2016 war ein hartes Jahr für die Palästinenser. Nicht nur für die Palästinenser, die im Westjordanland unter dem Regime der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) oder unter dem der Hamas im Gazastreifen leben.
Wenn die Menschen im Westen von der "Not" und dem "Leiden" der Palästinenser hören, gehen sie automatisch davon aus, dass die Rede von den im Westjordanland oder dem Gazastreifen lebenden Palästinensern ist. Nur sehr vereinzelt hört die internationale Gemeinschaft etwas über das Schicksal der Palästinenser in den arabischen Ländern. Diese Informationslücke besteht ohne Zweifel deshalb, weil das Elend der Palästinenser in den arabischen Ländern nur schwer Israel in die Schuhe geschoben werden kann.
Die internationale Gemeinschaft und die Mainstream-Journalisten wissen nur von den Palästinensern, die im Westjordanland oder dem Gazastreifen leben. Selbstverständlich ist das Leben unter der Palästinensischen Autonomiebehörde und der Hamas kein Zuckerschlecken, auch wenn diese unbequeme Tatsache in den Ohren westlicher Journalisten und Menschenrechtsorganisationen eher unerfreulich klingen mag.
Auf alle Fälle scheinen es die Mainstream-Medienkanäle vorzuziehen, ihre Augen vor der Not der Palästinenser in arabischen Ländern zu verschliessen. Diese Ignoranz schadet in erster Linie den Palästinensern selbst und erlaubt arabischen Regierungen, ihre Politik der Verfolgung und der Unterdrückung auch weiterhin fortzuführen.
In den vergangenen Jahren hat man die schlimmsten Horrorgeschichten über die Zustände der Palästinenser in Syrien gehört. Wo bleibt die Medienaufmerksamkeit für die Palästinenser in diesem vom Krieg gebeutelten Land? Die in Syrien lebenden Palästinenser werden ermordet, gefoltert, verhaftet und vertrieben. Der Westen hat jedoch nur ein müdes Gähnen dafür übrig.
Ausländische Journalisten, die über den Nahen Osten berichten, schwärmen zu Hunderten durch Jerusalem und Tel Aviv. Sie tun so, als wären Palästinenser nur im Westjordanland und dem Gazastreifen zu finden. Diese Journalisten haben keine Lust, nach Syrien oder in andere arabische Länder zu reisen, um von dort über die Misshandlungen und Hausfriedensbrüche zu berichten, die von Arabern an ihren palästinensischen Brüdern verübt werden. Für diese Journalisten sind Nachrichten über Araber, die andere Araber ermorden und foltern, keine Nachrichten. Wenn jedoch israelische Polizisten einen palästinensischen Terroristen erschiessen, der mit seinem Lastwagen eine Gruppe Soldaten rammt und sie tötet und verletzt, eilen die Reporter aus dem Westen zur Familie des Terroristen, um sie zu interviewen und ihnen so eine Plattform zu bieten, auf der sie ihren Gedanken Ausdruck verleihen können.
Die in Syrien lebenden Palästinenser haben da weniger Glück. Niemand fragt sie, wie es ihnen angesichts der Zerstörung ihrer Familien, Gemeinschaften und Leben geht. Insbesondere nicht die Hunderte von Nahost-Korrespondenten in der Region.
"Die Palästinenser in Syrien erlebten im Jahr 2016 Mord, Folter und Vertreibung in all ihren Ausprägungen", berichteten jüngste Meldungen, die in einer Reihe arabischer Medienkanäle veröffentlicht wurden.
"Das vergangene Jahr war die Hölle für diese Palästinenser. Seine brutalen Folgen werden noch jahrelang zu spüren sein. Im Jahr 2016 mussten die in Syrien lebenden Palästinenser die grausamsten Arten von Folter und Entbehrung durch die Hände bewaffneter Banden und das herrschende syrische Regime erleiden. In ganz Syrien ist kaum eine Familie zu finden, die nicht betroffen ist."
Nach Auskunft der Berichte halten die syrischen Behörden die Leichen von mehr als 456 Palästinensern zurück, die unter der Folter und im Gefängnis gestorben sind. Niemand weiss genau, wo die Leichen aufbewahrt werden oder warum sich die syrischen Behörden weigern, sie an ihre Familien herauszugeben.
Noch verstörender sind Berichte, die darauf hindeuten, dass die syrischen Behörden Organe aus den Körpern toter Palästinenser entnommen haben. Erfahrungsberichte einiger Palästinenser weisen auf eine Bande mit Verbindungen zur syrischen Regierung hin, die mit den Organen der Opfer, darunter Frauen und Kinder, Handel betreibt. Nahezu 1.100 Palästinenser vegetieren seit Beginn des Bürgerkriegs vor mehr als fünf Jahren in syrischen Gefängnissen dahin. Die syrischen Behörden stellen keinen Statistiken über die Anzahl der Häftlinge und Gefangenen zur Verfügung. Auch verweigern sie Menschenrechtsgruppen oder dem Roten Kreuz den Zutritt zu Gefängnissen oder Gefangenenlagern.
