Éric Zemmour (Bild), einer der wenigen Journalisten in Frankreich, der noch frei spricht... wird mindestens einmal jährlich vor Gericht gestellt. Die gegen ihn verhängten Geldstrafen belaufen sich jedes Mal auf 10.000 Euro. (Foto: Lionel Bonaventure/AFP via Getty Images) |
1. November 2020. Didier Lemaire, ein Gymnasiallehrer, der in Trappes, einer kleinen Stadt westlich von Paris, arbeitet, veröffentlichte einen offenen Brief in der linken Zeitschrift Le Nouvel Observateur. Er sprach von der Ermordung von Samuel Paty, einem anderen Lehrer, der zwei Wochen zuvor von einem muslimischen Extremisten brutal enthauptet worden war. Er prangerte die Unterwerfung der französischen Behörden unter religiöse Einschüchterung und die Unmöglichkeit an, dass das französische Schulsystem in der Lage sei, wirkliche Kenntnisse der Geschichte zu vermitteln oder den Schülern die intellektuellen Mittel zum freien Denken zu geben. Er sagte, dass sich die Situation in der Stadt, in der er arbeitet, in nur wenigen Jahren deutlich verschlechtert habe. Lemaire schrieb:
"In dem Jahr, in dem ich am Gymnasium ankam, wo ich unterrichte, war die Synagoge der Stadt gerade abgebrannt und jüdische Familien gezwungen, das Land zu verlassen. Nach den Anschlägen von 2015 und 2016 in Frankreich habe ich mich an Präventivmaßnahmen beteiligt... Als ich 2018 sah, dass meine Bemühungen mit Kräften kollidierten, die viel mächtiger waren als ich, schrieb ich an den Präsidenten der Republik, um ihn zu bitten, dringend zu handeln, um unsere Schüler vor dem ideologischen und sozialen Druck zu schützen, der auf sie ausgeübt wird, ein Druck, der sie allmählich der nationalen Gemeinschaft entzieht. Leider wurde nichts unternommen....
"Es gibt derzeit 400 radikalisierte Menschen mit einer S-Akte [gefährlich für die Sicherheit des Staates], die frei in Trappes herumlaufen.... Tausende Ideologen sind am Werk... ein Gefühl der Opferschaft zu fördern, [um] Hass zu schüren. Diese Ideologen sind keineswegs "Separatisten": Sie wollen nicht einfach die Menschen aus der nationalen Gemeinschaft entfernen, sie wollen die Republik, die Demokratie und das Schulsystem zerstören... Ihre Strategie ist es, einen Frontalkrieg zu vermeiden und Terrorakte zu vervielfachen, um den Feind zu zermürben... Sie neutralisieren das Gefahrenbewusstsein, indem sie das schlechte Gewissen der "Progressiven" nutzen und von "Rassismus", "Ungerechtigkeit" oder "Polizeigewalt" sprechen. Sie wollen Frauen in die Sklaverei reduzieren. Sie infiltrieren Schulen, Universitäten, die lokale und nationale politische Sphäre, indem sie sich überall ausbreiten... die Order lautet, "den Unterschied des anderen zu akzeptieren". Sie lähmen den Willen, auf Tötungen anders als mit Blumen, Kerzen und Worten zu reagieren...
"Wir stehen am Beginn eines Terrorkrieges, der sich verstärken wird, weil ein großer Teil unserer Mitbürger es vorzieht, nicht wahrzunehmen, dass unser Erbe bedroht ist. Wenn sie bereit wären, zu sehen, was geschieht, müssten sie den Mut aufbringen, zu kämpfen. Samuel Paty hatte diesen Mut, kein Zweifel, denn er schätzte unser Erbe. Aber er wurde nicht von den Institutionen geschützt, die die Bedrohung unterschätzt haben, so wie es unsere politischen Vertreter und die Mehrheit unserer Bürgerinnen und Bürger tun."
