Die Europäer scheinen sich mal wieder bei Alice im Wunderland zu befinden, wenn es um den Nahen Osten und insbesondere um die Palästinenser geht. Der erneute Versuch der Europäischen Union, die palästinensische Islamistenbewegung Hamas von ihrer Terrorliste zu streichen, ist ein gutes Beispiel dafür.
Vor Kurzem empfahl eine Gutachterin des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), die Hamas von der EU-Terrorliste zu entfernen. 2014 hatte das zweithöchste Gericht der EU entschieden, die Hamas aus "Verfahrensgründen" von der Liste zu streichen. Das Gericht argumentierte, der Beschluss zur Aufnahme der Hamas in die Liste beruhe nicht auf Tatsachen, sondern auf "Angaben, die der Presse und dem Internet entnommen wurden".
Der Europäische Rat legte jedoch Einspruch gegen diese Entscheidung ein und erklärte, die Hamas solle weiterhin auf der Terrorliste bleiben. Als Argument führte er eine Entscheidung des Vereinigten Königreichs und der USA aus dem Jahr 2001 an, wonach sowohl die Hamas als auch die Tamil Tigers als Terrororganisation eingestuft werden. Die jüngste Stellungnahme der EuGH-Gutachterin weist dieses Argument jedoch zurück. "Der Europäische Rat kann sich nicht auf Informationen aus der Presse und dem Internet stützen", sagte die Generalanwältin Eleanor Sharpston. Sie erklärte, der Rat könne sich nicht auf Terrorlisten von Ländern ausserhalb der EU (Vereinigtes Königreich und USA) verlassen.
Dieser letzte, äusserst gefährliche Versuch der Europäer, die Hamas von der Terrorliste zu entfernen, wird – und das weiss die EU ganz genau – die islamistische Bewegung noch weiter ermutigen, Israel durch ein islamisches Reich zu ersetzen.
Die Streichung der Hamas von der Liste wäre natürlich ein schwerer Schlag für ihre vom Westen unterstützten und finanzierten Rivalen, die Palästinensische Autonomiebehörde (PA), und für die Bemühungen um eine Wiederbelebung des Friedensprozesses zwischen den Palästinensern und Israel.
Da dies nicht der erste Versuch der EU ist, dies durchzusetzen, ist es nicht schwer zu schlussfolgern, was viele Palästinenser schon lange vermuten: Der EU und ihren Partnern ist es egal, dass die Palästinenser und andere Menschen in dem Gebiet von Hamas-Terroristen überrannt werden und gezwungen sind, unter der Herrschaft despotischer, militanter Islamisten zu leben.
Der Kommentar der EuGH-Gutachterin ignoriert leichtfertigerweise die eigenen Aussagen der Hamas bezüglich ihrer wahren Absichten und ihrer kontinuierlichen Vorbereitung auf einen Krieg gegen Israel. Es fällt schwer, nicht zu schlussfolgern, dass es das ist, was die EU insgeheim möchte – vielleicht für die muslimischen Wähler, die Frankreichs Staatspräsidenten François Hollande an die Macht gebracht haben, vielleicht in der Hoffnung, Terroristen davon abzuhalten, weitere Angriffe in Europa durchzuführen, vielleicht um weiterhin gewinnbringende Geschäfte mit arabischen und muslimischen Ländern machen zu können oder vielleicht aus all diesen Gründen.
Es ist daher nicht verwunderlich, dass die Hamas den Vorschlag der EuGH-Gutachterin, die islamistische Terrororganisation zu verharmlosen und zu legitimieren, umgehend "begrüsste". "Die Hamas sieht diese Empfehlung als einen ersten Schritt zur Wiedergutmachung der Sünde, die die Europäische Union am palästinensischen Volk beging, als sie Partei für Israel ergriff und die Hamas auf die Terrorliste setzte", sagte Hamas-Sprecher Sami Abu Zuhri, der die Stellungnahme freudig zur Kenntnis nahm und die Europäer dazu aufrief, der Empfehlung zu folgen. Er fügte hinzu, dass die Hamas immer um Offenheit gegenüber dem Westen und um enge humanitäre und politische Beziehungen bemüht gewesen sei. Abu Zuhri betonte, Israel sei der einzige Feind der Hamas.
