Auch wenn es die Hamas immer wieder abstreitet, es gibt zunehmend Anzeichen, dass die islamistische Bewegung im Gazastreifen weiterhin mit anderen dschihadistischen Terrorgruppen, die Verbindungen zum Islamischen Staat (IS) haben, zusammenarbeitet. Besonders mit Gruppen, die in den letzten Jahren auf der ägyptischen Sinai-Halbinsel operiert haben.
Diese Kooperation ist Sicherheitskräften der Palästinensischen Autonomiebehörde zufolge der Hauptgrund für die anhaltenden Spannungen zwischen den ägyptischen Behörden und der Hamas. Diese Spannungen führten dazu, dass Ägypten den Grenzübergang Rafah 2013 fast vollständig schloss und Zehntausende Palästinenser im Gazastreifen gefangen waren.
2015 öffnete Ägypten das Rafah-Grenzterminal für insgesamt 21 Tage und erlaubte es Menschen aus humanitären Gründen sowie Reisenden anderer Nationalitäten, den Gazastreifen zu betreten oder zu verlassen.
In diesem Jahr war der Grenzübergang bisher insgesamt an 28 Tagen geöffnet. Quellen im Gazastreifen sagen, es gebe etwa 30.000 Menschen, die den Gazastreifen aus humanitären Gründen sofort verlassen müssten. Dazu gehören Dutzende Studenten, die nicht an ihre Universitäten im Ausland zurückkehren konnten, und ca. 4.000 Patienten, die dringend medizinische Hilfe benötigen.
Überraschenderweise öffnete Ägypten das Rafah-Terminal letzte Woche fünf Tage am Stück. Mehr als 4.500 Palästinenser konnten den Gazastreifen betreten oder verlassen. Die ungewöhnliche Geste kam am Vorabend des islamischen Festes des Fastenbrechens. Das Terminal wurde jedoch zu Beginn des Festes am 6. Juli wieder geschlossen.
Die erneute Schliessung des Rafah-Grenzübergangs kam zeitgleich mit Meldungen über ein Scheitern der Versuche, die Spannungen zwischen der Hamas und Ägypten zu lösen. Diesen Meldungen zufolge entschieden die ägyptischen Behörden, einen geplanten Besuch hochrangiger Hamas-Funktionäre in Kairo abzusagen. Laut Berichten fiel diese Entscheidung infolge der Unzufriedenheit der Ägypter mit den Sicherheitsmassnahmen der Hamas an der Grenze zwischen dem Gazastreifen und Ägypten. Die Schliessung des Grenzübergangs erschütterte die Bemühungen der Hamas, ihre Differenzen mit Ägypten beizulegen und den Weg für eine Lockerung der strengen Reisebeschränkungen Ägyptens für die Palästinenser im Gazastreifen frei zu machen.
In den letzten Wochen verkündete die Hamas, dass sie Hunderte Grenzsoldaten an der gemeinsamen Grenze mit Ägypten stationiert habe, um ein Überqueren in beide Richtungen zu verhindern – insbesondere für Dschihad-Terroristen, die wiederholt ägyptisches Sicherheitspersonal und Zivilisten auf dem Sinai angegriffen haben. Die ägyptischen Behörden stehen den Sicherheitsmassnahmen der Hamas jedoch weiterhin sehr skeptisch gegenüber.
Ägyptische Sicherheitsbeamte sind überzeugt, dass die Hamas keine ernsthaften Schritte unternimmt, um die Dschihad-Terroristen am Überqueren der Grenze zu hindern. Ausserdem vermutet Ägypten, dass die Hamas weiterhin enge Beziehungen zu einigen IS-nahen Gruppen auf dem Sinai unterhält und diese mit Waffen und medizinischer Versorgung unterstützt.
