Die meisten christlichen Kirchen in und um Mosul, Irak, wurden von ISIS entweiht oder zerstört. Abgebildet: Der stark beschädigte Glockenturm der Johanneskirche (Mar Yohanna) in der Stadt Qaraqosh, nahe Mosul, am 16. April 2017. (Foto von Carl Court/Getty Images) |
Konvertieren, bezahlen oder sterben. Vor fünf Jahren war dies die "Wahl", die der Islamische Staat (IS) den Christen in Mosul, der damals drittgrössten Stadt im Irak, gab: entweder den Islam annehmen, sich einer religiösen Steuer unterwerfen oder sich dem Schwert stellen. Der IS markierte dann christliche Häuser mit dem arabischen Buchstaben ن (N), dem ersten Buchstaben des arabischen Wortes "Nasrani" ("Nazarener" oder "Christ"). Die Christen konnten oft nicht mehr als ihre Kleider mitnehmen und aus einer Stadt fliehen, die seit 1.700 Jahren die Heimat der Christen war.
Vor zwei Jahren wurde der IS in Mosul besiegt und sein Kalifat zerstört. Den Extremisten war es jedoch gelungen, das Gebiet von Christen zu "säubern". Vor der Gründung des IS gab es dort mehr als 15.000 Christen. Im Juli 2019 teilte die katholische Hilfsorganisation Aid to the Church in Need mit, dass nur etwa 40 Christen zurückgekehrt sind. Vor nicht allzu langer Zeit hatte Mosul "Weihnachtsfeiern ohne Christen".
Dieser kulturelle Völkermord, funktionierte leider dank der Gleichgültigkeit der Europäer und vieler westlicher Christen, die mehr darauf bedacht waren nicht "islamfeindlich" zu erscheinen, als ihre eigenen Brüder zu verteidigen. Pater Ragheed Ganni zum Beispiel, ein katholischer Priester aus Mosul, hatte gerade die Messe in seiner Kirche beendet, als Islamisten ihn töteten. In einem seiner letzten Briefe schrieb Ganni: "Wir stehen kurz vor dem Zusammenbruch". Das war 2007 – fast zehn Jahre bevor der IS die Christen von Mosul auslöschte. "Hat die Welt in die andere Richtung geschaut, während Christen getötet wurden?", fragte die Washington Post. Definitiv.
Spuren einer verloren gegangenen jüdischen Vergangenheit tauchten auch in Mosul wieder auf, wo auch eine jüdische Gemeinde lange gelebt hat. Heute, 2000 Jahre später, sind dort sowohl das Judentum als auch das Christentum effektiv vernichtet worden. Die Zeitung La Vie sammelte das Zeugnis eines Christen, Yousef (Name wurde geändert), der in der Nacht vom 6. August 2014, kurz vor der Ankunft des Islamischen Staates, floh. "Es war ein echter Exodus", sagte Yousef.
"Die Strasse war voller Menschen, ich sah weder den Anfang noch das Ende des Zuges. Es gab Kinder die weinten, Familien die kleine Koffer schleppten. Alte Männer wurden auf den Schultern ihrer Söhne getragen. Die Leute waren durstig, es war sehr heiss. Wir haben alles verloren was wir ein Leben lang aufgebaut haben und niemand hat für uns gekämpft".
Einige Gemeinschaften, wie die winzige christliche Community in Mosul, "sind mit ziemlicher Sicherheit für immer verloren", schrieben zwei amerikanische Wissenschaftler.
"Wir stehen vor einer Katastrophe und wenn wir nicht bald, innerhalb von Wochen, handeln, werden die kleinen Überreste christlicher Gemeinschaften im Irak, durch den Völkermord an den Christen im Irak und in Syrien grösstenteils ausgerottet".
Allein in Mosul wurden 45 Kirchen verwüstet oder zerstört. Keine einzige wurde verschont. Heute gibt es nur noch eine offene Kirche in der Stadt. Der IS wollte dort offenbar auch die christliche Geschichte zerstören. Sie nahmen das Kloster der Heiligen Behnam und Sarah ins Visier, das im vierten Jahrhundert gegründet wurde. Das Kloster hatte die islamische Eroberung des siebten Jahrhunderts und die nachfolgenden Invasionen überlebt, aber 2017 wurden Kreuze zerstört, Räume geplündert und Statuen der von Maria enthauptet. Der irakische Priester Najeeb Michaeel, der 850 Manuskripte aus dem islamischen Staat rettete, wurde im Januar letzten Jahres zum neuen chaldäischen katholischen Erzbischof von Mosul geweiht.
