Vielen gelte dies als besonderer Memorial Day, sagte Präsident Obama. Erstmals seit 14 Jahren stünde Amerika am Gedenktag der Gefallenen in keinem großen Bodenkrieg mehr. Seit den 9/11-Attacken seien in Afghanistan mehr als 2.200 amerikanische Söhne und Töchter gefallen. Wer den Nationalfriedhof in Arlington besucht hat, erahnt, was das für die Familien bedeutet. Doch mischten sich in das Gedenken Sorgen um den aktuellen Kurs Amerikas daheim und in der Welt.
Das Grabmal des unbekannten Soldaten befindet sich im Arlington National Cemetery in Arlington, Virginia. (Foto: Wikimedia Commons) |
Viererlei trübte Obamas Botschaft vom 25. Mai: Männer des "Islamstaats" expandieren nicht nur in Afghanistan, sondern noch am selben Abend ereilten Amerikaner Warnungen vor deren Präsenz und möglichem Terror zu Hause. Zudem begann am 31. Mai eine völlige Freizügigkeit der fünf Taliban aus ihrem Exil in Qatar, die Obama von Guantanamo gegen den vermuteten Deserteur Bowe R. Bergdahl eintauschte und die wohl an die Terrorfronten zurückkehren. Schließlich kann Washingtons aktuelle Strategie gegen den "Islamstaat" in Irak und Syrien nach dem Fall von ar-Ramadi und Palmyra niemanden richtig überzeugen.
Manche Kommentatoren traten im Fernsehen höchst verbittert auf. Mittelost lohne weder amerikanisches Blut noch Gut. Einige Völker dort seien unreif. Sektenkrieg wie in tausend Jahren zuvor stehe man hilflos gegenüber. Linke, die sich oft Progressive nennen, mag dies passen, trifft es doch den Tenor ihrer Reden gegen den "Imperialismus". Das Problem: der Gegner ist expansiv, stoppt nicht an regionalen Grenzen und sucht das globale Kalifat über Mittelost hinaus. Beschwichtigungen zeitigen neue, allein größere Verluste in der Zukunft.
Kein Wunder, an jenem schönen Frühlingsabend Ende Mai prüften Amerikaner, was aus der These von Barack H. Obamas Vorgänger George W. Bush wurde, diesen "Kampf zum Feinde zu tragen", bevor dieser nach Amerika kommen und wieder eine Art 9/11 einfädeln kann. Dass Jihadis in der Neuen Welt einwirken, ging aus einer Serie von Festnahmen und daraus hervor, dass der FBI am 29. Mai Behörden wie die New Yorker Polizei landesweit bat, jetzt beim Aufspüren der hausgemachten Terroristen des "Islamstaats" zu helfen. Laut FBI-Direktor James Comey gehe es um Hunderte, die auch im Web verschlüsselt wirken.
Der Rocker Charlie Daniels rief "seid bereit" – "lock and load", Haus schließen, Waffen laden. Derart solle man den Terroristen begegnen, die unbedingt Amerikaner töten wollen. Dieser "Uneasy Rider" ergänzte, sich nie für sein Land zu schämen. Jedoch habe Obama die gefährliche Zeit hier und auswärts erzeugt. Es brauche Dekaden, dies zu überwinden. Versagt die Administration, so treten die Bürger auf. Jon Ritzheimer organisierte vor dem Islamzentrum in Phoenix am 29. Mai einen Cartoon-Wettbewerb. Die beiden Islamisten, die im texanischen Garland solch eine Veranstaltung angriffen und starben, kamen aus dem Zentrum. Zum Glück lief dort alles friedlich ab, wo Muslime den "Islamstaat" verurteilten.
Andere erörtern, ob denn Amerika der Weltpolizist sein soll. Der konservative Autor Bret Stephens – er verfasste "America in Retreat" - besprach es in einem fünfeinhalb minütigen YouTube Video für die Prager Universität. Er fragt, welche Alternative es gäbe, und meint, Friedenstruppen der Vereinten Nationen versagten zu oft, so in Ruanda 1994 als eine halbe Millionen Menschen getötet wurden. Die fast 200 Mitglieder in der UN könnten sich doch über nichts wirklich einigen. Sollte man da wieder Sphären des Einflusses der Welt- und Regionalmächte erlauben? Was dann geschehe, erkenne man an des Kremls Annexion der Krim oder an Irans Expansion durch Stellvertreter. Haben nicht Lenins Bolschewiki klein begonnen, niemand traute ihnen ein Weltreich zu? Eine "Pax Americana" sei doch geboten.
Verantwortlich
Europa hat wenig Vergleichbares zu bieten. Wer es genauer wissen will, der verfolge nur David Camerons Tour durch alle 27 Staaten der Europäischen Union. Er muss alsbald ein attraktives Reformkonzept erklären, wenn er seine Bürger für das Verbleiben im Verbund gewinnen will. Bislang weilte er in den Niederlanden, Frankreich und Polen. Am Freitag, den 29. Mai, tauschte er sich mit Kanzlerin Merkel in Berlin aus. Aber es ging nicht über Floskeln hinaus, darunter "für Bürokratieabbau, gegen Einwanderung in Sozialleistungen".
Beide bestätigten sich, wo ein Wille sei, wäre auch ein Weg. Sie mögen sich stärker dem "Islamstaat" in Libyen und Flüchtlingstod im Mittelmeer zuwenden. Brüssel behandelt nur Symptome wie das Zerstören der Schmuggelboote, statt Mittelost und vor allem Libyen zu stabilen Ordnungen zu verhelfen. Wo bleibt denn die Nato, die am 5. September 2014 viel versprach? Griff sie nicht in Libyen ein, nur um sich dann dort zu entziehen, und wenn es schwierig wird, zu erklären, was dort geschähe, also der Zerfall sei eine Sache der Libyer?
Auch Präsident Obamas Sprecher Josh Earnest betonte am 26. Mai, was im Irak passiere, sei Bagdads Sache. Kämpfen die Iraker nicht für sich selbst, Amerika könne es nicht für sie tun. Das scheint das neue Paradigma zu werden, das auch die Chance bietet, sich überall herauszuziehen - oder sich bestimmten Verantwortungen zu entledigen. Ob dieser Ansatz haltbar ist, steht dahin. Die Geschichte lehrt, dann kommt es nur immer noch schlimmer. Erst greift der Westen ein, stürzt Diktatoren, dann will er damit nichts mehr zu tun haben. Offenbar zielt der "Islamstaat" auf Bagdad ab. Freitag töteten Suizidmörder 14 Menschen und verwundeten 25 in Bagdads City vor den Hotels Cristal - ex-Sheraton - und Babylon.
Angela Merkel empfängt am 3. Juni Abd al-Fattah as-Sisi in Berlin - wie seinen Vorgänger am 30. Januar 2013 – einst nahte dessen Sturz. Der neue Präsident begann als Erster in Mittelost, was vielen bevorsteht: den Islamisten die Stirn zu bieten. Er fordert nicht nur die Islamreform, sondern will auch eine Arabische Truppe mobilisieren, wie es die Araberliga am 29. März forderte. Dabei bekämpfen ihn Islamisten auf Sinai wie Ansar Bait al-Maqdis, die dem "Islamstaat" beitraten. Auf Sinai fielen dem im Vorjahr 643 Menschen zum Opfer, darunter 177 Zivilisten und Sicherheitskräfte. Berlins Hilfe wäre dazu gleichwohl eine Art Selbsthilfe.