Die Europäische Union (EU), in Partnerschaft mit Facebook, Twitter, YouTube und Microsoft, hat einen "Verhaltenskodex" enthüllt, um die Verbreitung von "illegaler Online-Hassrede" in Europa zu bekämpfen.
Die Befürworter der Initiative argumentieren, dass nach den jüngsten Terroranschlägen in Paris und Brüssel ein scharfes Vorgehen gegen "Hassrede" notwendig sei, um Online-Dschihad-Propaganda entgegenzutreten.
Die Gegner entgegnen, dass die Initiative ein Angriff auf die Redefreiheit in Europa darstellt. Sie sagen, dass die Definition von "Hassrede" und "Anstiftung zur Gewalt" der Europäischen Union so vage ist, dass es praktisch alles umfassen könnte, was von den europäischen Behörden als politisch inkorrekt eingestuft wird, einschliesslich Kritik an Massenmigration, Islam oder auch der EU selbst.
Einige Mitglieder des Europäischen Parlaments haben die EU-Online-Verhaltensregeln - die verlangen, dass "offensives" Material innerhalb von 24 Stunden aus dem Internet entfernt werden muss - als "Orwellianisch" charakterisiert.
Der "Verhaltenskodex" wurde am 31. Mai von der Europäischen Kommission, dem nicht gewählten Verwaltungsorgan der Europäischen Union, in einer Erklärung [nur auf Englisch verfügbar] angekündigt. Eine Zusammenfassung der Initiative folgt:
"Mit der Unterzeichnung dieses Verhaltenskodex verpflichten sich die IT-Unternehmen, weiterhin gegen illegale Hassrede im Internet vorzugehen. Dazu gehört die fortlaufende Entwicklung interner Verfahren und die Schulung von Mitarbeitern, damit die Mehrheit der stichhaltigen Anträge auf Entfernung illegaler Hasskommentare in weniger als 24 Stunden geprüft und diese erforderlichenfalls entfernt bzw. der Zugang dazu gesperrt werden kann."
"Die IT-Unternehmen werden sich außerdem um die Stärkung ihrer bestehenden Partnerschaften mit Organisationen der Zivilgesellschaft bemühen, die bei der Meldung von Inhalten helfen werden, mit denen zu Gewalt und Hass aufgerufen wird. Außerdem wollen die IT-Unternehmen und die Europäische Kommission ihre Arbeit zur Feststellung und Förderung eines unabhängigen Gegendiskurses [Hervorhebung hinzugefügt] sowie neuer Ideen und Initiativen fortsetzen und Bildungsprogramme, die zu kritischem Denken anregen, unterstützen."
Auszüge aus dem "Verhaltenskodex" umfassen [nur auf Englisch verfügbar, deshalb hier eine Übersetzung davon]:
"Die IT-Unternehmen teilen das Engagement der Europäischen Kommission und der EU-Mitgliedstaaten zur Bekämpfung von illegaler Online-Hassrede. Illegale Hassrede, wie durch den Rahmenbeschluss 2008/913 / JI des Rates vom 28. November 2008 zur Bekämpfung bestimmter Formen und Ausdrucksweisen von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit mit Hilfe des Strafrechts und der nationalen Gesetze, die es zur Umsetzung benötigt, definiert, bedeutet, dass alles Verhalten, das öffentlich zu Gewalt oder Hass aufstachelt gegen eine Gruppe von Personen oder gegen ein Mitglied einer solchen Gruppe durch einen Verweis auf Rasse, Hautfarbe, Religion, Abstammung oder nationale oder ethnische Herkunft....
"Die IT-Unternehmen unterstützen die Europäische Kommission und die EU-Mitgliedstaaten bei den Bemühungen, auf die Herausforderung zu reagieren, sicherzustellen, dass Online-Plattformen keine Möglichkeiten bieten für die virale Verbreitung illegaler Online-Hassrede. Die Verbreitung von illegaler Online-Hassrede wirkt sich nicht nur negativ auf die Gruppen oder Einzelpersonen aus, sondern sie hat auch einen negativen Einfluss auf jene, die die Stimme für Freiheit, Toleranz und Nichtdiskriminierung in unseren offenen Gesellschaften erheben und hat eine abschreckende Wirkung auf den demokratischen Diskurs auf Online-Plattformen.