Mit anderen Worten: Abu Zuhri möchte den Europäern zu verstehen geben, dass sie sich nicht vor der islamistischen Bewegung fürchten müssen, da sich deren Angriffe nur gegen Israel richten werden. Die Hamas möchte "Offenheit" und "enge" Beziehungen zu den Europäern, weil sie glaubt, dies würde ihr bei der Umsetzung ihrer Charta helfen – welche die Beseitigung Israels fordert. So versteht die Hamas den erneuten Versuch, die Bewegung von der EU-Terrorliste zu entfernen. Und es ist unwahrscheinlich, dass die EU, die seit Jahrzehnten nach einem "guten Verhältnis" zwischen den beiden Seiten des Mittelmeers strebt, es anders versteht.
Noch unwahrscheinlicher ist es, dass einige Europäer glauben, die Hamas gehöre allein auf der Grundlage von Presseartikeln und Informationen aus dem Internet nicht auf die Terrorliste – als ob das, was über die Hamas und ihre Ziele geschrieben wird, Gerüchte oder unbelegte Vorwürfe seien, die geprüft werden müssen und jeder Grundlage entbehren.
Und was ist mit der Charta der Hamas, die zum Dschihad (heiligen Krieg) gegen Israel aufruft? "Die Palästina-Frage kann nur durch den Dschihad gelöst werden", steht dort geschrieben, und weiterhin:
"Die Befreiung Palästinas ist die individuelle Pflicht eines jeden Muslims, wo auch immer er sich befindet. Gegenüber der Usurpierung Palästinas durch die Juden muss zwingend das Banner des Dschihad erhoben werden. Der Geist des Dschihad muss in der Gemeinschaft der Muslime, der Umma, propagiert und der Kampf gegen die Feinde in den Reihen der Dschihad-Kämpfer aufgenommen werden. Die Islamische Widerstandsbewegung glaubt, dass Palästina allen Generationen der Muslime bis zum Tag des Jüngsten Gerichts als islamisches Waqf-Land vermacht ist. Palästina darf weder als Ganzes noch in Teilen aufgegeben werden."
Man könnte argumentieren, dass die Europäer die Charta der Hamas nicht ernst nehmen. Doch was hält der Europäische Gerichtshof von der Rhetorik der Hamas?
Folgendes sagte Fathi Hammad, ein hochrangiges Hamas-Mitglied im Gazastreifen, nach Bekanntgabe der Empfehlung: "Widerstand ist der einzige Weg, um Palästina vom [Mittel-] Meer bis zum Fluss [Jordan] zu befreien." Er lobte die jüngste Welle palästinensischer Messer- und Autoramm-Attacken auf Israelis und rief die Palästinenser auf, sich einem Friedensprozess mit Israel entgegenzustellen. "Die Verhandlungen haben der palästinensischen Sache geschadet", fügte er hinzu.
In einer Erklärung zum ersten Jahrestag der Angriffe auf Israel, die von vielen Palästinensern "Jerusalem-Intifada" genannt werden, sagte die Hamas diese Woche, dass die Terrorwelle nicht aufhören werde "bis die Besatzer aus Jerusalem, dem Westjordanland und ganz Palästina vertrieben sind". Die Hamas bekräftigte ihre Weigerung, das Existenzrecht des "zionistischen Gebildes" anzuerkennen und sagte, die Palästinenser behielten sich das Recht vor, "in jeder Form Widerstand zu leisten".
Übersetzen wir das kurz: Wenn die Hamas über "Widerstand in jeder Form" spricht, meint sie das Töten von Juden durch Selbstmordattentate, Raketen, Messer und Fahrzeuge. Was die Hamas angeht, haben Palästinenser das Recht, all diese Mittel einzusetzen, um so viele Juden wir möglich zu töten und zu vertreiben und "ganz Palästina zu befreien". Diese Erklärung wurde nach der jüngsten Empfehlung der EuGH-Gutachterin, die Hamas von der Terrorliste zu streichen, veröffentlicht. Hierbei handelt es sich eindeutig nicht nur um einen weiteren "Presseartikel" oder ein "Gerücht", das im Internet veröffentlicht wurde – dies ist eine offizielle Erklärung der Hamas-Führung.
Hamas-Kundgebung in Gaza. (Foto: Screenshot Youtube) |
Trotz der eindeutig genozidalen Empfehlung des Europäischen Gerichtshofs muss man der Hamas zugutehalten, dass sie bezüglich ihrer Absichten absolut transparent ist. Genau genommen hat die Hamas aus ihrem Wunsch, Israel zu zerstören und Frieden zwischen den Palästinensern und Israelis zu verhindern, nie ein Geheimnis gemacht. Ihre Haltung und Strategie hat sich seit der Gründung der islamistischen Bewegung vor fast 30 Jahren nicht geändert. Und wenn die Beamten der EU und des EuGH das nicht wissen, sollten sie ersetzt werden.