Obwohl der Brief von den französischen Behörden keine Reaktion erhielt, bekam Lemaire unmittelbar nach seiner Veröffentlichung Morddrohungen. Er wurde auch aggressiv von Leuten auf der Straße angegangen, die ihm sagten, dass er das gleiche Schicksal erleiden werde wie Paty. Während das Innenministerium ihn unter Polizeischutz stellte, wurde er von der Exekutive scharf kritisiert: Sie warfen ihm Unruhestiftung vor. "Er ist unverantwortlich", sagten sie. "Er giesst Öl ins Feuer". Die anderen Lehrer des Gymnasiums, an dem er unterrichtete, warfen ihm vor, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und dadurch sie zu gefährden. Der Bürgermeister der Stadt, Ali Rabeh, ein Mitglied einer linksextremen Partei, Génération.s, beschuldigte ihn, die Stadt zu beschmutzen, und reichte eine Verleumdungsklage gegen ihn ein. Lemaire entschied sich, zurückzutreten.
Viele Lehrer in Frankreich sind mit der gleichen Situation konfrontiert. Auch wenn einige es wagen, darüber zu sprechen, bitten sie im Gespräch mit Journalisten, anonym zu bleiben. Sie haben zweifellos Angst – eine Denkweise, die Enthauptungen vermutlich schaffen sollen. Es gibt auch Lehrer, die, möglicherweise weil sie Angst haben, sich verneigen, bestimmte Themen aufgeben und – wenn Schüler antisemitische und antiwestliche Beleidigungen schreien – so tun, als hörten sie nichts. In den meisten französischen Gymnasien ist es fast unmöglich geworden, über Israel oder den Holocaust zu sprechen.
Die meisten Journalisten scheinen es vorzuziehen, jede Diskussion über den Vormarsch des radikalen Islam in Frankreich zu vermeiden. Sie wissen, dass diejenigen, die dies tun, sofort als "Rassisten" oder "Islamophobe" bezeichnet werden und oft bedroht, verfolgt, zu hohen Geldstrafen verurteilt, oder von ihrem Arbeitgeber entlassen werden.
Politische Führer, sowohl linke als auch rechte, vielleicht weil sie bewusst die Augen verschliessen oder aus Sorge um Wählerstimmen, vermeiden das Thema ebenfalls.
Éric Zemmour, einer der wenigen Journalisten, der noch frei über das Problem spricht, wird mindestens einmal im Jahr vor Gericht gestellt. Die gegen ihn verhängten Geldstrafen belaufen sich jedes Mal auf 10.000 Euro. Trotz mehrfacher Aufrufe, ihn zu feuern, gibt ihm der Fernsehsender CNews bewundernswerterweise weiterhin eine tägliche Plattform. Vor einigen Wochen verhängte die CSA (Oberster Audiovisueller Rat), die für die Regulierung und Überwachung audiovisueller Medien in Frankreich zuständig ist, eine Geldstrafe von 200.000 Euro gegen CNews. Als zum Beispiel ein Mann, der ursprünglich Ali H. (18), hieß und den Status eines "unbegleiteten minderjährigen Flüchtlings" genoss – der sich als 25 Jahre alt herausstellte und sich Zaheer Hassan Mehmood nannte – zwei Personen mit einem Hackebeil vor den ehemaligen Büros des Satiremagazins Charlie Hebdo attackierte, sagte Zemmour:
"Jedes Jahr empfängt Frankreich auf seinem Boden ohne Kontrolle Tausende von Menschen aus der muslimischen Welt, die isolierte minderjährige Flüchtlinge sein sollen, die weder minderjährig noch isoliert sind und die oft Raubüberfälle und Morde begehen."
Obwohl das, was Zemmour sagte, korrekt und nachprüfbar war, sagte die CSA, dass das Aussprechen bestimmter Tatsachen "Aufstachelung zum Rassenhass" darstelle.
