Die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) wird in letzter Zeit von westlichen Regierungen und Politikern unter Druck gesetzt, die seit langem überfälligen Wahlen im Westjordanland und dem Gazastreifen abzuhalten.
Doch diejenigen, die das fordern, ziehen dabei nicht die Möglichkeit in Betracht, dass die Hamas diese Abstimmung erneut gewinnen wird.
Anders die Führung der Palästinensischen Autonomiebehörde im Westjordanland: Sie ist sich darüber im Klaren, dass die Chancen der Hamas, dass genau dies passiert, sehr gut stehen. Das ist der Grund, weshalb PA-Präsident Mahmoud Abbas und seine regierende Fatah von dieser Idee nicht begeistert sind.
Abbas und die Fatah haben sich immer noch nicht von dem Schock der Parlamentswahlen im Januar 2006 erholt, die zum Sieg der Hamas und der anschließenden Vertreibung der Palästinensischen Autonomiebehörde aus dem Gazastreifen führten.
Erst kürzlich mussten Abbas und die Fatah einen weiteren Schlag einstecken, als der mit der Hamas verbundene Islamische Block einen überwältigenden Sieg bei den Wahlen zum Studentenrat an der Universität Bir Zeit im Westjordanland erzielte. Als Antwort darauf ließ der vor Wut tobende Abbas seine Sicherheitskräfte an einer Reihe von Hochschulen im Westjordanland zahlreiche Mitglieder des Islamischen Blocks verhaften. Außerdem wies er alle Universitäten an, von ihnen etwaig angesetzte Wahlen zu Studentenräten abzusagen, aus Angst, dass die Hamas wiederum gewinnen könnte.
Wie aus palästinensischen Quellen verlautet, soll Abbas zudem eine Untersuchung darüber angeordnet haben, warum die Unterstützer der Fatah an der Universität Bir Zeit unterlegen waren. Berichten zufolge hätten hochrangige Offizielle der Fatah aus dem engen Umfeld von Abbas bereits ihren Rücktritt angeboten, um so die Verantwortung dafür zu übernehmen.
Doch während Abbas und die Fatah das Risiko sehen, welches das Abhalten von Präsidentschafts- und Parlamentswahlen birgt, verschließen viele im Westen lieber die Augen und weigern sich, die Wirklichkeit zur Kenntnis zu nehmen.
Das gilt z.B. für den ehemaligen US-Präsidenten Jimmy Carter. Auch er versucht, die Palästinenser zu neuerlichen Wahlen zu überreden.
Am 2. Mai trafen sich Carter und Mitglieder der "Gruppe der Ältesten" in Ramallah mit Abbas und drängten diesen, auf Präsidentschafts- und Parlamentswahlen hinzuarbeiten.
Nach dem Treffen sagte Carter zu Reportern: "Wir hoffen, dass wir eines Tages Wahlen in allen palästinensischen Gebieten sehen werden: in Ostjerusalem, Gaza und auch im Westjordanland."
Norwegens ehemalige Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland, ebenfalls Mitglied der "Gruppe der Ältesten", schloss sich den Rufen an.
Im Grunde rufen Carter, Brundtland und ihre Freunde von der "Gruppe der Ältesten" Abbas und die Fatah dazu auf, politischen Selbstmord zu verüben, indem diese einem weiteren Sieg der Hamas den Weg bereiten sollen. Offensichtlich haben die Führer der "Gruppe der Ältesten" noch nicht die Wahlergebnisse von der Universität Bir Zeit gehört. Auch über die Tatsache, dass die Hamas und andere extremistische islamische Gruppen wie Hizb al-Tahrir (Partei der Befreiung) und der Palästinensische Islamische Dschihad weiterhin eine starke politische Präsenz im Westjordanland und sogar in einigen Teilen Ostjerusalems haben, sind sie offenbar nicht im Bilde.
