Im Bild: Ein Wandgemälde an der Wand der US-Botschaft in Kabul, fotografiert am 30. Juli 2021. (Foto von Sajjad Hussain/AFP via Getty Images) |
Die niederländisch-amerikanische Frauenrechtlerin und Islamkritikerin somalischer Herkunft, Ayaan Hirsi Ali, schrieb kürzlich: "Was wir diese Woche in Afghanistan erlebt haben, ist ein Meilenstein im Niedergang des Westens. Amerika kümmert sich mehr um Pronomen als um das Schicksal der afghanischen Frauen."
Man konnte es an der Reaktion der westlichen Diplomatie sehen, nachdem die Taliban Kabul erobert hatten, ohne einen Schuss abzugeben, und als Touristen in die Hauptstadt einzogen.
"Die afghanische Regierung sollte sich mit den Taliban zusammensetzen, um ein umfassendes Abkommen zu erreichen". Noch bevor Afghanistan in die Hände der Taliban gefallen war, flehte der unerschrockene EU-Aussenpolitikchef Josep Borrell die Afghanen bereits an, sich mit den Islamisten zu einigen.
Am selben Tag berichtete die Nachrichtenagentur Associated Press über das, was nun Millionen afghanischer Frauen erwartet. In einem Park von Kabul, der zu einem Zufluchtsort für Vertriebene umfunktioniert wurde, wurden Mädchen, die nach Hause zurückkehrten, angehalten und ausgepeitscht, weil sie... Sandalen trugen. Seitdem gibt es Berichte über Frauen, die vergewaltigt, als Sexsklavinnen an Terroristen verkauft, ermordet wurden, weil sie keine Burka trugen, denen die Augen ausgestochen wurden, und über Mädchen im Alter von 12 Jahren, die von Tür zu Tür gejagt und "als Sexsklavinnen verschleppt" oder gezwungen wurden, Kämpfer der Terrorgruppe zu heiraten. Associated Press berichtete weiter:
"Borrell warnte, dass die Taliban mit Nichtanerkennung, Isolation, fehlender internationaler Unterstützung und der Aussicht auf anhaltende Konflikte und Instabilität in Afghanistan rechnen müssten, wenn sie die Macht gewaltsam an sich reissen und wieder ein islamisches Emirat errichten würden."
Oh, und wenn Sie glauben, dass die Taliban für den Westen Feinde sind, dann irren Sie sich. Feinde? "Ich denke, man muss sehr vorsichtig sein, wenn man das Wort Feind benutzt", sagte der britische Verteidigungsstabschef General Sir Nick Carter. Die Taliban, erklärte er, "wollen ein Afghanistan, das alle einschliesst" – Worte, die einer Kapitulation gleichkommen. Unterdessen ist die französische Regierung bereits dabei, ihre "Bedingungen für die Anerkennung des Taliban-Regimes" aufzulisten.
"Wenn ihr die Scharia einführt, geben wir euch unser Geld nicht mehr", so der deutsche Aussenminister Heiko Maas, der damit die Taliban erschreckte. Sechs Wochen zuvor hatte Maas vor dem Bundestag eine heroische Rede über den bevorstehenden "geordneten Abzug der Nato-Truppen aus Afghanistan" gehalten, zu dem auch die in Kundus stationierten Einheiten der Bundeswehr gehörten, eine Stadt, die Tage später von den Taliban erobert wurde. Maas lobte den Einsatz der Deutschen, die "in Afghanistan Aussergewöhnliches geleistet haben".
In den Jahren des Kalten Krieges war die deutsche Armee das Rückgrat der NATO-Streitkräfte in Europa. Heute ist sie der militärische Unterbauch Europas. Sie ist jetzt "eine quasi-humanitäre Organisation, eine Art Ärzte ohne Grenzen mit Gewehren". Bereits Ende April hatte der deutsche Aussenminister die Taliban gewarnt: "Jede Hilfe wird von demokratischen Standards abhängen". Offenbar unbeeindruckt von den deutschen Drohungen begannen die afghanischen Mudschaheddin ihren Marsch auf Kabul und töteten dabei Frauen, Soldaten, Dolmetscher, Journalisten und Dichter.
Grossbritannien, immer weniger von Churchill geprägt, kündigte an man werde "mit den Taliban zusammenarbeiten, wenn sie die Macht zurückerobern", wie Verteidigungsminister Ben Wallace gegenüber dem Telegraph erklärte.
In der Zwischenzeit kam aus den USA eine merkwürdige Anfrage von der Regierung Biden, wie die New York Times berichtet. Amerikanische Beamte, die noch nicht genug gedemütigt waren, versuchten, von den Taliban die Zusicherung zu erhalten, dass sie im Gegenzug für Hilfe die US-Botschaft in Kabul nicht angreifen würden. Botschafter Zalmay Khalilzad, US-Sonderbeauftragter für die Aussöhnung in Afghanistan hofft, "die Taliban-Führer davon zu überzeugen, dass die Botschaft sicher bleibt, falls die Gruppe als Teil einer künftigen afghanischen Regierung Finanzhilfe und andere Unterstützung von den USA erhalten will".
Papst Franziskus forderte stattdessen einen "Dialog" mit denselben Leuten, die in Lahore einen Spielplatz in die Luft sprengten und 70 Christen, darunter viele Kinder, töteten und in Peshawar eine Kirche bombardierten und 106 Menschen töteten.
