Es ist nicht leicht für arabische Journalisten ihre Führer zu kritisieren. Wenn es etwas gibt, das arabische Diktatoren nicht tolerieren können, dann Kritik, besonders wenn sie von einem arabischen Journalisten, Kolumnisten oder politischen Gegner kommt.
Viele Jahre lang hofften die Palästinenser, dass sie eines Tages unter der Führung der palästinensischen Autonomiebehörde (PA) freie Meinungsäußerung genießen können würden. Aber mehr als zwei Jahrzehnte nach der Gründung der PA haben die Palästinenser gelernt, dass Demokratie und freie Meinungsäußerung immer noch weit davon entfernt sind in ihrer Gesellschaft anzukommen.
Seit damals haben die Palästinenser auch gelernt, dass ihre Führer "unberührbar" sind und über Kritik stehen. Sowohl Mahmud Abbas als auch sein Vorgänger, Yassir Arafat, haben die Palästinenser sogar gelehrt, dass ihre Präsidenten zu "beleidigen" ein Verbrechen und Hochverrat sind.
Sowohl Mahmud Abbas (rechts) als auch sein Vorgänger, Yassir Arafat (links9, haben die Palästinenser gelehrt, dass ihre Präsident zu "beleidigen" ein Verbrechen und Hochverrat sind. Im Bild: Ein Propagandaposter der Fatah mit Abbas und Arafat. Der arabische Text darüber lautet: "Vertrauensträger". |
Während der vergangenen zwei Jahrzehnte sind mehrere Palästinenser, die es wagten Arafat oder Abbas zu kritisieren, auf verschiedene Weise bestraft worden.
Das letzte Opfer dieser Kampagne gegen Kritiker ist Jihad al-Khazen, ein prominenter libanesischer Journalist und Kolumnist, der vor kurzem einen Artikel über die Notwendigkeit schrieb, dass die "gescheiterte und korrupte" PA-Führung zurücktritt.
Al-Khazen, ein altgedienter Journalist der panarabischen Londoner Zeitung Al-Hayat, wird jetzt von der PA angegriffen. Das Ziel: von freier Meinungsäußerung abzuschrecken.
Im auf den Kopf gestellten Land der palästinensischen Autonomiebehörde wird Kritik an Abbas als "Beleidigung des Präsidenten" eingestuft und hat Kritiker hinter Gitter gebracht - oder Schlimmeres.
2013 wurde Mamdouh Hamamreh, ein für den Fernsehsender Al-Quds in Bethlehem arbeitender palästinensischer Journalist, zu einem Jahr Gefängnis verurteilt, weil er auf Facebook ein Bild einstellte, das Präsident Abbas vor den Kopf stoßend erachtet wurde. Der PA-Chef wurde in dem Bild als fiktive Persönlichkeit dargestellt, die mit den französischen Kolonialkräften in Syrien kollaborierte. Abbas begnadigte den Journalisten später.
Im selben Jahr verurteilte ein PA-Gericht Anas Saad Awaad aus dem Dorf Awarta in der Westbank zu einem Jahr Gefängnis, weil der auf Facebook ein digital bearbeitetes Bild von Abbas in einem Trikot von Real Madrid postete.
Ebenfalls 2013 nahmen die PA-Sicherheitskräfte Mohamed al-Sabawi (68) fest, einen palästinensisch-kanadischen Investor; ihm wurde vorgeworfen Abbas beleidigt zu haben. Al-Sabawi war Präsident des Verwaltungsrats der Ahlia Versicherungsgruppe, die Hunderte Palästinenser in der Westbank beschäftigt. Zwei Wochen, nachdem er öffentlich dazu aufrief Abbas von der Macht zu entfernen, wurde er verhaftet.
