Es ist jetzt neun Monate her, dass Angela Merkel und Mark Zuckerberg versucht haben, Europas Migrantenkrise zu lösen. Natürlich wäre insbesondere Angela Merkel in einer guten Position dazu gewesen, schließlich hatte sie sie ja selbst verursacht, als sie Europas Tore gegenüber der gesamten Dritten Welt für offen erklärt hatte.
Doch die deutsche Kanzlerin hatte kein Interesse daran, Europas Außengrenzen zu stärken, die Grenzkontrollen im Innern wiedereinzuführen, ein funktionsfähiges Asylprüfungssystem zu schaffen und diejenigen abzuschieben, die sich mit Lügen den Eintritt in die EU verschafft hatten. Stattdessen galt Merkels Interesse Facebook.
Als Frau Merkel mit Mark Zuckerberg zusammen saß, wollte sie von ihm wissen, wie man die Redefreiheit der Europäer einschränken könne, auf Facebook und in anderen sozialen Medien. Am Rande eines UN-Treffens im September (und nicht ahnend, dass ihr Mikrofon eingeschaltet war) fragte sie im Gespräch mit Zuckerberg, was getan werden könne, um auf Facebook kritische Bemerkungen über ihre Migrationspolitik zu unterdrücken. "Arbeiten Sie daran?", fragte sie Zuckerberg. "Yeah", antwortete dieser.
In den folgenden Monaten erfuhren wir, dass dies mehr war als nur Smalltalk beim Essen. Im Januar dieses Jahres startete Facebook seine "Initiative für Zivilcourage im Internet" und stellte eine Million Euro bereit, um Gruppen zu unterstützen, die "rassistischen" oder "fremdenfeindlichen" Botschaften im Internet entgegenwirken. Facebook versprach zudem, "Hassreden" und Ausdrücke von "Fremdenfeindlichkeit" von seiner Website zu löschen.
Von Anfang an war klar, dass Facebook ein Definitionsproblem hat und dazu eine politische Schlagseite, wenn es darum geht, über die ins Visier genommenen Kommentare zu entscheiden. Wie definiert Facebook Rassismus? Was ist die Definition von "Fremdenfeindlichkeit"? Und wie sind eigentlich "Hassreden" definiert? Was die politische Schlagseite betrifft: Warum z.B. hatte sich Facebook nicht zuvor entschieden, auf Facebook gegen Bekundungen vorzugehen, in denen offene Grenzen propagiert werden? In Europa gibt es viele Leute, die meinen, dass es keine Grenzen geben solle und das insbesondere in Europa jeder leben können sollte, der dies wünscht. Warum wurden auf Facebook nicht auch die Ansichten dieser Leute (von denen es viele gibt) zensiert und ihre Kommentare gelöscht? Sind solche Ansichten nicht "extrem"?
Ein Problem bei diesem Thema – und eines, dessen sich Facebook offensichtlich nicht bewusst ist – ist, dass diese Fragen von Land zu Land ganz unterschiedlich beantwortet werden. Jeder, der über Politik informiert ist, weiß, dass es Gesetze gibt, die in einigen Ländern gelten, in anderen aber nicht – und das ist oft gut so. Anders als viele transnationale "Progressive" sich das wünschen würden, hat die Welt keine universellen Gesetze und schon gar keine allgemeingültigen Gepflogenheiten. Gesetze gegen Hassreden sind zum großen Teil die Durchsetzung dessen, was Brauch und Sitte ist.
Darum ist es nicht ratsam, die politischen Richtlinien eines Landes in einem anderen durchsetzen zu wollen, ohne auch nur ein gründliches Verständnis der Traditionen und Gesetze dieses Landes zu haben. Gegenüber ihren jeweils heikelsten Angelegenheiten haben Gesellschaften jeweils eigene Haltungen. So gibt es etwa in Deutschland, Frankreich, den Niederlanden und einigen anderen Ländern Gesetze über die Veröffentlichung und Verbreitung von Nazimaterial oder Material, in welchem Adolf Hitler gepriesen (oder auch nur dargestellt) oder der Holocaust geleugnet wird. Die deutschen Gesetze, die großformatige Fotografien Adolf Hitlers verbieten, mögen von London aus betrachtet lächerlich scheinen, für jemanden in Berlin sind sie es vielleicht nicht. Es müsste schon ein enorm selbstbewusster Londoner sein, der unilateral Regeln erlassen würde, dieses deutsche Gesetz zu ändern.
Um zu begreifen, welche Dinge in einer Gesellschaft verboten sind oder verboten werden können, bräuchte man ein enormes Vertrauen in sein Verständnis der Tabus und der Geschichte des betreffenden Landes, dazu müsste man all die Sprachregeln und die Gesetze kennen, die die Rede reglementieren.
