Vielleicht ist es an der Zeit, dass die schwedische Regierung weniger Ressourcen für die Verfolgung von Redeverbrechen von Rentnern und Komikern und mehr für die Bekämpfung von Gewaltverbrechen aufwendet. (Bildquelle: iStock) |
Im Juni beschlagnahmten und konfiszierten vier bewaffnete schwedische Polizeibeamte den gesamten Bestand des Buches "Det här är är en svensk tiger" ("Dies ist ein schwedischer Tiger"), das der schwedische Autor und Stand-up-Komiker Aron Flam geschrieben hat. Das Buch erzählt die Geschichte, wie Schwedens Anspruch auf Neutralität während des Zweiten Weltkriegs eine Realität der schwedischen Kollaboration mit den Kriegsanstrengungen der Nazis und die Profite, die die sozialdemokratische Regierung aus dem Krieg zog, übertünchte.
Der Titel des Buches ist ein Wortspiel mit den Worten eines Tigerplakates aus dem Krieg von 1941, das in den blauen und gelben Farben der schwedischen Flagge mit dem Titel "En svensk tiger" ("Ein schwedischer Tiger") gezeichnet und vom schwedischen Illustrator Bertil Almqvist gestaltet worden war. Das Wort "Tiger" bedeutet auf Schwedisch Tiger, aber es bedeutet auch, zu schweigen. Das Originalplakat war Teil einer Kampagne der schwedischen Regierung, die die Schweden zum Schweigen auffordern sollte, vermutlich um die Beziehungen Schwedens zu Nazi-Deutschland während des Krieges nicht zu erschüttern.
Flam persiflierte Almqvists Illustration auf dem Umschlag seines eigenen Buches, indem er eine Armbinde mit einem Hakenkreuz auf den Tiger zeichnete und eines seiner Vorderbeine im Nazi-Gruß anheben ließ, während er dem Leser zuzwinkerte. Der Inhaber des Urheberrechts an Almqvists Tiger, das schwedische Militärbereitschaftsmuseum, behauptete jedoch, Flam habe sein Urheberrecht verletzt, und zeigte ihn bei der Polizei an, die die Bücher beschlagnahmte. Laut Flam will der Staatsanwalt nun sogar Bücher von Lesern beschlagnahmen, die sie bereits gekauft haben, um sicherzustellen, dass die Bücher vernichtet werden.
Die Beschlagnahmung von Büchern und das bevorstehende Verfahren gegen Flam hat in Schweden eine Debatte über den Wert der Meinungsfreiheit entfacht. Wie Flam hingewiesen hat, ist es ein wenig ironisch, dass ein schwedischer Schriftsteller, der zufällig Jude ist, dessen Bücher die schwedisch-nazistische Kollaboration während des Krieges kritisieren, vom schwedischen Staat beschlagnahmt wird. "Allein die Vorstellung, dass es einen Staatsanwalt gibt, der ernsthaft versucht, Bücher aufzuspüren und zu vernichten, ist kafkaesk. Wenn sie sich damit begnügt hätten, die Titelseite abzureißen, aber nein", sagte Flam.
Wie immer ist die Art und Weise, wie die Polizei und die Staatsanwaltschaft arbeiten, eine Frage der Prioritäten; diese (merkwürdigen) Prioritäten waren auch in einem anderen kürzlichen Gerichtsverfahren zur Redefreiheit zu sehen. Darin wurde eine ältere schwedische Frau wegen "Aufwiegelung" zu einer Geldstrafe verurteilt, nachdem sie auf Facebook ihre Wut über den gewaltsamen Angriff eines 27-jährigen Mannes auf einen 86-jährigen Rentner zum Ausdruck gebracht hatte.
"Ja, er [der Täter] wird wahrscheinlich sofort [aus dem Gefängnis...] entlassen werden. Es wäre besser, ihn aus dem Land zu schicken, was für Affenmenschen kommen ins Land, jetzt gilt nur noch die Abschiebung, es gibt keine mildernden Umstände... Die Affen sollten nicht hierher kommen und solche Verbrechen begehen..."
