In Nizza hat ein aus Tunesien stammender islamistischer Terrorist gestern Abend mindestens 84 Menschen ermordet, Dutzende weitere wurden verletzt. Der Angreifer fuhr mit einem 19-Tonnen-LKW in eine große Menge von Menschen, die den 14. Juli, Frankreichs Nationalfeiertag, feierten. Über eine zwei Kilometer lange Strecke – Straße und Gehweg – überfuhr er Männer, Frauen und Kinder.
Am 2. Juli waren bei einem Überfall auf ein Restaurant in Dhaka, Bangladesch, neun italienische Staatsbürger von Islamisten abgeschlachtet worden. Die grinsenden Terroristen folterten sie erst und töteten sie dann mit "sehr scharfen Klingen" – verschonten aber das Leben derjenigen, die den Koran kannten. Seit fast einem Jahr schon wird Bangladeschs in Armut lebende Bevölkerung von ähnlich schockierenden Massakern heimgesucht. Doch bei den Opfern der früheren Anschläge hatte es sich nicht um reiche nichtmuslimische Touristen gehandelt, sondern um anonyme muslimische Blogger, die der "Gotteslästerung" bezichtigt und ebenfalls mit "scharfen Klingen" ermordet wurden – fünf Opfer gab es allein 2015, dazu ein Jurastudent in diesem Jahr und ein Hindu-Priester, der zu Tode gehackt wurde.
Dasselbe Muster gab es in Syrien und dem Irak, wo die Kopfabschneider des Islamischen Staates zuerst zahlreiche westliche Journalisten ins Visier nahmen, dann die Christen aus Mossul vertrieben oder töteten, und schließlich in Paris landeten, um westliche Zivilisten auszulöschen.
Vor zwei Wochen wurde ein 13-jähriges israelisches Mädchen im Schlaf in seinem Bett erstochen. Wie in Bangladesch benutzte der palästinensisch-arabische Terrorist ein Messer, um Hallel Yaffa Ariel zu töten. Das ist nicht einfach ein Mord; es ist ein Abschlachten, das auf der falschen Gleichsetzung des Baus einer Wohnung mit dem Mord an einem Kind gründet. Italienische Zeitungen beraubten das Mädchen sogar seiner Identität. Der Corriere della Sera, Italiens zweitgrößte Tageszeitung, schrieb: "Westjordanland: 13-jährige Amerikanerin getötet".
Als letzten Monat in Tel Avivs Restaurant Max Brenner vier Israelis ermordet wurden, berichteten sämtliche internationalen Medien darüber mit "fehlerhaften" Schlagzeilen. Von Le Monde bis Libération verwendete die französische Presse den Begriff "Schießerei", statt von Terrorismus zu sprechen. CNN setzte das Wort "Terroristen" in Gänsefüßchen. La Repubblica, die größte Zeitung Italiens, nannte die palästinensisch-arabischen Terroristen bloß "Aggressoren".
Was bedeuten diese verzerrten Schlagzeilen? Dass wir im Westen in unserer Naivität daran glauben, dass es zwei Arten von Terror gäbe: "internationalen Terror", der auf Westler in Nizza, Paris, Dhaka, Rakka oder Tunesien zielt; und "nationalen" Terror zwischen Arabern und Israel, angesichts dessen die israelischen Juden sich zurückziehen und kapitulieren müssten. Dann gibt es da noch den "gesichtslosen" Terror, wie in Orlando, wo ein afghanisch-amerikanischer Muslim 50 Amerikaner massakriert hat und sich alle – wie in Amerika üblich – weigern, vom "Islam" zu sprechen.
So sieht die Reaktion desjenigen aus, den man appeaser nennt, und der, wie Winston Churchill einmal sagte, "das Krokodil füttert, in der Hoffnung, dass es ihn selbst zuletzt frisst". Das Problem ist: Egal, ob jemand Pazifist oder Kriegstreiber ist, schwul oder heterosexuell, Atheist oder Christ, reich oder arm, Gotteslästerer oder fromm, Franzose oder Iraker – der dschihadistische Terrorismus macht da keinen Unterschied. Jeder von uns ist ein Ziel: Islamistischer Terrorismus ist genozidal.
Ungeachtet solch einfacher Slogans wie "Je suis Charlie" haben nur sehr wenige Westler Solidarität mit den französischen Karikaturisten von Charlie Hebdo gezeigt. Die meisten Europäer dachten: Das sind Journalisten, die Ärger gesucht und ihn gefunden haben. Oder noch schlimmer: Sie waren "dumm", wie ein Redakteur der Financial Times schrieb. Aber nach dem 7. Januar kam der 13. November. Nun konnte keiner mehr Mohammedkarikaturen für die Terroranschläge in Paris verantwortlich machen.
Während der Islamische Staat Hunderte von jesidischen Mädchen versklavte und vergewaltigte, waren unsere furchtlosen Feministinnen im Westen sehr damit beschäftigt, für ein Referendum über die Homoehe in Irland zu kämpfen. Das Schicksal ihrer jesidischen und kurdischen "Schwestern" kümmerte sie ganz offensichtlich nicht. Jene Opfer waren ja auch versteckt im entfernten und exotischen Osten, so wie auch die ermordeten säkularen muslimischen Blogger in Bangladesch.
Es ist Zeit, sich an das berühmte Gedicht zu erinnern, das Martin Niemöller, der christliche Pfarrer, der während des Naziregimes sieben Jahre lang im Konzentrationslager inhaftiert war, geschrieben hat:
Als sie die Sozialisten einsperrten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Sozialist.
Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Gewerkschafter.
Als sie die Juden holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Jude.
Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte
Das Gleiche gilt, wenn islamistische Terroristen muslimische Dissidentenblogger ins Visier nehmen, weit von uns entfernt lebende jesidische Frauen oder israelische Mädchen – und sie versklaven, auspeitschen, vergewaltigen oder ermorden –; das sollte uns im Westen etwas angehen. Die Islamisten schärfen an ihnen lediglich ihre Messer, bevor sie uns holen kommen.
Wenn wir heute nicht den Mund aufmachen, werden wir morgen für unsere Trägheit bestraft werden.
Giulio Meotti, Kulturredakteur der Tageszeitung Il Foglio, ist ein italienischer Journalist und Autor.