"Kanada schliesst seine Botschaft in Kabul". "Deutschland verkleinert seine Botschaft in Kabul". "Dänemark schliesst seine Botschaft in Kabul". "Spanien beginnt mit der Rückführung von Mitarbeitern aus Kabul". "Niederlande bereitet die Evakuierung der Botschaft in Kabul vor". "Grossbritannien schickt 600 Soldaten zur Evakuierung seiner Mitarbeiter aus Kabul". "Norwegen schliesst die Botschaft in Kabul". Der Rückzug des Westens ist jetzt eine einzige Litanei.
"Bitte erkennen Sie die Taliban nicht an", sagte die afghanische Journalistin Lailuma Sadid unter Tränen, als sie die westlichen Staats- und Regierungschefs während einer Pressekonferenz mit NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg anflehte. Die neuseeländische Premierministerin Jacinda Ardern hatte andere Prioritäten: Sie "flehte" die Taliban an, "die Menschenrechte anzuerkennen". "Den Taliban helfen, um Afghanistan zu helfen", erklärte Gregor Gysi, der charismatische Vorsitzende der deutschen Linkspartei. "Warum können wir den Taliban, von denen die Frauen abhängig sind, nicht Hilfe anbieten und diese Angebote an Bedingungen knüpfen?"
Ein Sonderfonds für drei Millionen Mädchen, die aus der Schule geworfen wurden? Die afghanischen Feministinnen zählten auf die Solidarität ihrer deutschen Kolleginnen. Aber die Grünen waren offenbar zu sehr damit beschäftigt, männliche Politiker für ihre eigene feministische Propaganda von offiziellen Fotos zu löschen. Und was ist mit der schwedischen Armee? Sie war damit beschäftigt, die LGBT-Flagge zu schwenken. Okay, und was ist mit der australischen Armee? Sie kämpfte mit Photoshop, um das Kreuz ihres höchstdekorierten Soldaten aus den offiziellen Fotos zu entfernen. Die Taliban wären so stolz. Sie verkünden offen ihren Krieg gegen "die Kreuzritter". Währenddessen war das US-Militär damit beschäftigt, in West Point "kritische Rassentheorie" zu lehren. Alles Super Westen...
"Zeigt uns, dass ihr euch geändert habt", so die westlichen Staaten zu den Taliban. Aber sie haben sich nicht geändert. Gemischte Klassen wurden von den Taliban abgeschafft, die sie als "Quelle allen Übels" betrachten. Die Washington Post berichtet, dass Musik aus den afghanischen Cafés verschwunden ist. Die New York Times schreibt, dass das Nationale Musikinstitut Afghanistans, in dem jahrelang Musikerinnen ausgebildet wurden, geschlossen werden soll. Die Gesichter von Frauen sind bereits aus den Geschäften der Hauptstadt verschwunden. Ein afghanischer Journalist in Kabul berichtete der Zeitschrift Outlook, dass die Taliban in die Fitnessstudios eingedrungen sind: "Zeigt eure Muskeln nicht, bedeckt euren Körper und lasst euch einen Bart wachsen...". Journalisten sind bereits Opfer des Islamischen Emirats von Afghanistan.
Das Familienmitglied eines Journalisten der Deutschen Welle wurde getötet, und die Christen sind in absoluter Angst. "Wir haben aus zuverlässigen Quellen erfahren, dass die Taliban die Smartphones der Menschen kontrollieren, und wenn sie eine heruntergeladene Bibel auf deinem Gerät finden, werden sie dich sofort töten", berichtete der Fernsehsender SAT-7. Amerikaner werden von den Taliban verprügelt. Die Geheimdienste befürchten nun ein Szenario wie bei der Geiselnahme von US-Diplomaten durch den Iran im Jahr 1979.
"Taliban, die Welt schaut auf euch", warnte eine dreiste Nancy Pelosi, während das US-Aussenministerium die Taliban offiziell darum bat, eine "inklusive Regierung" zu bilden, als ob es sich um einen "sicheren Raum" auf einem dieser verrückten amerikanischen Universitätsgelände handeln würde.
Nach dem Fall Kabuls kam der aussenpolitische Vertreter der EU, Josef Borrell, auf eine andere Idee: Nachdem die afghanische Einheitsregierung für tot erklärt worden war, lud Borrell die Taliban zum "Dialog" ein.
Zur gleichen Zeit feierte der ehemalige griechische Finanzminister Yanis Varoufakis die amerikanische Niederlage:
"An dem Tag, an dem der liberal-neokonservative Imperialismus ein für alle Mal besiegt wurde, sind die Gedanken von DiEM25 bei den Frauen in Afghanistan. Unsere Solidarität bedeutet ihnen wahrscheinlich wenig, aber sie ist das, was wir anbieten können – für den Moment. Haltet durch, Schwestern!".
Ein Sprecher des deutschen Verteidigungsministeriums sagte über die Verantwortung, afghanisches Personal aus Kabul herauszuholen: "Wir haben sie nicht gezwungen, mit uns zu kollaborieren". Das war vielleicht der Gipfel der moralischen Verkommenheit. Am ehrlichsten war der ehemalige britische Botschafter in Kabul, Nick Kay, der gegenüber der BBC gestand: "Ich schäme mich".
Während die Einnahme von Kabul für den radikalen Islam auf der ganzen Welt ein Wendepunkt ist, herrscht in der so genannten "freien Welt" der dumpfe, ungesunde Hauch des Verrats. Ein Taliban-Führer sagte letzte Woche gegenüber CNN: "Der Dschihad wird nicht nur in Afghanistan, sondern auf der ganzen Welt Einzug halten".
Haltet euch bereit, ihr im Westen!
Giulio Meotti, Kulturredakteur bei Il Foglio, ist ein italienischer Journalist und Autor.