Am 11. November 2015 publizierte die Kommission der Europäischen Union die "End"-Fassung ihrer "Mitteilung zu Auslegungsfragen über die Ursprungsbezeichnung von Waren aus den von Israel seit Juni 1967 besetzten Gebieten". Sie empfiehlt die Etikettierung aller solcher Waren als aus einer "israelischen Siedlung" stammend. Die Entscheidung erregte nicht nur in den Parteien Betroffenheit und Wut, die die aktuelle israelische Regierung bilden, sondern auch bei der parlamentarischen Opposition in der Knesset.
Immerhin war das ursprüngliche Siedlungsprogramm in all diesen Gebieten der Allon-Plan. Dieser wurde kurz nach 1967 von der damaligen HaMa'arakh[1] verabschiedet, die ein direkter Vorläufer der führenden heutigen Oppositionspartei war. Die Europäische Kommission hat also erfolgreich auch die verprellt, von denen sie gerne hätten, dass sie die Regierung Netanyahu ersetzen.
Das aktuelle Knesset-Mitglied Michael Oren reagierte auf die "Mitteilung zu Auslegungsfragen", indem er sich in einem israelischen Supermarkt fotografieren ließ, in dem er selbst gemachte Aufkleber "Made in Europe" auf entsprechende Produkte klebte. Sein offensichtliches Ziel war es, Israelis davon abzubringen sie zu kaufen.
Oberflächlich betrachtet stimmt Orens Reaktion mit einer der vier Antiboykott-Strategien überein, die dieser Autor vor kurzem absteckte, nämlich Boykotte der Boykotteure zu organisieren. Aber Orens übereilte Reaktion, sollte sie Erfolg haben, würde das Gegenteil dieses Ziels erreichen.
Oren hat mit seiner Wahrnehmung recht, dass Israel wenig Macht hat die Entscheidungen der Europäischen Union (EU) zu beeinflussen, aber alle Macht seine eigene Kennzeichnungs-Vorschriften zu verhängen. Aber er übersah die grundlegende Tatsache, dass derzeit nur drei Mitglieder der EU solche Etikettierung vorschreiben: Belgien, Dänemark und Großbritannien.
Was geschehen ist, ist eine weitere Erscheinungsform des wütend machenden Eifers der Europäischen Kommission endlose Direktiven an alle Mitgliedstaaten auszugeben, um Uniformität in Fällen aufzuzwingen, in denen die meisten Europäer sich niemals vorstellen konnten, dass Uniformität nötig wäre. Dieses Verhalten, zusammen mit dem Hang europäischer Gerichte britisches Recht zu verwerfen, ist das, was den zunehmenden Wunsch der Briten antreibt aus der EU auszutreten. Wir sollten nicht, wie Oren es tat, alle EU-Staaten für die Torheiten der Kommission bestrafen.
Folglich sollte die israelischen Reaktion sich nur gegen EU-Staaten richten, die die "Mitteilung zu Auslegungsfragen" umsetzen und damit die anderen Mitgliedstaaten ermutigen sie zu ignorieren. In der Tat erklärt die "Mitteilung zu Auslegungsfragen" selbst, dass "die Durchführung der einschlägigen Regeln in der Hauptverantwortung der Mitgliedstaaten verbleibt".
Ein "ranghoher Europäischer Beamter" hat zugegeben, dass die Europäische Kommission sich darauf beschränkte einen Rat zu geben. Zu den Mitgliedstaaten merkte er an: "Wenn sie es nicht machen, wird wahrscheinlich nichts passieren. Aber 16 Mitgliedstaaten wollten Klärung, also nehme ich an, dass sie teilweise umgesetzt wird." Die Umsetzung der "Mitteilung zu Auslegungsfragen" ist vom ungarischen Minister für äußere Angelegenheiten und Handel bereits abgelehnt worden, ebenso von der Regierungsfraktion CDU im deutschen Parlament. Damit ist Israel berechtigt seine eigenen Etikettierungsvorschriften zu verfassen, sollte sie aber nur auf Importe von EU-Staaten anwenden, die Etikettierungsvorschriften gegen Israel anordnen.
Michael Oren selbst könnte geeignete, gezielte israelische Verordnungen einführen, indem er einen privaten Gesetzesentwurf eines Abgeordneten in die Knesset einbringt. (Offensichtlich ist dieser Weg taktvoller als eine von der Regierung selbst initiierte Gesetzesvorlage.) Wenn das mehr Probleme bereitet als Oren haben mag, gibt es mehr als einhundert andere Knessetmitglieder, die es tun könnten. Hierzu sollten wir zuerst die Bestimmungen der "Mitteilung zu Auslegungsfragen" untersuchen und sie dann als Präzedenzfall für die israelische Reaktion verwenden.
