Was meint die Hamas, wenn sie sagt, sie "akzeptiere" einen unabhängigen palästinensischen Staat im Westjordanland, dem Gazastreifen und Ost-Jerusalem, ohne dabei Israels Existenzrecht anzuerkennen?
Ist dies tatsächlich ein Zeichen der Mässigung und des Pragmatismus seitens der extremistischen islamischen Terrorbewegung? Oder ist es nur ein weiteres Täuschungsmanöver mit dem Ziel, alle hinters Licht zu führen, insbesondere die leichtgläubigen Westler, und ihnen weiszumachen, dass die Hamas zugunsten einer Zwei-Staaten-Lösung von ihrer Strategie, Israel zu zerstören, abgerückt sei?
In jüngerer Zeit erweckten Berichte den Eindruck, die Hamas bewege sich in Richtung der "Erklärung eines palästinensischen Staates innerhalb der Grenzen von 1967."
Laut diesen Berichten denkt die Hamas ebenfalls darüber nach, ihre Charta dahingehend zu ändern, dass sie künftig keine antisemitischen Bezugnahmen mehr enthalten soll. Die im August 1988 formulierte Charta enthält antisemitische Passagen und charakterisiert die israelische Gesellschaft als von Nazi-ähnlicher Grausamkeit. Die gleichen Berichte behaupteten ausserdem, dass die überarbeitete Charta der Hamas weiterhin feststellen wird, dass die Terrorbewegung kein Teil der Muslimbruderschaft ist.
Einige Analytiker in Israel und dem Westen interpretierten diese Berichte als ein Zeichen, dass die Hamas endlich eine Politik des Pragmatismus gegenüber Israel und den Juden befürwortet. Besonders begeistert sind sie von der angeblichen Absicht der Hamas, (in ihrer überarbeiteten Charta) zu erklären, dass es bei ihrem Konflikt mit Israel "ausschliesslich um Zionismus und die Besatzung, nicht aber um Juden sonstwo in der Welt" geht.
Nach den von einigen Kommentatoren und "Experten" für palästinensische Angelegenheiten in den vergangenen Tagen veröffentlichten Analysen zu urteilen, könnte man vermuten, die Hamas sei auf dem Weg, eine dramatische Veränderung in ihrer bösartigen Ideologie zu vollziehen. Leider sprechen die Fakten jedoch eine andere Sprache.
Veränderung hin oder her, die Bewegung hat nicht die geringste Absicht, sich von ihrem Dschihad zur Zerstörung Israels und dem weiteren Töten von Juden zu verabschieden.
Die vermeintliche Umkehr der Politik der Hamas ist eine Illusion. Was die Hamas Tag und Nacht auf Arabisch predigt, erzählt eine andere Geschichte. Tatsächlich sind die offiziellen Hamas-Vertreter sehr deutlich und geradeheraus, wenn sie in arabischer Sprache zu ihrem Volk reden. Dennoch wollen sich westliche und israelische Analysten gleichermassen nicht von den Fakten stören lassen.
Wenn die Hamas davon spricht, einen palästinensischen Staat innerhalb der vor 1967 bestehenden Grenzen zu "akzeptieren", dabei jedoch das Existenzrecht Israels nicht anerkennt, dann sagt sie damit in Wirklichkeit: "Gebt uns einen Staat, damit wir ihn als Ausgangsbasis für die Zerstörung Israels benutzen können."
Tatsächlich lässt der hochrangige Hamas-Offizielle Ismail Radwan keinen Raum für Zweifel, als er seinen Standpunkt erklärt. "Die Hamas", so stellt er fest, "ist nicht gegen die Gründung eines palästinensischen Staates innerhalb der 'Grenzen' von 1967, das bedeutet jedoch nicht, dass wir die zionistische Besatzung anerkennen werden und [wir stellen ausserdem fest:], das gesamte palästinensische Land gehört den Palästinensern und islamischen Generationen." Weiterhin wiederholte Radwan die Oppositionshaltung der Hamas gegenüber allen wie auch immer gearteten Verhandlungen mit Israel.
Der Führer der Hamas, Mahmoud Zahar, zögerte ebenfalls nicht, Aussagen, nach denen seine Bewegung angeblich auf dem Weg zur Annahme der Zwei-Staaten-Lösung sei, zu entkräften. Als er dazu aufrief, die "Intifada" gegen Israel zu verschärfen, verkündete Zahar ausserdem, das Ziel der Hamas sei, "die Befreiung von ganz Palästina."
Ausserdem bestritt die Hamas die Absicht, ihre Verbindungen zur Muslimbruderschaft abbrechen zu wollen. "Die Berichte zielen darauf ab, das Image der Hamas in den Augen der Welt zu schädigen", erklärte ein hochrangiger Vertreter der Hamas. Weiterhin leugnete er, dass die Hamas plane, den bewaffneten Kampf gegen Israel zugunsten eines friedlichen "Widerstands" des Volkes aufzugeben.
Einige Berichte gaben Anlass zu der Vermutung, dass die Hamas-Führer Khaled Mashaal und Ismail Haniyeh diejenigen sind, die auf die Veränderungen in der Charta der Bewegung drängen. Sollte Mashaals und Haniyehs Mission erfolgreich sein, gibt es allerdings keine Garantie, dass sich der militärische Flügel der Hamas auch tatsächlich dem fügen wird.
