In einem scharfen Artikel zum Gedenken an den 70. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz notierte Charles Krauthammer:
"Der Aufstieg des europäischen Antisemitismus ist in Wirklichkeit nur eine Rückkehr zur Norm. Ein Jahrtausend lang war bösartiger Judenhass - Verfolgung, Vertreibung, Massaker - in Europa die Norm, bis die Schande des Holocaust eine vorübergehende Anomalie schuf, in der Antisemitismus sozial inakzeptabel wurde.
Diese Auszeit ist vorbei. Der Judenhass ist wieder da und vollzieht mit beeindruckendem Eifer eine Runderneuerung der Vergangenheit."
Für französische Staatsbürger scheint der Holocaust eine verblasste Erinnerung zu sein. Die antijüdische Stimmung, die die Vichy-Regierung dazu trieb geschätzte 77.000 bis 90.000[1] französische Juden der Judentötungsmaschinerie Hitlers in den Rachen zu werfen, wurde von nichts getrieben, das wie der heutige islamische Jihad aussieht, sondern von derselben Mehrheit französischer Katholiken. Nach fast zwei Jahrtausenden französisch-christlichen Antisemitismus bleiben ihre DNA-Spuren bestehen. Antijüdischer Rassismus ist für die zunehmende Zahl französischer Juden, die heute infolge der Welle verstörender aktueller Ereignisse bange über ihre Flucht aus ihrem Heimatland nachdenken, schwerlich eine verblasste Erinnerung.
Die lange Geschichte des französischen Antisemitismus reicht im Kalender so weit zurück wie das Christentum selbst. Im Jahr 325 unserer Zeitrechnung unterschrieb Kaiser Konstantin auf dem ersten Konzil von Nicäa unabsichtlich mit einem Strich seines Stiftes das Todesurteil für Millionen noch ungeborener Juden im gesamten heute als christliches Europa bekannten Gebiet.
Die Schriften von Kirchenvätern wie Tertullian und Origen, der die Juden beschuldigte Jesus getötet zu haben (Gottesmord), behaupten auch, dass Gott seinen ewigen Bund mit Abraham (und dem jüdischen Volk), wie er in den antiken heiligen Büchern beschrieben ist, aufkündigte.
Die katholische Kirche hat diese Doktrin übernommen, indem sie ihre Rechte als "das Neue Israel" beanspruchte. In ihrer Arroganz forderte die katholische Kirche Gottes Bund, den er ursprünglich in Genesis (1. Buch Mose), Kapitel 12 mit den Juden abschloss, für sich; darin verhieß Gott dem hebräischen Volk - über Isaak und Jakob - ein Land, einen Staat und ein bestimmtes Schicksal.
Nach der neu umgekehrten katholische Definition wurden die Mitglieder der katholischen Kirche jetzt zu "Bürgern erster Klasse" und die Juden wurden Bürger zweiter Klasse. Diese theologische Umkehrung, von Wissenschaftlern "Supersessionismus" und umgangssprachlich als "Ersetzungstheologie" genannt, folgert, dass Gottes Bund mit den Juden aufgehoben worden ist und die Juden angeblich von "der Kirche" abgelöst wurden.
Diese Doktrin, verbunden mit den aufwiegelnden Schriften der antiken Kirchenväter, nährten ab dem dritten Jahrhundert und die nachfolgenden Jahrhunderte hindurch bis 1965 in den gesamten mehrheitlich katholischen, östlich-orthodoxen und protestantischen Ländern den Hass auf Juden. Dann entlastete ein offizielles Dokument des Zweiten Vatikanischen Konzils, "Nostra Aetate", die Juden von dem Vorwurf des Gottesmordes und stellte zumindest einen Teil ihrer Ansprüche auf die Beziehung des ursprünglichen Bundes mit Gott wieder her.
Lieder annullierte "Nostra Aetate" jedoch nicht die falsche Doktrin[2] der "Ersetzungstheologie". Römisch-katholische Lehre bejaht weiterhin die "supersessinistische" Haltung, dass Katholiken das "neue Israel" oder "das Israel Gottes" sind. Der genaue Wortlaut des Dokuments ist subtil, aber unmissverständlich klar: "Obwohl die Kirche das neue Volk Gottes ist, sollten die Juden nicht als von Gott zurückgewiesen oder verflucht dargestellt werden, als folge dies aus den Heiligen Schriften."
Wenn die katholische Kirche sich als das "neue Israel" betrachtet, warum dann nicht Papst Franziskus eine einseitige Ausrufung Palästinas als Staat erlauben? Das ist übrigens genau das, was er vor ein paar Monaten tat. Mit einem historischen Strich seines Stiftes nahm es der Papst auf sich, kurzerhand Israels Souveränitätsrechte auf sein Land und seine legitime Autorität, über sein nationales Schicksal zu verhandeln, zu streichen.