Ein Verbot der Verehrung kommunistischer Idole z.B. mag in einem der vielen Länder, die unter dem Kommunismus gelitten haben und das Leiden der Opfer verringern sowie die Wiederbelebung einer solchen Ideologie verhindern möchten, vernünftig, geschmackvoll und sogar wünschenswert erscheinen. Doch ein allgemeines Verbot von Bildern und Texten, in denen die kommunistischen Mörder von zig Millionen Menschen gelobt werden, würde auch Zehntausende Westler – nicht zuletzt Amerikaner – kriminalisieren, die gern Che-Guevara-T-Shirts tragen oder in der Teenagerfantasie schwelgen, dass Fidel Castro eine Ikone der Freiheit sei. Freie Gesellschaften müssen grundsätzlich die größtmögliche Bandbreite von Meinungen zulassen. Darüber, wo legitime Meinungsäußerung endet und Hetze beginnt, werden die Meinungen auseinandergehen.
Wenn Facebook und andere also auf eigene Faust unilaterale Regeln darüber einführen wollen, was als Hassrede zu gelten hat, dann wäre dieses Vorhaben auch dann vermessen, wenn es nicht bereits von Anfang an eine klare politische Schlagseite hätte – und die hat es. Besonders beklagenswert ist es darum, dass die Bestrebungen in Richtung eines erzwungenen Hassredenregelwerks weiteren Auftrieb erhalten haben: Am 31. Mai kündigte die EU einen neuen Kodex für Meinungsäußerungen im Internet an, den vier große Technologiekonzerne – darunter Facebook und YouTube – durchsetzen sollen.
Freilich ist die EU nichts anderes als eine Regierung – und eine nicht gewählte dazu –, darum ist ihr Wunsch, es nicht nur zu vermeiden, ihren Kritikern antworten zu müssen, sondern obendrein deren Ansichten zu kriminalisieren und abweichende Äußerungen unter Strafe zu stellen, ebenso verwerflich wie jede Regierung irgendeines Landes, die alle Meinungen verbietet, die ihr nicht schmeicheln.
Es geht hier nicht um irgendwelche abstrakten Angelegenheiten, sondern um etwas, das dem Einzelnen immer näher rückt. Das wurde bewiesen – als wenn es eines weiteren Beweises bedurft hätte –, als Facebook den Account von Gatestones schwedischer Expertin, Ingrid Carlqvist, gesperrt hat. Im letzten Jahr hat Schweden eine Zahl von Leuten aufgenommen, die zwischen einem und zwei Prozent seiner Bevölkerung ausmacht. Eine ähnliche Menge wird dieses Jahr erwartet. Wie jeder weiß, der sich mit der Situation beschäftigt hat, handelt es sich um eine Gesellschaft, die auf einen selbstverschuldeten Zusammenbruch zusteuert, verursacht durch (wohlwollend ausgedrückt) "offenherzigen" Liberalismus.
Wohlfahrtsstaaten wie Schweden können nicht eine so große Zahl von Leuten aufnehmen, ohne dass dies zu sehr großen finanziellen Belastungen führt. Und Gesellschaften, die eine so schlechte Integrationsbilanz haben, können nicht eine so große Zahl von Migranten aufnehmen, wenn diese in so großem Tempo kommen. Jeder, der Schweden bereist hat, kann bezeugen, dass es ein Land ist, das mit einer enormen und wachsenden Belastung kämpft.
Eine Phase beim Bewusstwerden solcher Veränderungen ist die des Leugnens. Die EU, die schwedische Regierung und die allermeisten schwedischen Medien wollen keinerlei Kritik an der Politik hören, die sie zu verantworten oder die sie begrüßt haben. Für deren Folgen werden sie eines Tages zur Rechenschaft gezogen werden, und diesen Tag wollen sie hinausschieben, am liebsten für immer. Statt also das Feuer zu bekämpfen, das sie selbst gelegt haben, attackieren sie diejenigen, die darauf hinweisen, dass sie das Gebäude, in dem sie sich befinden, in Brand gesetzt haben. In solch einer Situation haben freie Menschen nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, die Tatsachen darzulegen, auch wenn es Leute gibt, die diese nicht hören wollen. Nur ein Land, das in Richtung Autokratie und Chaos schlittert und dabei eine regierende Klasse hat, die jegliche Schuld von sich weisen will, könnte es zulassen, dass die wenigen, die das benennen, was jeder sehen kann, zum Schweigen gebracht werden.
Menschen müssen sich zu Wort melden – hier und jetzt – und ihre Unterstützung der Redefreiheit bekunden, bevor sie ihnen weggenommen wird; sie müssen Journalisten wie Carlqvist gegen die Behörden unterstützen, die uns alle zum Schweigen bringen wollen. Traurigerweise ist es keine Übertreibung zu sagen, dass unsere gesamte Zukunft davon abhängt.
Douglas Murray ist ein Analyst für Tagespolitik und Leitartikler und lebt in London.