Am Vorabend des Besuchs des US-Unterhändlers Jason Greenblatt in Ramallah in der vergangenen Woche demonstrierten Hunderte Palästinenser in der Stadt und riefen den Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) Mahmoud Abbas zum Rücktritt auf. Die Demonstranten verurteilten zudem die laufende Sicherheitskooperation zwischen der PA und Israel.
"Hören Sie, hören Sie gut zu, Abbas: Packen Sie Ihre Hunde ein und lassen Sie uns in Ruhe", skandierten die palästinensischen Demonstranten bei der Veranstaltung, die als grösste Anti-Abbas-Demonstration in Ramallah in den letzten Jahren bezeichnet wurde. Sie forderten zudem die Aufhebung des Abkommens von Oslo mit Israel und bezeichneten Abbas als "Feigling" und Agenten der Amerikaner.
Es ist nicht bekannt, ob Greenblatt von der grossen Anti-Abbas-Demonstration wusste. Die Kundgebung war eine Protestreaktion, die sich nach dem gewaltsamen Durchgreifen der Sicherheitskräfte der PA gegen friedliche Demonstranten in Ramallah einige Tage zuvor entwickelt hatte.
Bei diesem Protest hatten Sicherheitskräfte der PA übertriebene Härte gezeigt, um eine Gruppe von Palästinensern auseinanderzutreiben. Diese hatten gegen die Entscheidung der PA demonstriert, vier Palästinenser wegen illegalen Waffenbesitzes anzuklagen. Die PA-Sicherheitskräfte hatten die vier Verdächtigen inhaftiert – und sie später wieder freigelassen –, obwohl sie Berichten zufolge geplant hatten, einen Anschlag auf Israelis durchzuführen. Einer der Verdächtigen, Basel Al-Araj, wurde bei einer bewaffneten Auseinandersetzung mit israelischen Soldaten getötet. (Al-Araj stand wegen der Planung eines Anschlags auf Israelis auf der israelischen Fahndungsliste. Als israelische Soldaten das Haus umstellten, in dem er sich versteckte, eröffnete er das Feuer auf sie und wurde getötet.)
Der Tod von Al-Araj und die Entscheidung der PA, seine Freunde strafrechtlich zu verfolgen, lösten den ersten Protest aus, den die PA-Sicherheitskräfte brutal niederschlugen. Die zweite Demonstration einige Tage später in Ramallah war eine Antwort auf die übermässige Gewaltanwendung der PA-Sicherheitskräfte gegenüber den Demonstranten.
Die Proteste in Ramallah, der De-facto-Hauptstadt der Palästinenser, sind nur ein weiteres Zeichen für die wachsende Unzufriedenheit der Palästinenser mit Abbas und seinem autokratischen Regime. Die Palästinenser sind besonders erzürnt über die Sicherheitskooperation der Palästinensischen Autonomiebehörde mit Israel, die vor allem darauf abzielt, Terrorismus zu bekämpfen und die Hamas davon abzuhalten, die Kontrolle über das Westjordanland zu übernehmen.
Doch dies war bei Weitem nicht nur eine einfache Demonstration gegen Abbas und seine Sicherheitskräfte. Es war auch ein Schlachtruf dafür, die bewaffnete Auseinandersetzung mit Israel mit zusätzlichem Nachdruck fortzusetzen.
"Nein zum Frieden und zu all dem Unsinn, wir wollen Munition und Raketen", skandierten einige der Demonstranten. Diese Aufrufe für einen bewaffneten Kampf gegen Israel kamen insbesondere aus den Strassen Ramallahs und nicht aus dem von der Hamas kontrollierten Gazastreifen.
Die Proteste spiegeln zudem die Ablehnung der Palästinenser gegenüber dem sogenannten Friedensprozess mit Israel wider. Zusätzlich zu den Rücktrittsforderungen an Abbas verlangten die Demonstranten, dass die PA alle Verträge mit Israel aufhebt – in erster Linie das Abkommen von Oslo.
Mit anderen Worten – die Palästinenser geben ihr Bestes, um ihre Botschaft zu verbreiten: Israel ist unser Feind und nicht unser Friedenspartner.
In einem verzweifelten Versuch, den wachsenden Unmut auf den Strassen Palästinas einzudämmen, ordnete Abbas eine Untersuchung der polizeilichen Gewalt gegen die Demonstranten in Ramallah an. Bei diesem Vorfall befanden sich auch Journalisten und Anwälte unter denen, die von Abbasʼ Sicherheitskräften brutal zusammengeschlagen wurden.
Viele Palästinenser äusserten sich jedoch weiterhin skeptisch in Bezug auf Abbas' Intentionen und wiesen darauf hin, dass frühere Untersuchungskommissionen zu polizeilicher Gewalt nur selten zu Strafmassnahmen gegen die Verantwortlichen geführt hatten. "Die Bildung einer Untersuchungskommission zur polizeilichen Gewalt ist nur ein weiterer Versuch Abbas', den Zorn auf den Strassen Palästinas im Zaum zu halten und eine Intifada gegen sein Regime zu verhindern", merkte ein palästinensischer Journalist in Ramallah an. "Abbas' zionistisch-palästinensische Autonomiebehörde ist eine Bedrohung für die palästinensische Sache."
Während sich Abbas mit dem US-Unterhändler traf, zeigte eine in Ramallah veröffentlichte Meinungsumfrage, dass eine Mehrheit von 64 % der Palästinenser für den Rücktritt ihres Präsidenten ist. Weitere 61 % der Palästinenser äusserten ihre Unzufriedenheit mit dem Auftreten Abbas'. Würden heute Präsidentschaftswahlen im Westjordanland und im Gazastreifen abgehalten werden, erhielte der Anführer der Hamas, Ismail Haniyeh, der Umfrage zufolge die gleiche Stimmzahl wie Abbas.