Was an der "Mitteilung zu Auslegungsfragen" richtig und was falsch ist
Die "Mitteilung zu Auslegungsfragen" beginnt mit der Feststellung, dass die EU "Israels Souveränität über die von Israel seit Juni 1967 besetzten Gebiete, nämlich die Golanhöhen, den Gazastreifen und die Westbank einschließlich Ostjerusalems nicht anerkennt". In der Tat wurden alle Handelsabkommen zwischen der EU und Israel mit dieser Annahme geschlossen, die von Israel respektiert wird. Folglich stimmte Israel vor einem Jahrzehnt zu, dass in diesen Gegenden produzierte Waren z.B. nicht dieselben Steuerausnahmen genießen sollten wie Waren, die auf israelischem Staatsgebiet von vor 1967 hergestellt werden.
Bis dahin handelt die Kommission innerhalb ihrer Rechte, auch wenn sie feststellt, dass EU-Recht fordert, dass Waren ihr "Herkunftsland" oder jeglichen Anteil ihres "Ursprungsorts" ausweisen. Wo die Kommission vom Weg abkommt, ist bei dem Versuch die Folgen dieser Forderung für den aktuellen Fall zu definieren. Die "Mitteilung zu Auslegungsfragen" erklärt (Punkt 10):
Bei Erzeugnissen aus dem Westjordanland oder von den Golanhöhen, die ihren Ursprung in Siedlungen haben, wäre eine Angabe, die sich auf "Erzeugnis von den Golanhöhen" oder "Erzeugnis aus dem Westjordanland" beschränkt, nicht zulässig. Selbst bei Angabe des größeren Gebiets, in dem das Erzeugnis seinen Ursprung hat, würde der Verbraucher durch Weglassen der zusätzlichen geografischen Angabe, dass das Erzeugnis seinen Ursprung in israelischen Siedlungen hat, bezüglich des wahren Ursprungs des Erzeugnisses in die Irre führen. In derartigen Fällen ist beispielsweise der Klammerzusatz "israelische Siedlung" oder eine gleichwertiger Ausdruck erforderlich. Somit wären Ausdrücke wie "Erzeugnis von den Golanhöhen (israelische Siedlung)" oder "Erzeugnis aus dem Westjordanland (israelische Siedlung)" zulässig.
Betrachten wir den Fall von Inon Rosenblum, der vor kurzem in der Times of Israel vorgestellt wurde. Rosenblum wurde von seinen palästinensischen Nachbarn im Jordantal gesagt, dass in dem äußerst salzigen Boden nichts wachen könne. Unverzagt verbrachte er Jahrzehnte damit die Erde zu verbessern, die heute "Datteln, Weintrauben und zehn Sorten frischer Kräuter, alle für den Export" hervorbringt. Abgesehen von ihm selbst und seinem Sohn ist jeder sonst dort Arbeitende Palästinenser. Er gab zudem seinen Nachbarn Dattelpalmen-Setzlinge, damit die ihre eigene Produktion beginnen konnten. Das Ergebnis: Die im Jordantal lebenden zirka 7.000 Israelis und 10.000 Palästinenser produzieren heute "40% der Medjool-Datteln der Welt".
Betrachten wir als nächstes die Whisky-Produktion in Schottland. Nach Angaben des Distillery Owners Guide gehören Schottlands Destillerien heute überwiegend Nichtschotten. Der größte Eigentümer ist Diageo mit Hauptsitz in London, zu weiteren Eigentümern gehören große Konzerne mit Sitz in Indien, Thailand und Japan, ganz zu schweigen von Trinidad und anderen Ländern. Typischerweise sind die meisten Arbeiter in den Destillerien Schotten, aber das Top-Management dürfte von außerhalb Schottlands kommen.
Die Europäische Kommission will zwischen Rosenblum und den palästinensischen Nachbarn, denen er half, unterscheiden, indem seine Datteln mit "israelische Siedlung" etikettiert werden. Aus demselben Grund stellen diese Destillerien in Schottland und die Wohnorte ihrer Manager englische Siedlungen, indische Siedlungen, thailändische Siedlungen usw. dar. Und übrigens: Würde eine indische Firma Rosenblums Plantagen kaufen und einen indischen Manager einsetzen, dann würden sie auch indische Siedlungen werden.
