Im Sommer 2005 sagte der dänische Künstler Kåre Bluitgen, als er einen Journalisten der Nachrichtenagentur Ritzaus Bureau traf, er sei nicht in der Lage jemanden zu finden, der sein Buch über Mohammed, den Propheten des Islam, illustriert. Drei von ihm kontaktierte Illustratoren, sagt Bluitgen, hatten zu viel Angst. Ein paar Monate später berichtete Bluitgen, dass er jemanden gefunden hatte, der bereit war sein Buch zu illustrieren, aber nur unter der Bedingung anonym zu bleiben.
Wie die meisten dänischen Zeitungen entschied sich Jyllands-Posten einen Artikel über Bluitgens Fall zu veröffentlichen. Um den Zustand der freien Meinungsäußerung auszutesten rief Flemming Rose, der damalige Kulturredakteur von Jyllands-Posen, zwölf Karikaturisten an und bot jedem von ihnen $160 für eine Karikatur von Mohammed. Was dann passiert ist eine bekannte, schaurige Geschichte.
In einer Welle islamistischer Gewalt gegen die Karikaturen wurden mindestens 200 Menschen getötet. Dänische Produkte verschwanden aus Regalen in Bahrain, Qatar, dem Jemen, Oman, den Vereinigten Arabischen Emiraten und dem Libanon. Maskierte Bewaffnete stürmten die Büros der Europäischen Union im Gazastreifen und warnten Dänen und Norweger, sie sollten innerhalb von 48 Stunden das Land verlassen. In der libyschen Stadt Bengasi setzten Protestierende das italienische Konsulat in Brand. Der politische Islam verstand, was auf dem Spiel stand und erhöhte den Einsatz; der Westen machte weder das eine noch das andere.
Eine islamische "Fatwa" veränderte auch Flemming Roses Leben für immer. In einer islamischen Karikatur wurde sein Kopf auf einen Spieß gesteckt. Die Taliban boten jedem ein Kopfgeld, der ihn töten würde. Roses Büro in der Zeitung wurde wiederholte wegen Bombendrohungen evakuiert. Und Roses Name und Gesicht kamen auf die schwarze Liste von ISIS, zusammen mit dem des ermordeten Chefredakteurs von Charlie Hebdo, Stéphane Charbonnier.
Weniger bekannt ist die "weiße Fatwa", die die journalistische Klasse gegen Rose verhängte. Dieser mutige dänische Journalist enthüllt das in dem gerade veröffentlichten Buch "De Besatte" (Die Besessenen). "Es ist die Geschichte, wie Angst Seelen, Freundschaften und die Berufsgemeinschaft auffrisst", sagt Rose. Das Buch enthüllt, wie seine eigene Zeitung Rose zum Rücktritt zwang.
"Das Drama und die Tragödie bestehen darin, dass die einzigen, die gewinnen, die Jihadisten sind", sagte Flemming Rose der dänischen Zeitung "Weekendavisen".
Der Vorstandsvorsitzende von Jyllands-Posten, Jørgen Ejbøl, zitierte Rose in sein Büro und fragte: "Sie haben Enkel, denken Sie gar nicht an die?"
Die Firma, die seine Zeitung veröffentlicht, JP/Politikens Hus, sagte: "Es geht nicht um Rose, sondern um die Sicherheit von zweitausend Mitarbeitern."
Jorn Mikelsen, Roses ehemaliger Direktor und Geschäftsführer der Zeitung, zwang ihn ein Neun-Punkte-Diktat zu unterschreiben, mit dem der dänische Journalist unter anderem folgende Forderungen akzeptierte: "keine Teilnahme an Radio- und Fernsehsendungen", "keine Teilnahme an Konferenzen", "keine Kommentare zu Religionsfragen", "nicht über die Organisation der islamischen Konferenz schreiben" und "die Karikaturen nicht kommentieren".
Rose unterschrieb den Kapitulationsbrief während der für die Zeitung schlimmsten Zeit, als es in den Jahren 2010/11 zahllose Versuche von Terroristen gab, ihn und ebenso Versuche Kurt Westergaards zu ermorden, den Zeichner einer der Karikaturen (Mohammed mit einer Bombe im Turban), die überall in der arabischen Welt öffentlich verbrannt wurde. Westergaard wurde dann von Jyllands-Posten aus Sicherheitsgründen auf unbestimmte Zeit beurlaubt.
In seinem Buch offenbart Rose zudem, dass von seiner Zeitung zwei Artikel zensiert wurden; das war begleitet von einem Ausbruch des Vorstandsvorsitzenden der Firma, Lars Munch: "Du musst aufhören, du bist besessen, im vierten Stock gibt es Leute, die mich fragen: Warum kann er nicht aufhören?"
