Indien steht vor seiner härtesten militärischen Herausforderung seit fast sechzig Jahren, nachdem 20 indische Soldaten Berichten zufolge bei einem Grenzkonflikt von chinesischen Truppen zu Tode geprügelt wurden. Abgebildet: Ein Konvoi der indischen Armee fährt am 19. Juni 2020 in Gagangir, Indien, auf einer Strasse an der Grenze zu China in Richtung Leh. (Foto von Yawar Nazir/Getty Images) |
Indien steht vor seiner härtesten militärischen Herausforderung seit fast sechs Jahrzehnten, nachdem 20 indische Soldaten Berichten zufolge bei einem Grenzkonflikt von chinesischen Truppen getötet wurden.
Die Soldaten wurden während einer Konfrontation in der Himalaya-Region im Osten Ladakhs mit "Stöcken, Fäusten, Steinen und Holzknüppeln" zu Tode geprügelt, so indische Quellen. In Übereinstimmung mit einem bilateralen Grenzabkommen zwischen Indien und China aus dem Jahre 1996 ist es den Soldaten verboten, in dem Gebiet, in dem der Zusammenstoß stattfand, Waffen abzufeuern.
Chinesische Truppen führten eine "vorsätzliche und geplante Aktion durch, die direkt für die daraus resultierende Gewalt und die Opfer verantwortlich war", sagte der indische Außenminister Subrahmanyam Jaishankar am 17. Juni.
"Nach allem, was ich weiß, hat auch die chinesische Seite Opfer erlitten", twitterte der Chefredakteur der chinesischen Zeitung Global Times, einem Sprachrohr der Kommunistischen Partei.
"Aus indischen Abhöraktionen geht hervor, dass die chinesische Seite bei der gewalttätigen Auseinandersetzung 43 Opfer, darunter Tote und Schwerverletzte, zu beklagen hatte", wie die in Neu-Delhi ansässige Hindustan Times von militärischen Quellen gehört habe.
Peking hat diese Zahlen bisher nicht bestätigt.
Der Konflikt zwischen den beiden nuklear bewaffneten Mächten ist im vergangenen Monat wieder aufgeflammt, nachdem 12.000 chinesische Truppen auf indisches Territorium vorgedrungen waren. Im Mai drang Chinas Volksbefreiungsarmee in das strategische Galwan-Tal ein, das sich in der Nähe der Nordspitze Indiens befindet, und besetzte über 23 Quadratmeilen des Territoriums, berichteten indische Medien. "Die Einnahme des Galwan-Flusstals verschafft der Volksbefreiungsarmee die strategische Vorherrschaft über Stellungen mit Blick auf die indische Straße Darbuk-Shyok-Daulat Beg Oldi (DSDBO), die Leh mit dem Karakoram-Pass verbindet", berichtete die indische Nachrichtenwebsite Print.
Im indisch-chinesischen Krieg von 1962 besetzten chinesische Truppen fast 15.000 Quadratmeilen des indischen Territoriums. China weigert sich nach wie vor, große Teile seiner 2.100 Meilen langen Grenze zu Indien anzuerkennen, und hat zusätzliche 35.000 Quadratmeilen Territorium in der nordöstlichen Region Indiens gefordert.
Konfrontiert mit einer Invasion in strategisch wichtige Höhen und dem brutalen Tod seiner Soldaten steht Indien unter Druck, auf die chinesische Aggression zu reagieren. Premierminister Narendra Modi schwor am 17. Juni angesichts der chinesischen Invasion, "jeden Zentimeter des Landes und seine Selbstachtung fest zu schützen". "Ich möchte der Nation versichern, dass das von unseren Soldaten erbrachte Opfer nicht umsonst gewesen ist", sagte Modi. "Die Integrität und Souveränität Indiens ist für uns oberstes Gebot, und niemand kann uns daran hindern, es zu verteidigen. Niemand sollte daran auch nur den Hauch eines Zweifels haben".
Die chinesische Aggression kommt, während Indien von der Coronavirus-Pandemie heimgesucht wird. Das Land hat rund 12.000 Todesfälle und 366.946 Fälle des Virus gemeldet, das Ende letzten Jahres erstmals in Wuhan, China, auftauchte.
Einige westliche Kommentatoren haben argumentiert, dass Chinas Bullying ein Versuch sei, Indien für die Vertiefung der strategischen Beziehungen zu den Vereinigten Staaten zu bestrafen. "Chinesische Truppen drangen letzten Monat inmitten von Grenzstreitigkeiten über die Grenze nach Indien vor, während Peking den indischen Premierminister Narendra Modi wegen seiner immer enger werdenden Beziehungen zu den Vereinigten Staaten niederzumachen versucht", schrieb der britische Daily Telegraph am 12. Juni.