Der ägyptische Präsident Abdel Fattah al-Sisi verweigert seit seiner Machtübernahme im Jahr 2013 hochrangige Kontakte mit der Hamas. Sein Regime sieht die Hamas als Bedrohung für die nationale Sicherheit Ägyptens an. In den wenigen Treffen, die zwischen den beiden Seiten stattfanden, ging es lediglich um Sicherheitsthemen. Aus diesem Grund betraute al-Sisi seine Geheimdienstbeamten damit, Gespräche mit den Führern der islamistischen Bewegung, die in den letzten Monaten in Kairo waren, zu führen.
Scheinbar ist die Skepsis Ägyptens gegenüber der Hamas nicht unbegründet.
In den vergangenen Wochen sind Berichte aufgetaucht, die keinen Zweifel an einer Zusammenarbeit zwischen der Hamas und IS-Gruppen auf dem Sinai lassen. Diese Berichte, so sagen Ägypten und die Palästinensische Autonomiebehörde, liefern weitere Beweise dafür, dass der Gazastreifen weiterhin eine Hauptbasis für verschiedene dschihadistische Terrorgruppen ist, die nicht nur für die nationale Sicherheit Ägyptens, sondern auch für Israel und die Palästinensische Autonomiebehörde im Westjordanland sowie für Nachbarländer wie Jordanien und den Libanon eine reale Gefahr darstellen.
Weiteren Meldungen zufolge sind einige Dschihad-Terroristen aus dem Sinai mit Zustimmung der Hamas in Krankenhäusern im Gazastreifen ärztlich behandelt wurden. Die Terroristen, die von den ägyptischen Behörden gesucht werden, sollen den Gazastreifen durch Schmuggeltunnel an der Grenze zu Ägypten erreicht haben.
In einem Bericht heisst es, einer der Terroristenführer aus dem Sinai, Abu Sweilem, habe in einem Bett im Abu Yusef al-Najjar Hospital in der Stadt Rafah im südlichen Gazastreifen gelegen. Laut dem Bericht wurde Abu Sweilem unter schwerer Bewachung von Mitgliedern des bewaffneten Flügels der Hamas, der Kassam-Brigaden, in das Krankenhaus eingewiesen. Als Gegenleistung für seine Behandlung und die anderer Terroristen, die von den ägyptischen Behörden gesucht werden, soll die Hamas Waffen vom Islamischen Staat auf dem Sinai, bekannt als Wilayat Sinai, erhalten haben.
Einem anderen Bericht von derselben Quelle zufolge war Mohamed Abu Shawish, ein führendes Mitglied der Kassam-Brigaden im Gazastreifen, an der Ausbildung und Organisation von Dschihad-Terroristen auf dem Sinai beteiligt. Die Hamas behauptete, er sei aus dem Gazastreifen geflohen, um dem IS beizutreten, und würde von ihrem bewaffneten Flügel als Überläufer gesucht werden. Aus dem Bericht geht jedoch hervor, dass sich Abu Shawish frei zwischen dem Gazastreifen und dem Sinai bewegen konnte und dazu sogar Fahrzeuge der Hamas benutzte. Der Bericht erwähnt ebenfalls, dass Abu Shawish ein ausgedehntes Netzwerk an Kontakten auf der palästinensischen Seite der Grenze zu Ägypten aufbauen konnte, um Waffen und Terroristen in beide Richtungen zu schmuggeln.
Weiter heisst es in dem Bericht, dass der ranghohe Hamas-Funktionär in Kontakt mit Eyad al-Khaldi stehe, dem Besitzer einer Bekleidungsfabrik im Gazastreifen, der ihn mit Militäruniformen und anderer Ausrüstung für die Terroristen auf dem Sinai versorgt. Der Bericht sieht dies als Beweis für die zunehmenden Aktivitäten der auf dem Sinai ansässigen Dschihad-Terroristen im Gazastreifen, die mit dem Segen hochrangiger Hamas-Funktionäre stattfinden.