Nur eine politische Partei wagt es, klar über die Gefahren zu sprechen, die sich aus der Islamisierung Frankreichs und dem radikalen Islam ergeben: Der Rassemblement National. Auch ihre Präsidentin Marine Le Pen wird oft von Richtern vorgeladen und verurteilt. 2015 verglich ein französischer Journalist den Rassemblement National mit dem Islamischen Staat. Le Pen reagierte darauf mit zwei Fotos von Verbrechen des Islamischen Staates auf Twitter und fügte hinzu: "Das ist der Islamische Staat". Am 10. Februar 2021 musste Le Pen vor einem Gericht erscheinen, um auf eine Klage des französischen Justizministeriums gegen sie zu reagieren, die "die Verbreitung gewalttätiger Botschaften, die die Menschenwürde ernsthaft untergraben, die wahrscheinlich von Minderjährigen gesehen werden können", eingereicht hatte. Vor Gericht fragte der Richter Le Pen in einem anklagenden Ton: "Glauben Sie, dass diese Fotos die Menschenwürde verletzen?" Le Pen antwortete: "Es ist das Verbrechen, das die Menschenwürde verletzt, es ist nicht seine fotografische Reproduktion".
Frankreich ist das wichtigste muslimische Land in Europa (offiziell sind 8,8 % der Bevölkerung Muslime). Der Islam ist die zweite Religion in Frankreich, aber an erster Stelle, wenn man die Anzahl der aktiv Praktizierenden zählt. Die Kirchen sind am häufigsten leer und die Zahl der Kirchgemeindemitglieder schwindet (seit dem Jahr 2000 sind 45 Kirchen in Frankreich abgerissen worden). Moscheen, dagegen sind voll und zahlreicher. Die Zahl der Muslime, die den Islam praktizieren wollen, ist so groß, dass in mehreren Städten jeden Freitagnachmittag Muslime auf den Strassen beten und den Verkehr während der Gebetszeit blockieren, während die Polizei es nicht wagt, einzugreifen.
Frankreich ist auch ein Land, in dem mehr als 150 Moscheen im ganzen Land Imame haben, die extrem radikale Predigten halten und zum Handeln gegen den Westen aufrufen. Die Zahl der jungen Muslime unter 25 Jahren, die das islamische Recht über das französische Recht stellen, wächst weiter und hat inzwischen 74 % erreicht. In den letzten zehn Jahren waren Islamisten, die in Frankreich tödliche Anschläge verübten, vor allem in Frankreich geborene Muslime. Das galt für Mohammed Merah, der 2012 in Toulouse sowohl Soldaten als auch jüdische Kinder ermordete; Said and Cherif Kouachi, der 2015 bei der Zeitschrift Charlie Hebdo zwölf Menschen ermordete; Amedy Coulibaly, der wenige Tage nach dem Anschlag auf Charlie Hebdo Menschen in einem Supermarkt in Saint Mande ermordete, und Samy Amimour, einer der drei Terroristen, die im November 2015 im Bataclan-Theater 90 Menschen ermordeten. Das macht den radikalen Islam und den islamischen Terrorismus zu einem französischen Problem.
Eine große Mehrheit, 61 %, der französischen Bevölkerung ist sich bewusst, dass ein ernstes und wachsendes Problem vor der französischen Gesellschaft steht, und betrachtet den Islam als unvereinbar mit den französischen Werten.
Zemmours tägliches Fernsehprogramm bricht trotz der Geldstrafen seit mehr als einem Jahr alle Zuschauerrekorde. Als das Magazin Valeurs Actuelles eine Umfrage veröffentlichte, um zu sehen, wie viele Menschen für Zemmour stimmen würden, wenn er sich entschließen sollte, bei den nächsten französischen Präsidentschaftswahlen zu kandidieren, wurde er auf 17 % der Stimmen geschätzt.