Wieder andere Kommentatoren führen Chinas verstärkte Drohgebärden – gegen Hongkong, die Philippinen, Japan, Indonesien, Südkorea und Australien – auf die Hoffnung zurück, dass die Welt durch die Coronavirus-Pandemie und die wirtschaftlichen Verwüstungen, die sie auslöste, zu sehr abgelenkt ist, um China zu konfrontieren, geschweige denn zu stoppen.
2019 hat Indien seine Teilnahme an den konsultativen Gesprächen zwischen den USA, Australien, Indien und Japan ("Die Vier") aufgewertet. Dieses indisch-pazifische Bündnis bietet ein Gegengewicht zu Chinas wachsender maritimer und militärischer Aufrüstung in der Region.
Früher diesen Monat unterzeichneten Indien und Australien eine Reihe von Verteidigungsabkommen, die die Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern auf dem Gebiet der Seestreitkräfte fördern. Ein militärisches Logistikabkommen, das als Teil einer bilateralen "Umfassenden Strategischen Partnerschaft" unterzeichnet wurde, verschafft der indischen Marine "einen strategischen Zugang tief in die indisch-pazifische Region", berichtete die indische Zeitung The Times of India. Das am 4. Juni unterzeichnete Abkommen gewährt "gegenseitigen Zugang zu den jeweiligen Militärstützpunkten der beteiligten Nationen", fügte die japanische Zeitung The Nikkei hinzu.
Sowohl Indien als auch Australien sind von Chinas militärischer Aufrüstung bedroht. "Wir setzen uns für einen offenen, integrativen, florierenden indisch-pazifischen Raum ein, und Indiens Rolle in dieser Region, unserer Region, wird in den kommenden Jahren entscheidend sein", sagte der australische Premierminister Scott Morrison, während er die bilaterale strategische Partnerschaft befürwortete. "Wir teilen einen Ozean und wir teilen auch die Verantwortung für diesen Ozean", fügte er hinzu.
Chinas künstliche Inseln im Südchinesischen Meer – ausgestattet mit Militärstützpunkten, Marinehäfen und Flugplätzen – stellen eine strategische Bedrohung für die Nachbarländer dar. 2018 landete China nuklearschlagfähige Bomber auf diesen künstlichen Inseln und sandte damit eine alarmierende Botschaft an die USA und die Regionalmächte aus.
Das jüngste militärische Abenteuer Pekings stellt eine ernste Bedrohung für den Weltfrieden dar. Sowohl China als auch Indien verfügen über bedeutende Atomwaffenarsenale. Mit einer Gesamtbevölkerung von mehr als 2,7 Milliarden Menschen beherbergen diese asiatischen Mächte ein Drittel der Menschheit.
Während die USA ihre Nuklearvorräte abgebaut haben, stockt China sein Arsenal auf, so ein am 15. Juni veröffentlichter Bericht des Stockholmer Internationalen Friedensforschungsinstituts. Laut dem Bericht:
"China befindet sich mitten in einer bedeutenden Modernisierung seines Atomwaffenarsenals. Es entwickelt zum ersten Mal eine so genannte nukleare Triade, die aus neuen land- und seegestützten Raketen und nuklearwaffemtauglichen Flugzeugen besteht".
Auch Indien und Pakistan, Chinas wichtigster regionaler Verbündeter, haben ebenfalls "die Größe und Vielfalt ihrer Nuklearstreitkräfte erhöht", heißt es in dem Bericht.
Trotz Chinas militärischer Überlegenheit und wirtschaftlicher Schlagkraft wäre ein bewaffneter Konflikt mit Indien kein Spaziergang. Abgesehen vom Indien-China-Krieg von 1962 hat Indien keinen einzigen militärischen Konflikt verloren.
Während Indien der chinesischen Militäraggression widerstehen kann, muss die Freie Welt, wenn sie frei bleiben will, ernsthaft der größten Demokratie der Welt zur Seite stehen. Wenn zugelassen wird, dass China in seiner Aggression erfolgreich ist, wird das die Kommunisten in Peking nur dazu ermutigen, Grenzen neu zu ziehen, anderen Ländern in der Region Bedingungen zu diktieren und ihren Plan, die Welt zu beherrschen, voranzutreiben.
Vijeta Uniyal, Journalist und Nachrichtenanalytiker, ist in Deutschland ansässig.