bleiben. Etwa, indem man nur laut genug schreit, 'Wir sind das Volk' [der wichtigste Slogan der Antiregierungsproteste in Ostdeutschland 1989, mit dem die Herrscher daran erinnert wurden, dass Deutschland vom Volk regiert werden sollte, nicht von einer undemokratischen Partei, die vorgibt, das Volk zu repräsentieren; Anm. d. Verf.] dann verschwinde das Andere. ... [Sie haben] ja keine Lösungen, nur Fantasien. Einen Zaun bauen – das ist eine Fantasie. Sich abschließen, sich absondern von der Welt – das ist eine Fantasie."
Unterdessen hat Vizekanzler Sigmar Gabriel die deutschen Geheimdienste dazu aufgerufen, damit anzufangen, die AfD zu beobachten. So möchte Gabriel offenbar die Kritiker der Regierungspolitik zum Schweigen bringen. Gabriel – der Chef der SPD, die am 13. März ebenfalls deutliche Verluste erlitt – hat die AfD als Partei von "Rechtsextremisten" bezeichnet, die "die Sprache der Nazis verwendet". Gleichzeitig hat er gefordert, Deutschland solle sogar noch mehr Migranten aufnehmen, indem es sie mit einer Luftbrücke direkt im Nahen Osten abholt.
Im Gegensatz dazu sagt Horst Seehofer, der Vorsitzende der Christlich Sozialen Union (CSU), der Schwesterpartei der CDU in Bayern, der Aufstieg der AfD stelle "eine tektonische Verschiebung der politischen Landschaft in Deutschland" dar. Er warnte davor, dass tektonische Verschiebungen manchmal Erdbeben auslösen, die irreversible Veränderungen verursachen könnten.
Seehofer fordert von Merkel eine Kursänderung: "Es kann nicht sein, dass nach so einem Wahlergebnis die Antwort für die Bevölkerung ist: Es geht alles so weiter, wie es war."
Der CSU-Politiker Hans-Peter Uhl fasst es so zusammen: "Ich erwarte vom Kanzleramt ein klares Bekenntnis: Ja, wir haben verstanden. Wir kehren zu euch zurück. Die Politik muss zum Wähler kommen, nicht der Wähler zur Politik. Das nennt man Demokratie."
Merkel hat noch nicht gesagt, ob sie 2017 eine vierte Amtszeit anstreben wird.
Soeren Kern ist ein Senior Fellow des New Yorker Gatestone Institute und Senior Fellow für Europäische Politik der in Madrid ansässigen Grupo de Estudios Estratégicos / Gruppe Strategische Studien. Besuchen Sie ihn auf Facebook und folgen ihm auf Twitter. Anfang 2016 wird sein erstes Buch erscheinen: Global Fire.