Umfragen deuten darauf hin, dass Le Pen, die offiziell kandidiert, mehr als 26 % der Stimmen erhalten und nach der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen 2022 den ersten Platz belegen wird – vor Frankreichs derzeitigem Präsidenten Emmanuel Macron. In der zweiten Runde sollte Macron gewinnen, allerdings nur mit einem kleinen Vorsprung. In der Entourage des französischen Präsidenten wächst die Sorge. 2017 nutzte Macron die Angst vor dem "Faschismus", um die Franzosen dazu zu drängen, nicht für Le Pen zu stimmen, aber verschiedene Umfragen zeigen, dass diese Strategie möglicherweise nicht mehr funktioniert.
Vor der Coronavirus-Pandemie hatten viele in Frankreich Macron abgelehnt. Er hatte verächtliche Bemerkungen über die Unterprivilegierten gemacht. Er hatte den Aufstand der "Gelbwesten" gewaltsam niedergeschlagen. Ein langer Streik im öffentlichen Nahverkehr hatte das Land blockiert, kurz bevor die französische Regierung einen strikten Lockdown erließ, was die Wirtschaft des Landes für mehrere Wochen völlig lahmlegte. Monatelang wurde eine Ausgangssperre von 19 bis 6 Uhr morgens für die gesamte französische Bevölkerung verhängt. Mehr als ein Jahr nach Beginn der Pandemie wurde erneut ein strikter Lockdown angeordnet. Seit dem 17. März 2020, vor mehr als einem Jahr, ist jede Versammlung von mehr als sechs Personen verboten. Cafés, Restaurants und die meisten Geschäfte bleiben komplett geschlossen. Die wirtschaftlichen Folgen waren katastrophal: 2020 schrumpfte Frankreichs Wirtschaft um mehr als 8 %, eine der schlimmsten Reduktionen in Europa.
Die Frustration der Öffentlichkeit über Macron ist nach wie vor groß: 60% der Franzosen geben an, unzufrieden oder sehr unzufrieden mit der Art und Weise zu sein, wie er das Land führt.
Seit Monaten sucht Macron einen Ausweg. Er sieht, dass Le Pens Erfolg auf die festen Positionen zurückzuführen ist, die sie angesichts der islamischen Gefahr eingenommen hat. Er beschloss zu handeln. Nachdem er im vergangenen Jahr mehrfach von der Schaffung eines "französischen Islams" gesprochen hatte, kündigte er an, den von ihm so genannten "Islamistischen Separatismus" ins Visier zu nehmen. Er schien damit zu meinen, dass immer mehr französische Muslime nur islamische Gesetze respektieren und in Vierteln leben, die Nicht-Muslime aufgegeben haben, daher gibt es jetzt Gebiete, die sich islamischen Regeln unterwerfen. Am 2. Oktober 2020 sagte er, dass bald ein Gesetz verabschiedet werden würde, um das Problem zu beheben.
Macron und die französische Regierung wurden schnell mit verschiedenen Führern in der muslimischen Welt konfrontiert, die französische Produkte boykottierten. In der Türkei wurden Anti-Frankreich-Kundgebungen organisiert, und es wurden Bildnisse Macrons verbrannt. Frankreichs Außenminister Jean-Yves Le Drian wurde sofort nach Ägypten entsandt, um sich mit dem Großimam der al-Azhar-Universität, Ahmed al-Tayyeb, zu treffen, und im November sagte er öffentlich, dass "Frankreich einen tiefen Respekt vor dem Islam" hat.
Diejenigen, die das neue Gesetz ausgearbeitet haben, wurden gebeten, äußerst vorsichtig zu sein. Im Dezember 2020 wurde dem französischen Parlament ein erster Entwurf des Textes vorgelegt. Französische muslimische Organisationen und antirassistische Bewegungen erklärten den Text für "islamophob". Seitdem wurde das Gesetz fast vollständig umgeschrieben und seiner Substanz entleert.
