Die wöchentlichen Demonstrationen an der Grenze zwischen dem Gazastreifen und Israel, die an diesem Freitag in die siebte Woche gehen sollen, werden zweifelsohne auch weiterhin die Aufmerksamkeit der internationalen Gemeinschaft und Medien auf sich ziehen.
Unterdessen wird niemand dem Beachtung schenken, was an der anderen [der ägyptischen] Grenze des Gazastreifens geschieht, die in den vergangenen zehn Jahren fast permanent geschlossen war.
Die an der Grenze zu Israel stattfindenden Demonstrationen werden von der Hamas und anderen palästinensischen Fraktionen im Gazastreifen organisiert. Sie sind Teil des sogenannten "Marsches der Rückkehr" – einer sechswöchigen Protestkampagne, die ihren Höhepunkt am "Nakba-Tag" (dem "Tag der Katastrophe") erreichen soll, dessen Bezeichnung sich von dem Begriff, mit dem die Palästinenser die Gründung des Staates Israel im Jahr 1948 bezeichnen, ableitet.
Die arabischen Länder, die damals gegen die Gründung eines Heimatlandes für das jüdische Volk waren, sandten ihre Armeen aus, um Israel anzugreifen, unterlagen diesem jedoch – ein Resultat, das man besser in Betracht ziehen sollte, bevor man angreift. Seit damals begehen die Palästinenser und Araber das Gedenken an ihre Niederlage, indem sie anti-israelische Proteste abhalten und lautstark ihre Weigerung, die Existenzberechtigung Israels anzuerkennen, kundtun.
Allerdings planen sie, selbstverständlich, keine Demonstrationen an der Grenze des Gazastreifens zu Ägypten, um gegen die fortgesetzte Schliessung des bekannteren Grenzübergangs Rafah – ihrem Durchgang nach Ägypten – zu protestieren.
Die Palästinenser reden nicht gerne über die ägyptische Blockade des Gazastreifens. Lieber verschliessen sie ihre Augen vor den strengen Einreisebeschränkungen, die Ägypten den Bewohnern des Gazastreifens auferlegt, und schieben stattdessen alle Schuld auf Israel. Derzeit können führende Hamas-Vertreter den Gazastreifen nicht ohne die Erlaubnis Ägyptens verlassen. Sie wollen den Ägyptern keine Unannehmlichkeiten bereiten, damit diese ihnen die Ausreise aus dem Gazastreifen nicht komplett verbieten.
Die Organisatoren des "Marsches der Rückkehr", darunter verschiedene Hamas-Führer, haben in den vergangenen Wochen wiederholt klar gemacht, dass das wahre Ziel der Kampagne darin liegt, das "Recht auf Rückkehr" für palästinensische Flüchtlinge sowie deren mehrere Generationen umfassenden Nachkommen in ihre ehemaligen Häuser und Dörfer in Israel zurückzuerlangen.
Für Palästinenser bedeutet das "Recht auf Rückkehr", dass Israel Millionen Palästinensern erlauben soll, nach Israel zu kommen – eine Forderung, die keine israelische Regierung jemals akzeptieren könnte, da sie die Juden zu einer Minderheit in ihrem eigenen Staat machen würde.
Demzufolge geht es beim "Marsch der Rückkehr" wohl kaum um eine "humanitäre Krise" im Gazastreifen. Vielmehr ist es eine Kampagne, die darauf abzielt, das Thema der palästinensischen Flüchtlinge ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken und der Welt mitzuteilen, dass die Palästinenser das, was sie ihr "Recht auf Rückkehr" nennen, nicht aufgeben werden.
Der "Marsch der Rückkehr", so verkündete Hamas-Führer Ismail Haniyeh vor einigen Tagen, markiere den Beginn einer neuen palästinensischen Intifada oder eines Aufstands gegen Israel. Wie Haniyeh und andere Organisatoren der Kampagne in den letzten Wochen deutlich formulierten, ist das Ziel der palästinensischen Proteste, US-Präsident Donald Trumps noch ausstehenden Friedensplan für den Nahen Osten zu vereiteln. Die Palästinenser behaupten, der Plan ziele vorrangig darauf ab, die Sache der Palästinenser sowie deren nationale Rechte zu "eliminieren".
Einige Palästinenser gaben an, dass der "Marsch der Rückkehr" ausserdem die Blockade beenden soll, die seit der gewaltsamen Machtübernahme der Küstenenklave durch die Hamas im Sommer 2007 über den Gazastreifen verhängt wurde.
Trotz der Blockade hat Israel seine Grenze zum Gazastreifen bis auf wenige Ausnahmen – wenn die Hamas und andere bewaffnete Gruppierungen Terroranschläge gegen Israelis verüben – offen gehalten. Und selbst in solchen Ausnahmefällen schliesst Israel die Grenzübergänge nur für wenige Stunden oder Tage.
Die zivil und kommerziell genutzten Grenzübergänge standen auch immer verschiedenen palästinensischen und ausländischen Staatsbürgern offen, die fast täglich in den Gazastreifen pendeln.