Mahmoud Zahar, ein anderer Führer der Bewegung, lieferte weitere Beweise für die Absichten und Strategien der Hamas. Letzte Woche versicherte er Unterstützern im Gazastreifen, dass die Hamas niemals das Existenzrecht Israels anerkennen werde. "Wir werden keinen einzigen Zentimeter Palästinas an das israelische Gebilde abgeben", erklärte Zahar. Anschliessend lobte er die Palästinenser dafür, dass sie "Steine und Messer" verwenden, um Juden anzugreifen.
Dies sind nur einige der jüngsten Äusserungen von Führern und Sprechern der Hamas, die keinen Zweifel an den Absichten der Bewegung lassen, weiterhin Terrorismus einzusetzen, um Israel zu zerstören. Vielleicht sollten die EU-Beamten einmal die zahlreichen Websites der Hamas besuchen und dort nachlesen, was ihre Führung sagt. Diese Worte sprechen für sich.
Die Drohungen der Hamas beschränken sich jedoch nicht nur auf Worte. Auch ihr derzeitiges Handeln bekräftigt ihre Ziele. Die Hamas und andere Terrororganisationen graben weiterhin unverhohlen Tunnel, die für Attacken auf Israel genutzt werden.
Nur wenige Tage nach Veröffentlichung der EuGH-Empfehlung wurde ein weiterer Palästinenser bei der Arbeit an einem Tunnel getötet. Es handelte sich dabei um den 30‑jährigen Ahmed As'ad. Andere Männer wurden bei dem Vorfall verletzt – in einem Tunnel, der der Hamas und anderen Terrorgruppen dazu dienen soll, Israel anzugreifen.
Unterdessen enthüllte die Terrororganisation Al-Naser Salah Eddin Brigaden im Kontext dieser Vorbereitungen letzte Woche eine neue Rakete namens Koka 70 (nach einem ihrer Führer, Abu Yusef Koka, benannt).
Die europäische Empfehlung, die Hamas von der Terrorliste zu streichen, kommt zu einem Zeitpunkt, zu dem die Hamas und andere Gruppen nicht nur über Attacken reden, sondern sich auch aktiv darauf vorbereiten, neue Raketen abzuschiessen und über Angriffstunnel in Israel einzudringen. Dies sind keine unbestätigten Presseberichte, sondern Tatsachen – Tatsachen, die der europäischen Verharmlosung und Legitimierung dieser Terrororganisation völlig widersprechen.
Der Europäische Gerichtshof signalisiert der Hamas, dass die Europäer kein Problem damit haben, dass die Hamas Israel zerstören und weiterhin Terrorattacken gegen Juden durchführen möchte. Diese Botschaft demoralisiert ausserdem die Palästinenser, die noch an einen Frieden mit Israel glauben. Darüber hinaus kommt diese Empfehlung zu einem Zeitpunkt, an dem Länder wie Ägypten, Jordanien, die Vereinigten Arabischen Emirate und sogar Saudi-Arabien sowie die Palästinensische Autonomiebehörde alles daran setzen, die Hamas zu schwächen.
Alle, die die Hamas stärken, stärken auch den IS, den Islamischen Dschihad und die Muslimbruderschaft, nicht nur im Nahen Osten, sondern auch in Europa. Das Besänftigen von Terroristen ist ein gefährliches Spiel: Es hat bereits waghalsige Spieler zu Fall gebracht und wird dies auch weiterhin tun – nicht weniger, sondern mehr. Genau so haben Muslime den Iran, die Türkei, Nordafrika, die Halbinsel Krim und Grossteile Europas, zum Beispiel Ungarn, Griechenland, Polen, Rumänien und die Balkanstaaten, erobert – Länder, die sich noch gut an eine richtige "Besetzung", und zwar eine islamistische, erinnern können, und das ganz sicher nicht wollen.
Die EU und der EuGH müssen gestoppt werden, bevor sie den Palästinensern, Christen und Juden – oder Europa – noch mehr Schaden zufügen.
Khaled Abu Toameh ist ein preisgekrönter arabisch-israelischer Journalist und TV-Produzent.