Mit einer Äußerung über den sich in Frankreich immer mehr breitmachenden islamischen Schleier hat Laurence Rossignol, die französische Ministerin für Familie, Kinder und Frauenrechte, für einen Sturm der Entrüstung gesorgt: Sie verglich Kopftuch tragende Frauen mit "amerikanischen Negern, die die Sklaverei akzeptierten." Kurz darauf forderte Elisabeth Badinter, die zu den berühmtesten Feministinnen Frankreichs gehört, einen Boykott europäischer Modefirmen wie Uniqlo oder Dolce & Gabbana, die islamisch korrekte Kleidung kreieren (im Jahr 2013 gaben Muslime umgerechnet rund 230 Milliarden Euro für Kleidung aus; bis 2019 könnten es 440 Milliarden werden).
Und in der westlichen Popkultur kommt gerade ein neuer Trend auf, den es noch vor einem Jahrzehnt in den Medien so gut wie nicht gab: die Präsenz von Kopftuch tragenden Frauen in Fernsehprogrammen wie der britischen Kochsendung "MasterChef".
In der Mainstreamkultur werden verhüllte Frauen inzwischen als "normal" angesehen. Air France rief seine weiblichen Angestellten kürzlich dazu auf, Schleier zu tragen, während sie im Iran sind. Die italienische Regierung verschleierte unlängst während des Besuchs des iranischen Präsidenten Hassan Ruhani nackte Skulpturen in den Kapitolinischen Museen, aus "Respekt" vor dessen Empfindlichkeit.
In der arabisch-islamischen Welt jedoch waren verhüllte Frauen lange Zeit die Ausnahme.
Es ist kaum zu glauben, doch bis in die frühen 1990er-Jahre waren die meisten Algerierinnen nicht verschleiert. Am 13. Mai 1958 rissen Dutzende von Frauen auf dem Place du Gouvernement in Algier ihre Schleier runter. Miniröcke eroberten die Straßen.
Irans Revolution kehrte diesen Trend um: Im Zuge des Aufstiegs der islamischen Bewegung tauchten in Algeriens Universitäten und in den ärmlichen Stadtvierteln Anfang der 1980er-Jahre die ersten Kopftücher auf. Die Hijabs wurden von der iranischen Botschaft in Algier verteilt.
1990 stand Algerien am Beginn einer langen Ära von Tod und Angst: ein Bürgerkrieg (100.000 Tote) mit dem Schreckgespenst eines Durchmarschs der Islamisten. Die Leute erkannten, dass etwas Schreckliches vor sich ging, wenn sie die Zahl der Schleier in den Straßen zählten.
Das erste Opfer des islamistischen Kriegs in Algerien war Katia Bengana, ein Mädchen, das sich weigerte, den Schleier zu tragen. Sie verteidigte ihre Entscheidung selbst dann noch, als ihr die Henker die Pistole an den Kopf hielten. 1994 erwachte die Stadt Algiers buchstäblich eines Morgens und fand Wände voller Plakate vor, auf denen die Hinrichtung unverschleierter Frauen angekündigt wurde. Heutzutage wagen nur noch sehr wenige Frauen, das Haus ohne einen Hijab oder Tschador zu verlassen.
Schaut man sich Fotos aus Kabul in den 1960er-, 70er- und 80er-Jahren an, sieht man viele unverschleierte Frauen. Dann kamen die Taliban und verhüllten sie. Die Emanzipation in Marokko wurde von Prinzessin Lalla Aicha ausgelöst, der Tochter von Sultan Mohammed Ben Yusuf, der bei der Verkündung der Unabhängigkeit seines Landes den Titel des Königs annahm. Als Prinzessin Lalla Aicha im April 1947 eine Rede in Tanger hielt, lauschten die Bürger gebannt und erstaunt den Worten jenes unverschleierten Mädchens. Innerhalb weniger Wochen lehnten Frauen überall im Land es ab, das Kopftuch zu tragen. Heute ist Marokko eines der freiesten Länder in der arabischen Welt.
Im Ägypten der 1950er-Jahre trat Präsident Gamal Abdel Nasser im Fernsehen auf, um sich über die von der Muslimbruderschaft erhobene Forderung nach einer Verschleierung von Frauen lustig zu machen. Seine Frau Tahia trug kein Kopftuch, noch nicht einmal auf offiziellen Fotos. Heute sind laut der Wissenschaftlerin Mona Abaza 80 Prozent der Ägypterinnen verschleiert. Dabei kam die strikte wahabitische Version des Islam erst in den 1990er-Jahren nach Ägypten, dadurch, dass Millionen von Ägyptern in Saudi-Arabien und anderen Golfstaaten arbeiteten. Gleichzeitig gewann die islamistische politische Bewegung an Boden. Dann fingen ägyptische Frauen an, den Schleier zur Schau zu stellen.
Im Iran überfiel der traditionelle schwarze Schleier, der iranische Frauen vom Kopf bis zu den Knöcheln bedeckt, das Land unter Ajatollah Khomeini. Der Tschador sei das "Banner der Revolution", erklärte er, und zwang ihn allen Frauen auf.
50 Jahre zuvor, im Jahr 1926, hatte Reza Shah Polizeischutz für alle Frauen angeordnet, die sich entschieden, den Schleier abzulehnen. Am 7. Januar 1936 befahl der Schah allen Lehrerinnen sowie den Ehefrauen der Minister und Regierungsbeamten, "in europäischer Kleidung aufzutreten". Auch seine eigene Frau und seine Töchter schickte der Schah unverschleiert in die Öffentlichkeit.