Auf den Golanhöhen ist die Lage etwas einfacher. Die Gegend gehörte zum souveränen Staat Syrien, wie er durch die Grenzen zwischen den ehemaligen französischen und britischen Mandaten definiert wurde, außer dort, wo das syrische Regime sich in den Jahren vor 1967 über diese Grenzen hinaus ausdehnte. Es gibt eine klare Unterscheidung zwischen in den vier drusischen Dörfern lebenden syrischen Staatsbürgern und israelischen Staatsbürgern.
Anders in der Westbank. Vor 1967 waren die dort lebenden Palästinenser jordanische Staatsbürger. Sie und ihr Nachwuchs haben zumeist weiter jordanische Pässe. Wenn also Rosenblums Datteln mit "israelische Siedlung" etikettiert werden, dann sollten die auf den Pflanzen, die er seinen Nachbarn gegeben hat, wachsenden Datteln mit "jordanische Siedlung" etikettiert werden. Das ist kein Witz: Das jordanische Regime hat formell Ansprüche auf das Gebiet aufgegeben, aber es versucht dort weiter Einfluss zu nehmen. Insbesondere ist es stolz darauf, dass Jordanien, nicht die PA, offiziell den Tempelberg in Jerusalem verwaltet.
Im sogenannten "Ost-Jerusalem" ist die Lage noch komplizierter. Eine beträchtliche Anzahl israelischer Araber, besonders aus Galiläa, hat sich dort niedergelassen. Damit ist jedes ihrer Geschäfte dort nach Ansicht der Europäischen Kommission eine "israelische Siedlung". Die jordanischen Bürger, die Israel dort 1967 vorfand, erhielten alle israelische Personalausweise. Mittlerweile haben Tausende von ihnen die israelische Staatsangehörigkeit angenommen, was erforderte, dass sie ihre jordanische Staatsbürgerschaft aufgaben; Tausende weitere haben Anträge gestellt. Damit wird nach der Europäischen Kommission jedes ihrer Geschäfte sofort zu einer "israelischen Siedlung", wenn ihre Anträge bewilligt werden und sie müssen ihre Produkte entsprechend kennzeichnen. (Dasselbe gilt für Drusen auf dem Golan, die die israelische Staatsbürgerschaft angenommen haben, aber ihre Zahl geht in die Hunderte, nicht Tausende).
Das ist so lächerlich, dass die Europäische Kommission gut beraten wäre in aller Stille "Ost-Jerusalem" bei der Werbung für ihre "Mitteilung zu Auslegungsfragen" bewerben zu vergessen. Der geografische Begriff selbst ist lachhaft geworden. Jerusalem liegt auf einem Bergrücken, der von Nord nach Süd verläuft, die jüdische Bevölkerung hat sich also in diesen Richtungen ausgebreitet, nicht nach Osten. Weil die europäischen Bürokraten ihr archaisches Vokabular wiederholen statt die Landkarte zu konsultieren, stellen sie sich vor, das Ramot (Nordwest-Jerusalem) und Gilo (Südwest-Jerusalem) in einem frei erfundenen "Ostjerusalem" von vor 1967 liegen.
Mögliche israelische Bestimmungen
Die "Mitteilung zu Auslegungsfragen" der europäischen Bürokraten, die die Klarstellung von Regularien anstreben, hat sich in Absurditäten verfangen. Genau diese Absurditäten bieten einen Präzedenzfall für Einfallsreichtum bei der Formulierung entsprechender israelischer Bestimmungen.
Die Europäische Kommission behauptet, dass die "Mitteilung zu Auslegungsfragen" nichts mit einem Boykott Israels zu tun habe und die US-Administration hat dieser Bewertung offiziell beigepflichtet. Sie reagiere, sagt die "Mitteilung zu Auslegungsfragen", auf einen "Bedarf an Klärung bei den Verbrauchern, Beteiligten der Wirtschaft und nationalen Behörden". Das ist aber unredlich. Die Kommission hat (obwohl das in der "Mitteilung zu Auslegungsfragen" selbst nicht gesagt wird) angedeutet, dass die ersten zu etikettierenden Produkte frische Lebensmittel und Kosmetika sein werden. Es kann kaum Zufall sein, dass Datteln aus dem Jordantal und eine israelische Kosmetikfirma die beliebtesten Ziele der Boykotteure gewesen sind. Es waren genau diese Konsumenten, die solche Klärung forderten und die Kommission befriedigt deren Wünsche.