Khaled, der Sohn des Geschäftsmanns aus Ontario in Kanada, sagte, die Verhaftung seines Vaters zeige, dass US-Außenminister John Kerrys Plan $4 Milliarden an privaten Investitionen in die Palästinensergebiete zu bringen, "Unsinn" sei. Er fügte hinzu:
"Kommt und investiert in den palästinensischen Gebieten, aber wenn ihr nicht die korrupten Beamten bestecht, wird die PA euch verhaften. Das ist eine verzweifelte politische Verhaftung durch einen undemokratischen PA-Präsidenten, der bei seinem Volk über keine Glaubwürdigkeit verfügt. Ich denke, mein Vater verletzte die Gefühle von Präsident Abbas."
In den letzten Jahren zahlten palästinensische Offizielle, die es ebenfalls gewagt hatten Abbas zu kritisieren oder beschuldigt wurden ihn beleidigt zu haben, einen hohen Preis. Auf der Liste der Offiziellen, die dafür bestraft wurden, dass sie ihre Stimme gegen ihren Präsidenten erhoben, stehen Mohammed Dahlan, Yassir Abed Rabbo und Salam Fayyad.
Mohammed Dahlan, gewähltes Fatah-Mitglied des palästinensischen Legislativrats und ehemaliger PA-Sicherheitskommandeur im Gazastreifen, wurde von der Fatah 2011 auf Aufforderung von Abbas verstoßen. Er war zudem gezwungen aus der Westbank zu fliehen, nachdem Abbas seine Sicherheitskräfte losschickte, um Dahlans Residenz in Ramallah zu durchsuchen und seine Unterstützer zu verhaften. Seitdem hat er Zuflucht in den Vereinigten Arabischen Emiraten gefunden.
Bis vor kurzem diente Yassir Abed Rabbo als Generalsekretär der PLO und wurde als einer von Abbas' engsten Beratern betrachtet. Im letzten Jahr entfernte ihn Abbas allerdings aus seinem Job, nachdem berichtet wurde, er habe den Präsident in geschlossenen Treffen kritisiert.
Salam Fayyad, ehemaliger PA-Premierminister, wurde ebenfalls bestraft, weil er Abbas kritisiert haben soll. Letztes Jahr fror die PA sein Bankkonto ein und beschuldigte ihn der Geldwäsche. Die Entscheidung kam, nachdem Fayyad aus den Vereinigten Arabischen Emiraten eine große Summe für eine Nichtregierungsorganisation erhielt, die Fayyad leitet. Unter Druck der internationalen Gemeinschaft und einiger arabischer Länder war Abbas später gezwungen die Entscheidung zurückzunehmen.
Jetzt steht auch Jihad al-Khazen auf der Liste der Kritiker im Visier von Abbas und der PA. Al-Khasens Verbrechen besteht darin einen Artikel geschrieben zu haben, der Abbas und die altgediente PA-Führung angriff.
Der kontroverse Artikel wurde Anfang Juni in der Zeitung Al-Hayat veröffentlicht.
In dem Artikel wird ein nicht genannter, ranghoher Golf-Offizieller damit zitiert, es sei an der Zeit, dass Abbas und die gesamte PA-Führung zurücktritt. "Wir vertrauen ihnen nicht", soll der Golf-Offizielle über die PA-Führung gesagt haben. Obwohl der Offizielle namentlich nicht genannt wird, sagen Abbas und seine Helfer in Ramallah, sie glauben, dieser Mann sei Kronprinz Mohamed bin Zayed aus Abu Dhabi (dem Emirat, das Abbas Erzfeind Mohammed Dahlan aufgenommen hat).
Derselbe ranghohe Golf-Offizielle, der in dem Artikel mit einem Kommentar zu Abbas' Entscheidung, das Konto von Fayyad einzufrieren zitiert wurde, soll gesagt haben:
"Glauben Sie wirklich, dass die Vereinigten Arabischen Emirate sich entscheiden würden Geld über die Palästinensergebiete zu waschen? Der palästinensische Generalstaatsanwalt gab später zu, dass Abu Mazen [Abbas] ihm befahl die Anklage zu erfinden. Die Vereinigten Arabischen Emirate fordern nun eine öffentliche Entschuldigung von Abbas. Wir haben alle Hilfe an die PA ausgesetzt."