Dem jüngsten Bericht über die Not der Palästinenser in Syrien zufolge wurden seit Kriegsbeginn 3.420 Palästinenser (darunter 455 Frauen) getötet. Der von der Action Group For Palestinians of Syria veröffentlichte Bericht gibt ausserdem an, dass fast 80.000 Palästinenser nach Europa geflohen sind, während 31.000 in den Libanon, 17.000 nach Jordanien, 6.000 nach Ägypten, 8.000 in die Türkei und 1.000 in den Gazastreifen flohen. Weiterhin meldet der Bericht, dass 190 Palästinenser in Folge von Mangelernährung und fehlender medizinischer Versorgung starben, weil ihre Flüchtlingslager und Dörfer von der syrischen Armee und bewaffneten Gruppierungen belagert werden.
Syrische Palästinenser. (Foto: UNRWA / Omar Sanadiki) |
Alarmiert von der Gleichgültigkeit der internationalen Gemeinschaft angesichts ihrer Not versuchten die syrischen Palästinenser, sich in den Sozialen Medien Gehör zu verschaffen, in der Hoffnung, dass Entscheidungsträger im Westen oder der UN-Sicherheitsrat, die doch so fixiert auf den israelischen Siedlungsbau sind, ihrem Leiden möglicherweise Aufmerksamkeit schenken würden. Die jüngste Social-Media-Kampagne mit dem Titel "Wo sind die Gefangenen?" bezieht sich auf das unbekannte Schicksal jener Palästinenser, die verschwunden sind, seit sie von den syrischen Behörden verhaftet wurden. Die Organisatoren der Kampagne enthüllten, dass in den vergangenen Jahren 54 Minderjährige in syrischen Gefängnissen zu Tode gefoltert wurden. Die Organisatoren stellten fest, dass über Hunderte von Häftlingen und Gefangenen keine Rechenschaft abgelegt wurde, nachdem sie von den syrischen Behörden festgenommen wurden.
Einem weiteren Bericht zufolge haben mehr als 80 % der in Syrien lebenden Palästinenser seit Ausbruch des Kriegs ihre Jobs und Geschäfte verloren. Der Bericht ergänzte, dass viele palästinensische Kinder gezwungen waren, die Schule abzubrechen und sich Arbeit zu suchen, um ihre Familien zu unterstützen.
Der internationalen Gemeinschaft und den westlichen Medien ringen diese Zahlen und Berichte über die in Syrien lebenden Palästinenser höchstens ein gelangweiltes Gähnen ab. Auch den arabischen Ländern sind die ermordeten und verhungerten syrischen Palästinenser gleich. In der arabischen Welt sind Menschenrechtsverletzungen nichts Neues. Wenn in einem arabischen Land hingegen die Menschenrechte respektiert werden, ist das tatsächlich etwas Neues.
Auch die palästinensische Führung im Westjordanland und dem Gazastreifen ist blind für das Leiden ihres Volks in der arabischen Welt, insbesondere in Syrien. Diese sogenannten Führer sind zu sehr damit beschäftigt, sich gegenseitig an den politischen Hals zu gehen, als dass sie sich um das Wohlergehen ihres Volkes kümmern würden, das von den undemokratischen und repressiven Regimes der Palästinensischen Autonomiebehörde und der Hamas unterdrückt wird. Diese Führer machen sich mehr Sorgen über Präsident Donald Trumps Vorhaben, die US-Botschaft nach Jerusalem zu verlegen, als über ihr eigenes Volk. In den vergangenen 14 Tagen liessen Mahmoud Abbas und seine offiziellen Vertreter keine Gelegenheit aus, um davor zu warnen, dass die Verlegung der US-Botschaft nach Jerusalem zu Unruhen im Nahen Osten führen würde. Das Morden, die Folter und die Vertreibung von Palästinensern in einem arabischen Land scheinen sie nicht auf dem Schirm zu haben.
Es wird sich zeigen, ob der UN-Sicherheitsrat seine Prioritäten richtig setzt und eine Krisensitzung einberuft, um die mörderische Kampagne gegen die Palästinenser in Syrien zu diskutieren. Mit etwas Glück könnte dies dann den "Siedlungsbau" als Thema, das die Verurteilung der ganzen Welt verdient, ablösen.
Khaled Abu Toameh ist ein preisgekrönter arabisch-israelischer Journalist und TV-Produzent.