Es gibt eine lange Liste separatistischer Bewegungen in der EU, von denen einige mehr Autonomie fordern, andere fordern Unabhängigkeit. Da viele Juden in Israel Verbindungen nach Europa haben, kann man sich leicht vorstellen, dass einige dieser Juden entsprechende Sympathien und "Forderungen nach Klärung" zu den Produkten der jeweiligen europäischen Staaten haben. Sicher kann man sich israelische Juden vorstellen, die schottischen Whisky nur von Firmen kaufen möchten, die sich immer noch in schottischer Hand befinden. Wie kann den Israelis das Recht auf korrekte Information verweigert werden? Israel hat Anspruch darauf zu verlangen, dass die Europäer ihre Produkte entsprechend kennzeichnen, sowohl in diesem Fall als auch in zahllosen anderen.
Die Staaten, deren separatistische Bewegungen am stärksten hervorstechen, sind Spanien und Frankreich. Doch - wie oben vorgeschlagen - sollten sie vorerst ausgelassen werden, da sie Regularien der Art, wie sie von der Europäischen Kommission verabschiedet wurden, noch nicht übernommen haben.
Ein Gesetzesentwurf in der Knesset müsste daher drei Hauptanforderungen für das Handeln durch die entsprechenden israelischen Ministerien formulieren. Erstens wäre für jeden EU-Mitgliedstaat eine Liste der einschlägigen Regionen zu erstellen. Das ist relativ einfach. Zweitens wären detaillierte Regelungen für die drei Staaten zu formulieren, die "Siedlungsprodukte" bereits kennzeichnen. Drittes wäre eine gesetzliche Pflicht ähnliche Regelungen für jeden anderen EU-Staat zu formulieren, aber nur, falls und wenn diese entscheiden die "Mitteilung zu Auslegungsfragen" zu übernehmen.
Selbst Dänemark hat separatistische Bewegungen in Grönland, auf den Färöer-Inseln und auf Bornholm. Die Fälle Belgiens und Großbritanniens müssen kaum erklärt werden, außer dass Belgien seine deutsche Minderheit hat und das Vereinte Königreich eine Separatistenbewegung in Cornwall, die daher England, Wales, Schottland und Nordirland hinzugefügt werden müssten.
Es mag recht albern erscheinen viele schottische Destillerien als "englische Siedlungen" zu kennzeichnen, obwohl man vermutlich Schotten finden kann, die das so empfinden. Dieser Autor ist dafür aktenkundig, dass er Separatismus im Vereinten Königreich nicht befürwortet, sondern (als Walisisch Sprechender) passende Vorkehrungen zu entsprechende kulturellen regionalen Unterschieden. Die Albernheit spiegelt aber nur die der europäischen Bürokraten und ihrer "Mitteilung zu Auslegungsfragen". In praktischer Hinsicht hat die Albernheit einen sinnvollen Effekt: Sie ordnet eine Gegenlast zu den ursprünglichen Albernheiten an, für die Last, die sie Israel auferlegen.
Ein möglicher Kompromiss?
Genau genommen behauptet die "Mitteilung zu Auslegungsfragen", wie oben zitiert, dass "der Begriff 'israelische Siedlung' oder etwas Entsprechendes hinzugefügt werden muss". Das heißt, es wird nicht absolut vorgeschrieben, dass genau dieser Begriff verwendet wird; gibt es also eine Alternative, die für beide, die Europäische Kommission wie Israel, akzeptabel ist?
Vielleicht könnten sich die Europäische Kommission und Israel auf "Firma in israelischem Besitz" auf Rosenblums Datteln beziehungsweise "Firma in englischem Besitz" für schottischen Whisky einigen. Diese Art Unterscheidung ist präzise; sie sollte den Wunsch der Kommission zufriedenstellen "den Konsumenten über die wahre Herkunft des Produkts nicht in die Irre zu führen". Das bleibende Problem besteht darin, dass dies - welche Formel auch immer genutzt wird - eine unnötige Ausgabe ist, die Geschäften von Bürokraten aufgebürdet werden. Da die Kommission sich nun aber entschieden hat diesen Weg zu gehen, könnte die israelische Knesset keine andere Wahl haben als mit paralleler eigener Gesetzgebung nachzuziehen.
[1] [umg. etwa: Gemeinsame Liste oder "Verbindung"]