Al-Khazen sagte, der Golf-Offizielle sprach mit ihm auch über Abbas und seine Frau und Kinder. "Aber ich habe beschlossen, diese Dinge nicht zu veröffentlichen", fügte er hinzu. Al-Khazen sagte, er verbrachte fast zwei Stunden im Gespräch mit dem Golf-Offiziellen, den er in seinem Artikel zitiert.
Die Reaktion der PA kam prompt. In Ramallah ist die Aufforderung des Rücktritts an den Präsidenten und die PA-Führung in einer einflussreichen arabischen Zeitung eine tödlich ernste Sache. Der 77 Jahre alte al-Khazen schätzt sich glücklich, dass er nicht mit der PA-Führung in der heiteren Stadt Ramallah lebt.
Der erste Angriff auf Al-Khazan wurde in Form der traditionellen palästinensischen Theorie einer zionistischen Verschwörung formuliert. Ein in der von der von Abbas-Getreuen kontrollierten, offiziellen PA-Nachrichtenagentur WAFA veröffentlichter Artikel verwies auf die Vorwürfe Al-Khazens als Obszönitäten und versuchte eine Verbindung zwischen israelischer "Hetze" gegen die PA und dem Artikel in Al-Hayat zu ziehen.
Als nächstes lasen wir von der Pose der belagerten Verteidiger. Abbas' Agentur vermerkt, dass der Artikel zu einer Zeit veröffentlicht wurde, als die PA sich "an allen Fronten dem zionistischen Projekt gegenüber sah". Schließlich kommen wir zum Kern der Sache: diktatorische Zensur. Wie in: Wo ist die zu finden?
"Hat eine respektierte und verantwortungsvolle Zeitung das Recht solche schmutzigen Worte auf ihren Seiten zu gestatten?", fragt die Agentur WAFA. "Und hat Jihad al-Khazen oder sonst irgendjemand das Recht unkontrolliert zu sagen, was immer er will? Und haben sie das Recht Menschen oder arabische Führer zu beleidigen, ohne dafür zur Verantwortung gezogen zu werden?"
Auch Abbas' herrschende Fatah-Fraktion ist für die Verteidigung seines Führers rekrutiert worden. Die Fraktion nahm wieder Zuflucht zur bekannten Taktik, jede legitime Kritik an Abbas mit Israel in Verbindung zu bringen. In einer Stellungnahme beschuldigte sie den Kolumnisten "dem Staat der Besatzung [Israel] und denen zu dienen, die daran arbeiten Präsident Abbas, die Fatah, die Palästinenserführung und das palästinensische Volk zu untergraben." In der Stellungnahme hieß es weiter: "Das ist ein Dienst für die [israelische] Regierung von Benjamin Netanyahu, der daran interessiert ist seine organisierte Kampagne gegen Präsident Abbas zu intensivieren."
In den Augen - und Worten - von Abbas und seinen Kumpanen ist jeder, der den Mund öffnet um Kritik am Palästinenserpräsidenten - vom Golfführer bis zum respektierten arabischen Kolumnisten - ein Sprachrohr des zionistischen Projekts.
Das Spiel heißt Abschreckung. Und ein Gefängnis ist vermutlich der beste Ort, den sich einige angehende Whistleblower erhoffen können. Das ist nicht das, worauf die Palästinenser hofften, als die Oslo-Vereinbarungen mit Israel unterzeichnet wurden und den Weg für die Gründung der PA ebneten. Viele Palästinenser hofften damals, dass sie unter der PA öffentliche Freiheiten wie die ihrer Nachbarn in Israel würden genießen können. Leider leben die meisten Palästinenser nicht mehr mit der Illusion, dass ihre aktuellen Führer ihnen je Demokratie und freie Meinungsäußerung bringen werden.
Der Fall Al-Khazen, der sich einer Einschüchterungs- und Beleidigungskampagne ausgesetzt sieht, dient den Palästinensern als Erinnerung daran, dass ihre Führer unfehlbar und unberührbar sind und dass die Freiheit, auf die sie hofften, immer noch weit, weit weg ist.
Khaled Abu Toameh ist ein preisgekrönter arabisch-israelischer Journalist und TV-Produzent.