Nichts von alldem – weder die zornigen Proteste noch der Ausdruck der Verachtung der Palästinenser – scheint Abbas zu stören.
Dieser Präsident scheint keinerlei Verbindung zur Realität zu besitzen – und die sieht so aus, dass ihm ein grosser Teil der Palästinenser desillusioniert gegenübersteht und ihn als Marionette in den Händen Israels und den USA sieht. Aktuell scheint es ihn nicht zu interessieren, was sein Volk über ihn denkt. Langfristig gesehen wäre er jedoch niemals dazu in der Lage, ohne den Rückhalt der palästinensischen Bevölkerung für einen Friedensprozess mit Israel einzutreten. Wie sein Vorgänger Yasser Arafat will er nicht als "Verräter", der sich an Israel und die Juden verkauft, in die Geschichte eingehen.
Abbas, dessen vierjährige Amtszeit eigentlich im Januar 2009 zu Ende war, soll Berichten zufolge dem US-Unterhändler gesagt haben, dass eine "historische" Friedensvereinbarung mit Israel möglich sei. Laut einer vom US-Konsulat in Jerusalem veröffentlichten Stellungnahme hat sich Abbas zudem "zur Vermeidung von Hetzreden und Aufstachelung (gegen Israel) verpflichtet".
Hier haben wir also einen palästinensischen Anführer, der lauthals von einem "historischen" Abkommen mit Israel tönt, während die palästinensische Bevölkerung nur einige hundert Meter weiter deutlich ihre Ablehnung kundtut – die Ablehnung Abbas' und des Friedens.
Was noch weiter zur Ironie des Ganzen beiträgt: Ein palästinensischer Anführer spricht davon, Aufstachelungen zu vermeiden, während er und seine Medienkanäle sowie hochrangige Beamte eine Kampagne anführen, die Israel delegitimiert und isoliert.
Erst in dieser Woche entschied Abbas, die hochrangige UN-Beamtin Rima Khalaf für die Veröffentlichung eines kontroversen Berichts, in dem Israel der "Apartheid" beschuldigt wird, für seine "Tapferkeit" auszuzeichnen.
Abbas' Aussenminister Riad Malki äusserte inzwischen seine Empörung über die Entscheidung des UN-Generalsekretärs, den "Apartheid"-Bericht zu streichen (der Grund für Khalafs Rücktritt). Malki sagte, die PA-Führung habe all seine Botschaften und Vertreter auf der ganzen Welt angewiesen, den Bericht als Beweis der "Verbrechen" Israels gegen die Palästinenser zu verbreiten.
Abbas' Versprechen, Hetzreden gegen Israel zu verhindern, scheint an seinen Herausgebern und Journalisten vorbeigegangen zu sein.
Nehmen wir beispielsweise die Antwort der von der palästinensischen Autonomiebehörde kontrollierten Medien auf den Marathon in Jerusalem in der letzten Woche. In den PA-Medien wird das Sportevent als Teil eines israelischen Plans zur "Judaisierung" Jerusalems und zur Veränderung des "arabischen und islamischen Charakters" der Stadt dargestellt.
Abbas' Medien stellen die Besuche von Juden am Tempelberg zudem weiterhin als "provokative Invasionen" der al-Aqsa-Moschee dar. Die jüdischen Besucher werden als "Siedler-Gangs" beschrieben, die "verdächtige Touren" durch religiöse Stätten des Islam machen. Genau diese Art der Terminologie bewegt viele Palästinenser dazu, Israelis bei Messerstechereien anzugreifen und mit Autos in Menschenmengen aus Israelis zu fahren.
Abbas kann dem neuen US-Unterhändler alle Versprechen der Welt geben. Ob er jedoch auch nur eines davon hält, steht auf einem ganz anderen Blatt.
Abbas hatte sehr oft Gelegenheit dazu, ein "historisches" Abkommen mit Israel zu schliessen, doch er hat die Erwartungen nie erfüllt. Ganz im Gegenteil: Er hat wiederholt Angebote zu direkten Gesprächen mit Israel ausgeschlagen und stattdessen darauf bestanden, seine Kampagne zur Internationalisierung des Konflikts fortzuführen – in der Hoffnung, Israel eine Lösung aufzudrängen.
Abbas weiss jedenfalls, dass er die Mehrheit der Palästinenser niemals dazu bewegen könnte, ihn bei der Unterzeichnung einer Friedensvereinbarung mit Israel zu unterstützen. Kein palästinensischer Führer ist autorisiert, Israel im Gegenzug für Frieden Zugeständnisse einzuräumen.
Das "freundliche" und "positive" Treffen mit dem neuen US-Unterhändler wird keine Veränderungen bewirken – und ganz gewiss nicht bei Abbas.
Abbas' Vorgehensweise ist es, vor seinen Problemen zu Hause davonzulaufen, indem er sich vor der internationalen Gemeinschaft als Führer präsentiert, der nach Frieden strebt. Jede weitere züngelnde Flamme, die seinen Palast der Täuschungen zu verschlingen droht, lässt den 82-jährigen Abbas bei den Anführern der Welt und der internationalen öffentlichen Meinung um Sympathien werben. Abbas' Friedensversprechen sind so leer wie seine politische Macht, die er seinen westlichen Geldgebern vorspielt.
Khaled Abu Toameh ist ein preisgekrönter arabisch-israelischer Journalist und TV-Produzent