"Während die wirksame Anwendung der Bestimmungen, die Volksverhetzung unter Strafe stellen, auf einem robusten System für die Durchsetzung des Strafrechts mittels Sanktionen gegen die einzelnen Hassrede-Täter abhängig ist, muss diese Arbeit ergänzt werden mit Aktionen, die gewährleisten, dass nach Erhalt einer gültigen Meldung innerhalb eines angemessenen Zeitrahmens zügig auf illegale Online-Hassrede durch Online-Vermittler und Social-Media-Plattformen reagiert wird. Um in dieser Hinsicht als gültig in Betracht gezogen zu werden, sollte eine Meldung weder ungenügend präzise noch unzureichend begründet sein.
- "Die IT-Unternehmen, die die Führung übernehmen in der Bekämpfung der Verbreitung von illegaler Online-Hassrede, haben mit der Europäischen Kommission einen Verhaltenskodex vereinbart, der folgende öffentlichen Verpflichtungen umfasst:
- "Die IT-Unternehmen sollen klare und wirksame Prozesse in Kraft setzen, um Meldungen über illegale Hassrede auf ihren Diensten zu überprüfen, um solche Inhalte zu entfernen oder den Zugriff darauf zu deaktivieren. Die IT-Unternehmen sollen Regeln oder Gemeinschafts-Richtlinien in Kraft setzen, die klarstellen, dass sie die Verbreitung von Anstiftung zu Gewalt und abscheulichem Verhalten verbieten.
- "Die IT-Unternehmen sollen die Mehrheit der abgegebenen gültigen Meldungen für die Entfernung von illegaler Hassrede in weniger als 24 Stunden überprüfen und entfernen oder den Zugang zu solchen Inhalten sperren, falls erforderlich.
- "Die IT-Unternehmen und die Europäische Kommission, in Anerkennung des Wertes unabhängiger Gegenrede gegen hasserfüllte Rhetorik und Vorurteile, zielen darauf ab, ihre Arbeit bei der Identifizierung und Förderung der unabhängigen Gegennarrative, neue Ideen und Initiativen und Unterstützung von Bildungsprogrammen fortzusetzen, die kritisches Denken fördern."
Die Vereinbarung verlangt von den Internet-Unternehmen auch, ein Netzwerk von "vertrauenswürdigen Hinweisgebern zu etablieren" in allen 28 EU-Mitgliedstaaten, um Online-Inhalte, die "zu Gewalt und hasserfülltem Verhalten anstiften," zu kennzeichnen.
Die EU-Kommissarin für Justiz, Verbraucher und die Gleichstellung der Geschlechter, Věra Jourová, hat die Initiative verteidigt:
"Die jüngsten Terroranschläge haben uns vor Augen geführt, wie dringend gegen illegale Hetze im Internet vorgegangen werden muss. Die sozialen Medien gehören leider zu den Instrumenten, die terroristische Gruppen nutzen, um junge Leute zu radikalisieren, und die Rassisten nutzen, um Gewalt und Hass zu propagieren. Die Vereinbarung ist ein wichtiger Schritt, um zu gewährleisten, dass das Internet ein Raum für die freie und demokratische Meinungsäußerung bleibt, in dem die europäischen Werte und Gesetze geachtet werden. Ich begrüße die Zusage der weltweit tätigen IT-Unternehmen, die Mehrheit der stichhaltigen Anträge auf Entfernung illegaler Hasskommentare in weniger als 24 Stunden zu prüfen und diese erforderlichenfalls zu entfernen bzw. den Zugang dazu zu sperren."