Das leitende Prinzip der "Ersetzungstheologie" ist eine stille Erlaubnis, die Juden und Israel zu dämonisieren und zu vernichten. In Frankreich wie im Rest Europas trägt es zur politischen, sozialen und religiösen Atmosphäre bei, in der der wachsende Einfluss des radikalen Islam mit der lange bestehenden französischen Neigung verschmilzt, die Sorgen der jüdischen Minderheit zu ignorieren, zu verunglimpfen oder zu verniedlichen.
Trotz des einen Großteil Europas umhüllenden Säkularismus, wird Frankreich weiter als katholisches Land betrachtet; mehr als die Hälfte seiner Bürger sind Mitglieder der katholischen Kirche.
Es ist die "supersessinistische" DNA, die sich unter der Oberfläche der Gesellschaft verbarg, die säkularisierte christliche Länder wie Frankreich, Großbritannien und Schweden dazu treibt Islamisten gegenüber Appeasement zu betreiben, die daran arbeiten ihren Einfluss, ihre Anzahl und ihre Dezibel-Level zu verstärken.
Ironischerweise könnten viele Muslime entsprechend islamischer Doktrin sich selbst als in Europa die Nachfolge der katholischen Kirche antretend sehen, während sie ihren Traum verfolgen die Welt für Allah zu erobern. Mancher weist darauf hin, dass, wenn die aktuellen Bevölkerungstrends - angespornt von der aktuellen Migration und den sicherlich folgenden erweiterten Familien - weitergehen, der Islam bald die neue Mehrheit stellen wird. Eine solche demografische Verschiebung würde nicht nur die Christen gefährden, sondern doppelt auch die Juden - durch Antipathie seitens der eigenen Regierung und offene Feindseligkeit seitens des Islam.
Während der gesamten 1.600 Jahre zwischen Kaiser Konstantin und dem Massaker im koscheren HyperCacher-Markt im Januar 2015 wurde das "supersessionistische" christliche "Todesurteil" hunderte Male umgestaltet und neu geschrieben.
Bis ins späte 18. Jahrhundert und die Folgen der Französischen Revolution hinein wurde Frankreich von religiösen, nicht von säkularen Kräften regiert. Antisemitismus ebbte während der gesamten französischen Geschichte ab und stieg wieder an, in Form lokaler, nationaler und internationaler Erlasse und Aktionen gegen Juden. Die Dreyfus-Affäre (1894- 1906) zum Beispiel war ein politischer Skandal, der einen virulenten französischen Antisemitismus aufdeckte.
Auch wenn es nicht französische Christen per se waren, die außerhalb von Paris die Waffe auf jüdische Einkaufende abfeuerten, ist es legitim die Rolle zu hinterfragen, die der christliche Antisemitismus bei der Schaffung dieses Klimawechsels spielte, da Juden einmal mehr in ihrer Heimat zu Opfern werden. Der Guardian aus London schrieb über die jüngsten Anschläge auf Charlie Hebdo und den HyperCacher-Supermarkt:
Die dramatische Zunahme der Anzahl von Juden, die aus Frankreich wegziehen ... war bereits vor letzter Woche Thema internationaler Diskussion - wobei einige Kommentatoren so weit gingen das Gespenst des Faschismus der 1930-er Jahre heraufzubeschwören. Es ist fast so, als ob das Schicksal des französischen Judentums als Chiffre für weit verbreitete, gar existenzielle Angst vor der Zukunft Europas selbst betrachtet wird.
Andererseits möchte Frankreichs Präsident François Hollande sein Publikum glauben machen, dass entscheidend Handeln gegen den islamischen Terrorismus gehandelt wird. Zum Beispiel hat die französisch Regierung nach den jüngsten Terroranschlägen in Paris eine deutliche, militaristische Haltung der Vergeltung und Bestrafung von Terrorismus eingenommen.
Ähnliche hielt Premierminister Manuel Valls nach dem HyperCacher-Massaker eine leidenschaftliche Rede vor der französischen Nationalversammlung, in der er den alarmierenden Anstieg des Antisemitismus im Land vehement verurteilte. Hollande prangerte Antisemitismus an und gelobte Präventivprogramme einzuführen, während er provisorisch Militärwachen an jüdischen heiligen Orten und Schulen stationierte.
Doch andererseits könnte Frankreich das Krokodil in der Hoffnung füttern, dass es von ihm als letztes gefressen wird.
Vor kurzem schlug Frankreich beispielsweise bei der UNO vor Sicherheitskameras auf dem Tempelberg in Jerusalem zu installieren. Obwohl der Vorschlag angeblich dafür sorgen sollte Gewalt auf dem Tempelberg zu unterdrücken und ausgezeichnet gewesen wäre, hätte Frankreich vorgeschlagen, dass Israel diese Kameras dort installiert, bedrohten die Einzelheiten des französischen Plans Israels Souveränität über den Ort. So schreibt die Journalistin Caroline Glick:
Frankreichs Entscheidung seine diplomatische Position dazu zu nutzen einen Plan voranzutreiben, der bei seiner Umsetzung die israelische Souveränität über Jerusalems heiligsten Ort beenden würde, ist in erster Linie ein französischer Akt der Aggression gegen den jüdischen Staat.
