Es gibt Ansätze aus dem mittelöstlichen Chaos heraus, aber keine Strategie. Warum? Erfreulich sind zunächst dort der Friedensnobelpreis für das tunesische Dialog-Quartett und Parlamentswahlen in Ägypten. Während die Osloer Komitee-Vorsitzende Kaci Kullmann sagte, jenes zivilgesellschaftliche Quartett trage zur pluralen Demokratie nach der Jasmin-Revolte 2011 bei, so führ-ten die Lotusrevolte vom selben Jahr am Nil und die Coupvolte unter Abd al-Fattah as-Sisi 2013 zu Wahlen am Sonntag. Resultate erleben 54 Millionen Wähler im Dezember. Muslimbrüder und ihre Partei blieben ver-boten, doch die salafistische Nur-Partei ist dabei. Diese Stabilisierung ist in Tunis und in Kairo noch gefährdet.
Fragil bleibt Afghanistan, für das Präsident Obama entschied, nächstes Jahr 9.800 Militärs zu behalten. In seiner Rede am Donnerstag, den 15. Oktober, verwies er auf die dort 2.200 gefallenen Soldaten seit 9/11. Nun gebe es zwei Missionen: Ausbildungshilfe und Antiterroreinsätze gegen die Taliban. Auch nächstes Jahr sind 5.500 Amerikaner in den Basen Bagram, Jalalabad und Kandahar. Obama hielt die Nato-Partner an, ebenso nach 2016 gleichzuziehen. Dies kommt gleichwohl auf Berlin zu.
Der Präsident verneinte es, 20.000 Truppen zu behalten. Die Afghanen sollten befähigt werden, ihr Land selbst zu verteidigen. Aber es darf nicht Islamisten zufallen. Dies sind nicht nur die Taliban und al-Qaida, sondern in sieben von 34 Provinzen auch Jihadis des "Islamstaats". Obama sagte, seine Ziele mit möglichst wenigen Truppen zu erreichen und nicht die Idee endloser Kriege zu fördern. Das brachte Lücken, die nun Islamisten füllten.
Öfter waren massive Einsätze geboten, eben um es nicht endlos zu gestalten. Das war gegen den "Islamstaat" so, der in Europa, Afrika und Asien ausgreift. Zudem sind Generationen im Globalkrieg, der mehr Geduld als früher übliche Kriege erfordert, die nicht nach dem Rhythmus von Präsidialwahlen ablaufen und neuartige Ansätze erfordern.
Erst nahm Obama für "Inklusivität" oft Partei der Islamisten. Als die regierten, sprach er vom Übergang zur Demokratie. Doch er verkennt Gestern und Heute des Islamismus, trennte nicht die Religion Islam von jener Ideologie, Muslime nicht von Islamisten. Er übersah Moderne und Modernisierung in Mittelost. "Als hätte der Islam ein Problem mit der Moderne", behauptete er. Aber dies ist eben ein Angelpunkt des Islamismus weltweit.
Durch Lücken und "Extremismus" festgefahren, blieb er zu dogmatisch. Kriege lang oder kurz, ist kaum die Frage, sondern ob und wie Demokratien sie gewinnen. In Afghanistan setzt er wieder nicht auf Durchbrüche. Andere müssen sich fragen, was sie beisteuern könnten. Warum soll Amerika alle Lasten tragen? Dennoch, infolge seiner Inflexibilität, hegt Präsident Obama keine aktive Globalstrategie. Was sagt Henry A. Kissinger dazu?
Reagan, Kissinger 1981 (Foto: White House) |
Risiken
Der einstige Außenminister Kissinger entwarf im Wallstreet Journal vom 16. Oktober seine Skizze. Der einseitige Moskauer Eingriff in Syrien erhelle, wie Amerika seine stabilisierende Rolle im Staatensystem verliere, das nach dem Krieg 1973 aufkam. Damals wandte sich Ägypten von den Sowjets ab, Amerika zu. Friedensverträge folgten mit Israel, Israel und Jordanien sowie die UN-Entflechtung zwischen Israel und Syrien. Dies hielt vier Dekaden und führte zur Integrität des Libanon, aus dem Syrien abzog. Der Irak wurde 1991 aus Kuwait vertrieben, Sowjetmilitär verschwand überall aus Mittelost.
All das sei zerstört wie die Staaten Libyen, Jemen, Syrien und Irak. Viele Länder, so darf ich ergänzen, erscheinen instabiler wie Tunesien, Ägypten, Golfländer und die Türkei. Der syroirakische "Islamstaat" dehne sich als radikaler Gegner der alten Staatenordnung aus und versuche, die Staatenvielfalt durch Kalifat samt Scharia zu ersetzen. Dies gibt dem Schisma Sunni-Schia eine apokalyptische Dimension, wo im Fall Irans noch der potentiell mächtigste Staat hinzukomme. Dieser zeige Doppelkapazitäten als traditioneller Staat und als jihadistischer Nichtstaatakteur der Hizballah in Libanon und Syrien, der Hamas in Gaza und der al-Huthis in Jemen; radikale Ideologen gegen Staaten.
Die Teheraner Dominanz vertiefe der Atompakt, den Sunniländer als stille amerikanische Akzeptanz der Hegemonie Irans sehen. Die konfliktiven Trends verstärke der US-Rückzug aus Mittelost, der den russischen Einfall erlaubte. Die Russen brauchten nicht unbedingt al-Asad, könnten durch ihn aber Genozid, libysches Chaos oder weiteren "Islamstaat" meiden, der den Sunniterror in deren Islamräume an der Südgrenze und den Kaukasus trage. Was auch das Motiv sei, der Eingriff wäre eine Herausforderung wie nie in der Globalära. Doch liege Amerika, das die Fähigkeit verliere, Prozesse zu gestalten, über Kreutz mit allen Parteien, gab keine alternative Politstruktur für Syrien vor.
Kritiken
Zwei verfeindete Blöcke der Sunniten und Schiiten wirken wie Iran als Staat und Akteur auf der nichtstaatlichen Ebene gegen die Staatsordnung. Solange der "Islamstaat" bestehe, verschärfe er alles, weshalb dessen Zerstörung am dringlichsten sei. Mit den Russen sollte Amerika gemeinsame Ziele finden und Staaten wie Irak und Syrien (im föderalen System) wieder herstellen. Nach ihrer konstitutionellen Krise, könnte auch die Türkei dabei helfen.
Sollten Atomwaffen aufkommen, seien Katastrophen fast unvermeidlich. Mittelost sei Amerikas dringlichster und folgenreichster Test im 21. Jahrhundert. Die Frage sei nicht die Stärke seiner Waffen, sondern seines Willens, eine neue Welt zu begreifen und zu meistern. Vier Kritikpunkte dazu: die notorische Unterschätzung der Mischideologien, die Islamisten Teherans in Achsen mit Moskau, Pjöngjang und Beijing treiben; Idee von Balancen, wo dynamische Imbalancen sind und neue Überlebensrisiken für Israel, die Islamisten samt Iran zeitigen. Dies zieht Europa auch mit Masseneinwanderungen in die Mittelostkonflikte. Altes Europa ade, ist die Neue Welt noch zu retten?