Andere widersprechen. Die National Secular Society (NSS) aus Grossbritannien warnte davor, dass die EU-Pläne "auf einer vagen Definition von 'Hassrede' basieren und riskieren, Online-Diskussionen, die Religion kritisieren, zu bedrohen." Sie fügte hinzu:
"Die Vereinbarung kommt unter wiederholten Anschuldigungen von Ex-Muslimen, dass Social-Media-Organisationen sie online zensieren. Der Rat der Ex-Muslime in Grossbritannien hat jetzt begonnen, Beispiele von seinen Anhängern zu sammeln, wie Facebook 'atheistischen, säkularen und ex-muslimischen Inhalt zensiert' nach falschen 'Massenhinweisen' durch 'Cyber-Dschihadisten'. Sie haben ihre Anhänger aufgefordert, Details und Beweise zu liefern für alle Seiten und Gruppen, die 'von Facebook verboten [oder] suspendiert worden sind für Kritik an Islam und Islamismus.'"
NSS Kommunikationsoffizier Benjamin Jones sagte:
"Weit davon entfernt, Online-'Cyber-Jihad' zu bekämpfen, riskiert die Vereinbarung, genau den gegenteiligen Effekt zu haben und jede kritische Diskussion über Religion unter vagen "Hassrede-" Regeln zu ersticken. Unzureichend ausgebildetes Personal von Facebook oder Twitter, vielleicht mit ihrer eigenen ideologischen Voreingenommenheit, könnten leicht erhitzte Kritik am Islam sehen und denken, es sei 'Hassrede', vor allem, wenn Seiten oder Benutzer von Islamisten ins Visier genommen und massenhaft gemeldet werden."
In einem Interview mit Breitbart London sagte die CEO von Index on Censorship, Jodie Ginsberg:
"Hassrede-Gesetze sind in weiten Teilen Europas bereits zu breit und mehrdeutig. Diese Vereinbarung definiert nicht richtig, was 'illegale Hassrede' ist und bietet keine ausreichenden Garantien für die freie Meinungsäusserung.
"Sie überträgt einmal mehr Macht an nicht gewählte Unternehmen, zu bestimmen, was Hassrede darstellt und wie sie zu sanktionieren ist - ein Schritt, der garantiert die freie Rede in dem falschen Glauben erstickt, dass uns das alle sicherer macht. Das wird es nicht. Es wird einfach ungeniessbare Ideen und Meinungen in den Untergrund treiben, wo sie schwerer zu überwachen - oder herauszufordern - sind.
"Es gab Präzedenzfälle von Löschungen unbeliebter oder offensiver Standpunkte, und diese Vereinbarung verstärkt das Risiko des Phänomens von kontroversen - doch legalen - Löschungen von Inhalten via Missbrauch der Meldeprozesse."
Eine Koalition von Organisationen der freien Rede, European Digital Rights und Access Now kündigten ihre Entscheidung an, nicht an künftigen Gesprächen mit der Europäischen Kommission mitzumachen. Sie sagen, dass "wir kein Vertrauen haben in den unbedachten 'Verhaltenskodex', der vereinbart wurde." Eine Erklärung warnte:
"Kurz gesagt degradiert der 'Verhaltenskodex' das Gesetz auf einen Zweitklassstatus, hinter der 'führenden Rolle' der privaten Unternehmen, die aufgefordert werden, willkürlich ihre Nutzungsbedingungen umzusetzen. Dieser Prozess, der ausserhalb eines verantwortlichen demokratischen Rahmens geschaffen wurde, nutzt unklare Haftungsregeln für Online-Unternehmen. Er schafft auch ernsthafte Gefahren für die Freiheit der Meinungsäusserung, da legaler - aber umstrittener - Inhalt sehr wohl als Folge dieses freiwilligen und unerklärlichen Take-Down-Mechanismus gelöscht werden könnte.
"Das bedeutet, dass diese 'Vereinbarung' zwischen nur einer Handvoll von Unternehmen und der Europäischen Kommission wahrscheinlich ein Verstoss gegen die EU-Charta der Grundrechte ist (unter denen Einschränkungen der Grundrechte gesetzlich vorgesehen werden sollten), und in der Praxis die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zur Verteidigung der Redefreiheit aushebeln wird."