In der Türkei hielt Mustafa Kemal Ataturk vor Frauenversammlungen leidenschaftliche Reden, in denen er die Frauen dazu aufrief, mit gutem Beispiel voranzugehen: Den Schleier abzunehmen bedeutete, die notwendige Annäherung der Türkei und der westlichen Zivilisation zu beschleunigen. 50 Jahre lang lehnte die Türkei den Schleier ab – bis 1997, als die Regierung unter dem Islamisten Necmettin Erbakan das Verbot der Verschleierung an öffentlichen Orten abschaffte.
Später benutzte der türkische Präsident Erdogan den Schleier, um die zügig voranschreitende Islamisierung der Gesellschaft zu unterstützen.
Im Gegensatz dazu erließ der tunesische Präsident Habib Bourguiba seinerzeit ein Verbot des Tragens des Hijab in Schulen und Ämtern. Er nannte den Schleier einen "abscheulichen Fetzen" und stärkte die Rolle seines Landes als der aufgeklärtesten unter allen arabischen Nationen.
Nicht nur, dass die muslimische Welt dieses Symbol lange Zeit abgelehnt hat – auch den Minirock, ein Symbol der westlichen Kultur, sah man vor der Ausbreitung des radikalen Islam überall im Nahen Osten. Es gibt viele Fotos, die uns an diese lange währende Periode erinnern: die unverschleierte und einen Rock tragende Stewardess von Afghan Airlines (welch eine Ironie, dass Air France heute ihre Stewardessen verschleiern will); der Schönheitswettbewerb, den König Hussein von Jordanien im Hotel Philadelphia veranstaltete; die irakische Fußballnationalmannschaft der Frauen; die syrische Athletin Silvana Shahin; unverschleierte Libyerinnen, die auf der Straße marschieren; die Studentinnen an der palästinensischen Birzeit-Universität oder ägyptische Mädchen am Strand (zu jener Zeit wäre ein Burkini als Käfig abgelehnt worden).
Dann, Mitte der 1980er-Jahre änderte sich plötzlich alles: In vielen Ländern wurde das Schariarecht eingeführt, Frauen im Nahen Osten wurden in eine Art mobiles Gefängnis gesteckt, und in Europa kam das Kopftuch wieder auf, als Mittel, um die "Identität" zurückzugewinnen; dies bedeutete die Ablehnung der Assimilation an westliche Werte und die Islamisierung vieler europäischer Städte.
Zuerst wurde Frauen der Schleier aufgezwungen, dann begannen die Islamisten ihren Dschihad gegen den Westen.
Zuerst haben wir diese Frauen verraten, indem wir ihre Versklavung als eine "Befreiung" akzeptierten, dann fing Air France an, Frauen zu verschleiern, während sie sich im Iran aufhalten, als einer Form des "Respekts". All dies spricht auch Bände über die Heuchelei der meisten westlichen Feministinnen, die stets bereit sind, "homophobe" Christen und "Sexismus" in den USA zu verurteilen, aber über die Sexualverbrechen des radikalen Islam schweigen. In den Worten der Feministin Rebecca Brink Vipond:
"Der bevormundende Aufruf an die Feministinnen, ihre Ziele in Amerika ruhen zu lassen, um sich um die Probleme in muslimischen Theokratien zu kümmern, ist ein Köder, den ich nicht schlucken werde." Das sind die gleichen Feministinnen, die Ayaan Hirsi Ali, die mutige niederländisch-somalische Islamdissidentin, im Stich gelassen haben, nachdem sie Zuflucht in den Vereinigten Staaten gefunden hatte: Sie hinderten sie daran, an der Brandeis University eine Rede zu halten.
Wie lange werden wir unser Verbot der weiblichen Genitalverstümmelung (FGM) durchhalten? In einer Studie, die gerade in den USA veröffentlicht wurde, wird argumentiert, dass eine "mildere" Form dieser Verstümmelung, von der weltweit 200 Millionen Frauen betroffen sind, "kulturell feinfühliger" sei und dass ein Ritual, bei dem die Vagina eines Mädchens nur "eingeschnitten" werde, die Praxis einer radikaleren Entstellung verhindern könne. Dieser Vorschlag kommt nicht etwa von Tariq Ramadan oder einem islamischen Gericht im Sudan, sondern von zwei amerikanischen Gynäkologen, Kavita Shah Arora und Allan J. Jacobs; ihre Studie haben sie im Journal of Medical Ethics veröffentlicht, einer der wichtigsten wissenschaftlichen Zeitschriften.
Es ist dies ein Zeugnis dafür, wie tief man sinken kann auf dem Weg, den der französische "neue Philosoph" Pascal Bruckner einmal als die "Tränen des weißen Mannes" bezeichnet hat: Masochismus, Feigheit und zynischer Relativismus. Warum nicht gleich auch noch die islamische Steinigung von Frauen rechtfertigen, denen Ehebruch vorgeworfen wird? Es scheint, als könnten wir gar nicht schnell genug kapitulieren.
Giulio Meotti, Kulturredakteur der Tageszeitung Il Foglio, ist ein italienischer Journalist und Autor.