Rose zog sich dann den Zorn seines Managers zu, als er der Teilnahme an einer Konferenz mit dem gleichermaßen ins Visier genommenen niederländischen Parlamentariers Geert Wilders zustimmte, der derzeit in den Niederlanden wegen "Hassreden" vor Gericht steht. Rose schreibt:
Es beginnt damit, dass er mich anbrüllt: "Warum zum Teufel hast du zugestimmt mit diesem Terrorziel zusammen auf einer Bühne zu erscheinen, bist du dumm? Wünschst du dir insgeheim den Tod? Du hast jetzt Enkelkinder. Bist du völlig verrückt geworden? Es ist ja in Ordnung, wenn du selbst sterben willst, aber warum willst du noch andere mitnehmen?"
Jyllands-Posten setzte Rose auch unter Druck, als er sich entschied ein Buch über die Karikaturen zu schreiben; es heißt "Hymne til Friheden" (Hymne für die Freiheit). Sein Herausgeber sagte ihm, die Zeitung würde "die schädlichen Auswirkungen des Buches" zügeln", indem seine Auflage so niedrig wie möglich gehalten wird. Rose wurde dann mit Entlassung gedroht, sollte er nicht zwei Diskussionen zum zehnten Jahrestag der Mohammed-Karikaturen absagen. (Rose erschien an dem Tag tatsächlich auf einer Konferenz in Kopenhagen nicht.)
Nach dem Massaker bei Charlie Hebdo war Rose nicht länger bereit sich an das "Diktat" zu halten, das zu unterschreiben ihm befohlen worden war; er trat als Leiter der Abteilung Ausland bei Jyllands-Posten zurück und arbeitet heute in den USA für den Think Tank Cato Institute. Carsten Juste, der ehemalige Chefredakteur von Jyllands-Posten, ebenfalls von ISIS auf die schwarze Liste gesetzt, bestätigte Roses Anschuldigungen.
Rose schreibt in den Schlussfolgerungen seines Buches: "Ich bin von nichts besessen. Die Fanatiker sind diejenigen, die uns angreifen wollen und die Besessenen sind meine ehemaligen Bosse bei Jyllands-Posten."
Roses Offenbarungen bestätigten ein weitere bekannte Geschichte: Jyllands-Postens Kapitulation aus Angst. Seit 2006 lautete, wenn ihre Redakteure und Herausgeber gefragt wurden, ob sie die Mohammed-Zeichnungen immer noch veröffentlicht hätten, die Antwort immer "Nein". Die Antwort bedeutet, dass die Chefredaktion Rose praktisch damit beauftragt hatte die Zeitung für Fanatiker zu schreiben, die tausende Kilometer weit weg waren. Selbst nach dem Massaker vom 7. Januar 2015 bei der Wochenzeitschrift Charlie Hebdo in Paris, die genau deshalb ins Ziel genommen wurde, weil sie die dänischen Karikaturen erneut veröffentlichte, kündigte Jyllands-Posten an, dass sie die Karikaturen aus Angst nicht noch einmal veröffentlichen werde:
"Wir mussten neun Jahre lang mit der Angst vor einem Terroranschlag leben und ja, das ist die Erklärung, warum wir die Karikaturen nicht noch einmal abdrucken, ob nun unsere eigenen oder die von Charlie Hebdo. Wir sind uns zudem bewusst, dass wir uns daher Gewalt und Einschüchterung beugen."
Der dänische Komiker Anders Matthesen sagte, die Zeitung und die Karikaturen seien für islamische Gewalt verantwortlich zu machen – dieselbe offizielle Position wie der gesamte europäische politische und journalistische Mainstream.
Vor einem Jahr, zum 10. Jahrestag der Affäre, brachte Jyllands-Posten zwölf weiße Felder. Diese weißen Felder repräsentierten, was Rose in seinem früheren Buch die "Tavshedens tiranni" (Die Tyrannei des Schweigens) nannte. Naser Khader, ein liberaler Muslim syrischer Herkunft, der in Dänemark lebt, schrieb:
"Ich werfe ihnen nicht vor, dass sie sich um die Sicherheit ihrer Angestellten sorgen. Ich habe 24 Stunden am Tag Personenschützer dabei. Ich glaube aber, dass wir nicht nachgeben dürfen. Wenn Flemming den Mund schließt, wird die Demokratie verloren sein."
Ist die Demokratie verloren? Der Hauptsitz von Jyllands-Posten hat heute einen zwei Meter hohen und einen Kilometer langen Stacheldrahtzaun, eine Tür mit doppeltem Schloss (wie in Banken) und die Beschäftigten können nur einzeln eintreten und müssen dazu einen persönlichen Code benutzen (eine Maßnahme, die Charlie Hebdo nicht schützte). Derweil hat der ehemalige Chefredakteur Carsten Juste sich aus dem Journalismus zurückgezogen; Kurt Westergaard lebt versteckt in einer Festung und Flemming Rose floh, wie Ayaan Hirsi Ali, in die Vereinigten Staaten.
Natürlich sieht viel so aus, als sie viel verloren. "Wir leben nicht mehr in einer 'freien Gesellschaft', sondern in einer 'Angstgesellschaft'", hat Rose gesagt.
Giulio Meotti, Kulturredaktor für Il Foglio, ist italienischer Journalist und Autor.