Und doch sind alle Augen auf die Grenze zwischen dem Gazastreifen und Israel gerichtet – was aber ist mit dem anderen Grenzübergang, dem zum Ägypten?
Der Grenzübergang Rafah ist das einzige Tor vom Gazastreifen nach Ägypten und in den Rest der arabischen Welt. Es ist dieser Grenzübergang, wo das wahre Leiden der Palästinenser stattfindet. Er war die letzten zehn Jahre grösstenteils geschlossen und verschlimmerte somit das Elend der zwei Millionen Palästinenser im Gazastreifen weiter. Die Ägypter nennen häufig "Sicherheitsgründe" als Hauptursache für die Schliessung. Nach Angabe ägyptischer Sicherheitsquellen hat es in den vergangenen Jahren zunehmend Zeichen der Zusammenarbeit zwischen der Hamas und einigen dschihadistischen Gruppierungen im Sinai gegeben.
Der Gazastreifen könnte eine lebenswerte Umgebung sein, wenn die Ägypter die Grenzstation in Rafah öffnen und der Welt erlauben würden, den dort lebenden Palästinensern zu helfen.
Israels Bedenken sind, dass übers Meer Waffen in den Gazastreifen geschmuggelt werden könnten. Das ist der Grund, warum Israel seine Seeblockade entlang des Gazastreifens aufrechterhält. In der Vergangenheit versuchten der Iran und die Hisbollah, entlang der Küste des Gazastreifens Waffen ins Land zu schmuggeln.
Viele der im Gazastreifen herrschenden Probleme könnten gelöst werden, wenn die ägyptischen Behörden den Palästinensern erlauben würden, den Gazastreifen zu verlassen, um zu studieren, sich medizinisch versorgen zu lassen und Arbeit zu finden.
Niemand verlangt von den Ägyptern, dass sie die Palästinenser aus dem Gazastreifen aufnehmen und aus ihnen ägyptische Staatsbürger machen. Niemand verlangt von den Ägyptern, dass sie die Palästinenser mit Arbeit sowie humanitärer und medizinischer Hilfe versorgen. Niemand verlangt von den Ägyptern, dass sie durch die Öffnung des Grenzübergangs in Rafah ihre Sicherheit gefährden.
Die meisten Palästinenser wollen sowieso nicht in Ägypten bleiben. Für sie ist der Grenzübergang in Rafah nur ein Durchgang in andere Länder.
Es stimmt, dass die Ägypter ihre eigenen Sicherheitsbedenken haben, insbesondere angesichts der zunehmenden Präsenz verschiedener islamistischer Terrororganisationen im Sinai. Diese Sicherheitsbedenken sind natürlich nicht unberechtigt: Dschihadistische Gruppierungen führen nach wie vor eine Kampagne von Terroranschlägen gegen ägyptische Soldaten und Zivilisten im Sinai.
Ägyptens Blockade des Gazastreifens begann jedoch schon lange vor dem Auftauchen der islamistischen Terrororganisationen im Sinai.
Seit 2009 halten die ägyptischen Behörden den Grenzübergang Rafah zum Gazastreifen bis auf wenige Ausnahmen geschlossen. In diesem Jahr war die Grenzstation insgesamt ganze 35 Tage geöffnet. 2014 war es mit einem an 125 Tagen geöffneten Grenzterminal ein wenig besser. 2015 war der Grenzübergang lediglich 32 Tage offen, während es 2016 nur 41 Tage waren. Im letzten Jahr, 2017, war es am Schlimmsten: Die Ägypter hatten das Terminal nur an insgesamt 29 Tagen geöffnet.
2017 öffnete Ägypten das Rafah-Grenzterminal für nur 29 Tage insgesamt. (Foto: Chris McGrath/Getty Images) |
Die ägyptische Blockade des Gazastreifens ist jedoch nicht vorrangig von Sicherheitsbedenken motiviert. Die Ägypter wollen schlicht und einfach nicht für die Not der Palästinenser im Gazastreifen verantwortlich sein. Kairo betrachtet die Palästinenser als "Unruhestifter" und "undankbares" Volk, dem es einfach nicht helfen will.
In dieser Hinsicht unterscheiden sich die Ägypter nicht von den meisten anderen arabischen Ländern. Die Araber haben schlechte Erfahrungen mit den Palästinensern gemacht.
Anfang der 1970er Jahre vertrieb Jordanien in einer blutigen und bei den Palästinensern als "Schwarzer September" bekannten Offensive die PLO aus dem Königreich.
Tausende Palästinenser wurden getötet oder verletzt, als die jordanische Armee eine massive Militäroperation startete, um die PLO daran zu hindern, in Jordanien einen Staat im Staat zu gründen.
Eine ähnliche Erfahrung machten die Libanesen mit der PLO, als die Organisation in den 1970er und frühen 1980er Jahren ihre Basis in Beirut hatte. Auch dort versuchte die PLO, einen Staat innerhalb des Staats zu gründen und stellte eine ernsthafte Bedrohung für die Souveränität des Libanon dar.