Die Hamas hat in der Vergangenheit tatsächlich gegen IS-Gruppen und -Mitglieder im Gazastreifen durchgegriffen. Dies geschieht aber immer nur dann, wenn diese eine Bedrohung oder Herausforderung für die Herrschaft der Hamas im Gazastreifen darzustellen scheinen.
Dieses Vorgehen hat Hamas-Mitglieder, besonders die der Kassam-Brigaden, jedoch offensichtlich nicht daran gehindert, mit anderen Gruppen zusammenzuarbeiten, die Verbindungen zum IS haben und für Terroranschläge gegen Ägypter auf dem Sinai verantwortlich sind. Isoliert und auf der Suche nach Geldquellen im Gazastreifen scheint die Hamas bereit zu sein, mit wirklich jedem zu kooperieren, um die Kontrolle zu behalten und zu überleben.
Einige Palästinenser im Gazastreifen argumentieren, die Doppelmoral der Hamas im Umgang mit Dschihad-Terroristen sei ein Ergebnis der Teilung zwischen ihrem politischen und militärischen Flügel. Während sich die politische Führung der Hamas scheinbar gern von den Dschihad-Terroristen distanzieren möchte, arbeiten die Kommandeure der Kassam-Brigaden unabhängig und kooperieren mit jedem, der ihnen Waffen gibt.
Diese Palästinenser weisen ausserdem darauf hin, dass in den letzten Jahren eine steigende Zahl von Mitgliedern der Kassam-Brigaden den Gazastreifen verlassen hat, um dem IS auf dem Sinai, in Syrien und im Irak beizutreten – eine Entwicklung, die die politische Führung der Hamas weiterhin beunruhigt. Andere, die nicht aus dem Gazastreifen fliehen konnten, haben sich anderen Dschihad-Gruppen angeschlossen, die innerhalb des Gazastreifens operieren.
Letzten Monat tauchten weitere Beweise für diesen Trend auf: Khaled al-Tarabin, ein früheres Hamas-Mitglied, wurde getötet, während er in Syrien für den IS kämpfte. Laut Quellen im Gazastreifen ist er der siebte Hamas-nahe Palästinenser, der in den letzten Monaten im Kampf an der Seite des IS im Irak und in Syrien getötet wurde.
Unabhängig vom Grad der Zusammenarbeit zwischen der Hamas und den Dschihad-Terroristen auf dem Sinai – die im Gazastreifen lebenden Palästinenser werden den Preis zahlen müssen. Berichte über diese Kooperation setzen sich in den Köpfen der Ägypter fest und zwingen sie dazu, die Grenzen zu schliessen – ohne Rücksicht auf humanitäre Bedürfnisse.
Alles, was die Palästinensische Autonomiebehörde derzeit tun kann, ist dabei zuzuschauen, wie der Gazastreifen – den sie gern als Teil des künftigen Palästinenserstaates sehen möchten – völlig im Chaos versinkt.
Mahmud Abbas und die Führer der Palästinensischen Autonomiebehörde können so viel sie wollen über einen palästinensischen Staat im Westjordanland, im Gazastreifen und in Ostjerusalem reden. Wenn IS-treue Gruppen im Gazastreifen aktiv sind und es keine Anzeichen für eine Schwächung des Hamas-Regimes gibt, ist es ziemlich schwer, sich einen palästinensischen Staat vorzustellen. Abbas konnte den Gazastreifen seit 2007 nicht betreten. Noch nicht einmal zu seinem privaten Wohnsitz in Gaza-Stadt hat er Zutritt. Doch die Hamas ist erst der Anfang für Abbas. Es ist eindeutig, dass die Dschihad-Gruppen ein islamisches Emirat im Gazastreifen und auf dem Sinai gründen möchten. Der Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde sollte Israel für seine Präsenz im Westjordanland dankbar sein – sie ermöglicht es ihm und seiner Regierung, etwas anderes als nur ungläubiges Kanonenfutter für die Dschihadisten zu sein.
Khaled Abu Toameh ist ein preisgekrönter arabisch-israelischer Journalist und TV-Produzent.