Der Ausdruck "Islamischer Separatismus", der ohnehin mehrdeutig schien, verschwand aus dem Text. Auch der Islam und der "Islamismus" wurden nicht mehr erwähnt. Viele Islamisten, wie der Soziologe Bernard Rougier in seinem jüngsten Buch Les territoires conquis de l'islamisme ("Die vom Islamismus eroberten Gebiete") dokumentiert – und diejenigen, mit denen er sprach, die offen über ihre Ziele sprachen – schienen nicht sich "separieren" zu wollen, sondern vielmehr Territorium zu übernehmen und mehr von der nicht-muslimischen Bevölkerung kontrollieren zu wollen.
Auch das Wort "Säkularismus" (laïcité), das ursprünglich im vorgeschlagenen Gesetz auftauchte, wurde ebenfalls zurückgezogen. Stattdessen heißt es in der neuen Fassung, ein "Gesetz, das die Prinzipien der Republik bestätigt". Mit anderen Worten, das neue Gesetz bekräftigt Grundsätze, die bereits in bestehenden Gesetzen bekräftigt wurden: Staatliche Dienstleistungen müssen religiös neutral sein, und Polygamie und Zwangsheiraten sind in Frankreich verboten. Das neue Gesetz verspricht Sanktionen gegen Hassrede in sozialen Medien, obwohl ein Gesetz, das vor sechs Monaten verabschiedet wurde, dies bereits versprach. Das neue Gesetz verbietet auch den Heimunterricht – der nur von wenigen Muslimen praktiziert wird, aber von vielen Christen.
Sobald das Gesetz verabschiedet wurde, erklärte Zemmour, dass Macron den Kampf gegen den radikalen Islam aufgegeben habe und dass das Gesetz "nicht dazu gedacht ist, jemanden zu verärgern oder zu bedrohen, nicht den Gegner zu identifizieren und nicht zu sagen, dass der Islam ein Problem darstellt, weil er sowohl eine Religion als auch ein juristisches und politisches Projekt ist". Das Gesetz, fügte Zemmour in Le Figaro hinzu, "stellt sich nicht der Realität".
"Dies", bemerkte Le Pen, "ist ein völlig ineffektives Gesetz, das die Freiheit aller Eltern untergräbt, die Bildung, die ihren Kindern angeboten wird, selber zu wählen und das zeigt, dass die Regierung nicht in der Lage ist, gegen diejenigen anzugehen, die gegen die Französische Republik kämpfen".
Gleichzeitig mit der Präsentation des Gesetzes forderte Frédérique Vidal, die französische Hochschulministerin, eine Untersuchung zum "Islamo-Linksismus" an französischen Universitäten. Ihre Äußerung erntete heftige Kritik und führte zu einer Petition, die von sechshundert Universitätsprofessoren unterzeichnet wurde, die ihr vorwarfen, "extrem rechtes Vokabular" zu verwenden und "einen ganzen Beruf zu diffamieren". Macron unterstützte die Petition und bekräftigte seine "absolute Verbundenheit mit der Unabhängigkeit von Professoren und Forschern". Vidal protestierte, sie wolle lediglich eine "Überprüfung aller Forschungen im Land" machen. Die Debatte über die Unterstützung, die mehrere linke Organisationen dem radikalen Islam geben – und die wachsende Präsenz dieser Unterstützung innerhalb französischer Universitäten – endete, bevor sie begann.
Nach der Enthauptung von Paty wurde nur eine Moschee geschlossen: die Große Moschee von Pantin, in den nördlichen Vororten von Paris. Die Schliessung dauerte nur drei Monate. Außerdem wurde eine radikal-islamische Vereinigung aufgelöst: Baraka City. Es gibt jedoch viele andere radikalislamische Vereinigungen in Frankreich, die unberührt blieben. Die wichtigste muslimische Organisation in Frankreich ist nach wie vor "Muslime Frankreichs" (früher Union islamischer Organisationen Frankreichs), der französische Ableger der Muslimbruderschaft. Muslime Frankreichs betreiben die einzige Schule in Frankreich, die Imame ausbildet: das "Europäische Institut für Humanwissenschaften" in Saint Leger-de-Fougeret, einem kleinen Dorf im Burgund.