Bei der kürzlichen internen und geheimen Wahl ging Yahya Sinwar als oberster Anführer der Bewegung im Gazastreifen hervor. Seine Wahl kann als ein Gradmesser für den wachsenden Einfluss des militärischen Flügels der Hamas betrachtet werden. Der verurteilte Mörder Sinwar wurde vor einigen Jahren aus einem israelischen Gefängnis entlassen. Sein Aufstieg zur Macht ist ausserdem ein Zeichen, dass sich die Hamas hin zu mehr Extremismus und Terrorismus bewegt und sich auf den nächsten Krieg mit Israel vorbereitet.
Der Militärflügel der Hamas hat eine recht befleckte Vergangenheit, was die Befolgung der Anweisungen der politischen Führer der Bewegung anbetrifft. So wurden etwa wiederholte Versuche von Mashaal und Haniyeh, den Disput mit der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) von Mahmoud Abbas zu beenden, immer wieder vom militärischen Flügel der Hamas und anderen Führern der Bewegung, in erster Linie Zahar, vereitelt.
Erinnern wir uns nur einen Moment lang an die jährlich stattfindenden Kundgebungen des militärischen Flügels der Hamas im Gazastreifen. Bei diesen Kundgebungen erinnern maskierte Hamasterroristen die Weltöffentlichkeit daran, dass ihr wahres Ziel die "Befreiung von ganz Palästina" ist.
Bei einer solchen Kundgebung verkündete Zahar, dass die Hamas bereits eine Armee habe, deren Mission die "Befreiung von ganz Palästina" sei. Er fuhr fort: "So Gott will, wird diese Armee Jerusalem erreichen."
Die Hamas hält weiterhin an sämtlichen Formen des Terrorismus gegen Israel fest. Es gibt keinerlei Zeichen, dass die Bewegung auf dem Weg ist, einen friedlichen Volkswiderstand gegen Israel zu befürworten. Ganz im Gegenteil: Die Hamas lässt keine Gelegenheit aus klarzustellen, dass sie auch weiterhin den Terrorismus gegen Israel unterstützt. Die letzte diesbezügliche Bestätigung kürzlich von einem ihrer Sprecher, Abdel Latif Al-Kanou, der in einer Stellungnahme eine Messerattacke auf zwei israelische Polizeibeamte in Jerusalem rühmte. Er lobte den Angriff als eine "heldenhafte Operation" und betonte, dass die "Intifada" gegen Israel auch künftig weiter gehe.
Es ist auch nicht das erste Mal, dass die Hamas davon redet, einen palästinensischen Staat innerhalb der Grenzen von vor 1967 zu "akzeptieren".
In der Vergangenheit wurden immer wieder einmal Hamas-Offizielle zitiert, die gesagt haben sollen, sie würden die Möglichkeit nicht ausschliessen, dass ihre Bewegung eines Tages eine solche Idee akzeptieren würde. Diese Bemerkungen fanden jedoch immer genau dann statt, wenn die Hamas ihre zunehmende Isolation im Gazastreifen beenden wollte.
Die jüngsten Berichte über anstehende Veränderungen in der Charta der Hamas sollten daher ebenfalls in diesem Kontext der andauernden Bestrebungen der Bewegung zur Beendigung ihrer Isolation betrachtet werden. Das Ganze ist nichts als ein Deckmantel, der der internationalen Gemeinschaft weismachen soll, sie sei auf dem Weg, ihre mörderischen Absichten zu mässigen.
Was aber hat diesen hinterlistigen "Sinneswandel" tatsächlich bewirkt?
Es sind Berichte, denen zufolge die Trump-Regierung darüber nachdenkt, die Muslimbruderschaft als Terrorgruppe einzustufen. Aller Wahrscheinlichkeit nach will die Hamas einfach den Eindruck erwecken, sie bewege sich in Richtung einer moderaten Haltung. Mit anderen Worten, die Hamas ist bereit zu lügen – zumindest in englischer Sprache – was ihre Unabhängigkeit von der Muslimbruderschaft anbetrifft.
Beunruhigenderweise vermarkten bereits einige Westler die Täuschungsmanöver der Hamas als eine "wesentliche Veränderung" in der Ideologie und den Plänen der Bewegung. Tatsache ist jedoch, dass die Hamas nach wie vor eine terroristische Organisation ist, die nicht von ihren Plänen zur Zerstörung Israels und der Ermordung so vieler Juden wie nur irgend möglich abgelassen hat und dies auch künftig nicht beabsichtigt. Hier eine kleine Kostprobe der tödlichen Realität: Die Hamas versucht im Rahmen ihrer Pläne zur Zerstörung Israels ihre Kontrolle auf das Westjordanland auszudehnen. Sie will, dass Israel den Palästinensern mehr Land gibt, damit dieses dann als Ausgangsbasis verwendet werden kann, um die Juden ins Meer zu treiben. Das ist die Hamas – ob es einem gefällt oder nicht.
Bassam Tawil lebt als Wissenschaftler und Journalist im Nahen Osten.