Der ehemalige US-Präsident Jimmy Carter umarmt und küsst Mahmoud Abbas, den Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA), bei ihrem Treffen in Ramallah am 2. Mai 2015. Er habe während seiner Reise nach Israel und zur PA nicht um ein Treffen mit dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu gebeten, weil es "Zeitverschwendung gewesen wäre zu fragen", sagte er am selben Tag. (Foto: Büro des PA-Präsidenten) |
Tatsächlich gingen Abbas' Sicherheitskräfte – noch während das Treffen in Ramallah andauerte – gegen zahlreiche Mitglieder des Palästinensischen Islamischen Dschihad und der Hamas im Westjordanland vor; dies ist Teil eines Versuchs, die beiden Gruppen entscheidend zu schwächen.
Dass Carter und die "Gruppe der Ältesten" glauben, dass sie als Vermittler zwischen der Hamas und der Fatah fungieren könnten, ist ein noch größeres Unglück, auch wenn gute Absichten dahinter stehen mögen. Bei ihrem Treffen mit Abbas in Ramallah riefen sie zu einer Umsetzung der Einigungsvereinbarung auf, die die Hamas und die Fatah im April 2014 erzielt hatten.
Die Einheitsregierung ist bislang aufgrund von weiterhin schwelenden Differenzen zwischen Hamas und Fatah nicht zustande gekommen. Abbas scheint nicht scharf darauf zu sein, das Abkommen umzusetzen, aus Furcht davor, dass eine Einigung mit der Hamas zu internationalen und israelischen Sanktionen gegen seine Palästinensische Autonomiebehörde führen würde.
Zudem befürchtet Abbas, dass eine Einheitsregierung die Hamas stärken und legitimieren würde, was es ihr erleichtern würde, sich aus der wachsenden Isolation zu befreien, in die sie in der Region und auf internationalem Parkett geraten ist.
Jene, die nun dazu aufrufen, neuerliche Wahlen abzuhalten und den Einheitsvertrag umzusetzen, ebnen in Wirklichkeit einer Ausweitung der Macht der Hamas über die Grenzen des Gazastreifens hinaus den Weg. Noch verstörender ist die Tatsache, dass Leute wie Carter die Hamas nicht als Terrororganisation betrachten, obwohl sogar die Palästinensische Autonomiebehörde und Länder wie Ägypten gegen die islamistische Bewegung Krieg führen.
In einem Interview mit Israels Fernsehsender Kanal 2 erklärte Carter – der wohl alles glauben will, was man ihm erzählt –, Hamasführer Khaled Mashaal sei ein starker Befürworter des Friedensprozesses. Außerdem behauptete Carter auch noch, Mashaal habe die Zwei-Staaten-Lösung akzeptiert und befürworte die arabische Friedensinitiative von 2002, die Israels Existenzrecht anerkennt, als Gegenleistung für einen Rückzug hinter die Grenzen von vor 1967.
Carter verteidigt die Hamas sogar während sie selbst und ihre Führer unaufhörlich von ihren Plänen und ihrem Willen sprechen, Israel zu vernichten, und während die Hamas im Gazastreifen neue Tunnel errichtet und andere wiederaufbaut, die von Israel letztes Jahr im Krieg zerstört wurden.
Freie und demokratische Wahlen sind das Letzte, was die Palästinenser jetzt brauchen. Wahlen würden lediglich einer Machtübernahme der Hamas den Weg ebnen und die Region in Chaos und Gewalt stürzen. Solange Abbas' Fatah nicht als die bessere Alternative zur Hamas gesehen wird, ist es zu riskant, die Palästinenser an die Wahlurnen zu rufen. Statt die Palästinenser zu drängen, neuerliche Wahlen abzuhalten, sollten die Staatsmänner der Welt von der Palästinensischen Autonomiebehörde Verantwortlichkeit und Transparenz verlangen.
Gleichzeitig sollten sie die Palästinensische Autonomiebehörde dazu auffordern, neuen Anführern den Weg freizumachen und sich von den korrupten Vertretern der alten Garde zu lösen, die seit Jahrzehnten an der Macht sind. Und schließlich sollte die internationale Gemeinschaft die PA drängen, ihre Kampagne zur Delegitimierung und Isolation Israels zu beenden, die nur dazu führt, mehr Palästinenser in die Arme der Hamas und anderer radikaler Gruppen zu treiben; diese denken: Wenn die Israelis so schrecklich sind, wie man ihnen sagt, dann können sie sich ebenso gut den Gruppen anschließen, die darauf aus sind, sie zu töten, statt über Frieden zu reden