Entgegen dem, was die französische Regierung uns glauben machen will, ist Frankreichs Tempelberg-Schachzug kein Versuch die Gewalt zu unterdrücken. Französische Beteuerungen von Sorge wegen des Verlustes an Leben im aktuellen Unwetter palästinensischen Terrorismus klingen hohl.
Frankreich ist nicht wirklich gegen den palästinensischen Terror. Im Gegenteil: Frankreich fördert ihn.
Jedes Jahr zahlt die französische Regierung Millionen Euros, Dollar und Schekel an palästinensische NGOs, deren erklärtes Ziel es ist Israel zu vernichten. Durch seine NGO-Agenten finanziert Frankreich die Radikalisierung der palästinensischen Gesellschaft. Diese französisch finanzierte Radikalisierung macht den palästinensischen Terrorismus unvermeidbar.
Ein Großteil der aktuell von den Palästinensern genutzten Rhetorik zur Ablehnung von Israels Legitimität und Rechtfertigung von Gewalt gegen Juden findet sich in Strategiedokumenten, die zu schreiben Frankreich die palästinensischen NGOs bezahlte.
Mit einem Taschenspielertrick will die französische Regierung die Welt glauben machen, dass es gegen antijüdische Gewalt ist. Andererseits verschwendete Frankreich keine Zeit profitable Geschäftsabschlüsse mit dem Iran zu initiieren, als die Tinte noch auf dem antiisraelischen Atom-Deal trocknete und die Ayatollahs ihre völkermörderischen Appelle zur Vernichtung Israels und der Juden skandierten.[3]
Die Islamisierung Frankreichs linst über den Horizont. Während offizielle Personen Frankreichs nicht zwischen ethnischen und religiösen Gruppen unterscheiden, legen verschiedene neuere Studien aus dem Jahr 2014 nahe, dass Frankreichs geschätzte 6,5 Millionen Muslime heute "etwa 10% der Gesamtbevölkerung von 66 Millionen stellen. In echten Zahlen ausgedrückt hat Frankreich die größte muslimische Bevölkerung der Europäischen Union.
Die von diesen Zahlen repräsentierte Wählergruppe reicht aus, um für die amtierenden Regierung der Sozialistischen Partei eine Bedrohung darzustellen und kann natürlich das Streben eines jeden Bewerbers um ein öffentliches Amt beeinflussen. Im Vergleich dazu verblassen die Rufe einer kleinen jüdischen Minderheit von weniger als 1% der Bevölkerung.
Es stimmt hoffnungsvoll zu sehen, dass Frankreich schon vor dem blutigen Massaker der letzten Woche in Paris einige juristische Fortschritte bei seinen Antiterror-Programmen gemacht hat. Neueste Gesetze zur Kürzung von Sozialleistungen für bekannte Jihadisten, Verstärkung der Überwachung und Erweiterung der Ausrüstung der Polizei sind alles Zeichen, dass Frankreich sich endlich einigen seiner Probleme stellt - oder zumindest versucht eine überzeugende PR-Show zu inszenieren.
2017 tritt Hollande, ein nicht besonders beliebter sozialistischer Präsident, zur Wiederwahl an. Er wird sich einem proisraelischen Expräsidenten gegenüber sehen, Nicolas Sarkozy, der als sogenannter Moderater gegen die rechtsgerichtete Partei Front National von Marine Le Pen antreten wird.
Das stramm gegen Immigration ausgerichtete Programm des Front National ist zunehmend erfolgreich dabei gewesen Juden in seine Herde zu bringen, da sie behauptet ihre antisemitische Neonazi-Geschichte neu auszurichten.
Die zunehmenden Ängste der Juden Frankreichs werden nicht so bald verschwinden. Sie packen in Rekordzahl ihre Koffer und ziehen nach Israel, Kanada, Großbritannien, in die USA und nach Australien. Man muss hoffen, dass die französische Regierung, die mit dem Problem inzwischen nur allzu vertraut ist, den Mut, den Wunsch und den Willen haben wird das abzustellen, nicht nur um der Zukunft Frankreichs, sondern um der Zukunft Europas willen.
[1] Es gibt verschiedene Schätzungen der Gesamtzahl der Juden, die von den Nazis abgeschlachtet wurden. Die Zahl 90.000 wird von der Jewish Virtual Library genutzt. Andere jüdische Quellen geben 72.000 an.
[2] "Falsche Doktrin": Es hat nie etwas in den Schriften des Alten oder Neues Testaments gegeben, was erklärt, Gott habe seinen Bund mit Abraham und dem jüdischen Volk aufgekündigt. Ich habe darüber in verschiedenen anderen Artikeln geschrieben.
[3] Völkermord: Rafsanjani's Qods Day speeh (Jerusalem Day). Voice of the Islamic Republic of Iran, Teheran (in Persisch, übersetzt von BBC Worldwide Montoring); Originalsendung am 14. Dezember 2001.