Gemeinsam mit Al Nusra, einem Ableger von al-Qaida in Syrien, ist der IS nach dem gleichen Muster vorgegangen, als sie die christliche Stadt Maaloula angriffen. "Sie haben die Gesichter der Heiligen und des Christus verunstaltet, sie haben die Statuen zerstört", sagte Pater Toufic Eid kürzlich gegenüber der vatikanischen Behörde Sir.
"Die Altäre, die Ikonostasen und das Taufbecken wurden in Stücke gerissen. Aber das was mich am meisten erschütterte, war die Verbrennung von Taufregistern. Es ist, als wollten sie unseren Glauben auslöschen".
Auf dem Friedhof der Kirche St. Georg in Karamlesh, einem Dorf östlich von Mosul, grub der IS einen Leichnam aus und enthauptete ihn, anscheinend nur weil er ein Christ war.
Das Schicksal der Christen Mosuls ist ähnlich wie anderswo im Irak. "Die Internationale Union zur Erhaltung der Natur hat mehrere Kategorien, um die Gefahr des Aussterbens zu definieren, mit der verschiedene Arten heute konfrontiert sind", schreibt Benedict Kiely, der Gründer von Nasarean.org, einer Organisation die den verfolgten Christen aus dem Nahen Osten hilft.
"Ausgehend von einem Prozentsatz des Bevölkerungsrückgangs reichen die Kategorien von "gefährdete Arten" (Rückgang um 30-50 Prozent) über "stark gefährdet" (80-90 Prozent) bis hin zum Aussterben. Die christliche Bevölkerung des Irak ist um 83 Prozent geschrumpft und gehört damit zur Kategorie "stark gefährdet"."
Schändlicherweise war und scheint das Schicksal der Christen im Nahen Osten dem Westen völlig gleichgültig zu sein. Wie der syrisch-orthodoxe Erzbischof von Mosul, der Metropolitan Nikodemus, es ausdrückte:
"Ich glaube nicht an dieses Wort (Menschenrechte), es gibt keine Menschenrechte. Aber in den westlichen Ländern gibt es Tierrechte. In Australien kümmert man sich um Frösche........ Betrachte uns als Frösche, wir werden das akzeptieren – aber beschützt uns, damit wir in unserem Land leben können.
"Diese Leute sind die gleichen, die vor vielen Jahren hierhergekommen sind. Und wir haben sie angenommen. Wir sind das ursprüngliche Volk in diesem Land. Wir haben sie aufgenommen, wir haben ihnen die Türen geöffnet und sie zwangen uns Minderheiten in unserem Land zu sein und dann Flüchtlinge in unserem Land. Und das gleiche wird mit Euch geschehen, wenn Ihr nicht aufwacht."
"Das Christentum im Irak, eine der ältesten, wenn nicht sogar die älteste Kirche der Welt, steht kurz vor dem Aussterben", bemerkte Bashar Warda, Erzbischof von Irbil, der Hauptstadt des irakischen Kurdistans, im Mai in London. "Diejenigen von uns, die übrig bleiben, müssen bereit sein, sich dem Martyrium zu stellen". Warda beschuldigte britische Spitzenpolitiker der "politischen Korrektheit" in dieser Angelegenheit, aus Angst der "Islamophobie" beschuldigt zu werden. " Werden Sie diese unaufhörliche, organisierte Verfolgung gegen uns weiterhin dulden?" fragte Warda. "Wenn die nächste Welle der Gewalt uns trifft, wird dann jemand an euren Universitäten Demonstrationen abhalten und Schilder tragen, auf denen steht: "Wir sind alle Christen?".
Diese Christen scheinen nur auf Kosten ihres Blutes, ihres Verschwindens und ihres Leidens an Bedeutung auf unseren Fernsehbildschirmen und Zeitungen gewonnen zu haben. Ihre Tragödie verdeutlicht unseren moralischen Selbstmord. Wie der französisch-libanesische Schriftsteller Amin Maalouf bemerkte: "Das ist das grosse Paradoxon: Man wirft dem Abendland vor, seine Werte durchsetzen zu wollen, aber die eigentliche Tragödie ist seine Unfähigkeit, sie zu vermitteln....... Manchmal entsteht der Eindruck, dass die Menschen im Westen ein für alle Mal das Christentum vereinnahmt haben.... und dass sie sich selbst sagen: Wir sind die Christen, und der Rest ist nur ein archäologischer Überrest, der dazu bestimmt ist zu verschwinden. Drohungen an Pandas verursachen mehr Emotionen" als Bedrohungen für das Aussterben der Christen im Nahen Osten.
Giulio Meotti, Kulturredakteur der Tageszeitung Il Foglio, ist ein italienischer Journalist und Buchautor.