Kein arabisches Land will die gleichen Erfahrungen machen wie Jordanien und der Libanon. Das ist der Grund, warum die meisten arabischen Länder strikte Reisebeschränkungen für Palästinenser ausgegeben haben und sogar diskriminierende gesetzliche Regelungen und Apartheidgesetze auf sie anwenden.
Den arabischen Ländern bereiten die Palästinenser üble Kopfschmerzen. Auch die Araber halten die Palästinenser für "undankbar", besonders, nachdem die PLO 1990 Saddam Husseins Invasion in Kuweit unterstützte. Kuwait war eines von mehreren arabischen Ländern, das die Palästinenser jährlich mit Millionen Dollar an Finanzhilfen unterstützte. Als dann jedoch Kuwait in Saddams Hände fiel, waren die Palästinenser die ersten, die auf die Strassen liefen, um die Invasion zu feiern und lautstark ihre Unterstützung für den irakischen Diktator zu bekunden.
Es würde Sinn machen, wenn die Palästinenser im Gazastreifen Demonstrationen an der Grenze zu Ägypten durchführen würden, um ein Ende der ägyptische Blockade des Gazastreifens zu verlangen. Es gibt durchaus gute Gründe dafür; warum jedoch tun die Palästinenser im Gazastreifen nichts in dieser Hinsicht? Weil sie sehr wohl wissen, dass jeder Versuch, in das ägyptische Grenzgebiet einzudringen, mit der ganzen Härte der ägyptischen Armee geahndet würde.
Es ist eine Sache, das Leben eines israelischen Soldaten zu gefährden, indem man Steine oder Molotowcocktails auf ihn wirft. Es ist jedoch etwas ganz anderes, wenn es darum geht, ägyptische Soldaten anzugreifen. Die Ägypter würden den gesamten Gazastreifen zerstören und vermutlich gleichzeitig das Hamas-Regime stürzen.
Wiederholte Appelle von Palästinensern an Ägypten, es möge den Grenzübergang Rafah zum Gazastreifen öffnen, stiessen in Kairo auf taube Ohren.
Erst vor Kurzem riefen die Islamischen und Nationalen Kräfte, eine Gruppe palästinensischer Fraktionen im Gazastreifen, den ägyptischen Präsidenten Abd al-Fattah as-Sisi dazu auf, den Grenzübergang zu öffnen, damit verwundete Palästinenser aus dem Gazastreifen medizinische Behandlung in ägyptischen und arabischen Krankenhäusern erhalten könnten. Einmal mehr wurde ihr Aufruf, angeblich aus Sicherheitsgründen, komplett ignoriert. Emad Al-Agha, ein Angehöriger der Islamischen und Nationalen Kräfte, sagte, es gebe intensive Kontakte zu den ägyptischen Behörden, um Kairo dazu zu zwingen, den Grenzübergang aus "humanitären" Gründen zu öffnen.
Berichte über das Elend palästinensischer Reisender an der Grenze zwischen dem Gazastreifen und Ägypten füllen die palästinensischen Medienkanäle. Diese Berichte werden jedoch von den Mainstream-Medien im Westen nahezu vollständig ignoriert. Westliche Journalisten sind sich sehr wohl der geschlossenen ägyptischen Grenze bewusst, aber da Israel nichts damit zu tun hat, ist es den Reportern und ihren Verlegern ziemlich gleichgültig.
Tausende Palästinenser strömen jedes Mal an dem Grenzposten zwischen dem Gazastreifen und Ägypten zusammen, sobald auch nur das geringste Gerücht aufkommt, dass er möglicherweise geöffnet würde. Manche warten tagelang dort mit ihrem Gepäck und sind gezwungen, draussen im Freien zu übernachten. Einige Palästinenser müssen Bestechungsgelder an die Hamas und ägyptische Beamte zahlen, um die Genehmigung zu erhalten, den Gazastreifen über den Grenzübergang zu verlassen. Eine Facebookseite mit dem Titel "Der Grenzübergang Rafah – Endloses Leiden" zeigt Dutzende Beispiele der Erniedrigungen, die die Reisenden dort über sich ergehen lassen müssen.
Wie den meisten arabischen Ländern sind auch Ägypten die Palästinenser egal, insbesondere die im Gazastreifen. Aus Sicht der arabischen Staaten sind die Palästinenser einzig und allein Israels Problem. Und doch schickt Ägypten Palästinenser vor die Tore Israels, um anzuklopfen und Israel die Schuld an der "humanitären" Krise im Gazastreifen zuzuschieben, während in Wahrheit Ägypten verantwortlich für die Blockade des Gazastreifens ist.
Die arabische und ägyptische Heuchelei erreicht neue Höhen, wenn Journalisten aus diesen Ländern mit ihrer Berichterstattung über den "Marsch der Rückkehr" eine Echokammer aus "Fake News" kreieren und sie verwenden, um Israel für die Schliessung seiner Grenze zum Gazastreifen zu verurteilen. Wann wird die wahre Blockade des Gazastreifens – die ägyptische – beim Namen genannt und in den Mainstream-Medien verurteilt werden?
Khaled Abu Toameh ist ein preisgekrönter arabisch-israelischer Journalist und TV-Produzent.