Die Frau erwähnte in ihrem Facebook-Posting keine bestimmte Personengruppe, dennoch befand das Gericht, dass sie zum Hass gegen Immigranten angestiftet hatte:
"Das Bezirksgericht ... stellt fest, dass die Kommunikation nicht anders verstanden werden kann, als dass sie sich an eine solche Gruppe von Personen richtet, die durch die Bestimmung geschützt sind – Einwanderer – d.h. an die ethnischen Gruppen in Schweden, denen gemeinsam ist, dass sie eine andere nationale Herkunft haben als die Mehrheitsbevölkerung. Indem N. N. [die Frau] diese Gruppe 'Affen' und 'Affenmenschen' genannt hat, hat sie sich in einer Weise ausgedrückt, die als abwertend betrachtet werden muss".
Der Fall war für Schweden nicht ungewöhnlich. Die strafrechtliche Verfolgung von Rentnern und anderen Personen wegen Redeverbrechen ist gang und gäbe.
Das Problem ist, dass Schweden ein Land ist, das tief in einer wachsenden Welle von Gewaltverbrechen verstrickt ist, die seine Behörden nicht eindämmen konnten. Während die schwedische Polizei und Staatsanwaltschaft der Beschlagnahme von Büchern mit Einbänden satirisierter schwedischer Tiger und Rentner, die sich des "Falschen Denkens" schuldig gemacht haben, hohe Priorität einräumt, verfügen sie offensichtlich nicht über die Mittel, Gewaltverbrechen zu bekämpfen.
In Uppsala zum Beispiel zeigte ein Bericht aus dem Jahr 2019, dass sich 80% der Mädchen in der High School nicht sicher fühlen. Im Jahr 2013 lag diese Zahl bei 45 Prozent.
Kürzlich veröffentlichte SVT Nyheter eine Story über ein 13-jähriges Mädchen, das im November vergangenen Jahres in einer öffentlichen Toilette in einem Einkaufszentrum in Uppsala vergewaltigt worden war. Obwohl die Polizei wusste, wer der Verdächtige war, dauerte es sieben Monate, bis sie ihn verhaftet hatte. "Da die Polizei nicht über die Mittel verfügte, wurde er bis jetzt nicht festgenommen", sagte Moa Blomqvist, die Staatsanwältin in diesem Fall, gegenüber dem Schwedischen Fernsehen. "Es ärgert mich sehr, dass sich so schwere Verbrechen bei der Polizei stapeln, bis sie endlich bearbeitet werden..." Die Polizei dementiert Blomqvists Behauptung.
Im Juli erlitten eine dreifache Mutter und ihre Schwester, die mit ihren Männern zu Fuß nach Hause gingen, Kopfverletzungen, als ein Mann, der sich gegenüber den Frauen als aus Gottsunda, einer "No-Go"-Zone in Uppsala, kommend identifizierte, beschloss, ihnen Fußtritte gegen den Kopf zu verpassen, offenbar grundlos. Bald darauf schloss sich dem Mann eine Bande an, die die Ehemänner mit Gürteln peitschte. Die Polizei hat in diesem Fall bisher keine Verdächtigen. Zwei Wochen später wurde im Zentrum von Uppsala ein Mann mehrfach niedergestochen.
Uppsala, einst eine malerische und friedliche Universitätsstadt, ist heute die Stadt in Schweden mit den meisten Schießereien pro Kopf. "Man liess die Banden wachsen," sagte Manne Gerell, Kriminologe an der Universität Malmö, im Dezember 2019 gegenüber SVT Nyheter, und dass die Polizei etwas zu spät "aufgewacht" sei.
Uppsala wurde auch von mehreren Bombenanschlägen heimgesucht – Anschläge, typischerweise bandenbezogen, mit Sprengkörpern. Im Jahr 2019 gab es in Schweden 257 Fälle. Der jüngste Bombenanschlag in Uppsala fand im Juni statt: ein "kleiner Sprengsatz" explodierte in einem Wohnhaus.
Doch in Schweden führte 2019 laut SVT Nyheter nicht einmal jeder zehnte Bombenanschlag zu einer Strafanzeige. Vielleicht ist es an der Zeit, dass die schwedische Regierung weniger Ressourcen für die Verfolgung von Redeverbrechen von Rentnern und Komikern und mehr für die Bekämpfung von Gewaltverbrechen aufwendet.