Janice Atkinson, eine unabhängige Parlamentarierin aus der Region Südost-England, fasste es so zusammen: "Es ist Orwellianisch. Wer 1984 gelesen hat, sieht seine Wiederinkraftsetzung Live vor sich."
Noch bevor der Verhaltenskodex der EU unterzeichnet war, gingen Social-Media-Sites auf die Redefreiheit los, oft im Auftrag von ausländischen Regierungen.
Im September 2015 konnte man die deutsche Kanzlerin Angela Merkel auf einem Live-Mikrofon hören, wie sie Facebook CEO Mark Zuckerberg damit konfrontierte, was er tue, um Kritik an ihrer Einwanderungspolitik der offenen Tür zu verhindern.
Im Januar 2016 startete Facebook eine "Initiative Online Zivilcourage", die sich an Facebook-Nutzer in Deutschland richtete und auf den "Kampf gegen Hassreden und Extremismus im Internet" ausgerichtet war.
Für das Gatestone Institut schreibend stellte der britische Kommentator Douglas Murray fest, dass der Facebook-Angriff auf "rassistische" Rede "anscheinend alles umfasst, was kritisch ist gegenüber der katastrophalen aktuellen Einwanderungspolitik der EU." Er schrieb:
"Indem Facebook urteilt, dass 'fremdenfeindliche' Kommentare, die Reaktionen auf die Krise sind, 'rassistisch' seien, macht es aus der Sichtweise der meisten Europäer (die, wie man betonen muss, gegen Merkels Politik sind), eine 'rassistische' Meinung, und erklärt so die Mehrheit der Europäer zu 'Rassisten'. Das ist eine Politik, die das ihre dazu beitragen wird, Europa einer katastrophalen Zukunft auszuliefern.
Facebook hat auch die mit dem Gatestone Institute verbundenen Autoren im Visier. Im Januar 2013 suspendierte Facebook das Konto von Khaled Abu Toameh, nachdem er über die Korruption in der Palästinensischen Autonomiebehörde schrieb. Das Konto wurde 24 Stunden später wieder geöffnet, aber mit den beiden Postings gelöscht und ohne Erklärung. Abu Toameh schrieb:
"Es ist immer noch eine Frage der Zensur. Sie entscheiden, was akzeptabel ist. Nun müssen wir vorsichtig sein, was wir schreiben und was wir teilen. Bedeutet dies, dass wir keine arabischen Regierungen mehr kritisieren können?"
Im Juni 2016 suspendierte Facebook das Konto von Ingrid Carlqvist, der schwedischen Expertin des Gatestone Instituts, nachdem sie ein Gatestone-Video in ihrer Facebook-Chronik geteilt hatte - namens "Schwedens Migranten-Vergewaltigungs-Epidemie." In einem Leitartikel schrieb Gatestone:
"Nach enormem Druck von unten von Gatestone-Lesern begannen schwedische Medien über die plumpe Zensur von Facebook zu berichten. Der Schuss ging nach hinten los und Facebook ging zu Schadensbegrenzung über. Sie öffneten Ingrids Konto wieder - ohne jede Erklärung oder Entschuldigung Ironischerweise verlieh ihre Zensur Ingrids Video nur noch mehr Aufmerksamkeit.
"Facebook und die EU haben einen Rückzieher gemacht - für den Moment. Doch es ist ihnen todernst damit, Ideen zu stoppen, die sie nicht mögen. Sie werden wiederkommen."
Soeren Kern ist ein Senior Fellow des in New York ansässigen Gatestone Institute. Er ist auch Senior Fellow for European Politics in der in Madrid ansässigen Grupo de Estudios Estratégicos / Gruppe für strategische Studien. Folgen Sie ihm auf Facebook und auf Twitter. Sein erstes Buch, Global Fire, wird 2016 herauskommen.