In Straßburg baut eine türkische Organisation, Millî Görüş ("Nationaler Ausblick") – eine Organisation, die der regierenden türkischen AKP-Partei und dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan nahesteht – die grösste Moschee Europas. Der Straßburger Stadtrat hat 2,5 Millionen Euro (2,94 Millionen Dollar) für die Arbeit gesprochen (die Gesamtkosten werden sich auf 32 Millionen Euro belaufen). Im Januar 2021 forderte der französische Rat für muslimischen Gottesdienst (CFCM), eine Institution, die 1989 gegründet wurde, um die französischen Muslime zu vertreten, die neun Organisationen, aus denen er sich zusammensetzt, auf, eine " Charta des Islam in Frankreich" zu unterzeichnen. In der Charta heißt es, dass "keine religiöse Überzeugung geltend gemacht werden kann, um sich bürgerlichen Verpflichtungen zu entziehen". Vier Organisationen, darunter auch Millî Görüş, weigerten sich, sie zu unterzeichnen. Die Union islamischer Organisationen Frankreichs hatte den französischen Rat für muslimischen Gottesdienst vor einigen Jahren verlassen und daher auch die Charta nicht unterzeichnet.
Innenminister Gerald Darmanin sagte, der Bau der Moschee in Straßburg stelle eine "ausländische Einmischung" in Frankreich dar und er sei zwar gegen die Entscheidung der Stadt Straßburg, sie zu finanzieren, aber er habe keine rechtlichen Mittel, um eine Entscheidung oder den Bau zu verhindern. Er kritisierte nicht Millî Görüş. Am 26. Januar 2021 kündigte er ein striktes Verbot einer Vereinigung – Génération Identitaire ("Identitäre Generation") – an, die mit friedlichen Mitteln gegen den Vormarsch des radikalen Islam in Frankreich kämpft. Darmann behauptete, der Verein untergrabe die Republik.
Bereits vor einem Jahr hatte Bruno Retailleau, Mitglied des französischen Senats, davor gewarnt , dass die schnell wachsende Zahl von Islamisten innerhalb einer schnell wachsenden muslimischen Bevölkerung dazu führt, dass Frankreich "den Kampf gegen den Islamismus verliert. "Bald", warnte er, "wird es zu spät sein".
Der Kolumnist Ivan Rioufol schrieb:
"Der Fehler von Génération Identitaire: Durch gewaltlose Aktionen den Aufstieg des Islamismus in Frankreich sowie unkontrollierte Einwanderung anprangern... Die Kriminalisierung abweichender Gedanken ist etwas, das in einer fortgeschrittenen Demokratie keinen Platz haben sollte. Selten sind diejenigen, die gegen die Mauer des Schweigens protestieren, die es verbietet, ruhig über Themen im Zusammenhang mit dem Islam und der Einwanderung zu diskutieren. Mit der Entscheidung, Génération Identitaire zu verbieten, will Darmanin dissonante Stimmen zum Schweigen bringen, indem er ihnen Rassismus vorwirft. Die Waffe ist umso intellektuell unredlicher, als der Innenminister sagt, dass der politische Islam eine echte Gefahr darstellt."
Am 22. März veröffentlichte die Zeitung Le Monde einen Leitartikel, in dem es hieß, dass die Frage des Islam wahrscheinlich im Mittelpunkt der Präsidentschaftswahlen 2022 stehen werde und dass Le Pen gute Chancen auf einen Sieg habe:
"Vierzehn Monate vor dem Präsidentenwahltermin 2022, ... ist die Annahme, dass ... Marine Le Pen notwendigerweise im zweiten Wahlgang dabei sein wird, und wer ihr gegenübersteht, wird nicht mehr garantiert gewinnen."
Dr. Guy Millière, ein Professor an der Universität Paris, ist Autor von 27 Büchern über Frankreich und Europa.